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Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

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Geistes. Indem das Publikum durch Opern „erlöst“ wird, erliegt es der Zauberei ei-<br />

nes Artefakts, dessen wirkliches Ziel – Nietzsche zufolge – nur die Schaffung e<strong>in</strong>es<br />

eigenen betrügerischen Vorteils ist. In dieser Kritik wird der Künstler zur „Klapper-<br />

schlange“ ohne die bisher praktizierte kunstreligiöse Moral.<br />

Der s<strong>in</strong>nig-bewusst kalkulierende Spieler-Musiker, dem es an der Gabe Gottes<br />

mangelt, setzt sich schließlich doch mithilfe se<strong>in</strong>es Kalküls durch. Als Grundzug<br />

bleibt aber die kunstreligiöse Prägung noch <strong>in</strong> der modernen Auffassung der Kunst<br />

und des Künstlers erkennbar. Das gilt für Wagners musikalische Kunstautonomie, <strong>in</strong><br />

der die Haupteigenschaft der Musik die Totalität der gestaltlosen Vorstellung ist, das<br />

gilt aber auch für die Dichtung, <strong>in</strong> der Worte und Buchstaben ihre konkreten Reali-<br />

sierungsmittel s<strong>in</strong>d. Gottfried Benn hat das im zwanzigsten Jahrhundert mit der Be-<br />

hauptung resümiert, dass<br />

Worte e<strong>in</strong>e latente <strong>Existenz</strong> [besäßen], die auf entsprechend E<strong>in</strong>gestellte als<br />

Zauber wirkt und sie befähigt, diesen Zauber weiterzugeben. 39<br />

Die langen Versuche e<strong>in</strong>er Abgrenzung zwischen dem menschlichen Bewusstse<strong>in</strong><br />

und dem Unbewussten, die <strong>in</strong> der literarischen und philosophischen Geschichte der<br />

westlichen Kulturen schon seit dem 18. Jahrhundert unternommen wurden, haben <strong>in</strong><br />

der Moderne um die Jahrhundertwende gleichsam ihr wahres Gesicht gefunden. Auf<br />

dem Weg dah<strong>in</strong> hat sich Wagners musikalische Kunst – wie Nietzsches Kritik zeigt<br />

– evident als die spezifische Eigenart moderner Kunst legitimiert. Im H<strong>in</strong>blick auf<br />

die herkömmlichen, religiösen wie pragmatischen Funktionen der Kunst und des<br />

Künstlers und auf ihre Beziehung zue<strong>in</strong>ander haben sich die Perspektiven des Dar-<br />

gestellten ebenso wie die des Darstellenden damit grundlegend geändert. Die Viel-<br />

falt der spielerischen und wissensbed<strong>in</strong>gten Möglichkeiten des künstlerischen Geis-<br />

tes nimmt dank dessen, dank dieses Wegfalls e<strong>in</strong>engender Konventionen und Stan-<br />

dards bewusst und zielstrebig zu.<br />

Dabei steht der Künstler selbst ganz im Mittelpunkt se<strong>in</strong>es eigenen reflexiven Ich,<br />

selbst dann, ja gerade dann, wenn se<strong>in</strong>e Kunstpraktiken als „Verbrechen am Höchs-<br />

ten, am Heiligsten“ angesehen werden. 40 Das Ich unterliegt demnach nicht mehr den<br />

Begrenzungen durch die Trennung von Bewusstse<strong>in</strong> und Unbewusstem, sondern es<br />

39 Benn 2001, 27.<br />

40 Nietzsche 1888, S. 11.<br />

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