Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 2/2012
Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 2/2012
Orthopädie und Unfallchirurgie - Mitteilungen und Nachrichten 2/2012
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Woran messen Sie den Erfolg einer<br />
Behandlung? Wenn Sie ein Bein nicht<br />
amputieren müssen?<br />
Eine Behandlung ist für mich ein Erfolg,<br />
wenn der Patient mit seinem Körper weiterleben<br />
kann. Wenn der Tumor früh erkannt<br />
wird <strong>und</strong> der Patient schnell in ein<br />
Tumorzentrum kommt, ist es möglich,<br />
die Funktionalität nahezu vollständig zu<br />
erhalten.<br />
Sie plädieren für Tumorzentren?<br />
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen,<br />
die zeigen, dass eine Zentralisierung<br />
zu besseren Behandlungsergebnissen<br />
führt. Die Versorgungsstruktur<br />
in Europa ist jedoch ganz unterschiedlich.<br />
In Großbritannien ist zum Beispiel<br />
alles auf ein großes Tumorzentrum in<br />
Birmingham konzentriert. Zwar gibt es<br />
noch ein Zentrum in London, aber das<br />
kooperiert sehr stark mit Birmingham.<br />
Die Versorgungsstruktur in Italien sieht<br />
ähnlich aus. In Bologna gibt es das Istituto<br />
Rizzoli, daneben nur noch ein Versorgungszentrum<br />
in Florenz. In Frankreich<br />
wiederum gibt es fast 30 Tumorzentren.<br />
Und in Deutschland?<br />
Oh, das ist eine politische Frage. Große<br />
Zentren gibt es beispielsweise in Münster,<br />
in Berlin/Buch, in München das Klinikum<br />
Rechts der Isar <strong>und</strong> das Klinikum<br />
Großhadern, <strong>und</strong> in Heidelberg. Das sind<br />
die Zentren, in denen auch die große<br />
Beckenchirurgie gemacht wird. Wenn<br />
Sie Ihre Frage auf den deutschsprachigen<br />
Raum ausdehnen würden, würde ich<br />
noch Wien anführen.<br />
Sie wurden im vergangenen Jahr in<br />
den Vorstand der International Society<br />
of Limb Salvage (ISOLS) gewählt. Das<br />
klingt, als hätten Sie in der Tumororthopädie<br />
eine steile Karriere gemacht.<br />
<strong>Orthopädie</strong> <strong>und</strong> <strong>Unfallchirurgie</strong> <strong>Mitteilungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Nachrichten</strong> | April <strong>2012</strong><br />
Vielleicht war ich auch einfach nur beharrlich.<br />
Jeder Spezialisierung wohnt ja<br />
ein gewisses Risiko inne. Wer sich spezialisiert,<br />
hat zwangsläufig Defizite in<br />
anderen Bereichen <strong>und</strong> dadurch weniger<br />
Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung<br />
seiner Arbeit. Als ich Assistenzarzt war,<br />
habe ich fünf Jahre lang Tumore operiert.<br />
Etwas anderes hat mich nicht besonders<br />
interessiert. Ich habe auch nur auf dem<br />
Gebiet der Tumororthopädie geforscht.<br />
Das wäre heute gar nicht mehr möglich,<br />
weil ein Assistenzarzt rotieren muss. Allerdings<br />
habe ich schon immer viel im<br />
Ausland gearbeitet.<br />
Sind Sie so in die ISOLS gekommen?<br />
Nein, das ist an die Patientenzahlen gekoppelt.<br />
Wir operieren in Münster mehr<br />
als 1.000 Patienten mit Knochentumoren<br />
pro Jahr. Bei uns wurde eine Tumorendoprothese<br />
entwickelt, die heute eines der<br />
führenden Implantate auf der Welt ist.<br />
Auch die Anzahl der Publikationen spielt<br />
eine Rolle.<br />
Wieviele Mitglieder hat die ISOLS?<br />
Etwa 600. Der Vorstand hat elf Mitglieder:<br />
drei Europäer, drei Asiaten, drei<br />
Amerikaner, einen Schatzmeister <strong>und</strong> einen<br />
Präsidenten.<br />
Was sind Ihre Aufgaben dort?<br />
Zunächst einmal Qualitätssicherung.<br />
Sorge dafür tragen, dass keine Falschaussagen<br />
in den Raum gestellt werden.<br />
Beim ISOLS-Jahreskongress habe ich die<br />
Vorträge mit ausgewählt. Die ISOLS kümmert<br />
sich auch die Ausbildung. Beispielsweise<br />
sind an meiner Klinik immer drei<br />
Aus unserem Fach<br />
ausländische Kollegen, die über die ISOLS<br />
ein Praktikum bei uns machen. Wir betreiben<br />
auch ein E-Mail-Forum, auf dem<br />
wir uns über den gesamten Globus hinweg<br />
über schwierige Fälle austauschen<br />
<strong>und</strong> gegenseitig beraten.<br />
Gibt es gerade einen solchen Fall, bei<br />
dem Sie den Austausch mit internationalen<br />
Kollegen schätzen?<br />
Es gibt einen sehr kniffligen Fall, ja. Der<br />
Patient ist 65 Jahre, hat ein großes Chondrosarkom<br />
im Bereich des Beckens, <strong>und</strong><br />
aufgr<strong>und</strong> zahlreicher Vorerkrankungen<br />
Eine Behandlung ist für mich ein Erfolg, wenn der Patient mit<br />
seinem Körper weiterleben kann.<br />
ist es schwierig abzuschätzen, ob er eine<br />
so große Operation überleben würde. Er<br />
könnte mit diesem Tumor, eine Schmerzmedikamentation<br />
vorausgesetzt, noch<br />
sieben gute Jahre haben, <strong>und</strong> vielleicht<br />
sind die mehr wert als ein Tag auf dem<br />
OP-Tisch. Das ist ein ethisches Problem.<br />
Er möchte gern operiert werden, aber<br />
wir haben ihm zunächst eine Strahlentherapie<br />
empfohlen, um zu sehen, wie<br />
der Tumor darauf anspricht.<br />
Kann man dem Patienten eine solche<br />
Entscheidung überlassen?<br />
Die letzte Entscheidung hat der Patient.<br />
Aber ich erkläre ihm die Gründe, die uns<br />
von einer Operation abhalten. Und ich<br />
hoffe, dass wir uns einigen. Eine solche<br />
Entscheidung kann nur in einer Einigung<br />
mit dem Patienten getroffen werden.<br />
Vielen Dank für das Gespräch!<br />
Interview: Jana Ehrhardt<br />
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