29.11.2012 Aufrufe

Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

Zur Darstellung künstlerischer Existenz in Thomas Manns frühen ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Versuch über Schiller als erste praktische Übung des zu verfe<strong>in</strong>ernden, zu sensibili-<br />

sierenden Geistes betrachtet, der von k<strong>in</strong>dlicher Nature<strong>in</strong>falt zum Licht des Gedan-<br />

kens geführt werden muss, um ke<strong>in</strong> Dilettant mit bloß wissenschaftlich-kaltem Wis-<br />

sen zu werden? 197 Und ist es vielleicht wiederum e<strong>in</strong>e Krankheit, e<strong>in</strong>e Unterwerfung<br />

und Bändigung der Natur im genialen S<strong>in</strong>n, die den beiden kreativen Lichtgestalten<br />

Goethe und Schiller geme<strong>in</strong>sam ist?<br />

Gesund genug se<strong>in</strong>, um pathetisch se<strong>in</strong> – um über das Körperliche h<strong>in</strong>wegsehen,<br />

h<strong>in</strong>wegfühlen zu können! Nur hier<strong>in</strong> [im Stoff] naiv se<strong>in</strong>, wenn auch sonst wis-<br />

send <strong>in</strong> allem! Glauben, an den Schmerz glauben können… Aber er glaubte ja<br />

an den Schmerz, so tief, so <strong>in</strong>nig, daß etwas, was unter Schmerzen geschah, die-<br />

sem Glauben zufolge weder nutzlos noch schlecht se<strong>in</strong> konnte. 198<br />

Die spekulative Leistung des genialen Talents geht nämlich über das menschliche<br />

Leiden, die rohe Natur h<strong>in</strong>aus bis <strong>in</strong> die schöpferische Beschaffenheit des begeis-<br />

ternden Lichtes, das von leidenschaftlichem Drang, körperlicher Leidenszucht sei-<br />

ner rohen Natur und bewusster Diszipl<strong>in</strong> im eigenen Ich bed<strong>in</strong>gt ist.<br />

Das geniale Licht, das e<strong>in</strong> Dilettant nicht besitzen kann, quillt sozusagen aus dem<br />

tiefsten Bedürfnis „im Parterre“ des wissend-skeptischen und idealistisch ungenüg-<br />

samen Talents, <strong>in</strong> dem das im Leiden an der Verbesserung der wirklichen Wahrheit<br />

der eigenen Sendung glühende, unauslöschliche Feuer, die alle rohe Natur bändi-<br />

gende „Lohe“ aufgeht, um dann im Übergang von der den Künstler ausmachenden,<br />

leidenschaftlichen Flamme <strong>in</strong>s re<strong>in</strong>e Licht den Geist zu erlangen, der den „Stüm-<br />

pern und Dilettanten“ e<strong>in</strong>schließlich der bloß wissenschaftlich-kalten Menschen<br />

fehlt, die noch nie diesen „schärfsten“ Geißelschlag <strong>in</strong> sich empfunden haben. Es ist<br />

die Grundlage jener „Lohe“ um des genialen Lichts willen. 199<br />

Wenn dies auch aus der Sicht Goethes bloß als e<strong>in</strong>e unvernünftige gesundheitliche<br />

Selbstquälerei ersche<strong>in</strong>t, die „pathologische Stellen“ Schillers widerspiegelt, 200 so<br />

handelt es sich <strong>in</strong> Absetzung vom dilettantischen Selbstverständnis doch eher um<br />

e<strong>in</strong>e heroische – im S<strong>in</strong>ne Schillers: um e<strong>in</strong>e „pathetische“ – künstlerische Selbst-<br />

verwirklichung e<strong>in</strong>es um die Veredelung se<strong>in</strong>es natürlichen Stoffes r<strong>in</strong>genden wah-<br />

197 Vgl. Mann 1960, S. 882.<br />

198 Mann 2004, S. 424.<br />

199 Ebd., S. 425.<br />

200 Vgl. Mann 1960, S. 914<br />

74

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!