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„Alles Walzer!“ Wiener Opernball in den Tropen - Impulse Singapur

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ist es oft passiert, dass viele zu mir gekommen s<strong>in</strong>d und sich<br />

bedankt haben: „Thank you for dress<strong>in</strong>g appropriately.<strong>“</strong>. Sie<br />

wür<strong>den</strong> niemals auf mich zukommen und fragen, warum ich<br />

heute schwarz trage. Es fällt mehr auf, als wir <strong>den</strong>ken.<br />

Des Weiteren muss man zu so e<strong>in</strong>er Veranstaltung mit e<strong>in</strong>er<br />

offenen Haltung gehen, <strong>den</strong>n es ist anders als bei uns. Es wird<br />

gerade bei e<strong>in</strong>em ch<strong>in</strong>esischen Bankett vielleicht das e<strong>in</strong>e oder<br />

andere serviert, mit dem wir uns nicht regelmäßig kul<strong>in</strong>arisch<br />

ause<strong>in</strong>andersetzen. Zum Beispiel Hühnerfüße als Appetizer, was<br />

aber zu e<strong>in</strong>em gelungenen ch<strong>in</strong>esischen Bankett dazugehört.<br />

Ich b<strong>in</strong> auch ke<strong>in</strong> Freund von Shark’s F<strong>in</strong> Soup (Haifischflossen-<br />

Suppe). Man soll sich e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong>setzen und beobachten, wie<br />

vergnügt und ausgelassen die S<strong>in</strong>gapurer bei solchen Anlässen<br />

se<strong>in</strong> können. Es geht auch um dieses „Gan bei<strong>“</strong> (Sich zuprosten<br />

und das Glas <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zug leer tr<strong>in</strong>ken). Das Hochzeitspaar geht<br />

von Tisch zu Tisch und wird hochgelebt.<br />

Woran ich mich auch gewöhnen musste, waren die Anfangs-<br />

zeiten der Feste. Da bekommt man e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung mit dem<br />

H<strong>in</strong>weis Punkt 19.30 Uhr. Wenn man mir das als Deutsche sagt,<br />

dann b<strong>in</strong> ich auch pünktlich da. Aber ich b<strong>in</strong> dann erstmal e<strong>in</strong>e<br />

Stunde alle<strong>in</strong> auf dem Fest. Man kommt frühestens 45 bis 60<br />

M<strong>in</strong>uten später. Dieses Verhalten ist auch nach vielen Jahren für<br />

mich gewöhnungsbedürftig. Die Pünktlichkeit im sozialen Leben<br />

ist <strong>in</strong> S<strong>in</strong>gapur noch e<strong>in</strong>e „Kaugummi-Zeit<strong>“</strong>. Im Berufsleben s<strong>in</strong>d<br />

die Leute aber durchaus pünktlicher gewor<strong>den</strong>.<br />

Was ist dieses berühmte „Kiasu<strong>“</strong>?<br />

Kiasu stellt die negative Seite der S<strong>in</strong>gapurer dar. Wenn ich<br />

über <strong>den</strong> S<strong>in</strong>gapurer spreche, dann mache ich ke<strong>in</strong>en Unter-<br />

schied zwischen Ch<strong>in</strong>esen, Inder oder Malaien, <strong>den</strong>n Kiasu<br />

geht durch die ganze Bank weg. Es fällt vielleicht bei <strong>den</strong> Chi-<br />

nesen mehr auf, weil sie die größte Bevölkerungsgruppe s<strong>in</strong>d.<br />

Das Wort „Kiasu<strong>“</strong> kommt aus dem Ch<strong>in</strong>esischen und heißt<br />

„Afraid to loose<strong>“</strong> („Angst zu verlieren<strong>“</strong>). Diese Angst zeigt<br />

sich <strong>in</strong> praktischen D<strong>in</strong>gen wie sich vordrängeln, am Buffet <strong>den</strong><br />

Teller so voll wie möglich zu schaufeln, sich stun<strong>den</strong>lang ir-<br />

gendwo anzustellen, weil es irgende<strong>in</strong>en täglichen Gebrauchs-<br />

gegenstand für 50 Cent weniger gibt als sonst.<br />

Es ist nicht alles Schwarz und Weiß<br />

Neulich hatte ich e<strong>in</strong>e herrliche Situation <strong>in</strong> Ch<strong>in</strong>atown.<br />

Es war e<strong>in</strong>e sehr lange Warteschlange, man konnte <strong>den</strong><br />

Anfang nicht sehen. Ich fragte die letzte Frau <strong>in</strong> der Schlange,<br />

wofür sie ansteht. Sie sagte: <strong>“</strong>I don’t know. Must be good<br />

lah. Long queue!<strong>“</strong> Das ist „Kiasu<strong>“</strong>. Dazu gehört beispielsweise<br />

auch, dass sich die Leute <strong>in</strong> die U-Bahn re<strong>in</strong>drängeln, bevor<br />

die anderen ausgestiegen s<strong>in</strong>d. Es geht also immer darum,<br />

sich irgendwie, irgendwo e<strong>in</strong>en Vorteil rauszuholen. Es passt<br />

überhaupt nicht zu der weit verbreiteten E<strong>in</strong>schätzung über<br />

Asiaten, dass sie immer zurückhaltend s<strong>in</strong>d und ihr Gesicht<br />

nicht verlieren wollen. Aber das ist das Interessante an asi-<br />

atischer Kultur. Es ist nicht alles schwarz oder weiß. „Kiasu<strong>“</strong><br />

fällt immer dann besonders auf, wenn die Leute ke<strong>in</strong>e Bezie-<br />

hung zu uns aufbauen wollen.<br />

Was für Patzer haben Sie gemacht, als Sie vor 18 Jahren<br />

hierher kamen?<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> direkten Kulturen groß gewor<strong>den</strong> und habe <strong>in</strong> Asien<br />

Probleme gehabt mit <strong>in</strong>direkter Kommunikation. Das Wort<br />

„Ja<strong>“</strong> heißt zum Beispiel oft nur: „Ich höre dich.<strong>“</strong> – „Ja<strong>“</strong> heißt<br />

nicht „Ich verstehe es<strong>“</strong> oder „Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>verstan<strong>den</strong><strong>“</strong>. Das<br />

waren die ersten kulturellen Schwierigkeiten, mit <strong>den</strong>en ich<br />

mich ause<strong>in</strong>andersetzen musste. Ich habe mich auch mal ver-<br />

schätzt, mit der Freundlichkeit e<strong>in</strong>iger S<strong>in</strong>gapurer. Viele s<strong>in</strong>d<br />

freundlich auf mich zugekommen und me<strong>in</strong>ten es so, aber der<br />

e<strong>in</strong>e oder andere hatte bewusste H<strong>in</strong>tergedanken.<br />

Was bedeutet hier, se<strong>in</strong> „Gesicht zu verlieren<strong>“</strong>?<br />

Gesichtsverlust bedeutet zum Beispiel, wenn man Respekt-<br />

losigkeit zeigt oder Hierarchien missachtet. Oder wenn man<br />

mit dem Zeigef<strong>in</strong>ger auf Leute zeigt, was gerade im Geschäfts-<br />

leben ganz unmöglich ist. Leute öffentlich kritisieren, ist ganz<br />

daneben. Wenn man beispielsweise <strong>in</strong> Deutschland e<strong>in</strong>en Sach-<br />

verhalt klar darstellt, wird es <strong>in</strong> Asien schnell als Kritik an-<br />

gesehen und Gesichtsverlust empfun<strong>den</strong>. Diese Haltung,<br />

etwas nicht so persönlich zu nehmen, geht hier nicht. Alles <strong>in</strong><br />

Asien wird persönlich genommen.<br />

Das „Gesicht verlieren<strong>“</strong> geht viel tiefer als vielleicht <strong>in</strong> der<br />

deutschen Bedeutung „beleidigt se<strong>in</strong><strong>“</strong>. Das Gesicht geht <strong>in</strong><br />

Asien bis h<strong>in</strong> zum sozialen Status. Leute fürchten sich davor,<br />

bei Gesichtsverlust aus ihrer sogenannten Ingroup bzw. so-<br />

zialem Umfeld ausgestoßen zu wer<strong>den</strong>. Es gibt e<strong>in</strong> fasz<strong>in</strong>ier-<br />

endes Beispiel. Ich habe e<strong>in</strong>em Franzosen, der nach Japan<br />

gegangen ist, e<strong>in</strong> Kulturtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g gegeben. Er hatte e<strong>in</strong>e<br />

schwierige Aufgabe <strong>in</strong> Japan und musste die alten, verkruste-<br />

ten Strukturen komplett verändern. Vor allem musste er aber<br />

viele der älteren Arbeitnehmer entlassen. Von <strong>den</strong> vielen Ent-<br />

lassenen s<strong>in</strong>d aber fünf ältere Herren nicht gegangen. Sie s<strong>in</strong>d<br />

je<strong>den</strong> Tag <strong>in</strong>s Büro gekommen, hatten nichts mehr zu tun und<br />

bekamen auch ke<strong>in</strong> Geld mehr. Sie saßen acht Stun<strong>den</strong> an<br />

ihrem leeren Schreibtisch, weil sie es aus Gesichtsgrün<strong>den</strong><br />

nicht fertig gebracht haben, zuzugeben, dass sie ihren Job<br />

verloren haben. Es g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>fach nicht, gegenüber Familien<br />

und Freun<strong>den</strong> die Arbeitslosigkeit e<strong>in</strong>gestehen zu müssen. Der<br />

Franzose war ratlos und wir haben lange darüber gesprochen.<br />

Letztendlich hat das Unternehmen für diese fünf Herren Jobs<br />

bei e<strong>in</strong>er neuen Firma gefun<strong>den</strong>, so dass sie sagen konnten,<br />

dass sie bei Firma AB nicht mehr arbeiten, aber e<strong>in</strong>en neuen<br />

Job bei Firma XY haben. Die Kündigung war e<strong>in</strong> absoluter<br />

Statusverlust und zeigt wie tief „Gesicht verlieren<strong>“</strong> geht.<br />

Melanie Quarré<br />

Foto: privat<br />

Das Gesicht verlieren geht <strong>in</strong> Asien<br />

Im Gespräch<br />

* Die German Association bietet regelmäßig kulturelle Führungen durch S<strong>in</strong>-<br />

gapur und Vorträge mit Claudia Klaver an, die jeweils <strong>in</strong> <strong>Impulse</strong> angekün-<br />

digt wer<strong>den</strong>. Der nächste <strong>in</strong>terkulturelle Vortrag „Vielfältiges S<strong>in</strong>gapur II<strong>“</strong><br />

f<strong>in</strong>det am Freitag 17. Oktober um 19.30 Uhr <strong>in</strong> der German<br />

Association statt.<br />

sehr tief<br />

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