381zett 2–09 / ausstellungmichel comte – diegrosse retrospektiveEr hat sie alle gekonnt inszeniert und meisterhaftfotografiert: Mit Schauspielerinnen undModels, Musikern und Künstlerinnen vonWeltrang schuf <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> Ikonen <strong>der</strong>Porträtfotografie und <strong>der</strong> Werbung. Nun präsentiertdas Museum für Gestaltung Zürich erstmalseine umfassende Werkschau des einflussreichenZürcher Fotografen. Christian Brändle*Bil<strong>der</strong>: 1: Haiti, 1996/ 2: Isabella Rosselini, Dolce&Gabbana, 19943: Barbara Becker, Geberit, <strong>2009</strong>/ 4: Silvester Stallone, „L’Uomo Vogue“, 19945: Sophie Marceau/ 6: Uma Thurman, Lancôme, 2003/ 7: Manolo Blahnik,„L’Uomo Vogue“, 1993/ © <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong>/I-ManagementIm Morgengrauen ziehen sie von <strong>der</strong> Berghütte los: Ein Teammit über 40 Spezialisten – Beleuchterinnen, Klei<strong>der</strong>assistentenund Kameramänner, Produktionsmanagerinnen undFotoassistenten – macht sich auf zum Engadiner BergseeSaoseo. Dieser liegt noch in idyllischer Ruhe, als die erstenSonnenstrahlen des Tages die Berggipfel in rotgoldenes Lichttauchen. Kurz nach Ankunft des Fototeams fliegt auch schon<strong>der</strong> Helikopter ein, welcher in mehreren Touren über eineTonne Setmaterial ablädt: Ein grosses und lange geplantesWerbeshooting mit <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> nimmt seinen Anfang.Einige Wochen später ist ein einziges <strong>der</strong> gegen 1000 an diesemTag geschossenen Bil<strong>der</strong> in vielen ganzseitigen Inseratenzu sehen: Anmutig bekennt das Model Barbara Becker darinihre Vorliebe für ein Wasserklosett: „I love Water.“Wie entstehen Werbebil<strong>der</strong>?Werbung ist allgegenwärtig. Und zeitgenössische Werbungbasiert in <strong>der</strong> Regel auf möglichst guten Fotografien. Wir sehentäglich unzählige Bil<strong>der</strong>; auf Plakaten, in Zeitungen, Magazinenund abends am Fernseher. Was wir aber zu sehenbekommen, ist ein vollständig durchgeplantes und manipuliertesBild einer idealisierten Welt. Wir sehen sozusagen dieperfektionierte letzte Zweihun<strong>der</strong>tfünfzigstelsekunde einesProzesses, <strong>der</strong> Dutzende von Arbeitsgattungen involviert,Hun<strong>der</strong>ter von Arbeitsstunden bedarf und schnell Budgetsim sechsstelligen Bereich umsetzt.Making-ofFür seine grosse Retrospektive konnte das Museum für GestaltungZürich <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> an mehrere Shootings begleiten –so auch ins Engadin, wo Eric Stitzel (Studienbereich Film undVideo) die Arbeitsweise des Fotografen in einem bemerkenswertenMaking-of festgehalten hat.Natürlich interessiert das schlussendlich veröffentlichteBild in einer Fotoausstellung beson<strong>der</strong>s. Gerade im Kontextunserer Hochschule ist es aber überaus spannend, das Augenmerkauch auf die Entstehungsprozesse und Arbeitsbedingungeneiner Bildwelt zu lenken, die zusehends unserenvisuellen Alltag dominiert.In <strong>der</strong> Ausstellung werden daher nicht nur die finalen undgrossformatigen Museumsprints gezeigt. Es sind auch TausendeKontaktbil<strong>der</strong>, Polaroids o<strong>der</strong> Mitschnitte des Retuscheprozessesim Fotolabor Tricolor, einer <strong>der</strong> internationalbesten Adressen <strong>der</strong> Branche, zu sehen.Porträts<strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> zählt zu den gefragtesten Werbe-, Mode- undPorträtfotografen <strong>der</strong> Gegenwart. Die Ausstellung glie<strong>der</strong>tsich in Themenblöcke, die das dreissigjährige Schaffen desFotografen in seiner Breite abdecken: Schlüsselstücke sinddie Porträts, die für Magazine wie „Vogue“ o<strong>der</strong> „Vanity Fair“entstanden sind: Die Liste <strong>der</strong> Porträtierten liest sich wie ein„Who is who“ <strong>der</strong> internationalen Protagonisten aus Kunst,Film und Showgeschäft: Miles Davis, Frank Zappa, SophiaLoren o<strong>der</strong> Catherine Deneuve arbeiteten mit <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong>ebenso zusammen wie Tina Turner, George Clooney, LouiseBourgeois o<strong>der</strong> Carla Bruni.Viele dieser Arbeiten sind in <strong>Comte</strong>s Pariser Lebensmittelpunktentstanden: <strong>der</strong> Suite 152 des Hôtel Ritz: Im Intérieurdieser im Stil „Louis-toujours“ eingerichteten Suite entstandendie persönlichsten Porträts.DocumentaryDaneben beleuchtet die Ausstellung die Vielfältigkeit einesWerks, das die glamouröse Welt <strong>der</strong> Superstars und <strong>der</strong> Modeweltebenso zum Thema hat wie Reportagen aus Afghanistan,
Haiti o<strong>der</strong> Bosnien. Hier engagiert sich <strong>Comte</strong> seit Jahren ehrenamtlichfür das Rote Kreuz und die Médecins Sans Frontières.Es sind dies Bil<strong>der</strong> aus Gegenden, die wir nicht seheno<strong>der</strong> die wir vergessen wollen, Fotografien, die uns nachdenklich,wütend o<strong>der</strong> ratlos machen. Von Menschen, denen Existenziellesweggenommen wurde o<strong>der</strong> die es nie besassen.WomenIn den vergangenen drei Dekaden hat sich <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> insehr unterschiedlichen Fotogenres einen internationalenNamen geschaffen. Ein Thema aber steht seit den Anfängenimmer wie<strong>der</strong> im Zentrum seines Interesses: die Frauen. Erzeichnet seit jeher ein vielschichtiges Frauenbild, mit erstklassigenFotografien zwischen Glamour und Nähe, Stärkeund Verletzlichkeit. Seine Frauenbil<strong>der</strong> zeigen dabei oft unterkühlteDistanziertheit, aber genauso gibt es warme undherzliche Bil<strong>der</strong> voller Selbstbewusstsein und Lebensfreude.<strong>Comte</strong>s Akte schlussendlich stehen als erotisch aufgeladeneMetapher für ein Frauenbild im Wandel.Private DiaryEin grosser Teil des Materials wird nun in Zürich erstmalsausgestellt. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für die privaten undteilweise intimen Bil<strong>der</strong> aus <strong>Comte</strong>s persönlichemvisuellen Tagebuch, das sich immer wie<strong>der</strong> um seineFrau Ayako dreht.Die Projektentwicklung im Spannungsfeld zwischen<strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong>, seinen Agenten, den Rechteinhabern,dem Medienpartner, den Sponsoren sowieweiteren Interessensvertretern – und last but notleast den Zielen des Museums – war stets vonNeuem eine Herausfor<strong>der</strong>ung. Aber das Resultatrechtfertigt den beachtlichen Aufwand:Entstanden ist ein Augenschmaus mit Tiefgang,von dem <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> sagt, es sei seinebisher beste Ausstellung geworden.3 4ausstellung / zett 2–09392* Christian Brändle ist Direktor Museum für Gestaltung Zürichund Kurator dieser Ausstellung (christian.braendle@zhdk.ch).Ausstellung: bis 3. Januar 2010, Halle,Ausstellungsstrasse 60, 8005 ZürichGespräche in <strong>der</strong> Ausstellung:<strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong>: 30 Jahre FotografieMittwoch, 16. September, <strong>2009</strong>, 19.30 h<strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> im Gespräch mit Christian BrändleDer Weg zum perfekten ModebildMittwoch, 11. November, <strong>2009</strong>, 19.30 hMit Sithara Atasoy (Chefredaktorin „Bolero“, Zürich), SvenBänziger (Fotograf, Zürich/Paris), Ursula Knecht (InhaberinOption Modelagentur, Zürich), Mo<strong>der</strong>ation: RomanoZerbini (Geschäftsführer ewz.selection – Schweizer Fotopreis)Publikation: <strong>Michel</strong> <strong>Comte</strong> – 360°, Museum fürGestaltung Zürich und NRW-Forum, Düsseldorf (Hg.),mit einem Essay von Christian Brändle, erhältlich inD/E/F, 400 Farbabbildungen, 46 CHF. Sie kann bestelltwerden unter: www.museum-gestaltung.ch/e-shop56