NahostkonfliktZur VorgeschichteSeit acht Jahren leiden die israelischen Ortschaftenim Umfeld des Gazastreifens täglichunter dem Beschuss durch ihre palästinensischenNachbarn. Mehr als 10.000 Kassamraketenund Mörsergranaten sind in dieserZeit auf israelisches Gebiet gefallen – nachdem einseitigen israelischen Rückzug ausdem Gazastreifen im September 2005 vorallem auf die Negev-Stadt Sderot.Als dann im Januar 2008 auch die KüstenstadtAschkelon beschossen wurde, riegelteIsrael den Gazastreifen von der Außenweltab, drosselte im Februar die Stromzufuhr. ImJuni diskutierte das israelische Kabinetternsthaft über einen Einmarsch in das Autonomiegebiet,das mittlerweile seit einemJahr von der radikal-islamischen Hamas-Bewegungbeherrscht wurde. Trotz der Abriegelunggelangten Unmengen von Sprengstoffen,Raketen und Waffen aller Art nachGaza. Der Preissturz bei den Waffenhändlernsprach für sich.Am 17. Juni einigten sich Israel und Hamasdurch ägyptische Vermittler auf eine „Tahadiye“– von deutschen Berichterstattern meistmit „Waffenstillstand“ übersetzt, bedeutetdas arabische Wort aber lediglich „Stillhalten“oder „Ruhegeben“. Während der „Tahadiye“,die offiziell am 17. Dezember endete,fielen nach Zählung der israelischenArmee „nur“ 234 Kassamraketen, fünf Gradraketenund 185 Mörsergranaten auf Israel.Mitte Dezember kündigte die Hamas dannausdrücklich die „Waffenruhe“ mit „den Zionisten“auf, deren Existenzrecht im NahenOsten sie unter keinen Umständen anerkennenwill.Fünf Jahre überfälligAus israelischer Sicht war der massive Angriffauf die radikal-islamische Hochburglängst überfällig. „Fünf Jahre zu spät“, meinteder ehemalige Oberkommandierende desSüdabschnitts der israelischen Armee, GeneralYom-Tov Samia, und erinnerte daran, dasses in Sderot Kinder gibt, die sich ein <strong>Leben</strong>ohne Raketenbedrohung gar nicht vorstellenkönnen. Eine Schülerin aus Netivot meintenach einer Woche im Bunker: „Wie konntendas die Leute von Sderot nur acht Jahre aushalten?Wie konnten wir sie vergessen?!“Schritt für Schritt verschärfte die israelischeLuftwaffe ihre Angriffe. Repräsentative Gebäude,wie etwa das Parlament am Platz desunbekannten Soldaten, und die Wohnhäuservon führenden Hamas-Repräsentanten wurdenins Visier genommen. Eine geistlicheund militärische Autorität in der Hamas-Bewegung,Scheich Nisar Rayad, musste erfahren,dass die Israelis dieses Mal wenigerrücksichtsvoll sind. Der Scheich und seineFamilie leisteten der telefonischen Warnungdes israelischen Militärs, ihr Haus zu räumen,keine Folge. Demonstrativ gingen sieauf das Dach des Hauses, um als „menschlicheSchutzschilde“ die Bombardierung desHauses zu verhindern. In der Vergangenheithatten die Israelis dann von einem Angriffabgesehen. Nicht so in diesem Fall. MächtigeFolgeexplosionen zerstörten das große Gebäudeund bestätigten die israelische Darstellung,dass unter dem Wohnhaus ein Munitionslagerverborgen war.Erste Reaktionen – aus der islamischenWeltWährend sich die maßgeblichen westlichenPolitiker zuerst einmal hinter dem Weihnachtsbaumder Priorität des Neujahrs verkrochen,demonstrierte man auf den Straßenin Berlin, Paris und London wie üblich gegendie israelischen „Massaker“. Die Demonstrantenauf den arabischen Straßen in Israel,im Westjordanland, im Iran und selbst dieHamas sehen allerdings einen anderen Sündenbock:Ägypten.Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak hatteden israelischen Angriff auf Gaza zwarfolgsam verurteilt, dann aber den Zeigefingerin einer bislang beispiellosen Weise in Richtungauf die Palästinenser erhoben: „Ichhabe es Euch gesagt, dass es so kommen würde!“Ein großes Fragezeichen hinter MubaraksLoyalität gegenüber seinen „palästinensischenBrüdern“ setzte auch die Tatsache,dass die israelische Außenministerin ZippiLivni am 1. Weihnachtsfeiertag – zwei Tagevor Beginn der Offensive – noch in Kairowar. Was dort besprochen wurde, bleibt unveröffentlicht.Mubarak meinte aber ganzdirekt: Den Grenzübergang Rafah zwischendem Gazastreifen und Ägypten werde er erstöffnen, wenn die Fatah wieder die MachtLuftaufnahmen von den Zielen der israel. LuftangriffeBegegnung mit palästinensischen Raketenschützen, Foto: J. Gerloff16<strong>Zum</strong> <strong>Leben</strong>
dern die Motivation, Raketen zu schießen“soll den radikalen Islamisten im Gazastreifengenommen werden. Das betonen Politikerganz unterschiedlicher Couleur. „Die Hamasmuss einsehen, dass sie nicht unsere Tagesordnungbestimmen kann“, meint etwa derVerkehrsminister und ehemalige GeneralstabschefShaul Mofas. „Die müssen verstehen,dass der Raketenbeschuss ihren eigenenInteressen schadet.“Nach der ernüchternden Erfahrung des zweitenLibanonkrieges ist es nicht einmal dasZiel der Israelis, die Raketenfähigkeit der Hamaszu zerstören. „Nicht die Fähigkeit, sonübernommenhabe und die internationalenBeobachter zurückgekehrt seien.„Ägypten kollaboriert mit Israel!“ ist deshalbder Vorwurf, mit dem sich der Präsident desmächtigsten arabischen Landes auseinanderzusetzenhat. „Die Ägypter haben das palästinensisch<strong>eV</strong>olk verraten!“, zürnt ein Arabermit israelischer Staatsbürgerschaft und erklärt:„Offensichtlich haben die arabischenHerrscher ihre Seele dem Satan verkauft!“ –Auch Syriens Präsident Bischar el-Assad verhältsich eigenartig ambivalent: Einerseitsbietet er der Hamas und dem palästinensischenIslamischem Dschihad Unterschlupfund rüstet die Hisbollah im Libanon gegenIsrael auf. Anderseits gibt er aber vor, überdie Türken mit Israel zu reden – und schweigtsich über die Vorgänge im Gazastreifen aus.Der EinmarschAuf den Tag genau eine Woche nach den erstenLuftangriffen rückten israelische Infanteristenund eine Panzerbrigade in das dichtbesiedelte Gebiet ein. Zuvor hatte die israelischeArtillerie stundenlang die leeren Feldervon Gazas Vorstädten bombardiert. DieOpferzahlen durch israelische Luftangriffeauf Gaza standen mittlerweile bei 500 Totenund 2.500 Verletzten. 720 Ziele hat die Luftwaffein dieser ersten Kriegswoche bombardiert,100 palästinensische Raketenteamsaußer Gefecht gesetzt. Auf israelischer Seitehat es in diesem Zeitrum „nur“ vier Tote gegeben.Aber fast 800.000 Israelis leben inReichweite der Hamas-Geschosse und dieBeginn der Bodenoffensive. Foto: Johannes GerloffKraft des militärischen Arms der Hamas istungebrochen.Ein Raketenkrieg lässt sich nicht aus der Luftgewinnen. Deshalb – und das war allen klar– war die Invasion des Gazastreifens unausweichlich.Wie lange sich die MilitäraktionIsraels gegen die Hamas hinziehen wird, istunklar. Israelische Politiker schließen nichtaus, dass die Operation „Gegossenes Blei“noch einige Wochen andauern könnte.Das Ziel der Operation „Gegossenes Blei“Israel ist im Spätsommer 2005 aus dem Gazastreifengeflohen und will auf keinen Falldorthin zurückkehren. Eine Rückeroberungdes Autonomiegebiets ist als Kriegsziel alsoauszuschließen. Der „Sumpf von Gaza“ istein Albtraum israelischer Militärs und Politiker.Auch ein Sturz der Hamas-Regierung istausdrücklich nicht das militärische Ziel Israels.Eine Situation, in der man mit der Fatahverhandelt und die Hamas derweil Anschlägeverübt, gehört nicht zum Traumarsenal derIsraelis. Das Gute an der Hamasherrschaft inGaza ist aus israelischer Sicht, dass man einGegenüber hat, das (an-)greifbar ist. Die Vernichtungder Hamasbewegung mag manchererträumen – ist aber nicht realistisch. DieHamas ist innerhalb der palästinensischenBevölkerung zu populär.„Vielleicht“, so überlegen militärisch erfahreneKommentatoren in Fernsehdiskussionen,„müssen wir die Möglichkeit zur Kontrolledes Gazastreifens erzwingen, ohneeine ständige Gegenwart?“ Vergleichbarwäre das mit der Situation im nördlichenWestjordanland, wo die israelischen Siedlungengeräumt wurden, die israelische Armeeaber jederzeit überall einrückt, wo esihr aus sicherheitstechnischen Gründen angemessenerscheint. Viele sind sich darineinig: Internationale Truppen werden Israeldie Aufgabe, für die Sicherheit seiner Bevölkerungzu sorgen, nicht abnehmen.In jedem Falle ist Ziel der Operation „GegossenesBlei“ eine neue, bessere Ausgangspositionfür Israel bei künftigen Verhandlungenund vor allem eine Erneuerung und Verstärkungder Abschreckung. Dabei haben dieIsraelis nicht nur die palästinensischen „Freiheitskämpfer“im Auge, sondern auch Beirut,Damaskus, Teheran, ja selbst die EU, Russlandund die USA. Zu selbstverständlich hatman dort aus israelischer Sicht in den vergangenenJahren angenommen, dass die Israelisden ständigen Raketenhagel auf die Städteum den Gazastreifen hinzunehmen hätten.Doch das will sich der jüdische Staat auf keinenFall weiterhin gefallen lassen.Und dann gibt es noch einen Aspekt: DasNachgeben Israels in den vergangenen Jahren– der Rückzug aus dem Südlibanon imMai 2000, die Räumung des Gazastreifens,das jahrelange Stillhalten unter Raketenbeschuss– wurde von den arabischen NachbarnIsraels vielfach als Schwäche ausgelegtund als Ansporn zu neuer Aggression verstanden.Deshalb darf sich Israel, so die Sichtseiner Bevölkerung, keinen weiteren „Nicht-Sieg“ erlauben. Am Ende der Operation „GegossenesBlei“ muss allen Beobachtern undvor allem den Beteiligten unmissverständlichklar sein: Israel hat gesiegt! Wenn das unklarbleibt, hat Israel verloren.© Christlicher Medienverbund KEPwww.israelnetz.com<strong>Zum</strong> <strong>Leben</strong>17