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Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

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6.1.5 Musik als s<strong>in</strong>nliches Anregungsmittel<br />

<strong>Thomas</strong> Mann schreibt Friedemann e<strong>in</strong>en voll entwickelten Zugang zum Erlebnis<br />

des Ästhetischen zu. Im neunten Kapitel ist <strong>Manns</strong> Anspielung auf Richard Wag-<br />

ners Oper Lohengr<strong>in</strong> und auf die ästhetischen und seelischen Funktionen der Musik<br />

erkennbar. Beides spielt hier e<strong>in</strong>e wichtige Rolle; der psychologische Aspekt aber<br />

überwiegt. Die <strong>in</strong> die Erzählung <strong>in</strong>tegrierte Wirkung der s<strong>in</strong>nlich-evozierenden Mu-<br />

sik stellt die musikalisch-ästhetische Funktionsdifferenzierung <strong>in</strong> den Vordergrund.<br />

Die s<strong>in</strong>nliche Raff<strong>in</strong>esse, die von Wagners Musik ausgeht, verwirklicht sich dem-<br />

nach <strong>in</strong> der Wirkung auf den passiv-genialen, asketisch-frommen Ästheten Friede-<br />

mann – als ob sie geradezu auf ihn zugeschrieben sei, als ob sie auf ihn ziele.<br />

Die zusammengestellten und zu <strong>in</strong>terpretierenden, <strong>in</strong> den Geschehenszusammen-<br />

hang e<strong>in</strong>gebetteten Motive, die <strong>in</strong> diesem neunten Kapitel resümiert s<strong>in</strong>d, verknüp-<br />

fen sich erst im letzten, dem Todes-Kapitel ganz. Die Wirkung des musikalischen<br />

Genusses hat dort den absoluten Entzug der Lebenskraft des Ästheten zur Folge.<br />

Das gibt Anlass zu e<strong>in</strong>er Diskussion über den Horizont der künstlerischen Funktio-<br />

nalität und zugleich e<strong>in</strong>en Beleg für <strong>Thomas</strong> <strong>Manns</strong> experimentelle, auf das Modell-<br />

hafte zielende erzählerische Praxis, <strong>in</strong> der die Ästhetik mit dem „Leben“ als ihrem<br />

Widerpart konfrontiert wird.<br />

Der Asket Friedemann gerät von Beg<strong>in</strong>n an <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e verführerische Stimmung, die<br />

Luft sche<strong>in</strong>t „erfüllt von summendem Geräusch, Gasgeruch und Parfums.“ 86 Gerdas<br />

S<strong>in</strong>nlichkeit präsentiert sich Friedemanns Empf<strong>in</strong>dungsfähigkeit und se<strong>in</strong>em natür-<br />

lichen Trieb als der ihn zugrunde richtende Widerpart zu se<strong>in</strong>er ästhetisch-asketi-<br />

schen Lebensführung. Friedemann ist im Theater konfrontiert mit Gerdas sexuellen<br />

Reizen, wenn sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er „Gesellschaftstoilette“ präsentiert, die ihren Körper<br />

und ihr Dekolleté zur Geltung br<strong>in</strong>gt:<br />

Ihre Gestalt hatte heute etwas Üppiges, was neulich, als sie die weite Jacke trug,<br />

nicht bemerkbar gewesen war; ihr Busen hob und senkte sich voll und langsam,<br />

und der Knoten des rotblonden Haares fiel tief und schwer <strong>in</strong> den Nacken. 87<br />

86 Ebd.<br />

87 Ebd., S. 100.<br />

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