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24<br />
k u l t u r<br />
B r i t i s C h<br />
Best of<br />
ZaS<br />
November<br />
2010<br />
Jede Faser ist Musik<br />
Jamie Cullum kommt nach Freiburg. Berührungsängste zwischen Jazz, Pop und Rock kennt der britische Musiker nicht. Strotzend<br />
vor Vitalität und Lässigkeit wird das musikalische Multitalent auf der Bühne zum Feuerwerkskörper. Von Barbara Breitsprecher<br />
Wenn es eine Inkarnation<br />
der Musik im Heute, im<br />
absoluten Jetzt gibt, dann<br />
ist es Jamie Cullum. Sein Herz ist der<br />
Jazz, aber ohne Scheu, ja furchtlos vor<br />
Genreüberschreitungen, hat er mit jeder<br />
anderen Faser seines Körpers alles<br />
in seinen Songs verarbeitet, was sich<br />
ihm in den Weg gestellt hat: Rock,<br />
Pop, Blues, Swing einfach alles. Mit<br />
unverschämter Lässigkeit bewegt er<br />
seinen jungen Körper auf der Bühne,<br />
singt und spielt mühelos jedes Instrument,<br />
als wäre es eine Kleinigkeit ein<br />
begnadeter Pianist zu sein, gleichzeitig<br />
aber auch unbeschwert Gitarre<br />
oder Schlagzeug zu spielen, so als wäre<br />
man mit diesem Instrument auf die<br />
Welt gekommen.<br />
Diese Lässigkeit gepaart mit ungebremster<br />
Energie, wie sie nur aus<br />
unkontrollierter, feuriger Leidenschaft<br />
zu entstehen vermag, erzeugt<br />
einen Rausch – bei Publikum und<br />
Star gleichermaßen. Mit leicht nasaler,<br />
tief-wohlklingender Stimme<br />
singt der 31-Jährige, dessen Gesicht<br />
wohl ewig jung bleiben wird. Ein<br />
Hobbit ist der englische gerade mal<br />
1,63 Meter große Bühnen-Derwisch<br />
mit den strubbeligen, dunklen Haaren,<br />
ein Magier, ein Besessener, ein<br />
Bummler zwischen Musikwelten, all<br />
das ist er.<br />
Musik, die Töne das ist für ihn<br />
die Sprache, nicht immer braucht es<br />
da Worte. Und diese Töne entstehen<br />
durch Muskeln, die direkt Emotionen<br />
und das Ureigenste einer Person auf<br />
Tasten oder Saiten übertragen. Das<br />
Denken, der Intellekt ist dabei zunächst<br />
ausgeschaltet. Es würde nur<br />
behindern, was sich da zwischen<br />
Fingern und Instrument unmittelbar<br />
abspielt.<br />
Bei seinen Konzerten gibt es keine<br />
Setlist, nicht mal seine hochklassigen<br />
Musiker wissen genau was an<br />
einem Abend gespielt wird. Ohne Improvisation<br />
geht bei Jamie Cullum<br />
gar nichts.<br />
Den Song eines anderen nicht<br />
auf seine eigene Weise zu spielen,<br />
käme Jamie Cullum nicht in den<br />
Sinn. Das würde nicht passen, und<br />
Jamie Cullum macht nichts, was<br />
nicht passt. Auch wenn es auf den<br />
ersten Blick nicht immer so scheint.<br />
Jahrzehntelang war Jazz auf der<br />
Bühne etwas Gediegenes, fürs Auge<br />
eher langweilig. Jamie Cullum<br />
hat das revolutioniert. Er tobt stehend<br />
am Klavier, springt schon mal<br />
auf den Flügel und wieder hinunter.<br />
Er drängt sich durch die Zuschauerreihen<br />
fernab der Bühne und singt<br />
ohne Mikro in die Ränge hinauf. Er<br />
dirigiert das Publikum, feuert es an,<br />
während er selbst wie ein Feuerwerkskörper<br />
auf der Bühne herumjagt.<br />
Seine Vitalität kennt keine<br />
Grenzen.<br />
Wenn Sophie Dahl an seiner Seite<br />
steht, die Frau, mit der Jamie Cullum<br />
seit Beginn dieses Jahres verheiratet<br />
ist und die nun ein Kind von ihm<br />
erwartet, dann wirkt auch das auf den<br />
ersten Blick nicht unbedingt passend.<br />
Die Enkelin des Schriftstellers Roald<br />
Dahl, die früher Model für XXL-Größen<br />
war, inzwischen aber super<br />
schlank ist, überragt ihren Ehemann<br />
um 20 Zentimeter. Für den Sänger und<br />
Komponisten war es Liebe auf den ersten<br />
Blick, nur dass er sich zunächst<br />
nicht vorstellen konnte, dass sie auch<br />
an ihm interessiert sein würde.<br />
Der Sohn einer Burmesin und<br />
eines aus Israel stammenden Engländers<br />
wuchs mit Musik auf. Die Eltern<br />
spielten in einer Band, Klein-Jamie<br />
immer mit dabei. Klavier-, Gesangsund<br />
Gitarrenunterricht folgten.<br />
Während seine Schulkameraden<br />
mit 17 ihr Geld im Supermarkt<br />
verdienten,<br />
trat Jamie Cullum in<br />
Hotelbars und Clubs<br />
auf. Er verdiente gut,<br />
die Atmosphäre gefiel<br />
ihm, die Begeisterung<br />
der reiferen Frauen<br />
ebenfalls. Sein erstes<br />
Album finanzierte er<br />
selbst und verkaufte es auf<br />
Konzerten. Erst dann wurden<br />
Plattenproduzenten auf ihn aufmerksam.<br />
Seitdem kann er auf mehr<br />
als vier Millionen verkaufte Alben<br />
und diverse Preise zurückblicken,<br />
darunter eine Golden Globe Nominierung<br />
für seinen Titelsong zu Clint<br />
Eastwoods Film „Gran Torino“.<br />
Dennoch machte Cullum zunächst<br />
seinen Uniabschluss in Film<br />
und Englischer Literatur, bevor er sich<br />
ganz der Musik hingab. In seinem<br />
Londoner Zuhause hat er heute eine<br />
Unmenge Keyboards und Pianos versammelt.<br />
Ständig ist er am Ausprobieren,<br />
auf der Suche nach Klängen<br />
und Akkorden. Zu den Musikern, die<br />
er am meisten bewundert gehören<br />
Miles Davis und Tom Waits. Unermüdlich<br />
machen sie ganz verschiedene<br />
Alben, wandeln und entwickeln<br />
sich mit den Jahren und bleiben doch<br />
immer sie selbst. Für einen Musiker<br />
gibt es kein Ziel, kein Ankommen.<br />
Das Üben, das Besserwerden ist ein lebenslanger,<br />
nie abgeschlossener Prozess.<br />
Eigentlich ist es sogar so, dass die<br />
Reise das Gegenteil eines Ziels ist.<br />
„The Pursuit“, das Streben, heißt denn<br />
auch das jüngste Album und die<br />
Tournee von Jamie Cullum. Und spätestens<br />
jetzt muss klar sein, warum<br />
musikalische Genres keine Grenzen<br />
für solch einen Menschen sind.<br />
n Jamie Cullum, The Pursuit Tour<br />
2010, Donnerstag, 2. Dezember,<br />
20 Uhr, Konzerthaus Freiburg;<br />
Tickets: Tel. 07531/908844<br />
oder www.koko.de