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Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

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4. Nietzsches Kritik an Wagner <strong>in</strong> Bezug auf die Romantik<br />

Nietzsches kritische Darlegung über den großen Musiker Richard Wagner vollzieht<br />

sich namentlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zynischen, spöttischen und synthetischen Selbstverständi-<br />

gung über die Persönlichkeit des Künstlers überhaupt; dabei werden auch hier An-<br />

knüpfungen an die literarisch-philosophische Tradition sichtbar. Deutlich werden<br />

Unterschiede zwischen e<strong>in</strong>er traditionellen und e<strong>in</strong>er modernen Auffassung der<br />

Kunst und des Künstlers; unter der Annahme, dass alles Künstlerische bzw. das<br />

schöpferisch ‚Weibliche’ im Wesen des Ichs selbst wurzelt, lässt sich Nietzsches<br />

Kritik an dem Musiker Wagner nicht anders begreifen denn als e<strong>in</strong>e auf diese<br />

schöpferisch-objektive Abstraktion ausgerichtete, sich verteidigende Äußerung zum<br />

Künstler als e<strong>in</strong>em ästhetischen Spiele und damit e<strong>in</strong>em Träger dieses ästhetischen<br />

Pr<strong>in</strong>zips überhaupt.<br />

Im Gegensatz zur traditionellen metaphysischen S<strong>in</strong>ngebung der geistesgeschicht-<br />

lich bezeugten Genieauffassung beschreibt Nietzsches Kritik e<strong>in</strong>en sche<strong>in</strong>bar objek-<br />

tiv empfundenen Mangel an <strong>künstlerischer</strong> Begabung, ja Persönlichkeit, 31 die den<br />

als modern angesehenen „Artisten“ reduziert auf e<strong>in</strong>en Lügner gegenüber dem eige-<br />

nen Talent, als e<strong>in</strong>en music-maker, der lediglich von Geltungssucht und Raffgier ge-<br />

trieben ist, als e<strong>in</strong>en Handwerker mit geizigem Geschäftss<strong>in</strong>n.<br />

Die Ablösung des modernen Künstlers aus der literarischen Genie-Tradition, der<br />

konventionellen Begrifflichkeit und Bestimmung se<strong>in</strong>es schöpferischen Wesens, das<br />

sich ursprünglich als göttliche Inspiration verstand, den Künstler zum frommen<br />

Diener e<strong>in</strong>er gleichsam als König<strong>in</strong> über die Menschheit gesetzten Schönheit und<br />

„Natur“ überhöhte und sich damit nur <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Hälfte des menschlichen Maßes<br />

verborgen hatte – diese Ablösung setzt den e<strong>in</strong>geschlossene handwerklich-schau-<br />

spielerischen Aspekt des künstlerischen Schaffens frei und löst se<strong>in</strong>e spielerische<br />

Eigenbewegung aus. Der spielerisch-moderne Geist, der sich über die konventionel-<br />

len Begriffsbestimmungen ebenso wie über das geistesgeschichtlich normative Ver-<br />

ständnis des Künstlers erhebt, repräsentiert das Gegenstück zur Genietradition.<br />

In Nietzsches Kritik, im Fall Wagners, ist dies vollzogen. Hier wird der<br />

Schauspieler-Künstler Wagner aus der Tradition ausgeschlossen; das von ihm beab-<br />

sichtigte Handwerkstück wird nicht mehr gemäß der Vorstellung vom poeta vates,<br />

31 Vgl. Jochen Schmidt: Die Geschichte des Genie-Gedankens, Bd. 2, S. 129-168.<br />

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