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Best of<br />
ZaS<br />
Januar<br />
2010<br />
a f r i k a P o l i t i k 5<br />
nach 2002 große Anstrengungen<br />
unternommen, die Infrastruktur des<br />
Landes wieder aufzubauen. Auch<br />
mit Hilfe der chinesischen Regierung,<br />
etwa im Eisenbahnbau. Diese<br />
Anstrengungen haben aber noch<br />
nicht zu einem planvollen Wiederaufbau<br />
etwa der Agrarwirtschaft<br />
oder der industriellen Produktion geführt.<br />
Das Bildungssystem ist weiterhin<br />
marode, viele Menschen haben<br />
keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser<br />
oder zu medizinischer Basisversorgung.<br />
Der „Sonderstatus“ Angolas<br />
besteht vielleicht darin, dass<br />
die MPLA-Regierung über so viele<br />
Ressourcen verfügt, dass es nicht<br />
schwer fiele, die Entwicklung des<br />
Landes voranzutreiben und der Bevölkerungsmehrheit<br />
Zugang zu<br />
Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung,<br />
Bildung, Wohnung und<br />
Arbeit zu verhelfen.<br />
ZaS: Vergleicht man Reichtum/Armut,<br />
Gesundheitswesen, Bildung,<br />
politische Lebensform – was ist größer,<br />
Gemeinsamkeiten oder Unterschiede<br />
in den verschiedenen afrikanischen<br />
Ländern?<br />
Hatzky: Darüber könnte man Bücher<br />
verfassen. Ich denke, man muss die<br />
Situation jedes afrikanischen Landes,<br />
jeder Region für sich anschauen und<br />
sollte keine Pauschalurteile fällen,<br />
sondern ihre Entwicklung auch im<br />
Rückblick auf ihre Geschichte beurteilen.<br />
Dass die Lebenschancen für<br />
die Mehrheit der Afrikaner im Vergleich<br />
zu den Europäern schlechter<br />
sind, darüber besteht kein Zweifel –<br />
dennoch gibt es große Unterschiede<br />
zwischen den afrikanischen Ländern<br />
und innerhalb der Gesellschaften.<br />
Von Europa aus beurteilt man Afrika<br />
meist als einen homogenen Raum<br />
und macht sich selten die Mühe, sich<br />
die einzelnen Länder und Regionen<br />
spezifisch und genau anzusehen. Dazu<br />
tragen auch die Afrikabilder und<br />
oft sehr vereinfachenden Zuschreibungen<br />
in den Medien bei, auf denen<br />
ohne zu differenzieren, ein Kontinent<br />
der Unterentwicklung und der gewalttätigen<br />
Auseinandersetzungen<br />
evoziert wird.<br />
ZaS: Ist die Kriminalität in den afrikanischen<br />
Ländern eine Folge sozialer<br />
Ungerechtigkeit und Unruhen<br />
und damit auch Folge des politischen<br />
Führungsstils?<br />
Hatzky: Kriminalität ist wie überall<br />
auf der Welt eine Folge von sozialer<br />
Ungerechtigkeit, instabilen gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen, ungleichen<br />
Chancen, Korruption, bzw. ist<br />
auf einen politischen Führungsstil<br />
zurückzuführen, der „Kriminalität“<br />
in großem Stil vorlebt.<br />
ZaS: Inwiefern kann man die soziale<br />
Ungerechtigkeit und die daraus folgenden<br />
Unruhen historisch erklären?<br />
Wirken sich einstige westliche Kolonialherrschaften<br />
indirekt bis heute<br />
auf afrikanische Länder aus?<br />
Hatzky: Soziale Ungerechtigkeit ist in<br />
allen ehemals kolonisierten Ländern<br />
Afrikas auf die Kolonialherrschaft<br />
zurückzuführen, unter der es kein<br />
Interesse an einer Förderung und<br />
Entwicklung der in den Kolonien lebenden<br />
Bevölkerung gab. Die Kolonialmächte<br />
waren an der maximalen<br />
Ausbeutung der Arbeitskraft, der<br />
Rohstoffe oder Plantagenprodukte<br />
interessiert. Nicht zu vergessen ist<br />
dabei der transatlantische Sklavenhandel,<br />
bei dem zwischen dem 16.<br />
und 19. Jahrhundert 10 oder 15<br />
Millionen von Afrikanern nach<br />
Nord- und Südamerika verschleppt<br />
worden sind. Dabei handelte es sich<br />
vor allem um junge Menschen, die so<br />
den afrikanischen Ökonomien verloren<br />
gingen. Ihr Verlust veränderte die<br />
Gesellschaften Afrikas tiefgreifend.<br />
Die Kolonialherrschaft europäischer<br />
Mächte in Afrika endete zwischen<br />
1960 und 1975. Das sind – historisch<br />
gesehen – relativ kurze Zeiträume<br />
Polizeischutz: Seit dem Anschlag auf die Fußballmannschaft von Togo<br />
zeigt die Polizei in Angola beim Afrika-Cup verstärkt Präsenz.<br />
von einer bis anderthalb Generationen,<br />
in denen ein radikaler Wandel<br />
der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse kaum zu<br />
erwarten sind. Nach der Entkolonisierung<br />
waren die unabhängigen<br />
Staaten Afrikas für die ehemaligen<br />
Kolonialmächte als Rohstofflieferanten<br />
ja trotzdem weiter interessant,<br />
so dass sich an den asymmetrischen<br />
Austauschverhältnissen auch<br />
nach der Entkolonisierung wenig<br />
änderte.<br />
Die Unabhängigkeit der afrikanischen<br />
Länder beinhaltete in der Regel<br />
politische Reformen, ging aber meist<br />
nicht mit einer tiefgreifenden sozialen<br />
Veränderung einher. Das heißt,<br />
„Man kann nicht<br />
Almosen geben und<br />
andererseits Handelsbeschränkungen<br />
auferlegen“<br />
die afrikanischen Eliten, die nach der<br />
Unabhängigkeit an die Macht kamen,<br />
waren genauso wie die europäischen<br />
Kolonialherren an Profiten,<br />
der Ausbeutung von Rohstoffen,<br />
interessiert und weniger am Wohlergehen<br />
ihrer Bevölkerung.<br />
Das ist sehr holzschnittartig schwarzweiß<br />
gezeichnet, aber diese Tendenz<br />
lässt sich am Beispiel Angolas verdeutlichen:<br />
Die MPLA strebte nach<br />
der Unabhängigkeit auf der Grundlage<br />
eines marxistisch inspirierten Programmes<br />
zwar soziale Gerechtigkeit<br />
an, nationalisierte Industrie- und<br />
Rohstoffsektor, führte ein nationales<br />
Bildungssystem ein etc., aber von<br />
diesen Ambitionen war zehn Jahre<br />
nach der Unabhängigkeit kaum noch<br />
etwas zu spüren, vielmehr grassierte<br />
in Regierungskreisen schon Mitte der<br />
1980er Jahre die Korruption. Sicherlich<br />
begünstigte der erwähnte postkoloniale<br />
Krieg diese Entwicklung,<br />
aber auch in anderen afrikanischen<br />
Ländern, in denen progressive Unabhängigkeitsbewegungen<br />
die Macht<br />
übernahmen, war häufig von den ursprünglichen<br />
gesellschaftspolitischen<br />
Ambitionen der nachkolonialen<br />
Regierungen nach einem Jahrzehnt<br />
nur noch wenig zu spüren. Der<br />
Ursprung von Korruption, Misswirtschaft,<br />
ungleicher Ressourcenverteilung,<br />
sozialer Ungleichheit etc. liegt<br />
sicherlich in der Kolonialherrschaft<br />
begründet, aber auch die Eliten, die<br />
nach der Unabhängigkeit an die<br />
Macht kamen, tragen Verantwortung<br />
für die Entwicklung ihrer Länder.<br />
ZaS: Inwieweit stehen Entwicklungshilfe<br />
und Missbrauch von Hilfsgeldern<br />
Ihrer Ansicht nach unter dem<br />
Diktat der wirtschaftlichen Zweckgemeinschaft<br />
und Abhängigkeit zwischen<br />
einflussreichen westlichen<br />
Staaten und korrupten afrikanischen<br />
Regierungen?<br />
Hatzky: Diese Frage ist zu groß, um<br />
sie einfach und pauschal erschöpfend<br />
beantworten zu können. Entwikklungshilfe<br />
westlicher Länder für<br />
Afrika ist ein Euphemismus, denn sie<br />
ist viel zu gering, um das zu kompensieren,<br />
was aus den Regionen<br />
Afrikas an Rohstoffen abgezogen<br />
wurde und wird. Sie ist zu gering, um<br />
die ungleiche Entwicklung und das<br />
Gefälle an Armut und Unterentwikklung<br />
im Vergleich zu den Industrieländern<br />
auch nur annähernd auszugleichen.<br />
Es bestehen Handelsschranken<br />
auf dem Weltmarkt, um<br />
europäische Märkte zu schützen,<br />
afrikanische Ökonomien haben dabei<br />
das Nachsehen. Entwicklungshilfe<br />
ist vor diesem Hintergrund deshalb<br />
auch ein falsches Signal – man kann<br />
nicht einerseits Almosen vergeben<br />
und andererseits die ökonomische<br />
Entwicklung durch Handelsbeschränkungen<br />
aktiv verhindern.<br />
Die Möglichkeit einer gleichberechtigten<br />
Partnerschaft könnte afrikanischen<br />
Ökonomien und Staaten stärken<br />
helfen. Regierungen und Unternehmen<br />
wären in die Pflicht<br />
genommen, verantwortungsvoller zu<br />
wirtschaften. Dies könnte verhindern<br />
helfen, dass korrupte Regierungen<br />
Entwicklungshilfegelder einstreichen,<br />
ohne sie ihrer Bestimmung zuzuführen.<br />
Ich will mit diesen Überlegungen<br />
nicht alle Ansätze von Entwicklungshilfe<br />
verurteilen, es gibt<br />
auch jede Menge vielversprechende<br />
Initiativen, die den Aufbau ökonomischer<br />
Strukturen auf lokaler Ebene<br />
unterstützen, z.B. Frauen helfen, sich<br />
wirtschaftlich unabhängig zu machen.<br />
ZaS: Kann die WM in Südafrika dem<br />
Kontinent eine Initialzündung für eine<br />
positive Entwicklung sein?<br />
Hatzky: Die WM in Südafrika kann sicherlich<br />
eine positive Entwicklung<br />
anstoßen. Zunächst einmal lenkt sie<br />
das Interesse der Weltöffentlichkeit<br />
auf den Kontinent und viele Besucher<br />
aus aller Welt werden nach Südafrika<br />
kommen. Dieses Interesse ermöglicht<br />
hoffentlich eine andere Perspektive<br />
auf Afrika, eine, die sich<br />
nicht nur in den altbekannten negativen<br />
Stereotypen bewegt, als seien<br />
die Probleme der Länder dieses Kontinents<br />
zu groß, um sie lösen zu können.<br />
Die Probleme vieler Länder Afrikas<br />
sind zweifellos riesig, aber nicht<br />
unlösbar. Ihre Zeitung geht da doch<br />
schon mal mit einem positiven Beispiel<br />
voraus.<br />
ZUR PERSON<br />
Dr. Christine Hatzky ist Historikerin<br />
und wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Lehrstuhl für außereuropäische<br />
Geschichte der Universität<br />
Duisburg-Essen. Ihre Schwerpunkte<br />
sind die Geschichte Lateinamerikas<br />
und der Karibik sowie die Geschichte<br />
Afrikas, insbesondere das portugiesischsprachige<br />
Afrika.