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Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

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also der Vorstellung vom Dichter als e<strong>in</strong>em prophetischen Seher, als gleichsam<br />

geoffenbarte Botschaft Gottes für den Menschen aufgefasst, sondern eher als e<strong>in</strong>e<br />

künstlerische Sichtweise und Perspektive sowie als die Praxis e<strong>in</strong>es die religiöse<br />

Feierlichkeit nur künstlerisch Spielenden: also als e<strong>in</strong> Spiel mit der Kunst, die nur<br />

das Unterbewusste des Publikums aktiviert und berauscht. Folglich kritisiert Nietz-<br />

sche Wagners artistische Gekonntheit als „Geniestreich“, 32 der das Publikum ver-<br />

führerisch anregt.<br />

Der Drang nach Stoffen e<strong>in</strong>er mittelalterlichen oder mythologisch-germanischen<br />

Überlieferung verb<strong>in</strong>det sich hier mit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em forschenden Zugriff gründlich<br />

erworbenen Wissen, das dann verbunden wird mit e<strong>in</strong>er modernen, auf die Wirkung<br />

zielenden <strong>künstlerischer</strong> Technik: diese Verb<strong>in</strong>dung charakterisiert den Kritisierten<br />

als e<strong>in</strong>en im modernen S<strong>in</strong>ne großen Künstler überhaupt. In gewisser Weise ent-<br />

spricht dies eher den Aussichten Novalis’ auf e<strong>in</strong>en möglich werdenden „Seher“ <strong>in</strong><br />

der Moderne, der nicht im Dunklen nach Inspiration sucht, wie es die Romantiker<br />

zunächst getan hatten. Er bedarf somit ke<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>bildung <strong>in</strong>s „Unterirdische“ mehr,<br />

um das eigene „Schaffen im Unbewussten“ entspr<strong>in</strong>gen zu lassen. 33 Damit wäre<br />

se<strong>in</strong> schöpferischer Geist freigesetzt, b<strong>in</strong>dungslos und beweglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiteren<br />

künstlerischen Spielraum, als Tieck und se<strong>in</strong>e romantischen Anhänger es für mög-<br />

lich gehalten haben, die „zunächst durch die Aushöhlung des unterirdischen Reiches<br />

schwankend und unkräftig werden“ und als Endeffekt der durchlaufenen Warte-<br />

Phase anstelle e<strong>in</strong>er offenbarten, ekstatisch-göttlich <strong>in</strong>spirierten Botschaft aus-<br />

schließlich „affektierte Faseleien“ vor sich sahen. 34<br />

Nietzsches Umwertung dieser Begriffs- und S<strong>in</strong>nbestimmung des Künstlers als ei-<br />

nes Schauspielers s<strong>in</strong>d von dem Musiker Wagner und se<strong>in</strong>er Kunstpraxis verursacht<br />

worden. Nietzsche beschreibt Wagner als Erlöser der modernen Seele, <strong>in</strong>dem er ihn<br />

zugleich als e<strong>in</strong>en Künstler beschreibt, der aus dem ‚genialen’ Künstlertum heraus-<br />

fällt, aus der Mittler-Position als Heiliger zwischen Gott und Mensch. Der neue<br />

Aufbruch des künstlerischen Selbstverständnisses führt <strong>in</strong> die Moderne. Im Gegen-<br />

satz dazu strebten die der romantischen Auffassung verpflichteten großen Musiker<br />

und Künstler noch jene heilige Stellung des Mittlers an, so etwa Beethoven, dessen<br />

göttlich-tänzerische Melodie noch – wie <strong>Thomas</strong> Mann <strong>in</strong> Anspielungen auf das<br />

Wort des Apostels Paulus schreibt – „mit Menschen- und Engelzungen“ redete und<br />

32 Nietzsche 1969, S. 37.<br />

33 Huch 1922, S. 105.<br />

34 Ebd.<br />

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