Juli 2012 - Anwalt aktuell
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vORRAtSDAtENSpEiCHERuNG<br />
Überwachungsstaat<br />
Am 01.04.<strong>2012</strong> ging das Zeitalter der<br />
westlichen Aufklärung in Österreich zu<br />
Ende. Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit,<br />
eine Privatsphäre, zu welcher<br />
der Zutritt nur in gesetzlich definierten<br />
Fällen erzwungen werden kann – diese<br />
tragenden Säulen einer freien Gesellschaft<br />
sind innerlich brüchig geworden<br />
und werden hauptsächlich durch den<br />
verbliebenen formal-demokratischen Anstrich<br />
noch zusammengehalten. Wir sind<br />
im Zeitalter unserer völligen Überwachung<br />
durch den wohlmeinenden, um<br />
unsere Sicherheit besorgten Staat angekommen.<br />
In der guten alten Zeit durften die Sicherheitsbehörden<br />
Peilsender am Auto anbringen,<br />
Videokameras in einer Wohnung<br />
installieren, V-Leute in vermeint-<br />
lich kriminelle Tierschutzorganisationen<br />
einschleusen, Telefone (mit Genehmigung)<br />
abhören.<br />
Und schon vor dem 01.04.<strong>2012</strong> wurden<br />
vielfältige personenbezogene Daten ermittelt<br />
und verarbeitet, entweder zur<br />
individuellen Aufklärung und Verfolgung<br />
konkret begangener Straftaten<br />
(staatlich), oder zur Erfüllung eines Vertrages<br />
und somit zumindest mittelbar auf<br />
Wunsch bzw. mit Zustimmung der datenschutzrechtlich<br />
Betroffenen (privat),<br />
16<br />
Österreich<br />
ist „unfrei”<br />
Der überwachte Feindrechtsstaat<br />
oder die überwachte Republik<br />
oder aber mit dem Ziel, der Gesellschaft<br />
die unterschiedlichsten Leistungen der<br />
öffentlichen Daseinsversorgung zur Verfügung<br />
zu stellen (staatlich).<br />
vorratsdatenspeicherung<br />
Die Umsetzung der Richtlinie 2006/24/<br />
EG in Österreich – durch eine Novellierung<br />
des Telekommunikationsgesetzes<br />
(insbesondere durch die §§ 102a bis c<br />
TKG), der StPO (hier insbesondere deren<br />
§ 76 a Abs 2) sowie des Sicherheitspolizeigesetzes<br />
(§ 53 Abs 3a und 3b SPG) – führte<br />
in einer Art „Quantensprung“ zu einer<br />
verdachtsunabhängigen, flächendeckenden<br />
Datenspeicherungspflicht, die die<br />
Bekämpfung „schwerer Straftaten“, insbesondere<br />
von Terrorakten und organisierter<br />
Kriminalität, erleichtern sollte.<br />
Seit 01.04.<strong>2012</strong> wird nun für sechs Monate<br />
gespeichert, wer wann wie lange von<br />
wo aus mit wem kommuniziert. Aufgezeichnet<br />
werden alle Verbindungsdaten<br />
(nicht Inhalte!) von Handy- und Festnetztelefonie,<br />
Email, Voice-over-IP, IP-Adressen,<br />
bei Mitwirkung des jeweiligen<br />
website-Anbieters auch jede aufgerufene<br />
Website, und das samt Namen und Anschrift<br />
des/der Inhaber/in. Sozusagen<br />
auf „Vorrat“: ohne irgendeinen konkreten<br />
Tatverdacht, präventiv, nur zum Zwecke<br />
einer allfälligen (späteren) Ermittlung<br />
oder Verfolgung von Straftaten.<br />
„Seit 1. April werden alle verbindungsdaten,<br />
nicht aber inhalte, für 6 Monate für eine<br />
allfällige spätere Ermittlung gespeichert!”<br />
AnwAltAktuell 05/12<br />
Die so gewonnenen Daten stehen auch allen<br />
Ermittlungsbehörden der Europäischen<br />
Union zur Verfügung (Österreich<br />
hat dieser Richtlinie in Brüssel zugestimmt).<br />
Mittels elektronischer Datenverarbeitung<br />
sind Einzelangaben über persönliche<br />
oder sachliche Verhältnisse einer Person<br />
unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne<br />
Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle<br />
abrufbar. Sie können darüber<br />
hinaus mit anderen Datensammlungen<br />
zusammengefügt werden, wodurch vielfältige<br />
Nutzungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
entstehen. Aus diesen Verbindungs-<br />
und Standortdaten lassen sich<br />
auch Profile erstellen, die auf Inhalte<br />
schließen lassen. Zum Beispiel kann der<br />
häufige Kontakt zu Aidsberatungsstellen,<br />
psychologischen Diensten, Seelsorgern,<br />
Rechtsanwälten, Ärzten, oder ganz allgemein<br />
zu unter „Generalverdacht“ stehenden<br />
Gruppen interessante Fragen aufwerfen.<br />
Erfasst durch die VDS sind auch<br />
Mitteilungen an Redaktionen (whistleblowing!),<br />
Meinungsäußerungen in<br />
Blogs, Foren etc. Auch die Kontaktnahme<br />
zu politischen Parteien, Religionsgemeinschaften,<br />
Vereinigungen (zB unbequeme<br />
Bürgerinitiativen), die Teilnahme<br />
an Demonstrationen etc. sind nicht länger<br />
(ausschließliche) Privatsache.<br />
„Mia wer’n kan Richter brauch’n!”<br />
Die Sicherheitsbehörden sind nunmehr<br />
ausdrücklich ermächtigt, ohne gericht-<br />
liche oder sonstige Genehmigung von<br />
Anbietern von Telekommunikationsdiensten<br />
und sonstigen Dienstanbietern<br />
kostenlos Auskunft zu IP-Adressen zu<br />
verlangen, zB entweder die IP-Adresse<br />
zu einer – anhand relevanter Kriterien,<br />
etwa Pseudonymen, Internetforen und<br />
Zeiträume (eingeschränkt auf eine Stunde)<br />
– bestimmten Nachricht samt dem<br />
Zeitpunkt ihrer Übermittlung, oder Name<br />
und Anschrift des Teilnehmers zu einer<br />
bereits bekannten IP-Adresse. Der Telekommunikationsanbieter<br />
erhält von<br />
einer der insgesamt 12 berechtigten<br />
Dienststellen eine schriftliche Anfrage<br />
und muss die angeforderten Daten ausfolgen.<br />
Diese verfahrensrechtlichen Details<br />
sind nicht gesetzlich normiert, sondern<br />
in einem Erlass des BM.I zu § 53 Abs<br />
3b und 3b SPG geregelt. Für den präventiven<br />
Bereich gibt es anlässlich der Vorratsdatenspeicherung<br />
keine Einschränkungen<br />
auf bestimmte Delikte oder den<br />
Schutz bestimmter besonders hochwertiger<br />
Rechtsgüter.<br />
terroristenbekämpfung durch vDS<br />
Profis können die VDS leicht umgehen,<br />
Untersuchungen zeigten auch, dass Ter-