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Best of<br />

ZaS<br />

November<br />

2010<br />

r e p o r Ta g e p o l i T i k 23<br />

Eine Fabrikbesichtigung etwas<br />

außerhalb von Nizza steht auf dem<br />

Tagesprogramm. Hu Jintao wird die<br />

neue Hybrid-Technologie von Peugeot<br />

Citroën präsentiert. Das wird<br />

ihm gefallen, denn zum Bau eines<br />

Hybridmotors sind spezielle Rohstoffe<br />

wie Neodym, Praseodym, Dysprosium<br />

und Terbium nötig. Diese sogenannten<br />

Seltenen Erden gibt es nahezu<br />

ausschließlich in China, und<br />

dort in großen Mengen. Da Seltene<br />

Erden auch zum Bau von Solarzellen,<br />

Touch-Screens und Lithium-Ionen-<br />

Batterien notwendig sind, kann China<br />

die Geschäftsbedingungen hier<br />

weitgehend diktieren.<br />

Abends in Nizza ist Essengehen<br />

in dem kleinen Edelrestaurant „La Petite<br />

Maison“ in der Rue St. François<br />

de Paule angesagt. Dafür wird dann<br />

auch die halbe Altstadt abgesperrt,<br />

werden die letzten verbliebenen Autos<br />

abgeschleppt und Motorroller geknackt.<br />

Das Restaurant ist eine Empfehlung<br />

des Bürgermeisters von Nizza,<br />

Christian Estrosi, der gleichzeitig<br />

auch der Industrieminister Frankreichs<br />

und ein persönlicher Freund<br />

Sarkozys ist. Der französische Staatspräsident<br />

nutzt den Moment, da er<br />

auf seinen Gast wartet, und beantwortet<br />

Journalisten vor dem Restaurant<br />

einige Fragen. Nein, Tabus gebe<br />

es nicht, versichert er. Sein Freund<br />

Estrosi im Hintergrund lächelt wissend.<br />

Am nächsten Tag ist in französischen<br />

Zeitungen zu lesen, dass Sarkozy<br />

eine franko-chinesische „Front“<br />

vorschwebt, durchaus auch gegen die<br />

USA.<br />

Das Essen dauert exakt eine<br />

Stunde. Die Kritik der Wirtin ist nicht<br />

zu überhören, als sie erzählt, wie würdevoll<br />

gelassen der chinesische Präsident<br />

gegessen, während Sarkozy in<br />

offensichtlicher Eile hektisch seine<br />

Mahlzeit hinunter geschlungen habe.<br />

Die Straßen von Nizza sind an<br />

diesem Abend und auch am folgenden<br />

Tag nicht wieder zu erkennen.<br />

Selbst auf den abends sonst so belebten<br />

Plätzen, in einem der gut besuchten<br />

Straßencafés, weit weg von<br />

Sarkozy und seinem Gast, beschleicht<br />

einen das Gefühl, hier stimmt etwas<br />

nicht. An jeder Ecke große Polizeibusse,<br />

alle blauen Mietfahrräder, die<br />

vélos bleus, wurden entfernt, an den<br />

leeren Radständern lehnen wachsame<br />

Polizisten. Der Gedanke an eine<br />

mögliche Bombendrohung schleicht<br />

sich ins Gehirn. Wie gefährdet sind<br />

hu Jintao und Nicolas sarkozy sind zufrieden: Der Chinese war in<br />

Nizza und bekommt Uran sowie Flugzeuge, der Franzose jede Menge Geld.<br />

Nizza, seine Bewohner und seine Besucher<br />

an diesen Tagen? Der Wein am<br />

kleinen Bistrotischchen will plötzlich<br />

nicht mehr so recht schmecken.<br />

Auf dem Weg zurück in die Unterkunft<br />

in der Nähe des Negresco,<br />

werden die letzten hundert Meter zu<br />

einem gespenstisch-futuristischen<br />

Trip. Dort wo sich normalerweise in<br />

engen Straßen Auto an Auto reihen,<br />

Als einzige Zivilisten<br />

unterwegs auf einem<br />

Polizeiplaneten in<br />

einer abgesperrten<br />

Straße von Nizza<br />

stehen jetzt riesige Polizeitransporter.<br />

Alles ist abgesperrt, kein Durchgang<br />

mehr für Passanten. In den großen<br />

Einsatzfahrzeugen sitzen schwarz<br />

uniformierte, bis an die Zähne bewaffnete<br />

Einsatzkräfte und warten<br />

auf weitere Befehle. Jeder, der durch<br />

die Absperrung hindurch will, wird<br />

kritisch befragt, der Ausweis muss<br />

vorgezeigt, die Hausnummer genannt<br />

werden. Dann begleiten zwei<br />

Uniformierte uns Heimkehrer durch<br />

diesen fremden Polizeiplaneten, zu<br />

dem die kleine Straße geworden ist,<br />

auf dem wir die einzigen Zivilisten<br />

sind, jeder Schritt argwöhnisch verfolgt<br />

von hundert Paar Augen. Bis zur<br />

Haustüre, bis aufgeschlossen wurde,<br />

erst dann lassen sie uns Gehen. Tiefes<br />

Durchatmen im Innern des Hauses.<br />

Und gleichzeitig die halb belustigte,<br />

halb bange Frage, wieviel Polizisten<br />

wohl vor uns hier waren und<br />

die Räume durchkämmt und Computer<br />

gefilzt haben?<br />

Auch am nächsten Tag noch keine<br />

Entwarnung. Aber die Polizisten<br />

wirken entspannter als am Abend<br />

zuvor. Sogar ein kleiner Plausch vom<br />

Fenstersims aus ist möglich. Der nette<br />

Polizist mag die Berge viel mehr<br />

als das Meer, ist das zu glauben? Eigentlich,<br />

so verrät er, sei geplant gewesen,<br />

dass der chinesische Präsident<br />

um elf Uhr wieder abfliegt, nach<br />

Lissabon. Aber es scheint dem Chinesen<br />

hier zu gefallen, es ist Mittagszeit<br />

und Hu Jintao ist immer<br />

noch in Nizza. Die Polizisten bekommen<br />

ihr Mittagessen<br />

geliefert, als Dessert<br />

gibt es Bananen. Die armen<br />

Portugiesen müssen<br />

warten, die Niçoise, die Polizisten<br />

und wir auch. Die Arbeiter der<br />

Stadtverwaltung kommen und räumen<br />

die Gitter weg, ihnen ist egal ob<br />

der Präsident noch da ist, elf Uhr war<br />

abgemacht. Da müssen sich sogar<br />

die Polizisten beugen, die nun mit ihren<br />

Körpern die Straßen weiter absperren.<br />

Und dann ist er doch plötzlich<br />

weg, der Chinese. Ein einziges<br />

Kommando und die Straßen sind wie<br />

leergefegt. Aber nur für wenige Minuten,<br />

dann sieht alles aus wie immer<br />

in Nizza: Stoßstange an Stoßstange<br />

reihen sich die Autos in den<br />

Nebenstraßen, auf der Promenade<br />

joggen und flanieren die Menschen<br />

und blinzeln in die Sonne, wo hoch<br />

über ihren Köpfen gerade ein Flugzeug<br />

nach Portugal fliegt.<br />

c h i N a u N T e r h u J i N T a o<br />

die drei gesichter: geschickt,<br />

rabiat und achtungslos<br />

Manche Probleme, wie sie Frankreich<br />

beispielsweise wegen Geheimdienstaktivitäten<br />

gegen Journalisten<br />

oder mit Streiks wegen einer längeren<br />

Lebensarbeitszeit hat, kennt die<br />

chinesische Führung gar nicht. Der<br />

Geheimdienst ist sowieso immer<br />

und überall aktiv, unliebsame Journalisten<br />

dagegen ohnehin nie lange.<br />

Und schuften müssen chinesische<br />

Arbeiter sowieso bis ans Ende ihrer<br />

Kräfte – oder bis sie krank werden.<br />

Wie beispielsweise die Minenarbeiter,<br />

die ohne Schutzmaßnahmen die<br />

weltweit begehrten Seltenen Erden<br />

fördern und dabei giftigen Staub<br />

einatmen. Sie waschen die geförderte<br />

Erde und kommen dabei mit<br />

gefährlichen chemischen und radioaktiven<br />

Stoffen in Berührung. Das<br />

Abwasser wird ungefiltert in Seen<br />

und Flüsse geleitet, vergiftet die<br />

Reisfelder und die Menschen, die<br />

dort leben.<br />

Wenn es darauf ankommt, beweist<br />

die chinesische Führung in diplomatischen<br />

Geschäften immer wieder<br />

ein gutes Händchen. Kleine Deals<br />

wie die mit Sarkozy eben geschlossenen<br />

Verträge gehören ebenso<br />

dazu wie die ganz großen Würfe.<br />

Zum Beispiel in Afrika.<br />

Auch dort liegen tief in<br />

der Erde wertvolle Ressourcen, wie<br />

Erdöl, Gas und Erze. Statt sich nun<br />

wie die USA militärisch den Handelsweg<br />

mit den Rohstoffen freizuschießen<br />

und sich damit viele andere<br />

Probleme aufzuhalsen, gehen die<br />

Chinsesen einen wesentlich geschickteren<br />

Weg. Sie bauen den<br />

afrikanischen Ländern wie Sudan,<br />

Nigeria, Südafrika, Angola, Nigeria<br />

und Ägypten, darunter also auch sogenannten<br />

„Schurkenstaaten“, Flughäfen<br />

und Straßen, gewähren Militärhilfe<br />

und Schuldenerlass. Im Gegenzug<br />

bekommt China die Schürfrechte<br />

für die Bodenschätze. Der<br />

politischen Führung der afrikanischen<br />

Länder gefällt der Deal: China<br />

mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten<br />

ein, und es hat keine<br />

koloniale Vergangenheit in Afrika,<br />

die das Verhältnis beschweren<br />

könnte. Zudem ist der afrikanischen<br />

Elite das Thema Entwicklungshilfe<br />

und Armutsbekämpfung nie so<br />

wichtig gewesen wie die wirtschaftliche<br />

Entwicklung und der Infrastrukturausbau<br />

im eigenen Land.<br />

Chinas Staatschef Hu Jintao gilt als<br />

der mächtigste Mann der Welt. Und<br />

das nicht nur, weil er mehr Menschen<br />

regiert als jeder andere auf<br />

der Erde, nämlich 1,3 Milliarden<br />

Chinesen, ein Fünftel der Menschheit.<br />

„Im Gegensatz zu seinen westlichen<br />

Amtskollegen kann Hu Flüsse<br />

umleiten, Städte bauen,<br />

Kritiker<br />

einsperren und<br />

das Internet zensieren,<br />

ohne von nervtötenden<br />

Bürokraten oder Gerichten<br />

aufgehalten zu werden“, argumentiert<br />

das US-Magazin Forbes, das<br />

traditionell das Ranking betreibt.<br />

China hat auch wirtschaftlich aufgeholt,<br />

hat Japan hinter sich gelassen<br />

und steht jetzt als zweitstärkste<br />

Volkswirtschaft direkt hinter<br />

den USA.<br />

Hu Jintao wirkt im Vergleich zu<br />

seinen Vorgängern recht jung<br />

und ist doch auch bereits 68 Jahre<br />

alt. Wer die Hoffnung hatte, mit<br />

ihm würde China weniger diktatorisch,<br />

ist einem Irrtum erlegen: So<br />

schlau es die Regierung in wirtschaftlichen<br />

Dingen anstellt, so rabiat<br />

ist sie gegen Regimekritiker<br />

und so achtungslos gegenüber Umwelt<br />

und Natur und den Schäden,<br />

die sie hier anrichtet. bb

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