STEINZEUG Information 2004 - Fachverband Steinzeugindustrie eV
STEINZEUG Information 2004 - Fachverband Steinzeugindustrie eV
STEINZEUG Information 2004 - Fachverband Steinzeugindustrie eV
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<strong>Information</strong><br />
<strong>STEINZEUG</strong><br />
WRRL: Europaweiter<br />
Gewässerschutz<br />
In Züri läuft`s supr!<br />
Kanalbauten für<br />
Kölner U-Bahn<br />
Ausgabe <strong>2004</strong><br />
FV ST<br />
<strong>Fachverband</strong><br />
<strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
FVST <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.<br />
Max-Planck-Straße 8<br />
50858 Köln (Marsdorf)<br />
Tel.: 02234/507-261<br />
Fax: 02234/507-204<br />
E-Mail: fachverband@steinzeug.com<br />
Internet: www.steinzeug.com<br />
Redaktion:<br />
Bau-Ass. Dipl.-Ing. Karl-Heinz Flick<br />
Heiko Daun<br />
Dr. Gabriele Hahn<br />
Redaktionsbüro Dr. Hahn<br />
Postfach 30 06 24<br />
53186 Bonn<br />
Tel.: 0228/46 41 89<br />
Fax: 0228/43 39 261<br />
E-Mail: redaktion@hahn-bonn.de<br />
Satz:<br />
Medien Synergie<br />
Renate Weyler, Bonn<br />
E-Mail: r.weyler@medien-synergie.de<br />
Druck:<br />
Das Druckhaus<br />
Beineke Dickmanns GmbH, Kaarst-Büttgen<br />
Zum Abdruck angenommene Beiträge und Abbildungen gehen im<br />
Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen in das Veröffentlichungs- und Verbreitungsrecht<br />
des Herausgebers über. Redaktionelle Überarbeitungen und Kürzungen liegen im Ermessen<br />
des Herausgebers.
Die vom <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V. herausgegebene Steinzeug-<br />
<strong>Information</strong> erscheint mit dieser Ausgabe <strong>2004</strong> in veränderter Form und<br />
wird Ihnen zukünftig häufiger als <strong>Information</strong>squelle zur Verfügung stehen.<br />
Mit ergänzenden „up dates“ werden wir Sie zusätzlich und damit zeitnah<br />
informieren. Kanalisation ist und wird dabei unser Thema bleiben. Der<br />
<strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> als Herausgeber stellt sich dieser Herausforderung<br />
bereits seit nunmehr 40 Jahren. Fachzeitschriften sind unverzichtbar<br />
und werden auch zukünftig ihren Platz in den Medien behalten;<br />
elektronische Medien können diese nur ergänzen.<br />
Steinzeug, ein Wort, das in dieser Form als Werkstoff für den Bau von<br />
Kanalisationen steht und in Kurzform für die deutsche <strong>Steinzeugindustrie</strong><br />
Verwendung findet, steht für Partnerschaft und Vertrauen im Kanalbau.<br />
„Europa“ ist seit dem 1. Mai <strong>2004</strong> deutlich größer geworden und hat für<br />
uns alle an Relevanz wieder dazu gewonnen. Dies betrifft selbstverständlich<br />
auch die Abwassertechnik. Mit der vorliegenden Ausgabe stehen Ihnen<br />
zum Thema Europa Nachrichten, Berichte, Infos und Interviews aus erster<br />
Hand zur Verfügung. Technische, wirtschaftliche und rechtliche Themen,<br />
sowie <strong>Information</strong>en und Stellungnahmen komplettieren den Inhalt dieser<br />
Steinzeug-<strong>Information</strong>. Die fachliche Rubrizierung unterstützt Sie, Ihre<br />
Themen schnell zu finden.<br />
Mit der Steinzeug-<strong>Information</strong> wollen wir auch Meinungen veröffentlichen,<br />
zeigen, was wir tun und was wir denken. Gerne würden wir hierüber<br />
mit Ihnen ins Gespräch kommen und freuen uns über Ihre Rückäußerungen.<br />
Ihr<br />
Dipl.-Ing. Karl-Heinz Flick<br />
Geschäftsführer <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.<br />
Editorial<br />
Ihre Themen sind uns wichtig<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
1
2<br />
Inhalt<br />
22 Normung: Welche Standpunkte vertritt der FVST<br />
und in welchen Gremien ist er vertreten?<br />
42 Der Startschuss für den Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn<br />
fiel am Breslauer Platz. Hier wurden alte Ver- und Entsorgungsleitungen<br />
verlegt und neue Abwasserleitungen aus Steinzeug<br />
eingebaut.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
49 Mit Gottfried Neuhold<br />
hat die Stadt Zürich den Betrieb<br />
ihrer Abwasserkanäle<br />
optimiert und die Kosten<br />
drastisch minimiert. Wie, das<br />
verriet er in einem Interview.<br />
10 Gewässerschutz europaweit<br />
nach vergleichbaren Grundsätzen<br />
ist das Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie.<br />
Helmut Blöch, Mitglied<br />
der Europäischen Kommission,<br />
stellt diese Ziele im einzelnen vor<br />
und beschreibt die Strategien zur<br />
schrittweisen und transparenten<br />
Umsetzung bis 2015 in den EU-<br />
Mitgliedstaaten.
61 Großer Rückblick auf<br />
Messen + Kongresse in<br />
<strong>2004</strong>, kleine Vorschau auf<br />
die IFAT im kommenden<br />
Jahr.<br />
Inhalt<br />
■ Editorial<br />
Ihre Themen sind uns wichtig 1<br />
■ Verbandsnachrichten<br />
„Rohrleitungen verbinden Europa“ 7<br />
NODIG <strong>2004</strong>: FEUGRES mit eigenem Workshop dabei 6<br />
Europäische Vereinigung der Steinzeugröhrenindustrie 5<br />
FVST ist Mitglied im Förderverein des IKT 4<br />
FEUGRES-Kongress <strong>2004</strong> 7<br />
■ Blickpunkt EU<br />
Gewässerschutz europaweit nach vergleichbaren Grundsätzen 10<br />
Rote Karte für neun EU-Mitgliedstaaten 14<br />
Kanalisations- und allgemeine Abwasserprojekte in EU-Beitrittsländern 17<br />
■ Regelwerknews<br />
„Wahrnehmung“ und Standpunkt des FVST 22<br />
■ Forschung + Technik<br />
Steinzeug – Material und Bauteil 25<br />
Vortriebsrohre und Druckübertragung 32<br />
20 Jahre Microtunneling in Berlin 38<br />
■ Baustellenbericht/-reportage<br />
Kanalbauten für Kölns Mammutprojekt 42<br />
■ Portrait/Interview<br />
In Züri läuft’s supr! 49<br />
Große Festveranstaltung für die Wasserexperten 53<br />
■ Wirtschaft + Recht<br />
Öffentliche Auftragsvergabe in den neuen EU-Mitgliedstaaten 55<br />
Abgrenzung von Herstellungs- und Unterhaltungskosten 58<br />
■ Messen + Kongresse<br />
FEUGRES-Kongress – Nachhaltig erfolgreich 61<br />
IFAT China <strong>2004</strong> – High-Tech im Land des Drachens 61<br />
Branchentermine im Überblick 65<br />
IFAT 2005 – Messe der Superlative 66<br />
■ Last Minute<br />
ATV-DVWK-Resolution: Substanzerhalt der Kanalisation 67<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
3
4<br />
Verbandsnachrichten<br />
Oldenburger Rohrleitungsforum 2005<br />
„Rohrleitungen verbinden Europa“<br />
Der <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong><br />
e.V., Köln, hat bei<br />
der inhaltlichen Ausrichtung<br />
des Vortragsblocks „Steinzeug“<br />
das Leitthema des 19. Oldenburger<br />
Rohrleitungsforums 2005<br />
thematisch aufgegriffen. Die deutsche<br />
<strong>Steinzeugindustrie</strong>, seit Jahrzehnten<br />
aktiv im Export der Bauteile<br />
in Europa oder Übersee tätig,<br />
steht mitten in Europa. Die bekannten<br />
abwassertechnischen Aufgabenstellungen<br />
in der Kanalisation<br />
sind in unserer Welt so unterschiedlich<br />
nicht. Die europäische<br />
Dimension hat mit der Erweiterung<br />
der EU zugenommen; somit wird<br />
Europa in der Welt als Ganzes<br />
wahrgenommen. Die Kanalisation<br />
steht dabei selbstverständlich nicht<br />
außen vor.<br />
Produkte und Systemlösungen<br />
werden in den europäischen Märkten<br />
heute gleichermaßen erwartet.<br />
Bautechnische Aufgaben für Neubau<br />
und Sanierung, deren Finanzierung<br />
und wirtschaftliche Bewertung,<br />
aber auch Antworten auf die<br />
Frage, was ist eigentlich Steinzeug<br />
als Werkstoff und Produkt?, stehen<br />
an. Der Vortragsblock, moderiert<br />
vom <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong><br />
e.V., geht hierauf ein und<br />
beinhaltet im Detail die im Kasten<br />
aufgeführten Themen.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Steinzeug – Werkstoff- und Produktentwicklungen<br />
Referent: Dipl.-Ing. Jürgen Weis<br />
Leiter Produktion und Entwicklung,<br />
Steinzeug Abwassersysteme GmbH, Köln<br />
Europa – Finanzierung und Projektentwicklung von<br />
Abwasseranlagen in den neuen Mitgliedsländern der EU<br />
Referent: Dipl.-Ing. Stefan Girod<br />
Technischer Key Account Manager Ost,<br />
Steinzeug Abwassersysteme GmbH, Köln<br />
Finanzierung von Abwasseranlagen in den Beitrittsländern<br />
zur Europäischen Union einschließlich Projektbeispiel<br />
Referent: Dipl.-Ing. Maris Jurevics<br />
Geschäftsführer SIA Jurevics & Partner, Riga<br />
Nachhaltigkeit – Anforderungen für die Kanalisation<br />
Referent: Dipl.-Ing. Dietmar Böhme Technisches Marketing,<br />
Steinzeug Abwassersysteme GmbH, Köln<br />
Moderation: Bau-Ass. Dipl.-Ing. Karl-Heinz Flick, Geschäftsführer<br />
<strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V., Köln<br />
Das 19. Oldenburger Rohrleitungsforum 2005 findet am 10./11. Februar<br />
2005 in der FH Oldenburg statt. Weitere <strong>Information</strong>en erhalten<br />
Sie unter den angegebenen Kontaktmöglichkeiten.<br />
Kontakt<br />
Institut für Rohrleitungsbau an der<br />
Fachhochschule Oldenburg e.V.<br />
Industriestraße 11<br />
26121 Oldenburg<br />
Tel.: 0441/36 10 39-0<br />
Fax: 0441/36 10 39-10<br />
E-Mail: ina.kleist@iro-online.de
Verbandsnachrichten<br />
NODIG <strong>2004</strong> in Hamburg<br />
FEUGRES mit eigenem Workshop dabei<br />
Der unterirdische Bau von Abwasserkanälen ist seit der Verfügbarkeit<br />
der Mikrotunnelbau-Technik ganz eng mit Steinzeugrohren<br />
verbunden. Bauteile und Maschinen wurden und werden bei dieser<br />
Bautechnik immer aufeinander abgestimmt. Die hochwertige Einbautechnik<br />
mit ihren bekannten verfahrenstechnischen Vorteilen, den damit<br />
verbundenen herausragenden wirtschaftlichen Randbedingungen und die<br />
Produkteigenschaften der Steinzeugbauteile passen anerkanntermaßen<br />
gut zusammen. Die nunmehr über 20-jährige Erfahrung mit Steinzeugrohren<br />
im Mikrotunnelbau in den Nennweiten DN 150 bis DN 1000 waren<br />
mit Anlass, bei der NODIG <strong>2004</strong> einen eigenständigen Workshop einzurichten.<br />
Der <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V. organisiert und moderiert<br />
die Themen im Namen der FEUGRES Europäische Vereinigung der Steinzeugröhrenindustrie,<br />
Brüssel.<br />
Die Referenten berichten über neueste Forschungsergebnisse zur Druckübertragung<br />
beim Rohrvortrieb mit den damit verbundenen Auswirkungen<br />
zur Bemessung der Bauteile, über das aktuelle europäische technische<br />
Regelwerk zu Anforderungen an Vortriebsrohre, sowie über Praxiserfahrungen<br />
zum Rohrvortrieb und bei der Renovation. Die vorhandene Bandbreite<br />
der Erfahrungen deckt heute einen sehr breiten Anwendungsbereich ab.<br />
Die darauf abgestimmten Steinzeug-Vortriebsrohre stehen zur Verfügung!<br />
Die Themen des Workshops<br />
auf der NODIG<br />
<strong>2004</strong> am 16.11.<strong>2004</strong><br />
in Hamburg.<br />
Die Gründe zum Einsatz des<br />
Rohrvortriebs – Erfahrungen<br />
aus dem Projekt Castelnuovo<br />
Referent: Ing. Fabrizio Zanetti,<br />
Verona (I)<br />
Anforderungen an Bauteile<br />
zum grabenlosen Bau von<br />
Abwasserleitungen und<br />
-kanälen – Bericht zur aktuellen<br />
Neuerscheinung der<br />
DIN EN 14457, Ausg. 09/04<br />
Referent: Bau-Ass. Dipl.-Ing.<br />
Karl-Heinz Flick, Köln (D)<br />
Vortriebsrohre und Druckübertragung<br />
– Ergebnisse<br />
aus Forschung und Praxis<br />
Referent: Dipl.-Ing. Marc<br />
Peters, Schwanau (D)<br />
Vortriebsrohre für Renovierung<br />
und Erneuerung –<br />
Praxisberichte<br />
Referent: Dipl.-Ing. Albert<br />
Römer-Schmidt, Marsberg (D)<br />
Moderation:<br />
Bau-Ass. Dipl.-Ing. Karl-Heinz<br />
Flick, <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong><br />
e.V., Köln, Mitglied der<br />
FEUGRES, Brüssel<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
5
6<br />
Verbandsnachrichten<br />
FEUGRES ist die ...<br />
Europäische Vereinigung der<br />
Steinzeugröhrenindustrie<br />
Über FEUGRES, Europäische<br />
Vereinigung der Steinzeugröhrenindustrie,<br />
ist vielfach<br />
berichtet worden. Die meisten<br />
assoziieren damit die „International<br />
Meetings“ der FEUGRES und verschiedene<br />
Aktivitäten des <strong>Fachverband</strong>es<br />
<strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.<br />
Wie FEUGRES organisiert ist und<br />
was ihre gestellten Aufgaben und<br />
Ziele sind, ist aus der folgenden<br />
Übersicht ersichtlich.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
EUROPÄISCHE VEREINIGUNG DER <strong>STEINZEUG</strong>RÖHRENINDUSTRIE<br />
FEDERATION EUROPEENNE DES FABRICANTS DE TUYAUX EN GRES<br />
EUROPEAN FEDERATION OF THE VITRIFIED CLAY PIPE INDUSTRY<br />
Sitz und Sekretariat: Rue des Colonies, 18-24 Bte 17 -<br />
B-1000 Bruxelles<br />
Tel.: (++32-2) 511 30 12/511 70 25<br />
Fax: (++32-2) 511 51 74<br />
E-Mail: sec@cerameunie.net<br />
Aufgabe und Funktion: Selbstständige Fachvereinigung zur Förderung<br />
der Lösung aller wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen<br />
Probleme, welche die europäische Steinzeugröhrenindustrie<br />
gemeinsam beschäftigen.<br />
Gründung: 1957<br />
Organe: Generalversammlung<br />
Vorstand<br />
Sekretariat<br />
Präsident: Dr Rodolfo Spotti, Bergamo (I)<br />
Mitgliedschaften: Die FEUGRES ist eigenständiges Mitglied<br />
in der Cerame-Unie, der Europäischen<br />
Vereinigung der keramischen Industrie,<br />
mit Sitz in Brüssel. Das Sekretariat der<br />
FEUGRES wird wahrgenommen von der<br />
Cerame-Unie.<br />
Der <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.,<br />
Köln, vertritt die deutsche Steinzeugrohrindustrie.
Verbandsnachrichten<br />
Auf gute Partnerschaft<br />
FVST ist Mitglied im Förderverein des IKT<br />
Der Förderverein des IKT, Institut für Unterirdische Infrastruktur,<br />
Gelsenkirchen, hat auf seiner Mitgliederversammlung am 18.<br />
August <strong>2004</strong> den FVST <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V., Köln,<br />
als neues Mitglied aufgenommen. Der Förderverein selbst ist Mitgesellschafter<br />
des IKT.<br />
Die bereits langjährige Zusammenarbeit zwischen dem IKT und der deutschen<br />
<strong>Steinzeugindustrie</strong> war in der Vergangenheit eher durch Einzelaufträge<br />
im Rahmen von Produktprüfungen bestimmt. Durch die Mitgliedschaft<br />
des FVST sollen die bestehenden Kontakte intensiviert und unterstützt<br />
werden.<br />
Unter der Regie des <strong>Fachverband</strong>es <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V. hatte die<br />
Europäische Vereinigung der Steinzeugröhrenindustrie FEUGRES zu<br />
ihrer 15. Internationalen Tagung der Fachleute für Abwassertechnik<br />
am 26. und 27. März <strong>2004</strong> ins italienische Sorrent eingeladen. Rund 330<br />
Teilnehmer aus Europa, dem Nahen Osten und Übersee nahmen die Gelegenheit<br />
wahr, sich über das Thema „Nachhaltigkeit – Verantwortung übernehmen“<br />
zu informieren. Dazu brachten 12 Experten aus Technik, Wirtschaft<br />
und Politik in ihren Referaten ihre eigenen Erfahrungen, Vorstellungen<br />
und Visionen ein, die zu lebhaften Diskussionen, neuen Denkanstößen<br />
und zahlreichen Gesprächen führten.<br />
Bauprodukte und deren Anwendung<br />
in der Kanalisation werden<br />
bestimmt über Fragen zum Neubau,<br />
zum Arbeiten im Bestand und<br />
zu Reparaturen. Hinzu kommen<br />
konzeptionelle Themen zum Betrieb<br />
der Kanalisation.<br />
Das IKT kann mit seiner Aufgabenstellung<br />
die Arbeit des FVST unterstützen.<br />
FEUGRES-Kongress <strong>2004</strong><br />
Auf Nachhaltigkeit setzen heißt<br />
Verantwortung übernehmen<br />
Eröffnet wurde der Kongress vom<br />
amtierenden Präsidenten der<br />
FEUGRES, Dr Rodolfo Spotti, Bergamo.<br />
Dem stellvertretenden Umweltminister<br />
Italiens, Antonio Martusciello,<br />
schien es ein sichtliches<br />
Anliegen zu sein, die Begrüßung<br />
der Teilnehmer zu übernehmen.<br />
Seine kompetente Ansprache<br />
machte deutlich, dass die italienische<br />
Regierung der Nachhaltigkeit<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
7
8<br />
Verbandsnachrichten<br />
in der Abwassertechnik hohe Priorität<br />
einräumt und viele Umweltaspekte<br />
nicht nur auf dem Papier<br />
existieren, sondern in der Praxis bereits<br />
realisiert sind. Zur Einstimmung<br />
auf das Kongressthema<br />
machte Prof. Dr. Christian Friesl aus<br />
der Erfahrung und mit Ausblick aus<br />
der Industrie deutlich, dass sich<br />
„Erfolgreich wirtschaften – verantwortungsvoll<br />
handeln“ nicht gegenseitig<br />
ausschließen.<br />
Der Tag klang mit einem umfangreichen<br />
Dinner aus, bei dem es<br />
noch reichlich Gelegenheit zu Diskussionen<br />
und Gesprächen oder<br />
einfach nur zum Kennenlernen<br />
gab.<br />
Technisch, wirtschaftlich, ökonomisch<br />
und politisch ausgerichtete<br />
Vorträge bestimmten den Inhalt<br />
des nächsten Tages. Den Auftakt<br />
machte Giancarlo Bedotti, Mitglied<br />
der Europäischen Kommission, mit<br />
seinem Vortrag über „Die Bedeutung<br />
der Bauproduktenrichtlinie im<br />
europäischen Binnenmarkt“. Dr.<br />
Diego Finazzi, Direktor in der<br />
Stadtverwaltung Bergamo, stellte<br />
die „Anwendung der Ökobilanzierung<br />
– eine Untersuchung von Kanalisationssystemen“<br />
vor. Über<br />
„Nachhaltigkeit – ein Entscheidungsinstrument<br />
für Abwassernetze“,<br />
referierte der Belgier Dirk Dewaele,<br />
Direktor der Ingenieurabteilung<br />
bei Aquafin, Aartselaar.<br />
Nach einer stärkenden Kaffeepause<br />
konzentrierten sich die Vorträge<br />
auf Themen in Hinblick auf die<br />
Ziele der EU und auf wirtschaftlich<br />
ausgerichtete Aspekte. Karl-Heinz<br />
Flick, Geschäftsführer des <strong>Fachverband</strong>es<br />
<strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.,<br />
Köln, fokussierte seine Ausführungen<br />
auf „Europa und umweltfreundliche<br />
Produkte“; Ray W.<br />
Doughty, Direktor der technischen<br />
Entwicklungsabteilung Hepworth<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
■ Der stellvertretende Umweltminister, Antonio Martusciello, begrüßt die<br />
Kongress-Teilnehmer in Sorrent.<br />
Building Products, Hazlehead, ging der Frage nach „Ökobilanzierung – eine<br />
Methode zur Bestimmung der Nachhaltigkeit“ auf den Grund. Die europäischen<br />
Vergaberichtli-nien enthalten bislang keinen ausdrücklichen<br />
Verweis auf den Umweltschutz oder die Berücksichtigung von Umweltbelangen.<br />
Prof. Dr. Thomas Ax, Rechtsanwalt in Neckargemünd, konstatierte<br />
in seinem Vortrag „Ökologische Beschaffung“, dass die Beachtung und der<br />
Ausbau eines effektiven Umweltschutzes eine wichtige gemeinschaftliche<br />
■ Die Referenten des FEUGRES-Kongresses <strong>2004</strong>: hintere Reihe v.l.n.r.: G. Bedotti<br />
(EU), P. Simpson (NZ), G. Neuhold (CH), D. Finazzi (I). Vordere Reihe: v.l.n.r.:<br />
R.W. Doughty (GB), K.-H. Flick (D), H. Brühl (D), M. Preußner (D), und A. Puissant<br />
(B); T. Ax (D) und D. Dewaele (B) fehlen.
Aufgabe darstellten. Die „Finanziellen Aspekte von Infrastrukturprojekten“<br />
nahm Dr. Hartmut Brühl, Beratender Ingenieur, Unna, unter die Lupe.<br />
Der letzte Vortragsblock des Tages konzentrierte sich auf die Umsetzung<br />
nachhaltiger öffentlicher Kanalisationsnetze an praktischen Beispielen<br />
und deren Wirtschaftlichkeit. Gottfried Neuhold, Geschäftsführer<br />
der ERZ Entsorgung und Recycling Zürich, beschrieb am Beispiel der Stadt<br />
Zürich, dass es nicht nur hoher Qualität der verwendeten Abwasserrohre,<br />
sondern auch einer Management-Qualität durch alle Hierarchieebenen bedarf,<br />
um Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Auch down under ist die Nachhaltigkeit<br />
ein viel diskutiertes Thema, wenn es um Investitionen im öffentlichen<br />
Bereich geht. Peter Simpson, Consultant aus Auckland (NZ), hat die<br />
„Nachhaltigkeit bei Abwasserleitungen“ für Australien und Neuseeland aus<br />
seinem persönlichen Blickwinkel betrachtet. Im abschließenden Referat<br />
von Prof. Max Preußner, Ingenieurbüro Preußner Hamburg, spielte die<br />
Wirtschaftlichkeit von Abwassersystemen die zentrale Rolle. „Return on Investment<br />
– Was zeigt uns die Realität?“ machte deutlich, welche Faktoren<br />
die Wirtschaftlichkeit einer gut funktionierenden Abwasserentsorgung beeinflussen.<br />
Wie schon auf dem FEUGRES-Kongress in Barcelona 2001, sorgte auch in<br />
Sorrent der belgische Journalist Alexander Puissant für einen reibungslosen<br />
Ablauf der Vortragsreihe. Nicht nur allein mit seiner Sprachenvielfalt, sondern<br />
auch mit seiner ungezwungenen Art, die Zuhörer mit Fragen zu mobilisieren,<br />
sie zu Stellungnahmen aufzufordern oder sie einfach nur zu provozieren,<br />
brachte er Schwung und Lebhaftigkeit in den Tagungssaal.<br />
■ Der belgische Journalist, Alexander Puissant, im Einsatz als Chairman.<br />
Ein gemeinsames, abschließendes Abendessen in einem Sorrenter Restaurant<br />
ließ noch so manche Diskussionen und Gespräche zu.<br />
Ein gelungener, nachhaltig wirkender FEUGRES-Kongress <strong>2004</strong>.<br />
Verbandsnachrichten<br />
Alle Vorträge sind in ausgearbeiteter<br />
Form in einer Sonderausgabe<br />
des <strong>Fachverband</strong>es Steinzeug e.V.<br />
veröffentlicht und können dort angefordert<br />
werden.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
9
10<br />
Blickpunkt EU<br />
Die EU-Wasserrahmenrichtlinie<br />
Gewässerschutz europaweit nach<br />
vergleichbaren Grundsätzen<br />
Mit der Wasserrahmenrichtlinie<br />
[1] hat die EU<br />
ihre Wasser- und<br />
Gewässerschutzpolitik neu ausgerichtet,<br />
aufbauend auf Grundsätzen,<br />
wie sie in Deutschland vielfach<br />
lange Tradition haben [2], aber<br />
auch diese weiterentwickelnd:<br />
● Gewässerschutz für alle Gewässer,<br />
Grundwasser und Oberflächengewässer<br />
● Verpflichtung zur Erreichung/<br />
Erhaltung eines „guten Zustands“<br />
für alle Gewässer; der ,gute Zustand’<br />
ist umfassend definiert – für<br />
Oberflächengewässer über Biologie<br />
(Mikrofauna, Mikroflora, Fischfauna),<br />
Chemie und Morphologie, für<br />
Grundwasser über Chemie und<br />
Quantität (Gleichgewicht zwischen<br />
Dargebot und Entnahmen)<br />
● Wasserwirtschaft auf Grundlage<br />
von Flusseinzugsgebieten, über<br />
Verwaltungs- und politische Grenzen<br />
hinaus<br />
● Gewässergütebewertung nach<br />
Gewässertypen, nicht bloß ein und<br />
dasselbe System, z.B. für Gebirgsflüsse<br />
und Flachlandflüsse<br />
● Verknüpfung von Emissionsund<br />
Immissionskriterien<br />
● Preise für wasserbezogene<br />
Dienstleistungen wie Trinkwasser<br />
und Abwasser, die das Kostende-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
ckungsprinzip widerspiegeln und damit den Ressourcenschutz unterstützen<br />
● verpflichtende Einbindung von Bürgern, Kommunen und Betroffenen<br />
in die Entscheidungsprozesse bei der Ausarbeitung der Flussgebietspläne<br />
Die Wasserrahmenrichtlinie – ein transparenter Prozess<br />
Schritt für Schritt<br />
Die Wasserrahmenrichtlinie gibt ein ambitioniertes Ziel vor – in der Regel<br />
soll das Ziel bis 2015 erreicht sein; sie schafft aber auch einen kontinuierlichen<br />
und transparenten Prozess für Planen und Handeln (Abb. 1).<br />
2003: formale Umsetzung in nationale Gesetzgebung (Artikel 24);<br />
Ausweisung der Außengrenzen der Flussgebiete und der zuständigen<br />
Behörden (Artikel 3)<br />
<strong>2004</strong>: erste Bestandsaufnahme und ökonomische Analyse (Artikel 5<br />
und Anhänge I + II); Interkalibrierung (Anhang V); Verzeichnis der<br />
Schutzgebiete (Artikel 6)<br />
2006: Mess- und Überwachungssystem (Artikel 8); Spätestbeginn für<br />
Öffentlichkeitsbeteiligung (Artikel 14)<br />
2008: Entwurf der Flussgebietspläne<br />
2009: endgültige Flussgebietspläne und Maßnahmeprogramme<br />
(Artikel 13)<br />
2015 bzw. 2015+: Umweltschutzziel erreicht, ggf. nach Fortschreibung<br />
der Flussgebietspläne und Maßnahmeprogramme [3]<br />
■ Abb. 1: Mit den vorgegebenen Fristen, die für alle 25 EU-Mitgliedstaaten<br />
gelten, ist ein schrittweiser, transparenter Prozess zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie<br />
geschaffen.<br />
▼<br />
▼<br />
▼<br />
▼<br />
▼
Die in Abb. 1 genannten Fristen für die Wasserrahmenrichtlinie gelten für<br />
alle 25 EU-Mitgliedstaaten, für die ,alten’ EU15 wie für die ‚neuen‘ Mitgliedstaaten,<br />
die am 1. Mai <strong>2004</strong> der EU beigetreten sind. Dies bedeutet,<br />
als Ergebnis der Beitrittsverhandlungen, ein klares politisches Zeichen einerseits<br />
für den Umweltschutz, andererseits gegen Wettbewerbsverzerrungen<br />
durch national unterschiedliche Gewässerschutzstandards.<br />
Für die ersten beiden Schritte in diesem Prozess<br />
● formal – nationale Gesetzgebung und<br />
● inhaltlich – Interkalibrierung der Güteklassifizierung<br />
ergibt sich – per Juli <strong>2004</strong> – folgendes Bild der Umsetzung in den 25 Mitgliedstaaten:<br />
Nationale Gesetzgebung<br />
Die Mehrzahl der 25 Mitgliedstaaten hat die Wasserrahmenrichtlinie in nationale<br />
Gesetzgebung umgegossen, ein Teil aber nicht oder nicht vollständig<br />
(Stand Juli <strong>2004</strong>). Zu letzterer Gruppe gehört auch Deutschland (Bundesgesetzgebung<br />
liegt vor, beträchtliche Teile der Landesgesetze fehlen).<br />
Deshalb hat die Europäische Kommission im Juli <strong>2004</strong> letzte Mahnungen<br />
(„mit Gründen versehene Stellungnahmen“; letzte Stufe vor einer Klage<br />
beim Europäischen Gerichtshof) an 9 der 25 Mitgliedstaaten veröffentlicht:<br />
Belgien, Deutschland, Finnland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Portugal,<br />
Schweden und Vereinigtes Königreich. Die noch ausstehenden Rechtsakte<br />
sind allerdings bis Ende <strong>2004</strong> absehbar. Anschließend an die formale<br />
Prü-fung der Umsetzung wird die inhaltliche Prüfung für alle 25 Mitgliedstaaten<br />
folgen.<br />
Interkalibrierung der Güteklassifizierung [4]<br />
Bei den bereits fälligen praktischen Schritten zur Implementierung – Ausweisung<br />
der Referenzgewässer im Rahmen der Interkalibrierung – sieht die<br />
Bilanz noch positiver aus: Mit Juli <strong>2004</strong> haben alle Mitgliedstaaten die<br />
Referenzgewässer bereits ausgewiesen, mit Ausnahme von Belgien (nur<br />
teilweise), Malta und Litauen.<br />
Die Implementierungsstrategie – ein kooperativer<br />
Prozess aller Beteiligten<br />
Gleichzeitig mit der endgültigen Verabschiedung der Wasserrahmenrichtlinie<br />
haben sich – in einer bislang beispiellosen Aktion – Europäische Kommission,<br />
Mitgliedstaaten und Beitrittstaaten geeinigt, eine Strategie für die<br />
Umsetzung der Richtlinie zu entwickeln und zu beschließen, sowie eine<br />
umfassende Zusammenarbeit für alle wesentlichen Aspekte der Richtlinie in<br />
die Wege zu leiten. Nur 4 Monate nach Veröffentlichung der Richtlinie ist<br />
diese Strategie verabschiedet worden. Von Anfang an war eine Einbindung<br />
der beteiligten und betroffenen Interessensvertretungen und der Umweltschutzorganisationen<br />
auf europäischer Ebene sichergestellt.<br />
Ein Rückblick auf 2 Jahre gemeinsamer Arbeit in der Implementierungsstrategie<br />
zeigt:<br />
● die Identifikation aller Beteiligten mit Arbeit und Ergebnissen<br />
● die erfolgreiche Erarbeitung einer Vielzahl von Arbeitsdokumenten [5]<br />
Blickpunkt EU<br />
● den Beginn von Praxistests in<br />
Pilotflussgebieten<br />
● die enorme Wichtigkeit der Arbeit<br />
in den Internationalen Flussgebietskommissionen<br />
und<br />
● die Herausforderung, EU Förderungsinstrumente<br />
– hier steht nun<br />
erstmals auch die neue EU-Agrarpolitik<br />
[6] zur Verfügung – optimal<br />
zu verwenden<br />
Die nächsten Herausforderungen<br />
Die Bestandsaufnahme ist bis<br />
Ende <strong>2004</strong> abzuschließen, gefolgt<br />
von ihrer Präsentation und Diskussion<br />
mit Entscheidungsträgern und<br />
Betroffenen. Eine differenzierte Betrachtung<br />
– wie auch im jüngst verabschiedeten<br />
europäischen Arbeitspapier<br />
ausgeführt – wird dabei<br />
sowohl der fachlich-technischen<br />
wie der politischen Diskussion<br />
dienlich sein.<br />
Der Umfang der notwendigen<br />
Maßnahmen wird naturgemäß<br />
vom schon Erreichten abhängen.<br />
Für Deutschland werden sich dabei<br />
ohne Zweifel die enormen Leistungen<br />
und Erfolge bei den Punktquellen<br />
(Leistungen der Kommunen bei<br />
Kanalisation und Abwasserreinigung;<br />
Leistungen der Industrie bei<br />
Direkt- wie Indirekteinleitungen)<br />
widerspiegeln. Die Heimkehr des<br />
Lachses in unsere großen Flüsse<br />
wie Rhein, Elbe, aber auch Themse<br />
hat hier ein deutliches Signal gesetzt.<br />
Im Lichte des schon Erreichten –<br />
siehe dazu auch den Bericht der<br />
Europäischen Kommission vom<br />
Mai <strong>2004</strong> zur Umsetzung der kommunalen<br />
Abwasserrichtlinie – werden<br />
sich damit für die Kommunen<br />
in Deutschland Herausforderungen<br />
nur mehr in jenen Bereichen ergeben,<br />
wo bislang keine europäi-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
11
12<br />
Blickpunkt EU<br />
schen oder nationalen Emissionsvorgaben<br />
vorlagen und aufgrund<br />
des Ist-Zustands Immissionsprobleme<br />
(schlechterer Gütezustand als<br />
‚gut‘) noch bestehen.<br />
Herausforderungen werden die Gewässermorphologie<br />
und Längsdurchgängigkeit<br />
sein (aber auch<br />
dies gegen den Hintergrund der<br />
vielfachen Bemühungen zur Re-<br />
Ökologisierung von Flüssen), sowie<br />
diffuse Belastungen besonders aus<br />
der Landwirtschaft.<br />
Maßnahmen und Kosten werden<br />
im nächsten Schritt klarzustellen<br />
sein; hier werden zwei Prinzipien<br />
von herausragender Bedeutung<br />
sein:<br />
● die Flexibilität bei der Wahl der<br />
Maßnahmen (das zu erreichende<br />
Ziel ist klar und bindend definiert,<br />
bei den Maßnahmen für dieses Ziel<br />
dagegen herrscht Maßnahmenoffenheit<br />
und -freiheit) und<br />
● die Transparenz des Entscheidungsprozesses<br />
Beide Prinzipien sollen dazu beitragen,<br />
dass für das jeweilige Flussgebiet,<br />
die jeweilige Region, die bestgeeignete<br />
Lösung verwirklicht werden<br />
kann.<br />
Ein wesentlicher Punkt bei der<br />
künftigen Umsetzung sollte<br />
schließlich die bestmögliche<br />
Nutzung von Förderungsinstrumenten<br />
sein, sowohl bei der<br />
Planungs-/Vorbereitungsphase wie<br />
bei der Verwirklichung. Mit der<br />
2003 drastisch reformierten EU-<br />
Agrarpolitik und ihres Förderungsinstrumentariums<br />
[7] ergeben sich<br />
gerade für den ländlichen Raum<br />
umfassend neue Möglichkeiten,<br />
weil nun – als Paradigmenwechsel<br />
zur bisherigen Regelung – Maßnahmen<br />
zur Verwirklichung gesetzlicher<br />
Vorgaben förderungsfähig<br />
sind. Die Mitgliedstaaten werden –<br />
gerade in einer wichtigen Phase<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
der Umsetzung – die Möglichkeit haben, Schwerpunkte z.B. im Gewässerschutzbereich<br />
zu setzen.<br />
Die Arbeit in Internationalen Flussgebietskommissionen (in<br />
Europa derzeit am Rhein einschließlich Mosel und Saar, Donau, Elbe, Oder,<br />
Schelde und Maas) zeigt klare Schwerpunktsetzungen:<br />
● einerseits die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie<br />
● andererseits Hochwasservermeidung und Hochwasserschutz [8]<br />
Für Deutschland – im Einzugsbereich einer Vielzahl von europäischen Flussgebieten,<br />
wie Donau, Elbe, Oder, Rhein einschließlich Bodensee, Ems und<br />
Maas – ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit vielfach Teil der wasserwirtschaftlichen<br />
Tradition.<br />
Die Bestandsaufnahme nach der Wasserrahmenrichtlinie Anfang 2005 wird<br />
bereits vielfach als gemeinsamer flussgebietweiter Bericht veröffentlicht<br />
werden, im Falle der Donau weit über die bestehenden Grenzen der EU25<br />
hinaus bis ans Schwarze Meer (Abb. 2).<br />
■ Abb. 2: Das Einzugsgebiet der Donau – 817.000 km 2, mit 18 Ländern im Einzugsgebiet das<br />
‚internationalste’ Flussgebiet der Erde.<br />
Europäisches Gewässerschutzrecht – verbindlich im Ziel,<br />
flexibel im Weg<br />
Mit der Wasserrahmenrichtlinie wird ein gemeinsamer Managementrahmen<br />
für alle wasserbezogenen Rechtsvorschriften der EU geschaffen, im<br />
Sinne eines übersichtlicheren und transparenten Vollzugs (Abb. 3). Gleichzeitig<br />
wird schrittweise eine Reihe von älteren Rechtsvorschriften aus den<br />
70er und 80er Jahren aufgehoben.<br />
Die Wasserrahmenrichtlinie ist<br />
● ambitioniert und rechtlich verbindlich beim Ziel
● flexibel bei den Wegen zur Erreichung dieses Zieles; sie ist damit auch<br />
offen für Innovationen und erlaubt beträchtliche Flexibilität bei den Mitteln.<br />
Gleichzeitig bedeutet aber die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie<br />
keine Änderung der Ziele und Fristen schon bestehenden EU-Rechtes,<br />
z.B. für kommunale Abwasserbehandlung oder Nitratbelastung aus der<br />
Landwirtschaft. Hier wird es – u.a. bei den Richtlinien kommunale Abwasserbehandlung,<br />
Badegewässerqualität und Nitratverschmutzung aus der<br />
Landwirtschaft – kein Nachlassen der Bemühungen der Europäischen Kommission<br />
in der Durchsetzung geben [9]. Eine der Erwartungen der Europäischen<br />
Kommission an die Zusammenarbeit im Rahmen der Implementierungsstrategie<br />
ist es aber auch, einen beträchtlichen Teil der Vertragsverletzungsverfahren<br />
zu vermeiden, weil eine möglichst gemeinsame Verständnis-<br />
und Interpretationsbasis erarbeitet wird. Gleichzeitig wird und<br />
muss es aber für die Beteiligten möglich und notwendig sein, zur Klärung<br />
von Streitfragen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes anzurufen;<br />
dies entspricht auch dem Grundsatz der Europäischen Union als einer<br />
Gemeinschaft des Rechtes.<br />
Mit der Wasserrahmenrichtlinie ist ein umfassendes europäisches Gewässerschutzrecht<br />
entstanden. Darüber hinausgehende Entwicklungen sind<br />
nicht absehbar; Details wie die ‚Tochterrichtlinien’ über gefährliche Stoffe<br />
und Details zum Grundwasserschutz sind in der Wasserrahmenrichtlinie<br />
bereits klar vorgegeben und teils schon verabschiedet (Liste prioritärer<br />
Stoffe), teils in politischer Diskussion [10].<br />
■ Abb. 3: Mit der Wasserrahmenrichtlinie wird schrittweise eine Reihe von älteren<br />
Rechtsvorschriften aufgehoben.<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Mit der Wasserrahmenrichtlinie hat sich die Europäische Union von nun 25<br />
Staaten ein umfassendes neues Gewässerschutzrecht gegeben. Sie bringt<br />
Blickpunkt EU<br />
● die Festlegung des Gewässerschutzes<br />
für alle Länder der EU<br />
nach vergleichbaren und transparenten<br />
Prinzipien; die Richtlinie gilt<br />
auch für die <strong>2004</strong> beigetretenen<br />
neuen Mitgliedstaaten ohne Übergangsfristen<br />
● die Reduzierung bestehender<br />
Wettbewerbsverzerrung durch national<br />
oft stark unterschiedliche<br />
Umweltstandards<br />
● die Sicherstellung einer langfristigen<br />
und verlässlichen Grundlage<br />
für alle Beteiligten – für ihre technischen,<br />
finanziellen und politischen<br />
Entscheidungen<br />
● die Initiative für Umwelttechnologie<br />
und -forschung im Bereich<br />
Lieferungen und Leistungen wie<br />
auch Planung<br />
Deutschland hat viele dieser<br />
Grundsätze schon seit geraumer<br />
Zeit in Gesetzgebung und Vollzug<br />
verwirklicht und viele Probleme bereits<br />
gelöst; die dabei erreichten Erfolge<br />
spiegeln sich sowohl in deutschen<br />
[11] als auch europäischen<br />
[12] Berichten wider.<br />
Literatur und Hinweise<br />
[1] Richtlinie 2000/60/EG „Wasserrahmenrichtlinie“,<br />
einschließlich Implementierungsstrategie<br />
und umfangreicher<br />
Dokumentation im Internet verfügbar<br />
unter http://europa.eu.int/comm/<br />
environment/water/waterframework/<br />
[2] Wasserhaushaltsgesetz (WHG) des<br />
Bundes; Wassergesetze der Länder; Verordnungen<br />
über Mindestanforderungen<br />
nach § 7a WHG Emissionsanforderungen<br />
für eine Reihe von Sektoren)<br />
[3] alle Termine zu lesen als „22. Dezember“<br />
[4] Anders als traditionelle Güteklassifizierungen,<br />
wie der Saprobien-Index,<br />
legt die Richtlinie für die biologische<br />
Klassifizierung ein Eingehen auf typspe-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
13
14<br />
Blickpunkt EU<br />
zifische und regionalspezifische Unterschiede<br />
fest (z.B. nordischer See – mediterraner<br />
See); siehe Anhang V der<br />
Richtlinie. Die Interkalibrierung soll in<br />
einem transparenten Prozess die Vergleichbarkeit<br />
sicherstellen.<br />
[5] Europäische Kommission, Mitgliedstaaten,<br />
Beitrittstaaten und Norwegen:<br />
Arbeitsdokumente im Rahmen<br />
der Implementierungsstrategie: Sämtliche<br />
Dokumente sind im Internet verfügbar<br />
(nur in Englisch) unter<br />
http://forum.europa.eu.int/Public/irc/<br />
env/wfd/library?l=/framework_directive<br />
&vm=detailed&sb=Title<br />
[6] Europäische Kommission, Generaldirektionen<br />
Umwelt und Landwirtschaft<br />
„Die Wasserrahmenrichtlinie und<br />
Instrumente im Rahmen der Gemeinsamen<br />
Agrarpolitik zu ihrer Implementierung“,<br />
Brüssel November 2003; Englisch,<br />
erhältlich durch E-Mail an: envwater@cec.eu.int<br />
[7] Verordnungen 1782/2003/EG<br />
und 1783/2003/EG<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
[8] Siehe auch Europäische Initiativen: Mitteilung und Aktionsplan der Kommission<br />
„Hochwasservermeidung – Hochwasserschutz“, Juli <strong>2004</strong>, und politische Debatte<br />
des Themas durch die EU-Umweltminister, Juli <strong>2004</strong><br />
[9] Europäischer Gerichtshof: Urteile in den Rechtssachen C-387/97 und<br />
C-278/01, Kommission gegen Griechenland bzw. Kommission gegen Spanien; Volltext<br />
im Internet: http://curia.eu.int/de/jurisp/index.htm<br />
[10] Texte und Erläuterungen im Internet:<br />
http://europa.eu.int/comm/environment/water/water-framework<br />
[11] Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA); Bundesministerium für Umwelt,<br />
Naturschutz und Reaktorsicherheit, Umweltbundesamt<br />
[12] Europäische Kommission, Bericht „Umsetzung der Richtlinie kommunale<br />
Abwasserbehandlung“; Bericht „Badegewässerqualität“; beide Brüssel Mai <strong>2004</strong><br />
Dieser Beitrag stellt die Meinung des Verfassers dar und nicht unbedingt jene<br />
der Europäischen Kommission.<br />
Kontakt<br />
Dr. Helmut Blöch<br />
Europäische Kommission<br />
Generaldirektion Umwelt<br />
BU-9 03/154, Rue de la Loi/Wetstraat 200<br />
B-1049 Brüssel<br />
Wasserrahmenrichtlinie<br />
Rote Karte für neun EU-Mitgliedstaaten<br />
Mit Veröffentlichung im<br />
Amtsblatt L327 der EuropäischenGemeinschaften<br />
am 22. Dezember 2000 ist die<br />
„Richtlinie 2000/60/EG des<br />
Europäischen Parlaments und<br />
des Rates vom 23. Oktober<br />
2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens<br />
für Maßnahmen<br />
der Gemeinschaft im Bereich<br />
der Wasserpolitik“ (Wasserrahmenrichtlinie)<br />
in Kraft getreten.<br />
In der 72 Seiten umfassenden Richtlinie, bestehend aus 26 Artikeln und 11<br />
Anhängen, ist u.a. festgeschrieben, dass die Mitgliedstaaten Rechts- und<br />
Verwaltungsvorschriften erlassen müssen, die erforderlich sind, um dieser<br />
Richtlinie spätestens ab Dezember 2003 nachzukommen.<br />
Nach knapp vier Jahren sind nun neun Mitgliedstaaten in Verzug geraten,<br />
d.h., sie haben sich nicht an diese Vorgabe gehalten und müssen nun mit<br />
rechtlichen Konsequenzen rechnen, die die Europäische Kommission im Juli<br />
<strong>2004</strong> eingeleitet hat.<br />
Im Folgenden werden die gesetzlichen Grundlagen und Begründungen<br />
der Kommission zu dieser Maßnahme im Original wiedergegeben.<br />
Die Europäische Kommission unternimmt rechtliche Schritte gegen 13<br />
Mitgliedstaaten, die zwei wichtige EU-Vorschriften zur Wasserreinhaltung<br />
nicht eingehalten haben. Mit diesen Vorschriften soll die Qualität sämtli-
cher Gewässer in Europa, von Seen und Flüssen bis zu den Küstengewässern,<br />
zum Nutzen aller europäischen Bürger und der Umwelt verbessert<br />
werden. Neun Mitgliedstaaten – Belgien, Finnland, Deutschland, Italien,<br />
Luxemburg, die Niederlande, Portugal, das Vereinigte Königreich und<br />
Schweden – haben eine letzte schriftliche Mahnung erhalten, in der sie aufgefordert<br />
werden, die notwendigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu<br />
erlassen, um der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu genügen. Diese Richtlinie<br />
stellt einen Meilenstein im EU-Recht dar und soll eine gute Qualität sämtlicher<br />
Wasserressourcen in der EU auf der Grundlage eines neuen, integrierten<br />
grenzübergreifenden Konzepts für die Wasserwirtschaft sicherstellen.<br />
Sie musste bis Dezember 2003 in nationales Recht umgesetzt werden. Ferner<br />
hat die Kommission Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Portugal,<br />
Spanien und dem Vereinigten Königreich eine erste schriftliche Mahnung<br />
übermittelt, da sie die Frist Dezember 2000 nicht eingehalten haben, die<br />
für die Einrichtung geeigneter Anlagen zur Behandlung von Abwässern aus<br />
Städten und Ballungsgebieten mit über 15.000 Einwohnern festgesetzt<br />
wurde. Eine ungenügende Abwasserbehandlung ist ein Hauptgrund für die<br />
Wasserverschmutzung und stellt eine ernste Gefahr für die menschliche<br />
Gesundheit und die Umwelt dar. Mit diesen Maßnahmen trägt die Kommission<br />
dazu bei, europaweit eine hohe Wasserqualität für die Bürger zu<br />
gewährleisten.<br />
Zu diesen Entscheidungen meinte das für Umwelt zuständige Kommissionsmitglied,<br />
Margot Wallström: „Die Wasserrahmenrichtlinie ist eine der<br />
weltweit ehrgeizigsten Rechtsvorschriften. Mit ihr wird die Qualität unserer<br />
Gewässer verbessert und geschützt – aber eben nur, wenn sie ordnungsgemäß<br />
umgesetzt wird. Ebenso wichtig für die Wasserqualität ist die richtige<br />
Behandlung kommunaler Abwässer, damit sichergestellt ist, dass unsere<br />
Gewässer nicht durch mangelhaft behandelte Abwässer verschmutzt<br />
werden.“<br />
Nichtumsetzung der Wasserrahmenrichtlinie<br />
Die Wasserrahmenrichtlinie [1] bietet einen Ordnungsrahmen für den<br />
Schutz sämtlicher Gewässer in der Europäischen Union – für Flüsse, Seen,<br />
Küstengewässer, Grundwasser und sonstige oberirdischen Binnengewässer.<br />
Ziel ist es, bis 2015 eine gute Qualität der Wasserressourcen zu erreichen.<br />
Es soll durch eine integrierte Bewirtschaftung der Wassereinzugsgebiete<br />
erreicht werden, da Wassersysteme nicht an Verwaltungsgrenzen Halt<br />
machen. Die Wasserrahmenrichtlinie legt klare Fristen für die einzelnen<br />
Schritte fest, die für eine nachhaltige, integrierte Wasserwirtschaft in<br />
Europa erforderlich sind. Die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung<br />
der Richtlinie mussten bis Dezember 2003 erlassen werden.<br />
Belgien, Deutschland, Italien, Finnland, Luxemburg, die Niederlande, Portugal,<br />
das Vereinigte Königreich und Schweden haben das Verfahren zur<br />
Verabschiedung der notwendigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und<br />
deren Mitteilung an die Kommission noch nicht abgeschlossen. Aus diesem<br />
Grund hat die Kommission ihnen letzte schriftliche Mahnungen zukommen<br />
lassen. Durch die Nichtumsetzung dieser wichtigen Richtlinie<br />
enthalten die neun Mitgliedstaaten ihren Bürgern eine bessere Wasserqua-<br />
Blickpunkt EU<br />
lität von Seen, Flüssen und Küstengewässern<br />
vor, auf die diese Anspruch<br />
haben.<br />
Fehlende Abwasserbehandlung<br />
Die Kommission hat Frankreich,<br />
Griechenland, Irland, Italien, Portugal,<br />
Spanien und dem Vereinigten<br />
Königreich erste schriftliche Mahnungen<br />
übermittelt, nachdem sie<br />
bei einer Überprüfung festgestellt<br />
hatte, dass in diesen Mitgliedstaaten<br />
viele Städte und Ballungsgebiete<br />
mit über 15.000 Einwohnern ihre<br />
Abwässer nicht ordnungsgemäß<br />
behandeln. In der EU-Richtlinie<br />
über die Behandlung von kommunalem<br />
Abwasser wurde eine Frist<br />
bis zum 31. Dezember 2000 für die<br />
so genannte Zweitbehandlung [2]<br />
festgesetzt, bevor Wasser aus Städten<br />
und Ballungsgebieten dieser<br />
Größe abgeleitet werden darf.<br />
Die Richtlinie [3] behandelt die<br />
durch kommunales Abwasser verursachte<br />
Belastung durch Nährstoffe,<br />
Bakterien und Viren. Kommunale<br />
Abwässer, die extrem hohe<br />
Nährstofffrachten, insbesondere<br />
Phosphor und Stickstoff, in Flüsse<br />
und Seen einbringen, fördern das<br />
übermäßige Wachstum von Algen<br />
und anderen Formen von Wasserpflanzen.<br />
Dieser als „Eutrophierung“<br />
bekannte Vorgang führt seinerseits<br />
zur Verknappung von Sauerstoff<br />
und bedroht damit die<br />
Überlebensfähigkeit von Fischen,<br />
die Sauerstoff benötigen. Dies kann<br />
auch dazu führen, dass das Wasser<br />
nicht mehr als Trinkwasser geeignet<br />
ist. Die Einleitungen enthalten<br />
möglicherweise schädliche Bakterien<br />
und Viren und können damit<br />
auch die menschliche Gesundheit<br />
gefährden, wenn sie in Gewässer<br />
gelangen, die zum Baden oder zur<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
15
16<br />
Blickpunkt EU<br />
Schalentierzucht genutzt werden.<br />
Aufgrund der Richtlinie mussten in<br />
Städten und Ballungsgebieten innerhalb<br />
bestimmter Fristen Mindestanforderungen<br />
an die Abwassersammlung<br />
und -behandlung erfüllt<br />
werden. Diese Fristen richten<br />
sich nach der Anfälligkeit der Gewässer<br />
und der Größe des jeweiligen<br />
Siedlungsgebiets.<br />
Rechtslage<br />
Gemäß Artikel 226 EG-Vertrag ist<br />
die Kommission befugt, rechtliche<br />
Schritte gegen einen Mitgliedstaat<br />
zu unternehmen, der seinen Verpflichtungen<br />
nicht nachkommt.<br />
Wenn nach Auffassung der Kommission<br />
möglicherweise ein Verstoß<br />
gegen das EU-Recht vorliegt,<br />
der die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens<br />
rechtfertigt,<br />
richtet sie an den betreffenden Mitgliedstaat<br />
ein „Aufforderungsschreiben“<br />
(erste schriftliche Mahnung),<br />
in dem dieser ersucht wird,<br />
sich bis zu einem bestimmten Termin,<br />
in der Regel innerhalb von<br />
zwei Monaten, zu äußern.<br />
Je nachdem, wie sich der betreffende<br />
Mitgliedstaat in seiner Antwort<br />
äußert und ob er überhaupt antwortet,<br />
kann die Kommission beschließen,<br />
ihm eine „mit Gründen<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
versehene Stellungnahme“ (letzte schriftliche Mahnung) zu übermitteln, in<br />
der sie klar und eindeutig darlegt, weshalb ihrer Ansicht nach ein Verstoß<br />
gegen das EU-Recht vorliegt, und den Mitgliedstaat auffordert, seinen Verpflichtungen<br />
innerhalb eines bestimmten Zeitraums (in der Regel zwei Monate)<br />
nachzukommen.<br />
Kommt der Mitgliedstaat der mit Gründen versehenen Stellungnahme<br />
nicht nach, kann die Kommission beschließen, den Europäischen Gerichtshof<br />
anzurufen. Gelangt der Gerichtshof zu der Auffassung, dass eine Vertragsverletzung<br />
vorliegt, wird der säumige Mitgliedstaat aufgefordert, die<br />
notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seinen Verpflichtungen nachzukommen.<br />
Gemäß Artikel 228 EG-Vertrag ist die Kommission befugt, gegen einen Mitgliedstaat<br />
vorzugehen, der einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />
nicht nachkommt. Aufgrund dieses Artikels kann die Kommission den Gerichtshof<br />
auch ersuchen, gegen den betreffenden Mitgliedstaat eine Geldstrafe<br />
zu verhängen.<br />
© Europäische Gemeinschaften, 1998-<strong>2004</strong><br />
Literatur<br />
[1] Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.<br />
Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft<br />
im Bereich der Wasserpolitik.<br />
[2] Die Zweitbehandlung ermöglicht es, in der Regel durch ein Verfahren mit biologischer<br />
Reinigungsstufe, feste Schwebstoffe und gelöste Schadstoffe zu eliminieren.<br />
[3] Richtlinie 91/271/EWG des Rates über die Behandlung von kommunalem<br />
Abwasser.<br />
Kontakt<br />
Internet: www.europa.eu.int<br />
Weiterführung über Links
Steinbacher-CONSULT ist ein mittelständisches Ingenieurbüro mit<br />
Hauptniederlassung in Bayern. In den letzten 20 Jahren ist die Ingenieurgesellschaft<br />
unter der Führung von Dipl.-Ing. Stefan Steinbacher<br />
vom 5-Mann-Büro auf ein Unternehmen mit fast 200 Angestellten und<br />
mehreren nationalen und internationalen Niederlassungen gewachsen.<br />
Das fachliche Spektrum umfasst mittlerweile alle Aufgaben des allgemeinen<br />
Bauwesens sowie insbesondere der Siedlungswasserwirtschaft und des<br />
Wasserbaus.<br />
Mit der Öffnung Osteuropas Ende der 80er Jahre gründete Stefan Steinbacher<br />
schon sehr früh in Ostdeutschland und später auch in Ungarn, Rumnien<br />
sowie Polen eigenständige und gut funktionierende Niederlassungen.<br />
Die zunehmend nachlassende Nachfrage im Inland verstärkte die Bestrebungen,<br />
die Aktivitäten im Ausland zu intensivieren. Mittlerweile ist ein<br />
nicht unwesentlicher Teil der Belegschaft in die unterschiedlichsten Auslandsprojekte<br />
involviert. Hierzu gehören neben generellen Planungsaufgaben<br />
auch das gesamte Spektrum des Projektmanagements, die Erstellung<br />
von Machbarkeitsstudien sowie allgemeine Beratungsleistung und technische<br />
Assistenz.<br />
Mögliche Förderprogramme in EU-Beitrittsländern<br />
Vor dem Beitritt der „10 Neuen“ in die EU gab es in diesen Ländern praktisch<br />
keine nationalen öffentlichen Ausschreibungen. Vor allem internationale<br />
Entwicklungsbanken ermöglichten die Realisierung von Projekten<br />
durch hohe Finanzierungszuschüsse, welche zum Teil einen Förderanteil<br />
von 85 % hatten. In den ersten Jahren der Öffnung beteiligte sich die Weltbankgruppe,<br />
vor allem vertreten durch die IBRD und die IFC, an Projekten<br />
in diesen Ländern. Je näher der Beitrittstermin rückte, umso mehr zog sich<br />
die Weltbank zurück, da die Bedürftigkeit aus Sicht der Weltbank nicht<br />
mehr gegeben war. Bei allen Projekten war von Anfang an die Europäische<br />
Union, die vor allem über die beiden Programme PHARE und ISPA die Länder<br />
auf den Beitritt vorbereitete, beteiligt. Die notwendigen Co-Finanzierungen<br />
wurden und werden sichergestellt durch die Europäische Investitionsbank<br />
(EIB) und die European Bank for Reconstruction and Development<br />
(EBRD). Nach dem Aufbau der neuen Bundesländer beteiligte sich auch die<br />
Blickpunkt EU<br />
Erfahrungen in Rumänien<br />
Kanalisations- und allgemeine Abwasserprojekte<br />
in EU-Beitrittsländern<br />
deutsche Entwicklungsbank KfW<br />
an der Finanzierung von Projekten<br />
in diesen Ländern, vor allem im<br />
Umweltsektor.<br />
Mit dem Beitritt der 10 neuen EU-<br />
Mitgliedstaaten gelten in diesen<br />
Ländern dieselben Vorschriften und<br />
Regeln wie in den Alt-Mitgliedstaaten.<br />
Die Finanzierung läuft jetzt<br />
über den Kohäsionsfonds, der ähnliche<br />
Verfahren aufweist wie das<br />
ausgelaufene ISPA-Programm und<br />
die Strukturfonds. Die europäischen<br />
Länder, die schon in Beitrittsverhandlung<br />
stehen, aber erst zu<br />
einem späteren Zeitpunkt dem<br />
Staatenbund beitreten werden, erhalten<br />
weiterhin Fördergelder aus<br />
den Programmen ISPA und PHARE.<br />
Zu diesen Ländern gehören vor allem<br />
Rumänien, Bulgarien und<br />
Kroatien. Für die weiter im Osten<br />
gelegenen Staaten der ehemaligen<br />
Russischen Föderation, die Mittelmeeranrainer,<br />
die Staaten Ex-Jugoslawiens<br />
und Entwicklungsländer<br />
werden andere Förderprogramme<br />
und -instrumente bedient.<br />
Jede Entwicklungsbank hat eine eigene<br />
Richtlinie, was die Abwicklung<br />
von Projekten anbelangt. Die<br />
Bewerbungs- und Ausschreibungsverfahren<br />
sind komplex und erfordern<br />
eine gezielte Auseinandersetzung<br />
mit der Materie, um Formfeh-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
17
18<br />
Blickpunkt EU<br />
ler zu vermeiden, die zum Ausscheiden<br />
bei der Bewerbung führen.<br />
Vergabeverfahren<br />
Größere Aufträge werden generell<br />
ausgeschrieben und ab einem bestimmten<br />
Betrag mit einer vorlaufenden<br />
Prä-Qualifikation verbunden.<br />
In den meisten Fällen ist die<br />
Projektsprache Englisch. In den 10<br />
neuen Mitgliedstaaten wird ausschließlich<br />
in der Landessprache<br />
ausgeschrieben und angeboten, so<br />
dass die Einbindung von lokalen<br />
Partnern unumgänglich ist. Die Erstellung<br />
einer Prä-Qualifikation ist<br />
mit einem sehr hohen Arbeitsaufwand<br />
verbunden und führt in vielen<br />
Fällen nicht zum Erfolg.<br />
Für Steinbacher-CONSULT hat sich<br />
die Bewerbung bei EU-Projekten als<br />
zielführend herausgestellt. Über<br />
den beschriebenen Weg gelang es<br />
Ende 2003, einen großen Auftrag<br />
■ Abb. 1: Titelseite der Ausschreibung zur Modernisierung<br />
des Wasser- und Abwassersystems der Stadt Sibiu.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
in Rumänien im Konsortium mit einem großen niederländischen Büro sowie<br />
mit einem etablierten und renommierten Büro in Rumänien zu gewinnen<br />
(Abb. 1). Dieses Projekt ist aktuell in Bearbeitung. Die funktionierende<br />
Niederlassung in Rumänien mit einheimischem Fachpersonal war in diesem<br />
Fall für Steinbacher-CONSULT und das gesamte Konsortium der<br />
Schüssel zum Erfolg.<br />
Das Projekt SIBIU<br />
Die Stadt Sibiu (früher Hermannstadt) liegt an den Ausläufern der Karpaten<br />
im Zentrum von Rumänien (Abb. 2). Die Stadt mit einer Einwohnerzahl<br />
von ca. 170.000 zeigt eine stark steigende wirtschaftliche Entwicklung. Etliche<br />
internationale Investoren<br />
haben sich in<br />
den Gewerbegebieten<br />
der Stadt Sibiu bereits<br />
angesiedelt. Aufgrund<br />
der großen Dynamik<br />
bezüglich der Stadtentwicklung<br />
ist die Sanierung,<br />
die Überarbeitung<br />
und die teilweise<br />
Neuerstellung der Infrastrukturen<br />
im Bereich<br />
der Wasserversorgung,Abwasserableitung,Trinkwasserbehandlung<br />
und Abwas-<br />
■ Abb. 2: Das Zentrum von Sibiu.<br />
serbehandlungzwingend notwendig. Hierfür<br />
konnte ein Finanzierungsprogramm mit Unterstützung der Europäischen<br />
Union aufgelegt werden. Das Konsortium, welches aus der deutschen<br />
Ingenieurgesellschaft Steinbacher-CONSULT, dem niederländischen<br />
Ingenieurbüro Witteeven + Bos sowie dem rumänischen Ingenieurbüro Pro<br />
Wasser aus Timisoara gebildet wird, wurde in diesem Zusammenhang damit<br />
beauftragt, die technische Assistenz bei der Abwicklung der Gesamtmaßnahme<br />
zu übernehmen. Hierzu gehört die generelle Überprüfung der<br />
bereits vorliegenden Planungen, die Aktualisierung und Überarbeitung der<br />
Planungen, die Analyse der Netze im Bereich Abwasserentsorgung und<br />
Trinkwasserversorgung, die Überplanung der Trinkwasseraufbereitung sowie<br />
der Kläranlage Sibiu.<br />
Neben den reinen Ingenieurdienstleistungen muss im Zuge des Auftrags<br />
das gesamte technische Gerät für die anstehenden Aufgaben mit beschafft<br />
werden. Hierzu gehören im Wesentlichen ein Kanalreinigungsfahrzeug, ein<br />
Kanal-TV-Inspektionsfahrzeug, mehrere Gerätschaften für die Durchflussmessung<br />
im Abwasserbereich sowie in der Trinkwasserversorgung, Leckageortungssysteme<br />
sowie im Softwarebereich komplette Computerprogramme<br />
für hydraulische Berechnungen von Trinkwassernetzen und Abwassernetzen,<br />
sowie ein komplettes geographisches <strong>Information</strong>ssystem
mit den dazugehörigen Auskunftsarbeitsplätzen für die Dokumentation,<br />
Verwaltung und das generelle Management des Trinkwasser- und des<br />
Abwassernetzes. Die hierfür notwendige Hardware musste ebenfalls mit<br />
beschafft werden. 90 % des angeforderten Equipments wurden in<br />
Deutschland erworben und nach Rumänien exportiert. Alle Handbücher,<br />
Bedienungsanleitungen, Programme usw. mussten ins Rumänische übersetzt<br />
werden.<br />
Projektumfang<br />
1. Sanierung des Dumbrava-Trinkwasserwerks<br />
Im Zusammenhang mit der Sanierung des Dumbrava-Trinkwasserwerks<br />
müssen die Oxidationsbehälter, die Mischbehälter sowie die komplette<br />
Mess- und Steuertechnik neu gebaut werden. Zur Sanierung stehen die<br />
Absetzbecken, die Sandfilter, die Feinfilter sowie die Zweistromfilter und<br />
die Dosierstation inklusive der Schlammbehandlungsanlage an. Das Wasserwerk<br />
ist auf eine Größe von 900 Liter pro Sekunde, was einem Gesamtvolumen<br />
von 77.760 m 3 pro Tag entspricht, ausgelegt.<br />
2. Überwachung und Verbrauchsmessung des Trinkwassernetzes<br />
Aktuell ist die Verbrauchsmessung in der Stadt Sibiu äußerst lückenhaft.<br />
Aus diesem Grund müssen 7.000 private Wasserzähler<br />
eingebaut werden. Darüber hinaus müssen<br />
für die Druckerhöhungsanlagen 7 Wasserzähler<br />
und für die Drucküberwachung des Wassernetzes<br />
20 Stationen aufgebaut werden. Für die<br />
Überprüfung des Chlorgehalts sind 6 Messpunkte<br />
vorgesehen. Die Durchflussmessung im Wassernetz<br />
wird an 4 zentralen Stellen neu errichtet.<br />
Neben der Überwachung und den Verbrauchsmessungen<br />
müssen 4 Druckerhöhungsanlagen<br />
saniert werden.<br />
3. Sanierung und Erweiterung des Abwassernetzes<br />
Aktuell besteht das Abwassernetz der Stadt Sibiu<br />
überwiegend aus alten Betonkanälen bzw. Mauerwerksprofilen.<br />
Das gesamte Abwassernetz wird<br />
auf Basis von vorhandenen Bestandsplänen mit<br />
teilweise notwendigen Ergänzungen des Bestandes<br />
hydraulisch hydrodynamisch überrechnet.<br />
Hierfür kommt die Hydrauliksoftware des Ingenieurbüros<br />
Pecher aus Deutschland zum Einsatz.<br />
Insgesamt stehen für die dringendsten Neubaumaßnahmen<br />
13 km Regenwasserkanäle, 6 km Mischwasserkanäle sowie 6<br />
km Schmutzwasserkanäle an. 7,5 km Mischwasserkanäle sollen nach Möglichkeit<br />
grabenlos saniert werden. Aus hydraulischer Sicht müssen 21 km<br />
Mischwasserkanäle ausgetauscht werden. Um die Funktion des Abwassernetzes<br />
zu gewährleisten, ist die Sanierung von 3 vorhandenen Großpumpstationen<br />
durchzuführen.<br />
Blickpunkt EU<br />
4. Sanierung der Kläranlage<br />
Die vorhandene Kläranlage der<br />
Stadt Sibiu ist auf 140.000 Einwohnerwerte<br />
ausgelegt (Abb. 3). Der<br />
momentane Trockenwetterzufluss<br />
liegt bei 3.000 m 3 pro Stunde und<br />
der Regenwetterzufluss bei 4.500<br />
m 3 /Stunde. Um den hohen Fremdwasserzulauf<br />
in die Kläranlage einzudämmen,<br />
ist wie bereits angesprochen,<br />
zwingend eine Sanierung<br />
des Trinkwasser- sowie des<br />
Abwassernetzes notwendig. Auf<br />
der bestehenden Kläranlage muss<br />
die Rechenanlage, der Sand- und<br />
Fettfang sowie die Maschinen- und<br />
Elektrotechnik, die Mess- und Steuertechnik<br />
und das Kanalnetz innerhalb<br />
der Kläranlage neu gebaut<br />
werden. Zur Sanierung stehen die<br />
■ Abb. 3: Auf der bestehenden Kläranlage muss die Rechenanlage, der Sandund<br />
Fettfang sowie die Maschinen- und Elektrotechnik, die Mess- und Steuertechnik<br />
und das Kanalnetz innerhalb der Kläranlage neu gebaut werden. Zur Sanierung<br />
stehen die Vorklärbecken, die Belebungsbecken und die Nachklärbecken an.<br />
Vorklärbecken, die Belebungsbecken<br />
und die Nachklärbecken an.<br />
Wie bereits erwähnt, muss neben<br />
den reinen Ingenieurleistungen das<br />
komplette technische Equipment<br />
für das Projekt geliefert werden.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
19
20<br />
Blickpunkt EU<br />
■ Abb. 4: Teamstruktur des Konsortiums Projekt „SIBIU”.<br />
Des Weiteren muss für das Gesamtprojekt<br />
ein Promotionsplan erstellt<br />
werden, um die Bevölkerung in<br />
Sibiu über die anstehenden Maßnahmen<br />
umfassend aufzuklären.<br />
Ebenfalls muss die Rolle der EU bei<br />
diesem Projekt hervorgehoben<br />
werden.<br />
Das Konsortium hat dafür Sorge zu<br />
tragen, dass nach Abschluss des<br />
Projektes das technische Personal<br />
des Abwasser- und Wasserbetriebs<br />
in Sibiu in alle Einzelheiten eingearbeitet<br />
ist und das Projekt dann<br />
selbständig managen und fortführen<br />
kann. Hierzu gehört auch die<br />
komplette Umsetzung aller <strong>Information</strong>en<br />
zu den Ver- und Entsorgungsinfrastrukturen<br />
in einem geo-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
graphischen <strong>Information</strong>ssystem. Hier kommt abweichend zu der vorgeschlagenen<br />
Arc-View-/Arc-Info-Lösung der Firma ESRI das System MAGEL-<br />
LAN (Rumänische Version) der Geoinform AG, Würzburg, zum Einsatz.<br />
Personalstruktur des Konsortiums<br />
Im Zuge der Prä-Qualifikation muss bereits der gesamte Personaleinsatz<br />
des Konsortiums namentlich benannt werden. Die Gesamtverantwortung<br />
für das Projekt trägt der Teamleader mit seinem Stellvertreter. Unterstützt<br />
werden beide durch einen Assistenten.<br />
Das Projekt wird in vier wesentliche fachliche Blöcke unterteilt (Abb. 4).<br />
Diese teilen sich auf in den Bereich Kläranlage, Trinkwasseraufbereitung,<br />
Ver- und Entsorgungsnetze sowie allgemeine Managementunterstützung.<br />
Diese vier Blöcke werden ebenfalls durch so genannte Schlüsselexperten<br />
besetzt. Jedem Themenblock sind weitere Experten und Spezialisten zugeordnet.<br />
Speziell der Gruppenleiter mit seiner Vertretung sowie die Assistenz<br />
der Projektleitung und die Schlüsselexperten müssen schon im Zuge der<br />
Prä-Qualifikation namentlich benannt werden. Neben der namentlichen<br />
Nennung sind gewisse Grundqualifikationen notwendig. Hierzu gehören<br />
im Wesentlichen die nachgewiesene Sprachkompetenz, die Erfahrung mit
vergleichbaren Projekten sowie die Berufserfahrung von mindestens 15<br />
Jahren. Im Falle einer Auftragsvergabe dürfen die Schlüsselpositionen des<br />
Konsortiums personell nicht mehr verändert werden!<br />
Probleme bei der Projektumsetzung in EU-Beitrittsländern<br />
Sehr häufig werden schon in der Phase der Prä-Qualifikation sehr hohe Anforderungen<br />
an das zum Einsatz kommende Personal gestellt. Hierzu gehören<br />
– wie bereits erwähnt – die nachweislich geeignete Sprachkompetenz<br />
sowie Berufserfahrung, die im Durchschnitt bei 15 Jahren liegen sollte. Je<br />
nach Anzahl der zum Einsatz kommenden Experten können hier bei kleineren<br />
und mittleren Ingenieurbüros bereits Engpässe bei anderen Projekten<br />
auftreten.<br />
Des Weiteren sind sehr viele vertragliche Regelungen zu beachten. Die<br />
kleinste Abweichung von den vorgeschriebenen Regularien kann zum Ausschluss<br />
der Bewerbung führen. Auch bestehen oft Sprachbarrieren zwischen<br />
den nationalen und internationalen Expertenteams, wodurch es<br />
häufig zu Missverständnissen kommt.<br />
Alle Beschreibungen und Handbücher der zu liefernden Maschinen, wie etwa<br />
dem Kanalreinigungsfahrzeug oder dem Kanalinspektionsfahrzeug, mussten<br />
in die rumänische Sprache übersetzt werden. Das Gleiche traf auf alle<br />
zum Einsatz kommenden Softwareprodukte, wie z. B. das geographische<br />
<strong>Information</strong>ssystem MAGELLAN, zu. Hierfür entstehen nicht unerhebliche<br />
Kosten.<br />
Des Weiteren muss jede ausgewählte Gerätschaft vom Auftraggeber<br />
schriftlich genehmigt werden. Das Konsortium hat dafür Sorge zu tragen,<br />
dass das technische Personal vor Ort in alle Maschinen und Fahrzeuge sowie<br />
Messgeräte umfassend und korrekt eingewiesen wird. Alle Schulungen<br />
mussten und müssen in rumänischer Sprache stattfinden. Aus diesem<br />
Grund war es auch unerlässlich, einen internationalen Fachmann mit Englisch-,<br />
Rumänisch- und Deutschkenntnissen einzusetzen.<br />
Speziell der Einsatz eines geographischen <strong>Information</strong>ssystems für die abschließende<br />
Dokumentation der Ver- und Entsorgungsnetze stellt bei solchen<br />
Projekten ein Novum dar. Der Abwasser- und Wasserbetrieb vor Ort<br />
muss in die Lage versetzt werden, selbsttätig seine Daten mit Hilfe des geographischen<br />
<strong>Information</strong>ssystems fortzuführen und auszuwerten. Hier<br />
muss eine einfach zu bedienende und für die Anwendung ausreichende<br />
Softwarelösung kreiert werden.<br />
Mit hoher Sensibilität muss auf die unterschiedlichen kulturellen Eigenarten<br />
der nationalen Experten und Auftraggeber eingegangen werden.<br />
Ebenfalls müssen die unterschiedlichen Arbeitsweisen akzeptiert werden.<br />
Eine Nichtbeachtung der landestypischen Gepflogenheiten kann schnell zu<br />
Spannungen führen.<br />
Schlussbemerkung<br />
Grundsätzlich ist das Engagement von mittelständischen Ingenieurbüros<br />
bei Auslandsprojekten und insbesondere bei EU-Projekten mit hohen Anfangsinvestitionen<br />
verbunden. Zum einen müssen die sehr aufwändigen<br />
Prä-Qualifikationsleistungen erbracht<br />
werden. Bis sich erste Erfolge<br />
bzw. konkrete Aufträge einstellen,<br />
kann mit einer Vorlaufzeit von<br />
bis zu 10 Jahren gerechnet werden.<br />
Zum andern muss die Belegschaft<br />
darauf trainiert werden, sich regelmäßig<br />
in Auslandsprojekte einzubringen.<br />
Dabei muss beachtet werden,<br />
dass inländische Stammkunden<br />
nicht vernachlässigt werden<br />
und auch die nationalen Projekte<br />
weiterhin qualifiziert und termingerecht<br />
abgewickelt werden.<br />
Mangelnde Sprachkompetenz des<br />
hauseigenen Personals ist nach wie<br />
vor eines der größten Probleme bezüglich<br />
der Abwicklung solcher<br />
Projekte. Im Gegensatz zu anderen<br />
europäischen Ländern, wie etwa<br />
den Niederlanden oder Norwegen,<br />
ist das sichere Beherrschen von<br />
Fremdsprachen bei deutschen Ingenieuren<br />
nach wie vor keine<br />
Selbstverständlichkeit. Hier muss<br />
auch von Seiten der Geschäftsführung<br />
früh genug gegengesteuert<br />
werden.<br />
Kontakt<br />
Blickpunkt EU<br />
Dipl.-Ing. Andreas Landau<br />
Steinbacher-CONSULT<br />
Niederlassung Wertingen<br />
Alemannenstraße 19 a<br />
86637 Wertingen<br />
Tel.: 08272/99 56-0<br />
Fax: 08272/99 56-99<br />
E-Mail:<br />
andreas.landau@steinbacher-consult.com<br />
Internet: www.steinbacher-consult.com<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
21
22<br />
Regelwerknews<br />
Normung – Überarbeitung/Überprüfung/Neuerscheinung<br />
„Wahrnehmung“ und Standpunkt des FVST<br />
Normung ist ein unverzichtbares<br />
Hilfsmittel zur Herstellung<br />
und Verwirklichung<br />
von Bauaufgaben. Sie soll<br />
die Verständigung fördern, soll für<br />
genügende Sicherheit der Bauwerke<br />
sorgen, soll Qualitätsmaßstäbe<br />
setzen und die Gebrauchsfähigkeit<br />
regeln. Normung sorgt für einheitlich<br />
rechtliche und kaufmännische<br />
Grundlagen und regelt insbesondere<br />
deren Abwicklung. Als Beispiel<br />
sei hier auf das deutsche Vergaberecht<br />
mit der VOB als Norm hingewiesen,<br />
die für Planung und Bau<br />
unverzichtbar ist. Normung dient<br />
einer sinnvollen Ordnung und der<br />
<strong>Information</strong> auf dem jeweiligen<br />
Gebiet, schafft Klarheit zwischen<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
„Lieferanten“ und „Kunden“, erleichtert Konstruktion, Fertigung und Instandhaltung<br />
und dient zur Verständigung in Wissenschaft und Technik.<br />
Normung kann und darf nicht die Kreativität und Eigenverantwortlichkeit<br />
von Planern, Unternehmern oder Herstellern von Bauteilen ersetzen oder<br />
diese einschränken.<br />
Normung ist folglich lebendig und interessant, verbindend und nützlich,<br />
klärend und eindeutig und nicht gegenteilig. Wenn Normung als Begriff<br />
negativ beurteilt wird, dann sicherlich in Unkenntnis der Möglichkeiten,<br />
die in technischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Hinsicht gegeben<br />
sind. Die Selbstverständlichkeit, mit der heute viele Dinge des täglichen<br />
Lebens be- und genutzt werden, wird in vielfältiger Weise durch technische<br />
Regeln zur Herstellung, Anwendung und Sicherheit unterstützt und getragen.<br />
Umso mehr muss Normung ihren Platz im Leitungsbau, respektive im<br />
Kanalbau haben, wo die Bauwerke unterirdisch sind und Aufgaben zur so<br />
genannten Volksgesundheit übernehmen.<br />
Der <strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V. nimmt die vielfältigen Aufgaben<br />
der Normung sowohl in nationalen wie auch in internationalen Gremien<br />
wahr, um Erfahrungen und Fachwissen einzubringen und um national<br />
etablierte Regelungen in europäischen Regelwerken einzugliedern.<br />
■ Normung ist die planmäßige, durch die interessierten Kreise gemeinschaftlich durchgeführte Vereinheitlichung von materiellen<br />
und immateriellen Gegenständen zum Nutzen der Allgemeinheit. DIN 820 Teil 3
DIN EN 1295<br />
Statische Berechnung von Abwasserkanälen<br />
Statische Berechnungen dürfen nicht zum Anhängsel der Planung werden.<br />
Sie müssen die reale Bauausführung erfassen und sind unverzichtbarer Teil<br />
der Planung. Die Randbedingungen zur Berechnung sind während und<br />
nach der Bauausführung zu kontrollieren. Boden-kennwerte sind Abnahmekriterien.<br />
Das europäische Normungsvorhaben DIN EN 1295 „Statische Berechnung<br />
von erdverlegten Rohrleitungen unter verschiedenen Belastungsbedingungen“<br />
konnte nicht mit einem Berechnungsverfahren<br />
beendet werden.<br />
Teil 1 der DIN EN 1295 ist veröffentlicht (September 1997). Er legt „Allgemeine<br />
Anforderungen“ fest und enthält in einem informativen Anhang<br />
die national eingeführten Verfahren zur statischen Berechnung. Für<br />
Deutschland sind damit auf dieser Grundlage die ATV-DVWK-Arbeitsblätter<br />
A 127 und A 161 in einer europäischen Norm enthalten.<br />
Das Bearbeitungsziel, ein Berechungsverfahren für alle Bauteile zu erarbeiten,<br />
wurde nicht erreicht. Die Vorhabensbeschreibung wurde auf Beschluss<br />
des CEN TC 165 im November 2003 mit dem Ziel abgeändert, in <strong>2004</strong> die<br />
vorhandenen Arbeitsergebnisse in einem „Technischen Bericht“ (TR) zu<br />
veröffentlichen.<br />
Einhergehend mit diesen Entscheidungen wurde das „Standstill“ aufgehoben.<br />
Normungsvorhaben zur statischen Berechnung von Abwasserkanälen<br />
können damit national bearbeitet werden.<br />
Die vorliegenden ATV-DVWK-Arbeitsblätter A 127 und A 161 zur statischen<br />
Berechnung von Abwasserkanälen in der offenen und geschlossenen Bauweise<br />
bleiben weiterhin in Deutschland gültig. ATV-DVWK-Arbeitsblatt<br />
A 127 (Ausgabe August 2000) beinhaltet das Berechnungsverfahren für<br />
Vollwandquerschnitte bei Abwasserkanälen. Für profilierte Rohre wird derzeit<br />
immer noch auf ein zu erarbeitendes Merkblatt verwiesen.<br />
Das aus dem Jahre 1990 vorliegende ATV-DVWK-Arbeitsblatt A 161 „Statische<br />
Berechnung von Vortriebsrohren“ wird derzeit überarbeitet.<br />
Dies erfolgt in Abstimmung mit den ebenfalls in Überarbeitung befindlichen<br />
technischen Regeln zum Rohrvortrieb (ATV-DVWK-Arbeitsblatt A 125).<br />
DIN EN 1610<br />
Überprüfung auf Aktualität<br />
Die Norm mit dem Titel „Verlegung und Prüfung von Abwasserleitungen<br />
und -kanälen“ wurde im Oktober 1997 als DIN EN in Deutschland<br />
veröffentlicht. Entsprechend den CEN-Regeln wurde es in 2002 erforderlich,<br />
fünf Jahre nach der Erstveröffentlichung, die Norm zu überprüfen.<br />
Es galt dabei festzustellen, ob sie<br />
● für weitere 5 Jahre ohne Veränderung bestätigt werden kann<br />
● zu überarbeiten ist und welche Gründe hierfür gegeben sind<br />
● zurückzuziehen ist und mit welcher Begründung<br />
Die von CEN vorgegebene Frist von 5 Jahren stellt zunächst eine vergleichsweise<br />
lange Zeitspanne dar, Erfahrungen in der Anwendung neuer<br />
Regelwerknews<br />
Normen zu sammeln. In der Praxis<br />
ihrer Umsetzung in Europa und<br />
dem damit verbundenen Sammeln<br />
von Erfahrungen, handelt es sich<br />
jedoch um relativ kurze Zeiträume.<br />
Gründe hierfür liegen u.a. in der<br />
Projektlaufzeit von Bauvorhaben<br />
bis zur Bauabnahme sowie in der<br />
individuellen Handhabung von<br />
Übergangsfristen. Zudem sind gerade<br />
beim Bau von Abwasserkanälen<br />
in der Regel lange Erfahrungszeiträume<br />
zur Beurteilung unabdingbar.<br />
Vor diesem Hintergrund<br />
und dem Ergebnis der Umfrage<br />
durch das CEN bei seinen Mitgliedern<br />
wurde dann vom CEN TC 165<br />
„Abwassertechnik“ beschlossen,<br />
die DIN EN 1610 weitere 2 Jahre<br />
ohne Veränderungen beizubehalten.<br />
Der nächste Zeitpunkt zur<br />
Überprüfung ist dann folglich in<br />
diesem Jahr. Die nationalen Spiegelgremien<br />
haben ihre Arbeit bereits<br />
begonnen, so dass in 2005<br />
mit dem konkreten Beginn der europäischen<br />
Bearbeitung zu rechnen<br />
ist.<br />
Nationale Ergänzungen<br />
Nationale Ergänzungen können<br />
selbstverständlich offene und nicht<br />
geregelte Themen aufgreifen. Sie<br />
dürfen allerdings nicht im Widerspruch<br />
zu den geltenden europäischen<br />
technischen Regeln stehen.<br />
Im Falle des ATV-DVWK-Arbeitsblattes<br />
A 139 „Einbau und Prüfung<br />
von Abwasserleitungen<br />
und -kanälen“ (Ausgabe Juni<br />
2001) erfolgte dies u.a. zu:<br />
● Randbedingungen zur statischen<br />
Berechnung nach ATV-<br />
DVWK A 127<br />
● Weitergehenden Angaben zur<br />
Leitungszone, einschließlich der<br />
Rohrbettung und dem Rohrauflager<br />
● Anschlüssen<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
23
24<br />
Regelwerknews<br />
● Prüfungen nach dem Einbau<br />
zur Bodenverdichtung<br />
● Prüfungen der Dichtheit mit<br />
Wasser- und Luftüberdruck sowie<br />
Luftunterdruck<br />
● Prüfungen der Rohrverformung<br />
Die gleichzeitige Gültigkeit der beiden<br />
technischen Regelwerke muss<br />
als Grundlage von Planung und<br />
Bau vereinbart werden.<br />
Aus der Sicht des FVST können die<br />
im ATV-DVWK-Arbeitsblatt A 139<br />
vorgenommenen Ergänzungen mit<br />
die Grundlage für eine inhaltliche<br />
Überarbeitung der DIN EN 1610<br />
bilden. Der FVST sieht dringenden<br />
Handlungsbedarf in jedem Fall dahingehend,<br />
dass die Schnittstellen<br />
zum Übergang der Verantwortlichkeiten<br />
im Regelwerk definiert werden<br />
müssen. Ebenso sieht er es als<br />
unbedingt erforderlich an, die häufig<br />
festzustellenden Überschneidungen<br />
von Planung und Bauausführung<br />
sowie die Verlagerung von<br />
Planungsaufgaben in die Bauausführung<br />
über klärende Regelungen<br />
festzuschreiben!<br />
DIN EN 14457<br />
Im September <strong>2004</strong> erschienen<br />
Mit dieser neuen technischen Regel<br />
werden erstmalig europäisch geltende<br />
„Allgemeine Anforderungen<br />
an Bauteile, die bei grabenlosem<br />
Einbau von Abwasserleitungen und<br />
-kanälen verwendet werden“ veröffentlicht.<br />
Diese gelten dann für<br />
Bauprodukte, die in keiner eigenständigen<br />
Produktnorm behandelt<br />
werden. Das DIN veröffentlichte<br />
die deutsche Fassung als DIN EN<br />
14457 mit Ausgabedatum September<br />
<strong>2004</strong>.<br />
Die Norm wurde in der Arbeitsgruppe<br />
WG 1 TG6 im CEN TC 165<br />
„Abwassertechnik“ und im deutschen<br />
Spiegelgremium im Arbeits-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
ausschuss NAW V 9 beim Normenausschuss Wasserwesen bearbeitet. Die<br />
Arbeit wurde inhaltlich mit der derzeit laufenden Überarbeitung des ATV-<br />
DVWK-Arbeitsblattes A 125 „Rohrvortrieb“ abgestimmt.<br />
Die Leitung der CEN Arbeitsgruppe WG 1 TG6 lag in der Verantwortung<br />
von Dipl.-Ing. K.-H. Flick (FVST).<br />
Im Falle der Steinzeug-Vortriebsrohre gilt weiterhin die DIN EN 295, Teil<br />
7. Die dort enthaltenen technischen Regelungen stehen nicht im Widerspruch<br />
zu DIN EN 14457.<br />
Aktive Mitarbeit ist gefragt<br />
Der Wettbewerb zwischen nationalen und europäischen Normen wird weiter<br />
evident bleiben. Damit das Normungs-Niveau nicht verwässert und<br />
bewährte und etablierte Regelungen auch Aufnahme in das europäische<br />
Regelwerk erfahren, ist die aktive Mitarbeit durch nationale Spiegelgremien<br />
unverzichtbar. Die inhaltliche Bearbeitung europäischer Regeln mit<br />
der Festlegung von Anforderungen und Schutzzielen führt nicht zum Verzicht<br />
nationaler Bestimmungen.<br />
Es ist ein wenig aufwändiger Akt, Normen als unnötige bzw. unbrauchbare<br />
Regelungen abzutun, sie als praxisfern zu verfemen oder sie als von der Industrie<br />
und von Firmen gesteuert zu bezeichnen. Deutlich aufwändiger,<br />
aber wesentlich effizienter und für die Allgemeinheit von wirklicher Bedeutung,<br />
ist die aktive Mitarbeit in Gremien zur Erarbeitung technischer<br />
Regeln für die Abwassertechnik. Dies gilt für Anwendungs- und Produktnormen<br />
gleichermaßen. Und hier sind vor allem die Kommunen gefragt,<br />
die als Betreiber der Netze auf eine gute und nachhaltige Abwasserentsorgung<br />
angewiesen sind. Von besonderem Interesse wird in naher Zukunft<br />
die Einführung europäisch harmonisierter Normen für Bauteile mit den<br />
parallel vorhandenen freiwilligen Normen sein.<br />
Kontakt<br />
Bau-Ass. Dipl.-Ing. Karl-Heinz Flick<br />
<strong>Fachverband</strong> <strong>Steinzeugindustrie</strong> e.V.<br />
Max-Planck-Straße 6<br />
50858 Köln<br />
Tel.: 02234/507-271<br />
Fax: 02234/507-204<br />
E-Mail: fachverband@steinzeug.com<br />
Internet: www.steinzeug.com
Bis heute werden Steinzeugrohre immer wieder noch als Tonrohre bezeichnet.<br />
Tonrohre sind jedoch – im Gegensatz zu Steinzeugrohren,<br />
„keramisch“ nicht zu definieren. In der Keramik unterscheidet man<br />
zwischen porösem und dichtem Werkstoff. Steinzeug steht – wie auch Porzellan<br />
– für einen dichten Werkstoff, im Gegensatz zu Steingut und Ziegel,<br />
die als poröse Werkstoffe definiert sind.<br />
Steinzeug ist ein nichtmetallischer, anorganischer Werkstoff, der – je nach<br />
seiner chemischen Zusammensetzung und Brand – zwischen 55 % und<br />
77 % Glas enthält (Tab. 1). Durch eine Temperaturbehandlung von mehr als<br />
800 ºC erhält er seine typischen Eigenschaften.<br />
Mullit 23 % (3Al 2 O 3 · 2SiO 2 )<br />
Cristobalit 1 % SiO 2<br />
Quarz 19 % SiO 2<br />
amorphes Glas 57 % SiO 2<br />
■ Tabelle 1: Beispiel einer Mineralanalyse von Steinzeug.<br />
25,0 % Al 2 O 3<br />
3,5 % Fe 2 O 3<br />
6,0 % Flussmittel (Summe aus Alkalien und Erdalkalien)<br />
65,5 % SiO 2 , nach Feldspat das häufigste Mineral<br />
■ Tabelle 2: Chemische Analyse von Steinzeug.<br />
Mullit 26 %<br />
Cristobalit 4 %<br />
Quarz 14 %<br />
amorphes Glas 56 %<br />
■ Tabelle 3: Mineralanalyse eines Steinzeugrohrs aus dem Jahre 1901.<br />
Warum enthält Steinzeug so viel Glas?<br />
Nimmt man eine chemische Analyse zur Hilfe, so ist dies leicht zu erklären<br />
(Tab. 2). Die 65,5 % SiO 2 = Quarz werden mit Hilfe der Flussmittel beim<br />
Forschung + Technik<br />
Bewährt seit Jahrhunderten<br />
Steinzeug – Material und Bauteil<br />
Brand zum großen Teil in Glas umgewandelt.<br />
Ist die mineralogische<br />
Phasenzusammensetzung, die sich<br />
aus den Rohstoffen und durch den<br />
Brand ergibt, erst einmal abgeschlossen,<br />
bleibt sie für immer unverändert<br />
(Tab. 3).<br />
Hierin liegt die gleichbleibende,<br />
gute chemische Beständigkeit und<br />
Dauerhaftigkeit des Werkstoffes<br />
Steinzeug über einen 100-jährigen<br />
Zeitraum und mehr begründet. Die<br />
Menge des Mullits kann in Abhängigkeit<br />
von der Menge an Al 2 O 3<br />
und der Höhe der Brenntemperatur<br />
variieren. Obwohl der Phasenbestand<br />
von altem Steinzeug und<br />
dem derzeitigen Steinzeug ähnlich<br />
ist, war er früher eher ein Zufallsprodukt.<br />
Der Phasenbestand hat<br />
sich beim Brand in den Kammeröfen<br />
eben ergeben, ohne dass man<br />
genaue Kenntnisse über die chemische<br />
Zusammensetzung, die Mineralogie<br />
oder auch über das thermische<br />
Verhalten besaß. Auch war<br />
der Phasenbestand des Werkstoffes<br />
je nach Standort im Kammerofen<br />
immer etwas unterschiedlich, woraus<br />
sich früher eine größere<br />
Schwankungsbreite im Phasenbestand<br />
ergab als heute.<br />
Durch genaueste Untersuchungsmethoden,<br />
die Aufschluss über die<br />
verschiedensten Eigenschaften der<br />
Mineralien, wie z.B. Illit, Kaolinit<br />
und Montmorillonit, geben, sowie<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
25
26<br />
Forschung + Technik<br />
über die Verträglichkeit der Tone<br />
mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften<br />
untereinander und mit<br />
der verbesserten Temperatursteuerung<br />
im Tunnelofen, ist der Phasenbestand<br />
heute steuer- und reproduzierbar<br />
geworden.<br />
Die Entwicklung des Werkstoffes<br />
Steinzeug ist eine stetige: Es wird<br />
permanent versucht, dickere<br />
Wandstärken und höhere Festigkeiten<br />
zu erzielen.<br />
Große Wandstärke, hohe<br />
Festigkeit<br />
Wie wird eine größere Wandstärke<br />
und eine höherer Festigkeit heute<br />
erreicht? Früher wurden zur Rohrherstellung<br />
nur ein bis zwei Tone<br />
aus der Nähe des Werkes verarbeitet.<br />
Heute werden bis zu 13 verschiedene<br />
Tone aus mehreren<br />
Lokalitäten mit unterschiedlichen<br />
Eigenschaften verwendet.<br />
Einige der geforderten Eigenschaften<br />
sind z.B.:<br />
● hohe Trockenbruchfestigkeit<br />
● hohe Brennbruchfestigkeit<br />
● geringe Ausdehnungen beim<br />
Brand<br />
● geringe organische Bestandteile<br />
● wenig Verunreinigungen<br />
● geringe Mengen an grobem Quarz<br />
Eigenschaften von<br />
Steinzeug<br />
Steinzeug ist chemisch beständig,<br />
außer gegenüber Flusssäure. Steinzeug<br />
ist weder durch Druck noch<br />
durch Temperatur rückverformbar.<br />
Steinzeug hat eine gute mechanische<br />
Festigkeit und Härte.<br />
Kontrolle der Rohstoffe<br />
Die Kontrolle der Tone beginnt bereits<br />
in der Tongrube. Nach dem<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Abbau werden die erforderlichen Eigenschaften im Labor mit den derzeit<br />
modernsten Geräten detailliert untersucht, etwa:<br />
● mit dem Sedigraphen: die Bestimmung der Kornverteilung<br />
● mit dem Dilatometer: die Bestimmung der Ausdehnung beim Temperaturanstieg<br />
● mit der Differentialthermoanalyse: die Bestimmung der exothermen<br />
und endothermen Effekte<br />
● mit dem Röntgenspektrometer: die Bestimmung der chemischen<br />
Bestandteile (Wellenlängendispersiv)<br />
● mit dem Röntgendiffraktometer: die Bestimmung des Phasenbestandes<br />
(Abb. 1)<br />
■ Abb. 1: Gemischanalyse zur Bestimmung des Phasenbestandes mit dem<br />
Röntgendiffraktometer.<br />
Die moderne Rohrherstellung<br />
Wenn auch heute noch Steinzeugrohre für Abwasserkanäle hergestellt<br />
werden, so liegt das vor allem an der ungebrochen hohen Akzeptanz des<br />
keramischen Werkstoffes zum einen, jedoch auch an den vielfältigen<br />
Verbesserungen der Rohre in den vergangenen Jahrzehnten.<br />
Gab es bis vor ca. 20 Jahren 1. und 2. Qualität und eine so genannte Lagerware,<br />
so ist die Qualität bei den heutigen Rohren und bei Formzeugen<br />
gleich – dokumentiert und kontrolliert laut DIN EN ISO 9001. Vielfältige<br />
Verpflichtungen, wie Produkthaftung und Gewährleistungsfristen, verbieten<br />
eine Teilung der Qualitäten in verschiedene Kategorien.<br />
Heute gilt es, während des gesamten Herstellungsprozesses hochwertige<br />
Qualitätskontrollen durchzuführen. Zufällig erreichte Eigenschaften im positiven<br />
wie im negativen Sinne werden konsequent ausgeschlossen – wichtig<br />
ist hier die klare Reproduzierbarkeit aller Prozesse bei der Herstellung<br />
der Steinzeugrohre. Das ist und bleibt die Lösung für die kontinuierliche<br />
Verbesserung der Produkte und deren Qualität.
Aufbereitung<br />
Im Allgemeinen spricht man bei der Aufbereitung vom Zerkleinern,<br />
Mischen und Homogenisieren der Rohstoffe. Beim Zerkleinern wird in der<br />
Keramik die Ton- und Hartstoffzerkleinerung unterschieden.<br />
Zerkleinern<br />
Das Zerkleinern von Ton für die Herstellung von Steinzeugrohren erfolgt<br />
heute durch Kollergänge und Differenzialwalzwerke, die wiederum in Form<br />
des eingestellten Walzenspaltes ständig leistungsstärker wurden. Der<br />
kleinstmögliche Walzenspalt liegt hier im Bereich von 0,4 mm. Für die<br />
Qualität bedeutet dies eine geringste Korngröße möglicher Fremdstoffe/körper<br />
(Pyrit, Kalk u.a.), die ursächlich in der Entstehungsgeschichte<br />
der Tone liegen. Zu große Einschlüsse schwächen bzw. zerstören das<br />
Gefüge im späteren Dichtbrand.<br />
Möglichkeiten zum weiteren Verringern von Fremdstoffen liegen im Abschlämmen<br />
von Tonen und der Trockenaufbereitung, die jedoch in der<br />
Grobkeramik aus Kostengründen keine Anwendung finden.<br />
Das Zerkleinern der Hartstoffe wurde vor mehr als 50 Jahren mit nur einem<br />
Aggregat, meist mit einer Prallmühle durchgeführt. Heute wird das Zerkleinern<br />
entweder mit einer zwei- oder dreistufigen Mahlanlage realisiert. Stufe<br />
eins ist fast überall ein Backenbrecher, Stufe zwei ein Kegelbrecher. Die<br />
dritte Stufe stellt in den meisten Fällen eine Ringwalzenmühle dar, in den<br />
seltensten Fällen auch eine Siebkugelmühle.<br />
Als Hartstoffe dienen der Eigenbruch sowie zum Gefüge passende Fremdkeramikbrüche.<br />
Der neueste Weg des Einsatzes von Hartstoffen liegt in der<br />
Verwendung von Rohstoffen aus der Baustoffindustrie. Hiermit kann der<br />
Hartstoff bis zu 100 % ersetzt werden, womit das Zerkleinern entfällt.<br />
Mischen und Homogenisieren<br />
Mischen bedeutet das Vermengen der drei Hauptbestandteile: Tonversatz,<br />
Hartstoffe und Anmachwasser. Das Mischen und Homogenisieren hat nur<br />
dann den größten Nutzen, wenn dieser Prozess konstant durchgeführt<br />
wird. Im kontinuierlichen Prozess wird hier der Doppelwellentrogmischer<br />
verwendet, wobei die Zugabe der Komponenten gravimetrisch über Bandwaagen<br />
erfolgt. Dieser Prozess läuft heute rechnergestützt, meist vollautomatisch.<br />
Durch den Einsatz leistungsfähiger Steuerungen ist auch die Zugabe<br />
verschiedener bzw. mehrerer Körnungen unterschiedlicher Mengen<br />
konstant realisierbar.<br />
Beim Einsatz von Stäuben werden heute diskontinuierliche Mischer, so genannte<br />
Chargenmischer, eingesetzt. Der Vorteil gegenüber kontinuierlichen<br />
Mischern liegt in der Möglichkeit der theoretisch unbegrenzten Dauer<br />
des Mischvorganges. Erst wenn alle Komponenten optimal vermischt<br />
sind, wird der Vorgang beendet, d.h., die Verweildauer des Mischgutes ist<br />
nicht Aggregat-abhängig, sondern nur zeitabhängig.<br />
Wurde noch vor ca. 30 Jahren nach dem Mischen abgebrochen und die<br />
Masse direkt verpresst, schließt sich nunmehr ein Homogenisierungsprozess<br />
an. Homogenisieren bedeutet eine größtmögliche Vereinheitlichung<br />
der keramischen Masse in ihrer Zusammensetzung und Eigenschaft. Somit<br />
kann das Homogenisieren bereits bei der Lagerung der Tone erfolgen,<br />
Forschung + Technik<br />
indem man zu mischende Tone bereits<br />
mit der Anlieferung schichtweise<br />
einlagert. Im Allgemeinen<br />
spricht man aber erst bei der Nachbehandlung<br />
fertig gemischter Massen<br />
von Homogenisierung. Dazu<br />
wird die Masse durch einen oder<br />
auch mehrere Siebrundbeschicker<br />
gepresst. Dieses Aggregat kann<br />
sich entweder direkt an das Mischaggregat<br />
anschließen, wird aber<br />
auch unmittelbar vor der Formgebungsmaschine<br />
eingesetzt.<br />
Formgebung<br />
Auch die Formgebung von Steinzeugrohren<br />
hat eine große Entwicklung<br />
in den letzten 50 bis 100<br />
Jahren erfahren. Wurden am Anfang<br />
des letzten Jahrhunderts noch<br />
Kolbenpressen genutzt, die eine<br />
maximale Baulänge von 1.000 mm<br />
zuließen, werden heute Vakuumstrangpressen<br />
für die Herstellung<br />
von Rohren mit 2.500 mm Baulänge<br />
der Dimensionen DN 200 bis<br />
800 genutzt.<br />
Das notwendige Evakuieren der<br />
Masse hat immer mehr an Bedeutung<br />
gewonnen. Die Trocknungsund<br />
Brennzeiten werden immer<br />
kürzer (siehe auch Kap. Trocknen<br />
und Brennen). In Verbindung mit<br />
der Automation der nachfolgenden<br />
Fertigungsprozesse wäre die Technik<br />
nicht mehr in der Lage, diesen<br />
(bis vor einigen Jahren) typischen<br />
Pressfehler zu kompensieren, denn<br />
ein Lufteinschluss unter der Presshaut<br />
führt beim Erwärmen zur Volumenvergrößerung<br />
und früher<br />
oder später zum Aufplatzen der<br />
Scherben. Eine 100 %-ige Einhaltung<br />
des Vakuums im Vakuumkessel<br />
der Presse garantiert heute einen<br />
weitgehend ruhigen Verlauf<br />
des Brenn- und Trocknungsprozesses.<br />
Nur so lassen sich die nachfolgenden<br />
Prozesse optimieren. Vaku-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
27
28<br />
Forschung + Technik<br />
Trocknungszeit [h]<br />
■ Abb. 2: Entwicklung der Trocknungszeiten von 1900 bis heute am Beispiel DN 200.<br />
um ist nur ein Parameter, der für eine<br />
hohe Qualität der Steinzeugrohre<br />
sorgt.<br />
Die optimale Drehzahl der Presse<br />
entsprechend der Scherbenwandstärke<br />
und Dimension und der<br />
gleichmäßige Verschleiß des Innenlebens<br />
der Presse sind weitere wesentliche<br />
Parameter. Die Vernachlässigung<br />
beider Parameter führt zu<br />
unerwünschten Texturen (Textur<br />
ist die Verwirbelung von Tonteilchen<br />
in Scherben und führt zur<br />
Schwächung der Scherben).<br />
Neben den Rohren existiert ein<br />
umfangreiches Programm an<br />
Formzeugen. Vor allem in den<br />
stückzahlstarken Dimensionen gab<br />
es wesentliche Fortschritte. Mit<br />
dem Einsatz von Abzweigpressen<br />
ab ca. 1980 konnten die Garnierstellen<br />
– meist Ursache für Undichtigkeiten<br />
und Risse – während des<br />
Trocken- und Brennprozesses abgeschafft<br />
werden. Heute sind alle<br />
gängigen Abzweige maschinengefertigt,<br />
von DN 150 bis 800.<br />
Trocknen<br />
Das Trocknen der Rohre und Formzeuge<br />
erfolgt heute vorwiegend in<br />
der Kanalauftriebstrocknung oder<br />
in der Umlufttrocknung. Neben<br />
den Trocknungszeiten (Abb. 2)<br />
wurde vor allem, dank immer bes-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
serer Handlingsautomaten, die Baulänge<br />
der Bauteile vergrößert. Es erscheint<br />
sicher, dass die derzeitige Baulänge<br />
von 2,5 m nicht das Ende sein<br />
muss.<br />
Generell werden die Rohre im Stehen<br />
getrocknet. Was vor Jahren als nicht<br />
möglich galt (2,5 m der Dimension<br />
200 H mit den bis dato laut Werknorm<br />
295/1 festgelegten Toleranzgrenzen),<br />
wird heute tagtäglich realisiert. Allerdings<br />
die Grenzen des „Stehend-<br />
Trocknens“ sind erreicht.<br />
Eine weitere Verbesserung von Toleranzen<br />
und Produktionssicherheit wurde erst durch den Bau einer gänzlich<br />
neuen Art der Trocknung ermöglicht. Bei diesem hier als Schnelltrocknung<br />
benannten Trocknungsprinzip werden die Rohre bei ständigem Drehen auf<br />
horizontal beweglichen Rollen gelegt. Das Prinzip ermöglicht eine de facto<br />
Einzelbehandlung beim Trocknen hinsichtlich Trocknungszeit und eine wesentliche<br />
Einengung der Toleranzen.<br />
Glasieren und Setzen<br />
Vor dem Brennen erfolgt das Glasieren und Setzen der Rohre. Wichtige<br />
Etappen des Glasurprozesses liegen in der Art der Glasur. Wurden in den<br />
Kammeröfen noch Salzglasuren verwendet, findet man bei den Steinzeugrohren<br />
heute eine Rohlehmglasur, die mittels Tauchvorganges entweder<br />
bereits vor oder nach dem Trocknen aufgetragen wird.<br />
Seit Anfang der 70er Jahre wurden Voraussetzungen für ein automatisches<br />
Setzen und Abladen geschaffen. Nur durch den konsequenten Abbau der<br />
manuellen Handlingsvorgänge kann eine reproduzierbare Qualität erreicht<br />
werden.<br />
Die neueste Produktionslinie, die 2001 in Betrieb genommen wurde, ist<br />
soweit automatisiert, dass erst das fertig verpackte Rohr mit einem manuell<br />
gesteuerten Gabelstapler bewegt wird. Alle anderen Arbeitsplätze sind<br />
nur zur Kontrolle und Bedienung der Servicevorgänge notwendig. Diese<br />
Anlage läuft 24 Stunden täglich.<br />
Brennen<br />
Das Brennen ist von Beginn an der bedeutendste Prozess bei der Herstellung<br />
von Keramik. Kanalisationssteinzeugrohre bilden hier keine Ausnahme!<br />
Sicherlich liegt die Bedeutung des fehlerlosen Brennens auch daran,<br />
dass der Brennprozess im keramischen Sinne am Ende des Wertschöpfungsprozesses<br />
liegt. Einige wichtige Parameter sind:<br />
● Eingangsrestfeuchte<br />
● Aufheizgeschwindigkeit im Bereich der chemischen Entwässerung und<br />
der Verbrennung humider Anteile aus den Tonen<br />
● Einhaltung der Dichtbrandtemperatur<br />
● Abkühlgeschwindigkeit bei Überschreiten des Quarzsprunges (573 °C)<br />
● Gleichmäßiger Temperaturgradient am und um den Gesamtkörper
während des gesamten Aufheiz- und Abkühlprozesses.<br />
Brennzeit [h]<br />
Unter Beachtung sämtlicher Prozessparameter wurde<br />
auch das Brennaggregat immer weiterentwickelt. Angefangen<br />
hat das keramische Brennen mit so genannten<br />
Feldbränden – auch heute noch in einigen<br />
afrikanischen Ländern zu finden.<br />
Steinzeugrohre wurden vor ca. 100 Jahren in Ringkammeröfen<br />
oder Zickzacköfen (abgeleitet von der<br />
Brenngasführung) gebrannt. Mit der Einführung des<br />
Tunnelofenbrandes vor ca. 50 Jahren konnten entscheidende<br />
Verbesserungen bezüglich Reproduzierbarkeit<br />
kontinuierlich laufender Brennprozesse erreicht<br />
werden. Auch wenn sich der Energieträger in<br />
den letzten Jahrzehnten von Schweröl über Leichtöl bis hin zu Erdgas geändert<br />
hat, ist der Tunnelofenbrand für die Vielzahl der Rohrdimensionen<br />
mit dem heutigen Stand der Technik nicht zu ersetzen.<br />
Der Tunnelofenbrand ist ein relativ langsam ablaufender Prozess. Um die<br />
Brenngeschwindigkeit zu forcieren, muss man für eine optimierte Wärmezu-<br />
und -abfuhr sorgen. Dies wurde in der Schnellbrandanlage realisiert<br />
(Abb. 3). Hier wird das Rohr, ähnlich wie bei der Trocknung, de facto<br />
einzelbehandelt.<br />
■ Abb. 3: Layout der Schnellbrandlinie.<br />
Die Entwicklung der Durchlaufzeiten in den Brennöfen zeigt Abb. 4.<br />
Beim Schnellbrand wird das Rohr in horizontaler Lage gebrannt. Wesentlicher<br />
Grund für das Liegen im Schnellbrand ist das Bestreben, dem Kunden<br />
ein immer besseres Produkt anzubieten. Die Schwindung der Rohre beträgt<br />
in der Summe beim Trocknen und Brennen ca. 10 %; durch das ständige Abrollen<br />
des Kreiskörpers erhält man ein nahezu kreisrundes und gerades Rohr.<br />
Forschung + Technik<br />
■ Abb. 4: Entwicklung der Brennzeit von 1900 bis heute am Beispiel DN 200.<br />
Endkonfektionieren<br />
Heute werden zwei Rohrtypen angeboten;<br />
ihre Unterschiede liegen<br />
in der Art des späteren Einbaus. Hat<br />
man bis vor ca. 25 Jahren alle Rohre<br />
in einen offenen Graben verlegt,<br />
werden heute mehr und mehr Rohre<br />
im unterirdischen Vortrieb eingebaut.<br />
Entsprechend unterscheiden<br />
sich heute auch die Dichtungssysteme,<br />
mit denen die Rohre nach<br />
dem Brennen ausgestattet werden.<br />
Die Dichtung der traditionell offen<br />
verlegten Rohre sind erst seit ca.<br />
1965 mit dem Rohr werkseitig fest<br />
verbunden. Bis dato erfolgte die<br />
Verlegung meist mit in Teer getränkten<br />
Stricken. Seit 1965 werden<br />
die Rohre entweder mit der<br />
Steckmuffe „K“ oder „L“ (Kleinrohre<br />
bis DN 200) angeboten. 1992<br />
wurde die Steckmuffe „K“ zu der<br />
Steckmuffe „S“ weiterentwickelt,<br />
wobei die keramischen Toleranzen<br />
nur noch von einer Dichtungsseite<br />
mit Kunststoff ausgeglichen wird.<br />
Das andere „Ende“ ist bearbeitet<br />
und damit gleichzeitig Dichtungsteil<br />
(Abb. 5).<br />
Anfang der 80er Jahre wurden erstmals<br />
Vortriebsrohre ausgeliefert.<br />
Die Verbindung stellt eine Edelstahlmanschette<br />
in Kombination<br />
mit einer untergelegten Lippendichtung<br />
dar. Um die Übertragung<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
29
30<br />
Forschung + Technik<br />
Steckmuffe „K“ 1965<br />
Steckmuffe „L“<br />
Schleifmuffe „S“ 1992<br />
■ Abb. 5: Entwicklung Dichtungssysteme<br />
offene Bauweise.<br />
der Vortriebskraft an den jeweiligen<br />
Stirnseiten der muffenlosen Rohre<br />
bestmöglich zu verteilen, werden<br />
Distanzringe eingesetzt. Bis DN<br />
300 sind in der Verbindung fest<br />
verbundene Gummiringe; bei<br />
> DN 100 bestehen die Ringe aus<br />
Holzfasermaterial (Abb. 6).<br />
Die Weiterentwicklung der VT-Verbindung<br />
ist in den Abbildungen 7<br />
und 8 dargestellt.<br />
Mittels Induktionserwärmung wird<br />
ein separater Ring erwärmt und auf<br />
jedes Spitzende geschrumpft. Damit<br />
ist das Vortriebssystem noch<br />
robuster für den späteren Einbau.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
■ Abb. 6: Vortriebsrohrverbindung am Beispiel DN 600 bis 1000.<br />
■ Abb. 7: Induktionsanlage ■ Abb. 8: Montierter Spannring mit<br />
Sandfangring.<br />
Kontakt<br />
■ Abb. 9: Die Bestimmung<br />
der exothermen und endothermen<br />
Effekte (des Rohstoffs)<br />
erfolgt im Probeofen.<br />
Dipl.-Ing. Dietrich Grunwald<br />
Dipl.-Ing. Uwe Bormann<br />
Steinzeug Abwassersysteme GmbH<br />
Max-Planck-Straße 6<br />
50858 Köln<br />
Tel.: 02234/507-0<br />
Fax: 02234/507-207<br />
E-Mail: info@steinzeug.com<br />
Internet: www.steinzeug.com
Die Abbildungen 10 bis 16 dokumentieren verschiedene Abschnitte der Steinzeug-Rohrproduktion.<br />
Forschung + Technik<br />
■ Abb. 10: Umsetzen von Rohlingen für Vortriebsrohre. ■ Abb. 11: Produktionsabschnitt Sägen/Fräsen der<br />
Vortriebsrohre.<br />
■ Abb. 12: Schnellbrandlinie: Ein Roboter übernimmt den<br />
„Weitertransport“ von Muffenrohren.<br />
■ Abb. 14: Kontrollstation für die Muffen- und Spitzendprüfung.<br />
■ Abb. 16: Automatisierte Verpackung für den Transport.<br />
■ Abb. 13: Schnellbrandofen: Die derzeitige Produktionskapazität<br />
beträgt 1 Rohr pro Minute.<br />
■ Abb. 15: Automatisierte Montage der Lippendichtung.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
31
32<br />
Forschung + Technik<br />
Risikominimierung<br />
Vortriebsrohre und Druckübertragung<br />
Die Bauverfahrenstechnik zur<br />
Verlegung von Ver- und<br />
Entsorgungsleitungen stellt<br />
heute mit der offenen Bauweise<br />
und der grabenlosen geschlossenen<br />
Bauweise zwei unterschiedliche<br />
Verfahren bereit. Beim Rohrvortrieb<br />
ergeben sich durch den<br />
hohen Mechanisierungsgrad, durch<br />
die geringe Beeinträchtigung der<br />
Oberfläche gerade in dicht besiedelten<br />
Gebieten und durch die<br />
größeren Einbautiefen umweltbezogene<br />
und wirtschaftliche Vorteile<br />
gegenüber der offenen Leitungsverlegung.<br />
Beim Vortrieb sind jedoch trotz<br />
Normen-konformer Bemessung,<br />
modernster Maschinen- und Steuertechnik<br />
sowie messtechnischer<br />
Begleitung der Vortriebe immer<br />
wieder Schäden in Form von Abplatzungen<br />
oder Rissen an Vortriebsrohren<br />
zu beobachten<br />
(Abb. 1). Die Gründe für Schäden<br />
dieser Art liegen in bisher nur unzureichenden<br />
Bemessungs- und<br />
Überwachungsmöglichkeiten der<br />
zulässigen Vorpresskräfte vor und<br />
während des Vortriebs.<br />
Die Ursachen für solche Schäden<br />
sind meist Überlastungen der Vortriebsrohre,<br />
die seltener Folge einer<br />
unzulässigen Erhöhung der Presskräfte<br />
sind, sondern oftmals aus<br />
einer zu großen Verwinkelung der<br />
Vortriebsrohre resultieren. Die<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
■ Abb. 1: Schäden an Vortriebsrohren; links: Scherbenbildung an der Außenseite;<br />
rechts: Abplatzungen am Rohrspiegel.<br />
Gründe für größere Rohrverwinkelungen können unterschiedlicher Natur<br />
sein und z.B. aus zu starken Korrektursteuerungen oder dem umgebenden<br />
Boden resultieren.<br />
Alle Bemessungsansätze im Vorfeld des Vortriebs beruhen auf Annahmen<br />
und Abschätzung der beim Vortrieb erwarteten Abweichungen von der<br />
geplanten Trassenführung. Eine Kontrolle und Überprüfung der einzuhaltenden<br />
Grenzwerte sowie eine eventuelle Korrektur der Bemessungen<br />
während der Ausführung finden nicht statt bzw. sind bisher nicht möglich.<br />
Während des Vortriebs werden lediglich die Lageabweichungen der Vortriebsmaschine<br />
mit den Vorgaben einschlägiger Regelungen (z.B. nach<br />
ATV-DVWK-Arbeitsblatt 125 [1]) verglichen. Über die Belastungen und Verwinkelungen<br />
der hinter der Vortriebsmaschine nachgepressten Vortriebsrohre<br />
liegen während des Vortriebs keine <strong>Information</strong>en vor.<br />
Am Institut für Baumaschinen und Baubetrieb (ibb) der RWTH Aachen<br />
wurden umfangreiche Untersuchungen zur Ermittlung der während des<br />
Vortriebs tatsächlich entstehenden Verwinkelungen und Belastungen der<br />
Vortriebsrohre im Labor und in situ durchgeführt. Gefördert wurden die insgesamt<br />
über vier Jahre laufenden Forschungsarbeiten vom Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung (BMBF), von der Abwassertechnischen Vereinigung<br />
e.V. (ATV), der Steinzeug Abwassersysteme GmbH, der Fachvereini-
gung Betonrohre und Stahlbetonrohre e.V. (FBS), der Gütegemeinschaft<br />
Güteschutz Kanalbau e.V. und den Stadtentwässerungsbetrieben Köln.<br />
Ziel der Forschungstätigkeiten war die Ermittlung der während des<br />
Vortriebs tatsächlich entstehenden Belastungen der Vortriebsrohre. Die<br />
Ergebnisse dienen als Grundlage zur Überarbeitung der geltenden Bemessungsrichtlinien<br />
und der Entwicklung einer Messtechnik zur vortriebsbegleitenden<br />
Kontrolle der Rohrverwinkelungen und Rohrbelastungen im<br />
praktischen Einsatz.<br />
Belastung von Vortriebsrohren<br />
Vortriebsrohre werden derzeit auf der Grundlage des ATV-DVWK-Arbeitsblattes<br />
A161 der Abwassertechnischen Vereinigung e.V. [2] bemessen. Die<br />
zulässige Vortriebskraft wird für eine theoretische Rohrverwinkelung (gerader<br />
Vortrieb: z/da=1) vom Rohrhersteller angegeben oder durch eine statische<br />
Berechnung vor Beginn der Vorpressarbeiten ermittelt. Dabei wird<br />
davon ausgegangen, dass<br />
● die Spannungsverteilung in der Rohrfuge linear verläuft<br />
● dass der Elastizitätsmodul der Fugenzwischenlagen konstant ist<br />
Forschung + Technik<br />
● dass das bei der Bemessung gewählte<br />
z/da während des Vortriebs<br />
nicht überschritten wird<br />
In ersten Untersuchungen wurden<br />
in einem speziell entwickelten Versuchsstand<br />
im Institut für Baumaschinen<br />
und Baubetrieb der RWTH<br />
Aachen Vortriebsrohre einem Belastungsverlauf<br />
unterzogen, der weitgehend<br />
die in situ-Randbedingungen<br />
nachstellt. In festgelegten Belastungsversuchen<br />
werden je zwei<br />
Vortriebsrohre gegeneinander gepresst<br />
und verwinkelt. Die Presskraft<br />
wird dabei in Anlehnung an<br />
die Verhältnisse in situ in Stufen gesteigert<br />
und die Verwinkelungen je<br />
Laststufe mehrfach wiederholt.<br />
■ Abb. 2: Rohrversuchsstand RWTH Aachen; oben: Druckmessfolie; unten: Spannungsverteilung in der Rohrfuge verwinkelter<br />
Vortriebsrohre.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
33
34<br />
Forschung + Technik<br />
Mit in den Rohrfugen eingelegten<br />
Druckmessfolien konnten über die<br />
gesamte Querschnittsfläche die<br />
Druckspannungen (Kontaktspannungen)<br />
gemessen werden (Abb. 2).<br />
Es zeigte sich, dass die Spannungsverteilung<br />
nach mehrfacher Belastung<br />
der Fugenzwischenlage nicht<br />
mehr linear ist, sondern zum Rand<br />
hin überproportional ansteigt, und<br />
dass es schon bei kleineren Verwinkelungen<br />
zu hohen Lastspitzen und<br />
Fugenklaffungen kommen kann.<br />
Die maximalen Belastungen der<br />
Vortriebsrohre im Bauzustand entstehen<br />
an den Rohrenden infolge<br />
Verwinkelung der Rohre. Hierbei<br />
hat das mechanische Materialverhalten<br />
der Fugenzwischenlagen<br />
wesentlichen Einfluss auf die Spannungsverteilung<br />
in der Rohrfuge.<br />
Durch die belastungsabhängige<br />
Verfestigung der Fugenzwischenlagen<br />
können Spannungsspitzen an<br />
den Rohrspiegeln entstehen, die<br />
über die Materialfestigkeiten des<br />
Rohrwerkstoffs hinausgehen und<br />
Schäden an den Rohren verursachen.<br />
In Kenntnis der Materialeigenschaften<br />
der in die Rohrfugen eingelegten<br />
Fugenzwischenlagen, der aktuellen<br />
Verformungen während des<br />
Vortriebs und der Verformungshistorie<br />
kann die aktuelle Materialspannung<br />
und die Spannungsverteilung<br />
in der Rohrfuge berechnet<br />
werden. Zur Ermittlung und Beschreibung<br />
des Materialverhaltens<br />
von Fugenzwischenlagenwerkstoffen<br />
wurden umfangreiche Materialuntersuchungen<br />
im Labor durchgeführt.<br />
Die Ergebnisse der Untersuchungen<br />
und das entwickelte<br />
Materialmodell werden nachfolgend<br />
vorgestellt.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Fugenzwischenlagen<br />
Zur Übertragung der Vortriebskräfte zwischen jeweils aufeinanderfolgenden<br />
Vortriebsrohren mit druckkraftschlüssiger Rohrverbindung werden Fugenzwischenlagen<br />
in die Rohrfugen eingelegt. Aufgabe der Fugenzwischenlagen<br />
ist die Kompensation von Abweichungen innerhalb der Grenzen<br />
der Fertigungstoleranzen von Rechtwinkeligkeit und Planparallelität<br />
der Rohrspiegel. Weiter haben Fugenzwischenlagen die wesentliche Aufgabe,<br />
die zur Übertragung der Vortriebskraft verfügbare „lastübertragende<br />
Fläche“ zwischen den Vortriebsrohren bei Verwinkelung infolge Steuerkorrektur<br />
oder Kurvenfahrt der Vortriebsmaschine zu vergrößern.<br />
Die Abmessungen der Fugenzwischenlagen sind abhängig von den Abmessungen<br />
der Fugenkonstruktion der Vortriebsrohre und der beim Vortrieb<br />
vorgesehenen Verwinkelungen und Belastungen. ANTZ [3] schlägt in<br />
seinen Untersuchungen die Wahl der Fugenzwischenlagendicke in Abhängigkeit<br />
von den zu erwartenden Rohrverwinkelungen und Rohrabmessungen<br />
vor. Als Richtwert für die Dicke der Fugenzwischenlage werden nach<br />
ATV-DVWK-Arbeitsblatt 125 [1] 10 % der Rohrwanddicke vorgeschlagen.<br />
Die radiale Breite der Fugenzwischenlage sollte keinesfalls die Wanddicke<br />
■ Abb. 3: Fugenausbildung und Fugenzwischenlage bei druckkraftschlüssiger<br />
Rohrverbindung mit fest montierter Stahlmanschette.<br />
am Spitzende des Vortriebsrohres überschreiten. Gerade bei Stahlbetonrohren<br />
sollte die Fugenzwischenlage zwischen der inneren und äußeren<br />
Ringbewehrung angeordnet werden, um Abplatzungen an der Innen- oder<br />
Außenseite des Vortriebsrohres zu vermeiden (Abb. 3).<br />
Normative Regelungen zu Aufbau und Konstruktion von Fugenzwischenlagen<br />
sowie bindende Angaben zu verwendender Materialien existieren bis<br />
heute nicht. Dennoch lassen sich aus den technischen Randbedingungen<br />
nachfolgende Anforderungen an die Materialeigenschaften von Fugenzwischenlagen<br />
ableiten:
Forschung + Technik<br />
■ Abb. 4: Standardadapter mit einem Prüfkörper 19,3 mm vor dem Einbau; Prüfkörper in hydraulischer Materialprüfmaschine.<br />
● hohe Druckfestigkeit<br />
● ausreichende Materialdicke und hohe Verformbarkeit<br />
● elastisches Stauchungsverhalten (hohe Rückverformbarkeit)<br />
● geringst mögliche Querdehnung<br />
● Resistenz gegen physikalische und chemische Einwirkungen<br />
Als Materialien für Fugenzwischenlagen werden überwiegend Holzwerkstoffe<br />
verwendet. Auch wenn diese Materialien die oben angeführten<br />
Anforderungen nicht gänzlich erfüllen, haben sie bisher gegenüber alternativen<br />
Kunststoffen oder Verbundmaterialien einen entscheidenden Preisvorteil.<br />
Die Verformungseigenschaften von Holzwerkstoff-Fugenzwischenlagen<br />
sind durch ein elastisches Materialverhalten im niedrigen Lastbereich und<br />
durch ein nicht linear elastisch-plastisches Materialverhalten bei weiterer<br />
Laststeigerung geprägt. Die Abschätzung des Last-Verformungsverhaltens<br />
mit einem konstanten E-Modul ist deshalb problematisch.<br />
Zur Bestimmung und anschließenden Beschreibung des Materialverhaltens<br />
eines elastisch-plastischen Werkstoffs unter vortriebsspezifischen Belastungen<br />
wurde vom ibb eine zweiteilige Standardprüfung entwickelt (Abb. 4) [4].<br />
Hierbei wird der Fugenzwischenlagen-Prüfkörper in einem ersten Versuch<br />
einer einfachen monoton steigenden lastgesteuerten (5 kN/s) Belastung bis<br />
zur vollständigen Kompression des<br />
Probenmaterials oder bei Erreichen<br />
einer festgelegten Lastgrenze ausgesetzt.<br />
Im zweiten Prüfungsteil wird ein<br />
weiterer, aus gleicher Herstellungscharge<br />
stammender Prüfkörper einer<br />
vortriebsspezifischen Belastungsgeschichte<br />
mit festgelegten<br />
Last- und Verformungswechseln<br />
ausgesetzt (Abb. 5).<br />
Mit dem entwickelten Materialmodell<br />
kann das elastisch-plastische<br />
Verformungsverhalten von Fugenzwischenlagenwerkstoffen<br />
unter<br />
vortriebsspezifischen Belastungen<br />
beschrieben werden. Zudem ist<br />
aufgrund des numerischen Aufbaus<br />
eine Implementierung in einen vortriebsbegleitendenBerechnungs-<br />
■ Abb. 5: Zyklische Belastung von 10,3-mm-Holzwerkstoff-Prüfkörpern; links: Extraktion der vierten Belastungsäste;<br />
rechts: E-Modulverlauf und Polynomapproximation Stauchungsstufe 10 %.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
35
36<br />
Forschung + Technik<br />
algorithmus zur Bestimmung der<br />
Materialspannungen unter Verwendung<br />
einer entsprechenden<br />
Messtechnik möglich.<br />
Umsetzung in der Praxis<br />
Zur praktischen Umsetzung der im<br />
Institut gewonnenen Erkenntnisse<br />
und entwickelten Verfahren zur<br />
Erfassung der Rohrfugenverwinkelungen<br />
und -belastungen wurde<br />
am Institut für Baumaschinen und<br />
Baubetrieb der RWTH Aachen eine<br />
Messtechnik für den praktischen<br />
Einsatz im Rohrvortrieb entwickelt.<br />
Mit dieser Messtechnik werden parallel<br />
zum Vortrieb über die Datenerfassung<br />
der eingesetzten Maschinentechnik<br />
hinaus an ausgewählten<br />
Rohrfugen (Messfugen) Fugenwege<br />
und Spannungen in der<br />
Rohrfuge kontinuierlich und automatisch<br />
gemessen und die Fugenverwinkelungen<br />
berechnet.<br />
Für eine Berechnung der Spannungen<br />
in den Messfugen und zur Ermittlung<br />
der lastübertragenden<br />
Kontaktfläche zwischen den Rohren<br />
werden die hergeleiteten Berechnungsalgorithmen<br />
und das<br />
Materialmodell für die verwendeten<br />
Fugenzwischenlagen in eine<br />
Software integriert. Diese Software<br />
ermittelt die Spannungen in der<br />
Rohrfuge in Abhängigkeit von der<br />
Belastungs- und Verformungsgeschichte.<br />
Eine Erprobung der entwickelten<br />
Messtechnik sowie eine Verifizierung<br />
der erarbeiteten Berechnungsverfahren<br />
zur vortriebsbegleitenden<br />
Erfassung der Fugenspannungen<br />
und Vortriebsrohrbelastungen<br />
fanden im Rahmen von<br />
in situ-Untersuchungen an Rohrvortrieben<br />
in Köln statt. Im Zuge<br />
des Bauvorhabens „Kanalbaumaßnahme<br />
Luxemburger Straße zwi-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
schen Gottesweg und Siebengebirgsallee, Köln-Klettenberg“ wurden<br />
380 m Kanal im Rohrvortriebsverfahren eingebaut und messtechnisch begleitet<br />
[5].<br />
Durch eine kontinuierliche Dokumentation aller Mess- und Steuerdaten der<br />
Vortriebstechnik und speziell der horizontalen und vertikalen Laserdaten<br />
lässt sich die räumliche Trassenführung der Vortriebsmaschine rekonstruieren.<br />
Obwohl es sich bei allen drei Vortrieben um geradlinig geplante Vortriebstrassen<br />
handelte, wurde an den Ergebnissen aller Vortriebsstrecken<br />
ein mehrfach gekrümmter Verlauf der Gradienten infolge Korrektursteuerungen<br />
beobachtet.<br />
■ Abb. 6: Vergleich Fahrt der Vortriebsmaschine – Verwinkelungen der Rohrfugen.<br />
Gerade auf den ersten 20 m der Vortriebsstrecken wurden die größten Abweichungen<br />
der Vortriebsmaschine von der Sollachse beobachtet. Ein<br />
Grund ist die schwierige Steuerbarkeit der Vortriebsmaschine gerade auf<br />
den ersten Metern. Aufgrund noch geringer Einspannung der Vortriebsmaschine<br />
im Boden spricht die Steuerung der Maschine nur schlecht an. Größere<br />
Abweichungen von der Sollachse mit der Notwendigkeit von Korrektursteuerungen<br />
sind die Folge (Abb. 6).<br />
Parallel zu den Daten Vortriebstechnik werden die Verwinkelungen der<br />
Messfugen und Verformungen der darin eingelegten Fugenzwischenlagen<br />
erfasst. Bei einem Vergleich von Maschinenfahrt und Rohrverwinkelungen<br />
wird deutlich, dass die Lage der Rohrtour bzw. die Verwinkelungen der<br />
Rohrfugen im Wesentlichen von der Fahrt der Vortriebsmaschine im Boden<br />
bestimmt werden. Geringe Unterschiede bzw. Reduzierungen der Verwinkelungen<br />
zwischen nachfolgenden Rohrfugen lassen sich mit einem möglichen<br />
Einschleifeffekt des Rohrstrangs in den Boden bzw. Abweichungen<br />
bei der Tarierung der Messsensoren bei Vortriebsbeginn erklären.<br />
Aus den Verwinkelungen der Messfugen und Verformungen der Fugenzwischenlagen<br />
wird softwaretechnisch vortriebsbegleitend die Spannungsverteilung<br />
in den Messfugen bestimmt. Die Größe der lastübertragenden Fläche<br />
in der Messfuge bzw. das Maß der Fugenklaffung wird mit dem Materialmodell<br />
für Fugenzwischenlagen berechnet. Ein Vergleich der Span-
nungsverteilung, der Lage der resultierenden Vorpresskraft in der Rohrfuge<br />
und der Belastungen der Rohre im Fugenbereich mit dem Berechnungsverfahren<br />
nach dem aktuell geltenden ATV-DVWK-Arbeitsblatt 161 machen<br />
die Unterschiede deutlich und heben die Möglichkeit einer genaueren Berechnung<br />
hervor.<br />
Der Berechnungsansatz nach ATV-DVWK-Arbeitsblatt 161 setzt eine lineare<br />
Spannungsverteilung in der Rohrfuge voraus. Das Simulationsmodell berücksichtigt<br />
das nicht lineare Spannungs-Dehnungsverhalten der Fugenzwischenlage.<br />
Die resultierende Vortriebskraft, berechnet mit dem entwickelten<br />
Materialmodell, hat eine größere Ausmitte und stellt somit eine im<br />
Vergleich zum ATV-DVWK-Arbeitsblatt 161 ungünstigere, aber realitätsnahe<br />
Beanspruchung der Vortriebsrohre dar (Abb. 7).<br />
■ Abb. 7: Spannungsverteilung in der Rohrfuge und Lage der resultierenden<br />
Vortriebskraft.<br />
Fazit<br />
Neben einer einwandfreien Herstellung und einer ausreichenden und exakt<br />
angeordneten Bewehrung ist eine genaue Kenntnis der während des Rohrvortriebs<br />
zu erwartenden Belastungen und eine darauf aufbauende Bemessung<br />
der Rohre notwendig, um Schäden während des Vortriebs zu vermeiden.<br />
In die Rohrfugen eingelegte Fugenzwischenlagen und die Kenntnis<br />
und Berücksichtigung ihrer Materialeigenschaften in der Bemessung sind<br />
unerlässlich für eine sichere und wirtschaftliche Durchführung der Rohrvortriebsarbeiten.<br />
Das im Rahmen der Forschungsarbeit entwickelte Materialmodell für Fugenzwischenlagen<br />
zur vortriebsbegleitenden Erfassung der Rohrfugenbelastungen<br />
hat sich in situ bestätigt. Die für einen vortriebsbegleitenden<br />
Einsatz entwickelte Messtechnik wurde erfolgreich auf ihre Praxistauglichkeit<br />
hin erprobt. Durch Anordnung einer Fugenwegmessstation hinter der<br />
Vortriebsmaschine ist es nun möglich, Fugenspannungen, Spannungsverteilungen<br />
in den Rohrfugen und resultierende Vorpresskräfte vortriebsbegleitend<br />
zu bestimmen und mit den Vorgaben der Rohrstatik zu vergleichen.<br />
Damit kann vortriebsbegleitend der „Ausnutzungsgrad“ (aktuelle<br />
Belastung/ zulässige Belastung) der Vortriebsrohre bestimmt und dokumentiert<br />
sowie das Maschinenpersonal frühzeitig vor einer möglichen<br />
Überlastung der Vortriebsrohre gewarnt werden. Durch optimale Ausnutzung<br />
der Rohre können Vortriebe mit optimierter Vorpresskraft und<br />
Vortriebsgeschwindigkeit sicher ohne Überlastungsgefahr für die Vortriebs-<br />
Forschung + Technik<br />
rohre durchgeführt und so Risiken<br />
für Vortrieb und Vortriebsrohre minimiert<br />
werden.<br />
Literatur<br />
[1] ATV-DVWK-Arbeitsblatt 125:<br />
Rohrvortrieb. – Abwassertechnische<br />
Vereinigung e.V. (ATV) und Gesellschaft<br />
zur Förderung der Abwassertechnik e.V.<br />
(GFA), Hennef, Januar 1990<br />
[2] ATV-DVWK-Arbeitsblatt 161: Statische<br />
Berechnung von Vortriebsrohren.<br />
– Gesellschaft zur Förderung der Abwassertechnik<br />
e.V. (GFA), Hennef, September<br />
1996<br />
[3] ANTZ, H. (1986): Untersuchungen<br />
über Kantenpressungen an Vortriebsrohren.<br />
– Bautechnik, Heft 7<br />
[4] PETERS, M., BEYERT, J. & OSE-<br />
BOLD, R. (<strong>2004</strong>): Verfahren zur Ermittlung<br />
des E-Moduls von Fugenzwischenlagen<br />
für Vortriebsrohre. – 3R-International,<br />
Heft 1<br />
[5] PETERS, M., BEYERT, J. & OSE-<br />
BOLD, R. (<strong>2004</strong>): Vortriebsbegleitende<br />
Überwachung der Belastungen von<br />
Vortriebsrohren.<br />
Heft 3<br />
– Bi-Umweltbau,<br />
Kontakt<br />
Dipl.-Ing. Marc Peters<br />
Herrenknecht AG<br />
Schlehenweg 2<br />
77963 Schwanau<br />
Tel.: 07824/302-6676<br />
Fax: 07824/302-186<br />
E-Mail: peters.marc@herrenknecht.de<br />
Internet: www.herrenknecht.de<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
37
38<br />
Forschung + Technik<br />
Innovation durch Technik<br />
20 Jahre Microtunneling in Berlin –<br />
20 Jahre Berliner Bauweise<br />
Technik ist Anstrengung, um<br />
Anstrengungen zu ersparen<br />
Ortega y Gasset<br />
Am 7. Juni 1984 leiteten die<br />
damaligen Berliner Entwässerungswerke,<br />
jetzt Berliner<br />
Wasserbetriebe, mit dem Startschuss<br />
für den weltweit ersten vollautomatisch<br />
gesteuerten Rohrvortrieb<br />
der Nennweite 250 mm<br />
eine Entwicklung ein, die heute im<br />
Kanal- und Rohrleitungsbau zur<br />
Standardbauweise gehört.<br />
■ Jahr 1984: Baustellenschild der<br />
Berliner Entwässerungswerke zum<br />
1. vollautomatischen Rohrvortrieb in<br />
der Berliner Marlenestraße.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Für den Bau begehbarer Kanäle wurden Tunnelbauweisen schon jahrelang<br />
mit wirtschaftlichem Erfolg praktiziert. Für nicht begehbare Rohrquerschnitte<br />
hatte sich bis dahin die Veränderung im Kanalbau im Wesentlichen<br />
auf die Mechanisierung des Baustellenbetriebes, des Bodenaushubs und<br />
der Einführung neuer Verbaumethoden beschränkt.<br />
Anfang der achtziger Jahre setzten Entwicklungen ein, die die grabenlose<br />
Herstellung nicht begehbarer Kanäle (≤ DN 800) mit ferngesteuert arbeitendem<br />
Bohrkopf zum Ziel hatten. So wurden zum Beispiel in Hamburg<br />
mit Fördermitteln des damaligen Bundesministeriums für Forschung und<br />
Technologie (BMFT) japanische Vortriebsmaschinen erprobt; die Wirth<br />
GmbH entwickelte in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen eine Vortriebsmaschine<br />
für nicht begehbare Querschnitte [1], [2], [3].<br />
Nachteile dieser Maschinen waren zum einen die relativ großen Abmessungen<br />
der Start- und Zielbaugruben, die die Wirtschaftlichkeit einschränkten<br />
und zum anderen der durch diese Maschinen abgedeckte Nennweitenbereich.<br />
In West-Berlin lagen 1984 rd. 74 % der Kanäle im Nennweitenbereich<br />
≤ 400 mm, und man konnte davon ausgehen, dass sich auch bei künftigen<br />
Kanalbauvorhaben die Nennweitenverteilung weiter so entwickeln wird.<br />
Hiermit wird sofort deutlich, dass das Hauptanwendungsgebiet für geschlossene<br />
Bauweisen im Nennweitenbereich bis 400 mm liegen würde<br />
[3].<br />
Diese Anforderungen wurden von der erstmalig eingesetzten Rohrvortriebsanlage<br />
RVS 100 A, die von der Dr.-Ing. Soltau GmbH entwickelt wurde,<br />
erfüllt. Diese Anlage war für Rohrvortriebe der Nennweiten DN 250 bis<br />
DN 400 ausgelegt und so konstruiert, dass sie den Rohrvortrieb aus<br />
Schächten von lediglich 2.000 mm Innendurchmesser zuließ.<br />
Es wäre verfehlt, an dieser Stelle auf weitere Einzelheiten einzugehen, da<br />
jeder Interessierte die technische Entwicklung von Beginn bis heute in den<br />
zahlreichen Veröffentlichungen nachlesen kann [3] bis [19].<br />
Mit dem ersten vollautomatisch gesteuerten Rohrvortrieb DN 250 wurde<br />
von Berlin ausgehend eine Entwicklung in Gang gesetzt, die den Kanalbau<br />
revolutionierte. Diese innovative Technik konnte sich jedoch am Markt nur<br />
so schnell durchsetzen, weil die Berliner Wasserbetriebe den Weg ohne jegliche<br />
Subventionen beschritten haben. Die geschlossene Bauweise musste
■ Nennweiten der Vortriebsrohre anteilig an der Gesamtleistung seit 1984.<br />
sich von Beginn an im Wettbewerb gegen die offene Bauweise durchsetzen.<br />
Somit waren Ingenieure und Techniker der Auftraggeber- und Auftragnehmerseite<br />
sowie die Maschinenhersteller ständig gefordert, innovativ tätig<br />
zu sein, um die Vortriebstechnik weiterzuentwickeln, die Anwendungsgebiete<br />
zu erweitern und durch geeignete Maßnahmen ständig die Produktivität<br />
zu steigern, damit sich die geschlossene Bauweise in Konkurrenz zur<br />
offenen Bauweise behaupten konnte. Hier waren es insbesondere mittelständische<br />
Tiefbauunternehmen, die ihre Baustellenerfahrungen innovativ<br />
in die Verbesserung der Maschinentechnik einbrachten.<br />
Die „Berliner Bauweise“, das sternförmige Heranführen der Anschlusskanäle<br />
an Start-, Ziel- und Hilfsschächte in geschlossener Bauweise, schon bei der<br />
ersten Baumaßnahme 1984 von den Berliner Wasserbetrieben konzipiert<br />
und mit der Entwicklung gesteuerter Hausanschlussmaschinen eingeführt,<br />
brachte am Markt den endgültigen wirtschaftlichen Durchbruch der<br />
geschlossenen Bauweise [4], [5].<br />
Die Entwicklung setzte sich sprunghaft fort. Mit dem 1987 bei einer Baumaßnahme<br />
in Berlin-Steglitz erstmals erprobten „pipe-eating“ konnten<br />
nun auch schadhafte Abwasserkanäle unterirdisch erneuert werden. Neben<br />
den Maschinen mit Schneckenförderung wurden von der Fa. Herrenknecht<br />
hydraulisch fördernde Maschinen für kleine Nennweiten entwickelt. Die<br />
Firma Bohrtec brachte 1987 eine Hausanschlussmaschine auf den Markt,<br />
die erstmalig einen ferngesteuerten unterirdischen Anschluss an vorhandene<br />
Abwassersammler ermöglichte [7], [9], [12].<br />
1996 gelang ein weiterer wirtschaftlicher Durchbruch in der Geschichte des<br />
Mikrotunnelbaus. Konnten mit der bisher vorhandenen Technik nur Straßenkanäle<br />
mit der kleinsten Nennweite 250 mm aufgefahren werden, so ermöglichte<br />
eine Entwicklung der Fa. Bohrtec, die BM 300, auch das haltungsweise<br />
Auffahren von Straßenkanälen der Nennweiten 200 mm [15], [16].<br />
Forschung + Technik<br />
Die Berliner Wasserbetriebe haben<br />
mit der nunmehr möglichen Nennweitenreduzierung<br />
von DN 250 auf<br />
DN 200 in den letzten 8 Jahren rd.<br />
12 Mio. Euro an Baukosten eingespart,<br />
die für die Beauftragung<br />
anderer Bauvorhaben verwendet<br />
werden konnten.<br />
Die Entwicklung machte auch vor<br />
dem so genannten „begehbaren“<br />
Nennweitenbereich nicht Halt. Mit<br />
der Technik des Mikrotunnelbaus<br />
wurden in Berlin bisher Rohrquerschnitte<br />
bis zur Dimension DN<br />
3000 unbemannt aufgefahren. In<br />
Kürze erfolgt die Unterquerung des<br />
Westhafenkanals mit Stahlbeton-<br />
Vortriebsrohren der Nennweite DN<br />
3000 im Verfahren des unbemannten<br />
Rohrvortriebs. Insgesamt wurden<br />
in Berlin seit 1984 583 km<br />
Sammel- und Hausanschlusskanäle<br />
im Mikrotunnelbau hergestellt.<br />
Alle diese Entwicklungen sind auch<br />
mit Namen verknüpft: Von der Maschinenherstellerseite<br />
sind es deutsche<br />
Unternehmen wie die Dr.-Ing.<br />
Soltau GmbH, die Herrenknecht<br />
AG oder die Bohrtec GmbH; von<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
39
40<br />
Forschung + Technik<br />
■ Jahr 1984: Pressbaugrube mit Pressrahmen. ■ Jahr 1984: Pressbaugrube mit Pressrahmen und Vortriebsrohr.<br />
der Auftragnehmerseite Tiefbauunternehmen<br />
wie Hermann Hein (seit<br />
1999 nicht mehr am Markt), Lemme<br />
oder Gildemeister. Vor allem<br />
aber ist die Entwicklung des Mikrotunnelbaues<br />
von der Auftraggeberseite<br />
nicht nur in Berlin, nicht nur<br />
in Deutschland, sondern man kann<br />
mit Fug und Recht behaupten,<br />
auch in Europa untrennbar mit<br />
dem ehemaligen Leiter des Unternehmensbereiches<br />
Netze der Berliner<br />
Wasserbetriebe, Dipl.-Ing. Knut<br />
Möhring, Träger des Bundesverdienstkreuzes<br />
der Bundesrepublik<br />
Deutschland, der am 13. Dezember<br />
2003 75 Jahre alt wurde, verbunden.<br />
Knut Möhring hatte erkannt, dass<br />
Technik und Zukunft unmittelbar<br />
zusammengehören und Rahmenbedingungen<br />
für die Entwicklung<br />
des Mikrotunnelbaues geschaffen,<br />
indem er Nachfrage generierte,<br />
technische Anforderungen formu-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
lierte und bei allen von ihm angestoßenen Entwicklungen das Gebot der<br />
Wirtschaftlichkeit zum obersten Kredo erhob. Er ließ sich nicht durch Bedenken<br />
beirren, dass diese neue Technik menschenleere Baustellen produzieren<br />
wird und erlag nicht dem Trugschluss, der bis heute noch überaus<br />
populär ist, dass technischer Fortschritt Arbeitsplätze vernichtet, wie folgende<br />
Geschichte zeigt: Zwei Männer beobachten einen riesigen Bagger<br />
bei der Arbeit: „Wenn es diese Maschine nicht gäbe“, stöhnt der eine,<br />
„könnten Hunderte von uns die Arbeit mit dem Spaten erledigen.“ Darauf<br />
der andere: „Oder eine Million mit Teelöffeln.“<br />
Knut Möhring wusste, dass technischer Fortschritt keine Arbeitsplätze vernichtet,<br />
sondern sie nur zu qualitativ Höherwertigem verlagert.<br />
Die Technische Universität Berlin, an der Knut Möhring Bauingenieurwesen<br />
studierte, würdigte in diesem Jahr zu ihrem 125-jährigen Jubiläum ihre verdienstvollen<br />
Professoren mit der Festschrift: „The shoulders on which we<br />
stand – Wegbereiter der Wissenschaft“. In Anlehnung hieran können die<br />
Berliner Wasserbetriebe mit Stolz behaupten, dass Dipl.-Ing. Knut Möhring<br />
zu den „Shoulders on which we stand – Wegbereiter des Mikrotunnelbaues“<br />
gehört.<br />
In den 20 Jahren Mikrotunnelbau Berlin und Berliner Bauweise haben über<br />
3.000 Fachbesucher aus vielen europäischen Ländern, Amerika und Asien<br />
Berliner Kanalbaustellen besichtigt und die in Berlin erzielten Erfolge in der<br />
Anwendung des lasergeführten und rechnergestützten Mikrotunnelbaues<br />
kennen und schätzen gelernt.
Literatur<br />
[1] WEBER, K. & UFFMANN, H.-P. (1983): Steuerbares Horizontalbohrgerät für<br />
nicht begehbare Rohrleitungen. – Tiefbau, Ingenieurbau, Straßenbau 2+3/83<br />
[2] UFFMANN, H.-P. (1984): Vortriebssystem für nicht begehbare Durchmesser. –<br />
Tiefbau, Ingenieurbau, Straßenbau 11/84<br />
[3] MÖHRING, K. (1984): Erster vollautomatisch gesteuerter Rohrvortrieb für den<br />
Bau eines Schmutzwasserkanals DN 250 in Berlin. – Korrespondenz Abwasser, 12/84<br />
[4] MÖHRING, K. (1986): Die „Berliner Bauweise“ bei vollautomatisch gesteuerten<br />
Rohrvortrieben kleiner Nennweiten. – Tiefbau 2/86<br />
[5] MÖHRING, K. (1986): Gesteuerte Rohrvortriebe, eine wirtschaftliche Alternative<br />
beim Bau kleiner Abwasserkanäle. – Tiefbau 11/86<br />
[6] MÖHRING, K. (1990): Einsatz von grabenlos arbeitenden Vortriebsmaschinen.<br />
– bbr 5/90<br />
[7] MÖHRING, K. (1988): Das Überfahren schadhafter Abwasserkanäle (pipeeating).<br />
– Tiefbau 4/88<br />
[8] Mehr als 100.000 m Mikrotunnelbau in Berlin. – 1. Internationales Rohrleitungsbausymposium,<br />
WASSER BERLIN 1993<br />
[9] UFFMANN, H.-P. (1989): Unterirdische Herstellung von Hausanschlüssen. –<br />
Tiefbau 3/89<br />
[10] BECKER, W. (1996): Möglichkeiten und Grenzen des Mikrotunnelbaues unter<br />
Berücksichtigung der Abbauwerkzeuge. – Tiefbau 7/96<br />
[11] MÖHRING, K. (1988): Stand der geschlossenen Bauweise für nicht begehbare<br />
Querschnitte am Beispiel der Berliner Entwicklung. – Steinzeug-<strong>Information</strong> 1988<br />
[12] BECKER, W. (1992): Mikrotunnelbau in Berlin und den neuen Bundesländern.<br />
– 2. Internationales Symposium Mikrotunnelbau, München 4/92<br />
[13] MÖHRING, K. (1994): Die Herausforderung an die Schildtechnik für Rohrquerschnitte<br />
aus Sicht des Anwenders. – Bautechnik 71/94<br />
[14] MÖHRING, K. (1996): Microtunneling – Umweltgerechter und Kostengünstiger<br />
Kanalbau. – DIN Mitteilungen + elektronorm 75, 1/96<br />
[15] UFFMANN, H.-P. & NIEDER, G. (1996): Geschlossene Bauweise von Abwasserhausanschlüssen<br />
und kleinen Sammlern. – bi Umwelt 2/96<br />
[16] MÖHRING, K. (1996): Durchbruch bei der DN 250-Grenze. – Bautechnik<br />
17/96<br />
[17] NIEDER, G. (1996): Durchbruch beim Rohrvortrieb DN 200. – TIS 12/96<br />
[18] UFFMANN, H.-P. (2001): Maschinentechnik des Microtunneling. – bbr<br />
11/2001<br />
[19] HACKETHAL, J. (<strong>2004</strong>): Mikrotunnelbau in Berlin. – Steinzeug-Report 1/<strong>2004</strong><br />
Kontakt<br />
Forschung + Technik<br />
Dipl.-Ing. Jens Neugebauer<br />
Leiter Bau Kanäle und Hausanschlüsse<br />
Berliner Wasserbetriebe<br />
10864 Berlin<br />
Tel.: 030/8644-5472<br />
E-Mail: neugebauer@bwb.de<br />
Internet: www.bwb.de<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
41
42<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
Planen – Bauen – Einsteigen<br />
Kanalbauten für Kölns Mammutprojekt:<br />
der Nord-Süd-Stadtbahnbau<br />
■ Geplanter Streckenverlauf der N-S<br />
Stadtbahn in Köln.<br />
(Quelle: 4D DESIGN-AGENTUR)<br />
Bereits mit Beginn des U-<br />
Bahn-Baus im Jahr 1963<br />
dachte man im Kölner Rathaus<br />
über eine direkte unterirdische<br />
Nord-Süd-Stadtverbindung<br />
nach. Jetzt, mehr als 40 Jahre später,<br />
wird dieser Gedanke in die Tat<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
umgesetzt: Im März diesen Jahres begannen sukzessive die ersten Leitungsbauarbeiten<br />
(Verlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen) für die insgesamt<br />
8 Haltestellen einer rund 4 km langen, unterirdischen Nord-Süd-<br />
Stadtbahn. Ein gigantisches Projekt, das viel Zeit und noch mehr Geld kostet,<br />
der Stadt und ihren Bürgern aber gewaltige Entlastungen und handfeste<br />
Vorteile beschert.<br />
Startschuss für mehr Lebensqualität<br />
Am 4. Dezember 2002 fiel mit einem zünftigen Baustellenfest der Startschuss<br />
für den Bau der Kölner Nord-Süd-Stadtbahn. Vertreter des Bundes,<br />
des Landes und der Stadt würdigten mit diesem Fest die langjährigen Planungs-<br />
und Vorbereitungsarbeiten, die unter der Regie des Bauherrn, die<br />
Kölner Verkehrsbetriebe AG, und der Gesamtprojektleitung, die Stadt Köln<br />
Amt für Brücken und Stadtbahnbau, stattgefunden hatten.<br />
Mit der neuen unterirdischen Verbindung wird das vorhandene Kölner<br />
Schienennetz deutlich entlastet, Altstadt und Südstadt sowie weitere südliche<br />
Stadtteile besser erschlossen und direkter an Hauptbahnhof und Innenstadt<br />
angeschlossen, Fahrzeiten deutlich verkürzt und der innerstädtische<br />
Individualverkehr reduziert. Für Kölns Bürger, aber auch für die vielen<br />
Touristen der Stadt, bedeutet dies ein „Mehr“ an Lebensqualität.<br />
Anfang und Ende<br />
Die Länge des gesamten Stadtbahnabschnitts „Breslauer Platz – Marktstraße“<br />
beträgt 4.020 m. Für diese erste Baustufe, die den dicht bebauten<br />
Innenstadtbereich umfasst, werden zwei unterirdische, parallel verlaufende<br />
eingleisige Tunnelröhren (in Schildvortriebstechnik) mit sieben unterirdischen<br />
Haltestellen gebaut. Nur 160 m der Gesamttrasse entfallen auf die<br />
Rampe und 110 m auf die daran anschließende einzige oberirdische Haltestelle<br />
am Ende der neuen Bahnlinie (Marktstraße). Ein 90 m langer Tunnel<br />
wird den Anschluss zum bereits vorhandenen Tunnel am Dom/Ost sichern.<br />
Die zweite Baustufe erstreckt sich von der U-Bahn-Haltestelle Bonner<br />
Wall bis zur östlich liegenden Rheinuferstraße. Mit diesem Abschnitt ist die
■ Abb. oben und unten: Computer-animierte Darstellung der Bauweise für<br />
die Kölner Stadtbahn.<br />
(Quelle: 4D DESIGN-AGENTUR)<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
Anbindung der südlichen Stadtbahnlinie<br />
16 (Verbindung nach<br />
Bonn) in den Nord-Süd-Tunnel vorgesehen.<br />
In der dritten Baustufe soll die<br />
Nord-Süd-Stadtbahn oberirdisch in<br />
Richtung Süden bis zum Verteilerkreis<br />
(Autobahnkreuz) dann verlängert<br />
werden.<br />
Die Inbetriebnahme der Nord-Süd-<br />
Stadtbahn ist für 2010 geplant.<br />
Den Zuschlag für die erste Baustufe,<br />
bestehend aus den Baulosen<br />
Süd und Nord, erhielten im November<br />
2003 zwei Arbeitsgemeinschaften.<br />
Beide haben bereits im<br />
Dezember 2003 mit ersten vorbereitenden<br />
Arbeiten im Streckenverlauf<br />
begonnen. Nach langen Zeiten<br />
der Planung, der Kalkulationen<br />
und der Bauvorbereitung ging es<br />
im März <strong>2004</strong> mit dem Beginn der<br />
Kanalbauarbeiten dann an die Ausführung:<br />
Begonnen wurde damit<br />
am Breslauer Platz; die erste Großbaustelle<br />
des Projekts Nord-Süd-<br />
Stadtbahn Köln wurde eingerichtet.<br />
Vorbereitende und ausführende<br />
Kanalbauarbeiten an weiteren<br />
Streckenabschnitten laufen parallel<br />
an.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
43
44<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
■ Startbeginn der ersten Kanalbauarbeiten für den U-Bahnhof Breslauer Platz . . .<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Baustelle U-Bahnhof<br />
Breslauer Platz<br />
Die bereits seit langem bestehende U-Bahn-Haltestelle Breslauer Platz wird<br />
im Zuge des Baus der Nord-Süd-Stadtbahn durch einen größeren U-Bahnhof<br />
ersetzt. Da sich später hier mehrere Linien „einfädeln“ werden, entsteht<br />
ein großer Umsteigebahnhof mit drei Gleissträngen; ca. 5.000 m 2<br />
groß wird die Baugrube hierfür sein.<br />
Bevor es allerdings an die Aushubarbeiten geht, ist u.a. die Baufeldfreimachung<br />
für die Anfahrgruben des U-Bahnbaus im Rohrvortrieb (70 x 100 m)<br />
sowie die Verlegung aller das Baufeld kreuzenden Kanalleitungen notwendig.<br />
Anlieferverkehr und Bahnhofsbetrieb sollten dabei so wenig wie möglich<br />
beeinträchtigt werden.
Kampf mit der Zeit<br />
Die in Köln seit 1906 ansässige Bauunternehmung für Hoch- und Tiefbauten,<br />
Friedrich Wassermann, blickt auf fast 100 Jahre Erfahrung im heimischen<br />
Kanalbau zurück und ist den spezifischen Anforderungen dieses Projektes<br />
gewachsen. Sie erhielt den Zuschlag und begann im März <strong>2004</strong> unter<br />
Federführung ihres Leiters Tiefbau, Dipl.-Ing. Horst Fischer, mit den<br />
Bauarbeiten am Breslauer Platz.<br />
■ . . . die Steinzeugrohre liegen zum Einbau bereit.<br />
Probleme stellten sich – nicht überraschend – schnell ein:<br />
1. Aufgrund der unmittelbaren Lage zum Hauptbahnhof (Ziel von Bombenangriffen<br />
im Zweiten Weltkrieg) mussten alle neu vorgesehenen<br />
Kanaltrassen vom Kampfmittelräumdienst sondiert werden.<br />
2. Aufgrund der mit Sicherheit zu erwartenden archäologischen Funde<br />
konnte im Bereich bis zu ca. 2 m unter Geländeoberkante die Ausschachtung<br />
der Kanaltrassen nur mit eingeschränktem Maschineneinsatz erfolgen.<br />
3. Im Bereich des Stollenbaus wurden verschiedene Hindernisse wie etwa<br />
außer Betrieb befindliche Mauerwerkskanäle, die nicht in den Plänen verzeichnet<br />
waren, angetroffen.<br />
4. Eine Vielzahl von kreuzenden und teilweise unbekannten Versorgungsleitungen<br />
im Bereich der Kanaltrassen, Leerrohrtrassen mit bis zu 30-<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
Zügen, Fernwärmehaubenkanäle<br />
bis DN 600 sowie Gas- und Wasserrohrleitungen<br />
bis DN 600 wurden<br />
vorgefunden.<br />
5. Teilweise gab es eine parallel<br />
laufende Verlegung von Kabel- und<br />
Rohrleitungstrassen auf engstem<br />
Raum.<br />
Alle diese Unwägbarkeiten beeinträchtigten<br />
den zeitlichen Bauablauf<br />
enorm. Nur durch einen Zwei-<br />
Schichtbetrieb und häufige Nachtarbeit<br />
konnte eine zeitliche Verzögerung<br />
kompensiert werden.<br />
Die Bauausführung<br />
Drei verschiedene Ausführungsvarianten<br />
kamen zur Anwendung:<br />
1. Offene Bauweise, Kanaldielenverbau,<br />
stählern senkrecht<br />
Diese Ausführung kam nur in Bereichen<br />
zum Einsatz, an denen es keine<br />
direkte Bebauung gab, da die<br />
Nachverdichtung des seitlich anstehenden<br />
Bodens (meist Trümmerschutt)<br />
Erschütterungen mit<br />
sich bringt, die möglicherweise<br />
Bauwerks- und Leitungsschäden<br />
verursacht. Somit wurde diese Verbauvariante<br />
nur in einer Kanalhaltung<br />
angewendet.<br />
2. Offene Bauweise, Trägerbohlwandverbau<br />
Diese Verbauweise konnte nur unter<br />
erschwerten Bedingungen eingesetzt<br />
werden, da das gesamte<br />
Baufeld durch Trümmerschutt und<br />
alte Bauwerksreste gestört war. Sie<br />
kommt den Archäologen sehr entgegen,<br />
da der Verbau erst im Zuge<br />
der Aushubarbeiten komplett eingezogen<br />
wird und vorhandene Bodendenkmäler<br />
nicht vorher durch<br />
Kanaldielen (s.o.) zerstört werden.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
45
46<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
■ Transport der Steinzeugrohre auf der<br />
Baustelle.<br />
■ . . . in den Graben abgelassen . . .<br />
■ . . . eingebaut . . .<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
■ Das Rohr wird in den Rohrgraben<br />
eingefädelt . . .<br />
■ . . . Laser-genau positioniert . . .<br />
■ . . . und verfüllt.
3. Geschlossene Bauweise, Stollenbau<br />
Aufgrund verkehrstechnischer Gegebenheiten wurden mehrere Kanalabschnitte<br />
in der geschlossenen, unterirdischen Bauweise (Kölner Stollen)<br />
errichtet. Der Kölner Stollen ist eine bergmännische Tunnelbauweise für<br />
Ortbeton- und Rohrkanäle in Böden aller Art, für die das Unternehmen<br />
mehrere Verfahren entwickelt hat. Mit dem Kölner Stollen wird der Hauptkanal<br />
einschließlich der Haus- und Sinkkästenanschlüsse unterirdisch<br />
gebaut.<br />
Als Rohrmaterial wurde ausschließlich Steinzeug verwendet:<br />
● wandverstärkte Steinzeugrohre DN 300 bis 600<br />
● Haus- und Sinkkastenanschlüsse mit Steinzeugrohren DN 150 bis 200<br />
Die Herstellung der Anfahrgruben und der Stollenbau erfolgten unter<br />
Anwendung der Spritzbetonbauweise.<br />
Die Arbeiten am Breslauer Platz wurden termingerecht im August <strong>2004</strong><br />
abgeschlossen.<br />
Gespräch vor Ort<br />
Im <strong>Information</strong>sbüro der Nord-Süd-Stadtbahn, in unmittelbarer Nähe der<br />
neu zu errichtenden U-Bahn-Haltestelle Severinstraße, stand Dipl.-Ing.<br />
Hans-Peter Nickel von der StEB Stadtentwässerungsbetriebe (AöR) für ein<br />
Gespräch bezüglich der Kanalbauarbeiten zur Verfügung.<br />
?<br />
Herr Nickel, Sie sind für die Ausführungen der Kanalbauarbeiten in diesem<br />
Mammutprojekt Nord-Süd-Stadtbahnbau zuständig. Was bedeutet das<br />
im Klartext? Ist die StEB ausführendes Unternehmen und Sie sind der Bauleiter,<br />
oder haben Sie die Bauaufsicht als Auftraggeber?<br />
H.-P. Nickel: Der Bauherr der Nord-Süd-Stadtbahn ist die Kölner Verkehrsbetriebe<br />
AG, und damit ist sie auch Bauherr für den Kanalbau. Wir, die<br />
Stadtentwässerungsbetriebe, sind die Eigentümer des Kölner Kanalnetzes<br />
und achten somit natürlich auf die ordnungsmäßige Ausführung der<br />
Kanalarbeiten. Wir haben allerdings keinen direkten Einfluss auf die bauausführenden<br />
Firmen. Einflussnahme geht nur über die Bauaufsicht der<br />
KVB.<br />
?<br />
Gilt diese Zuständigkeit für die gesamte Trasse?<br />
H.-P. Nickel: Nein, nicht ganz! Ausnahme ist der Heumarkt und der Gleiswechsel<br />
am Waidmarkt. Hier haben wir im Auftrag der KVB die Bauüberwachung<br />
inne.<br />
?<br />
Welche Maßnahmen müssen für den (Kanal-)Leitungsbau getroffen werden?<br />
Müssen Altleitungen entsorgt, saniert und/oder erneuert werden?<br />
H.-P. Nickel: Da im Bereich der neu zu bauenden U-Bahnhöfe alle Leitungen<br />
erst einmal entfernt werden müssen, ist es notwendig, auch die<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
vorhandenen Kanalleitungen zu<br />
entfernen. Abhängig von den örtlichen<br />
Gegebenheiten werden endgültige<br />
Lösungen neu gebaut oder,<br />
wenn die Situation es erfordert, zunächst<br />
provisorische Entwässerungsleitungen<br />
errichtet und nach<br />
dem Bau der U-Bahnhöfe wieder<br />
zurückverlegt.<br />
?<br />
Welche Probleme tauchen dabei<br />
auf?<br />
H.-P. Nickel: Problematisch wird<br />
es immer, wenn wir auf Leitungen<br />
treffen, die uns nicht bekannt waren,<br />
die nicht dokumentiert sind.<br />
Problematisch sind auch gelegentlich<br />
die Diskussionen mit den Anliegern,<br />
die von unseren Baumaßnahmen<br />
betroffen sind und sich in<br />
Ihrer Existenz bedroht fühlen. Und<br />
natürlich, wenn die Archäologen<br />
des Römisch-Germanischen Museums<br />
fündig geworden sind.<br />
?<br />
In einer Stadt wie Köln, die eine<br />
bewegte historische Entwicklung<br />
genommen hat, sind archäologische<br />
Funde nicht selten. Was bedeutet das<br />
für die Kanalbauarbeiten?<br />
■ Diese Aucissafibel, eine römische<br />
Gewandspange, hat ein römischer Legionär<br />
bei Straßenbauarbeiten verloren.<br />
Dieser archäologische Fund ist einer<br />
von vielen bei den Tiefbauarbeiten<br />
für die Kölner N-S Stadtbahn.<br />
(Foto und <strong>Information</strong>: ABS Gesellschaft<br />
für Archäologische Baugrund-<br />
Sanierung mbH, Köln. Fundort: Bonner<br />
Straße)<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
47
48<br />
Baustellenbericht/-reportage<br />
H.-P. Nickel: Wir haben natürlich<br />
Verständnis für die archäologischen<br />
Arbeiten, und in Köln muss man<br />
natürlich mit Funden rechnen. Für<br />
die Kanalbauarbeiten bedeuten sie<br />
allerdings Baustillstände, Zeitverluste<br />
und manchmal sogar Verlegung<br />
der geplante Trasse.<br />
?<br />
Werden die Leitungen in offener<br />
oder in geschlossener Bauweise<br />
verlegt, bzw. nach welchen Kriterien<br />
wird entschieden?<br />
H.-P. Nickel: Die Wahl der Bauweise<br />
richtet sich nach Art der<br />
Bebauung, nach den Verkehrsgegebenheiten,<br />
nach den Bodenverhältnissen<br />
und schließlich nach den<br />
Forderungen der Archäologen. Die<br />
Kanalleitungen werden also sowohl<br />
in offener als auch in geschlossener<br />
Bauweise verlegt.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
?<br />
Müssen die Kanalbauarbeiten unter Zeitdruck ausgeführt werden?<br />
H.-P. Nickel: Meist ja, aufgrund von Stillstandszeiten und Trassenverlegungen.<br />
Wir achten allerdings sehr darauf, dass durch die Zeitnot die Qualitätskriterien<br />
für den Kanalbau peinlichst eingehalten werden.<br />
?<br />
Am Breslauer Platz lagen Steinzeugrohre zum Einbau bereit; in der Severinstraße<br />
werden auch PVC-Rohre vorgehalten. Warum werden verschiedene<br />
Rohrmaterialien eingebaut?<br />
H.-P. Nickel: Es werden im Abwasserbereich nur Steinzeugrohre eingebaut,<br />
damit haben wir gute und langjährige Erfahrungen gemacht. Bei den<br />
PVC-Rohren handelt es sich entweder um Leer-Rohre für die Versorgung<br />
oder um Rohre, die nur für den Einsatz als provisorische Zwischenlösung<br />
gedacht sind.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
(Quelle für die Abb. auf den Seiten 44 und 46: Fotograf: Hunger; freundlich<br />
zur Verfügung gestellt von: FRIEDRICH WASSERMANN GmbH & Co., Köln)<br />
Kontakt<br />
Stadtentwässerungsbetriebe Köln (AöR)<br />
Dipl.-Ing. Hans-Peter Nickel<br />
Willy-Brandt-Platz 2<br />
50679 Köln<br />
Tel.: 0221/221-23668<br />
Kontakt<br />
Friedrich Wassermann<br />
Bauunternehmung für<br />
Hoch- und Tiefbauten GmbH & Co.<br />
Dipl.-Ing. Horst Fischer<br />
Eupener Straße 74<br />
50933 Köln<br />
Tel.: 0221/4 98 76-50<br />
Fax: 0221/4 98 76-55
Die ERZ Entsorgung + Recycling Zürich ist eine Dienstabteilung der<br />
Stadt Zürich, die u.a. für den Betrieb und den Erhalt der Abwasserkanäle<br />
und des Klärwerks zuständig ist. Die einzelnen Geschäftsbereiche<br />
der ERZ tragen jeweils die volle operative und die Budget-bezogene<br />
Verantwortung. Dank der Erkenntnisse aus dem Benchmarking konnten<br />
der Betrieb der Abwasserkanäle optimiert und die Kosten wiederkehrend in<br />
Millionenhöhe reduziert werden; die Qualität der Betriebsleistung ist dabei<br />
erhalten geblieben.<br />
Gottfried Neuhold ist Mitglied der Geschäftsleitung<br />
der ERZ. Mit ihm verfügt<br />
das Unternehmen über einen ausgezeichneten<br />
Strategen, der mit Weitblick und geschicktem<br />
Management für einen wirtschaftlichen<br />
und nachhaltigen Betrieb des<br />
Züricher Kanalnetzes Sorge trägt. In einem<br />
Gespräch mit der Redaktion hat er die „Situation“<br />
der Stadt geschildert und die<br />
wichtigsten Maßnahmen skizziert.<br />
?<br />
Das Abwassernetz der Stadt Zürich<br />
mit ihren 364.000 Einwohnern<br />
hat eine Gesamtlänge von rund<br />
915 km. Der überwiegende Teil der Leitungen<br />
besteht aus Zementrohren, gefolgt<br />
von Betonrohren; zudem werden<br />
seit 1960 auch zunehmend Steinzeugrohre<br />
eingebaut. Sind Sie insgesamt<br />
mit dem Zustand des Netzes zufrieden?<br />
G. Neuhold: Ja, mit Ausnahme der<br />
Zementrohre, von denen große<br />
Mengen in den Jahren von 1920 bis<br />
1960 eingebaut wurden. Diese müssen<br />
bis ins Jahr 2020 vollständig ersetzt<br />
werden.<br />
Portrait/Interview<br />
Erfolgreiche Kanalbaustrategien<br />
In Züri läuft’s supr!<br />
?<br />
In Deutschland klagen viele<br />
Städte und Kommunen über marode<br />
Abwassernetze, die dringend<br />
saniert und/oder erneuert werden<br />
müssen; die öffentlichen Kassen aber<br />
sind leer. Wie ist die Situation in der<br />
Schweiz? Sieht es dort ähnlich aus?<br />
G. Neuhold: Der Zustand der Abwassernetze<br />
in den größeren Agglomerationen<br />
ist im Allgemeinen<br />
gut bis sehr gut. Allerdings wurde<br />
auch dort häufig so konsequent<br />
hochwertiges Material eingesetzt<br />
wie in der Stadt Zürich. Bei den<br />
kleineren Gemeinden stellt sich die<br />
Situation sehr unterschiedlich dar,<br />
wohl eher ähnlich wie in Deutschland.<br />
■ Abb. 1: Einzugsgebiet der Stadt Zürich für den Geschäftsbereich Entwässerung.<br />
Gelbe Linie: Stadtgrenze<br />
Rote Linie: 5,3 km langer Stollen, mit zwei Rohrleitungen aus Steinzeug.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
49
50<br />
Portrait/Interview<br />
■ Abb. 2: Über die laufende Zustandsüberwachung und das Einfließen der Ergebnisse in den Planungsprozess ist der jährliche<br />
Sanierungsbedarf genauestens bekannt.<br />
?<br />
Sie sagten eingangs, dass natürlich<br />
auch Teile des Züricher Abwassernetzes<br />
sanierungs- bzw. erneuerungsbedürftig<br />
sind. Wie hoch<br />
ist denn der jährliche Bedarf?<br />
G. Neuhold: Bei den Abwasserkanälen<br />
aus Steinzeug gehen wir von<br />
einer Mindestlebensdauer von 100<br />
Jahren aus. Daraus resultiert eine<br />
durchschnittliche Sanierungsquote<br />
von 1 % pro Jahr. Dazu kommt,<br />
dass wir die eingangs erwähnten<br />
Zementrohre bis ins Jahr 2020 vollständig<br />
ersetzen müssen, was einen<br />
höheren Investitionsbedarf als<br />
die theoretischen, jährlichen 1 %<br />
zur Folge hat. Wir reden von ungefähr<br />
1,5 bis 2 %.<br />
?<br />
Was hat sich ERZ für den Betrieb<br />
und die Erhaltung seines Kanalnetzes,<br />
sprich für die strategische<br />
Vorgehensweise, als höchste Priorität<br />
gesetzt?<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
G. Neuhold: Es gibt hier zwei Prioritäten und nicht nur eine: Die erste ist<br />
die genaue Kenntnis über den Zustand des Abwassernetzes und die zweite<br />
ist die höchste Qualität bei der Wahl der Materialien: im Wesentlichen<br />
Steinzeug, wo immer möglich.<br />
?<br />
ERZ ist eine Dienstabteilung der Stadt Zürich. Welchen Einfluss hat die Abteilung<br />
auf Entscheidungen zu Sanierung oder Neubau von Abwasserkanälen?<br />
Wer trifft die Entscheidung über zu ergreifende Maßnahmen?<br />
G. Neuhold: ERZ trifft sämtliche Entscheidungen, die im Zusammenhang<br />
mit den Abwasserkanälen stehen, selbst: Und zwar das Wann, das Wo, das<br />
Womit und das Was mit wie viel Geld. Die übergeordnete Planung macht<br />
ERZ; die projektbezogene, die Teilplanung und die Ausführung macht das<br />
Tiefbauamt der Stadt Zürich im Auftrag von ERZ.<br />
?<br />
Seit 1999 konnte der Betrieb der Kanäle optimiert und die Kosten drastisch<br />
reduziert werden. Gleichzeitig blieb die Qualität der Betriebsleistung erhalten.<br />
Mit welchen Mitteln haben Sie das erreicht?<br />
G. Neuhold: Dank des Benchmarkings und den darin enthaltenen Möglichkeiten<br />
zum direkten Vergleich mit anderen Städten, vorwiegend in<br />
Deutschland, haben wir gelernt, unsere Renovierungsintervalle und das<br />
Prozess-orientierte Vorgehen im Allgemeinen so anzupassen, dass wir mit<br />
wesentlich geringerem Aufwand die gleiche Qualität wie früher erreichen.
■ Abb. 3: Der Planungszyklus.<br />
?<br />
Können Sie in Stichworten skizzieren, wie Ihr Planungsprozess gefasst war,<br />
der aus dem einstigen Amt ein Dienstleistungsunternehmen geschaffen<br />
hat, das wirtschaftlichen Erfolg hat und sich zu den besten schweizerischen<br />
Entsorgungsunternehmen zählen darf?<br />
G. Neuhold: 1. Eine Prozess-orientierte Organisation, 2. Aufteilung in Geschäftsbereiche<br />
mit vollständig operativer Verantwortung und 3. Dienstleistungsbereiche,<br />
welche die Geschäftsbereiche zu unterstützen haben<br />
(keine heimlichen Königreiche), 4. Einführung von betriebswirtschaftlichen<br />
Werkzeugen gemäß aktuellem Wissensstand (einschließlich Controlling,<br />
Kostenstellen-Verantwortung, Training Sämtlicher Kaderleute in kaufmännischen<br />
Zusammenhängen usw.); nicht zu vergessen ist der kulturelle Teil:<br />
Sämtliche Mitarbeiter werden in Teambildung, Kommunikation, Konfliktbeherrschung<br />
etc. wiederkehrend geschult.<br />
Von politischer Seite aus ist ERZ in seinem Bestreben, sich kontinuierlich zu<br />
verbessern, immer aktiv unterstützt worden.<br />
?<br />
ERZ finanziert sich ausschließlich über die Abgeltung von wertschöpferischen<br />
Tätigkeiten. Erläutern Sie bitte, was die langfristige Planung und Investitionsplanung<br />
vorsehen?<br />
G. Neuhold: Neben der wiederkehrenden Budgetierung haben wir eine<br />
Mittel- und Langfristplanung eingeführt, die ein Abfallprodukt der Businesspläne<br />
der einzelnen Geschäftsbereiche ist und im Zusammenhang mit<br />
der jährlichen Budgetphase rollend erneuert wird. Sämtliche heute bekannten<br />
Aktionen im Sinne unserer Zielsetzung Betreiben und Erhalten der<br />
Portrait/Interview<br />
uns anvertrauten Investitionen der<br />
Stadt Zürich, werden in unserer<br />
Mittel- und Langfristplanung erfasst,<br />
terminiert und nach heutigem<br />
Wissen zum Wiederbeschaffungswert<br />
bewertet. Daraus kann<br />
der jeweilige Finanzbedarf abgelesen<br />
werden. Die Planung und<br />
die zur Verfügungstellung der nötigen<br />
finanziellen Mittel ist eine logische<br />
Konsequenz daraus. Dieser<br />
Mittelbedarf fließt in die Rechnung<br />
des Preis-Leistungs-Managements<br />
(sprich Gebühren) ein und zwar in<br />
den Infrastrukturpreis.<br />
?<br />
Sie differenzieren zwischen einem<br />
Infrastrukturpreis und einem<br />
Leistungspreis. Wie setzen sich<br />
diese beiden jeweils zusammen?<br />
G. Neuhold: Grundsätzlich deckt<br />
der Infrastrukturpreis, wie schon<br />
der Name sagt, alle Kosten ab, die<br />
für den Erhalt der Infrastruktur nötig<br />
sind. Der Leistungspreis soll<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
51
52<br />
Portrait/Interview<br />
■ Abb. 4: Infrastruktur- und Leistungspreis.<br />
sämtliche operativ abhängigen<br />
Kosten abdecken. Dies ist in der<br />
heutigen Konstellation nicht konsequent<br />
umgesetzt worden. Der<br />
reine Leistungspreis für Abwasser<br />
wäre derart niedrig, dass er die<br />
verlangte Lenkungswirkung vom<br />
Sparen von Frischwasser verlieren<br />
würde. Daher deckt der Leistungspreis<br />
Abwasser auch einen Teil der<br />
Infrastrukturkosten.<br />
?<br />
Wie hoch sind die jährlichen<br />
finanziellen Aufwendungen für<br />
Sanierung und Instandhaltung?<br />
G. Neuhold: Für die Sanierung<br />
und Instandhaltung des Abwassernetzes<br />
setzt die Stadt Zürich 30 bis<br />
40 Mio. Euro jährlich ein; aus der<br />
laufenden Rechnung finanziert.<br />
?<br />
Inwieweit partizipieren die Bürger<br />
vom erfolgsorientierten Wirtschaften<br />
der ERZ?<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
G. Neuhold: Am 18.08.04 hat der Gemeinderat der Stadt Zürich die neue<br />
Abwasserverordnung gutgeheißen. Darin ist neben der gerechteren Verteilung<br />
der Infrastrukturpreise eine Reduktion der Leistungspreise von heute<br />
2,05 SFr auf 1,62/m 3 SFr. enthalten. Zusätzlich werden mit dem Abwasserpreis<br />
sämtliche Investitionen zumindest zu 50 % aus eigenen Mitteln finanziert,<br />
was eine Reduktion der Zinsbelastung zur Folge hat.<br />
?<br />
Eine letzte Frage: Wenn heute der Kanalbau noch mal von vorne beginnen<br />
könnte oder müsste, was wäre in Zürich anders?<br />
G. Neuhold:<br />
1. Man müsste konsequent flächendeckend getrennte Systeme bauen<br />
2. Verwendung von Materialien höchster Qualität, z.B. Steinzeug, wo<br />
immer möglich.<br />
Alle Abbildungen: ERZ<br />
Kontakt<br />
Gottfried Neuhold<br />
CEO ERZ Entsorgung + Recycling Zürich<br />
Bändlistraße 108<br />
CH-8010 Zürich<br />
Tel.: 0041/1/ 645 52 83<br />
Fax: 0041/1/ 645 55 56<br />
Internet: www.stzh.ch
Portrait/Interview<br />
Verabschiedung/Antritt<br />
Große Festveranstaltung für die Wasserexperten<br />
■ NRW-Ministerin Bärbel Höhn verabschiedete sich in ihrer Festrede mit Rückblick auf gemeinsam<br />
durchgeführte und vom Ministerium geförderte Projekte von Prof. Dr. Max Dohmann und freut sich<br />
auf die künftige Zusammenarbeit mit Prof. Johannes Pinnekamp.<br />
(Foto: RWTH Aachen)<br />
Am 19. Juli <strong>2004</strong> hatte das Institut für Siedlungswasserwirtschaft der<br />
RWTH Aachen zu einer Festveranstaltung anlässlich der Verabschiedung<br />
von Prof. Dr.-Ing. Max Dohmann und des Antritts von Prof.<br />
Dr.-Ing. Johannes Pinnekamp eingeladen. Beim Rundblick durch die Aula,<br />
die u.a. mit vielen „Ehemaligen“ gefüllt war, war jedoch gleich klar: dieser<br />
Nachmittag gehörte in erster Linie dem scheidenden Prof. Dohmann, der<br />
nach 17 Jahren Institutsleitung in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet<br />
wurde.<br />
Entsprechend dem Anlass waren denn auch die Festredner, die Prof. Dohmann<br />
für seine herausragenden Arbeiten ehrten und Prof. Pinnekamp<br />
Erfolg und gutes Gelingen bei seinen neuen Aufgaben wünschten, hochkarätig:<br />
● Bärbel Höhn, Ministerin für<br />
Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft<br />
und Verbraucherschutz<br />
des Landes NRW<br />
● Prof. Dr. Andreas Troge, Präsident<br />
des Umweltbundesamtes<br />
● Univ.-Prof. Dr. Burkhard Rauhut,<br />
Rektor der RWTH Aachen<br />
● Prof. Dr. Helmut Kroiss, Institut<br />
für Wassergüte und Abfallwirtschaft<br />
der Technischen Universität Wien<br />
● Prof. Dr. Wilhelm Benning,<br />
Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen<br />
der RWTH<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
53
54<br />
Portrait/Interview<br />
Prof. Dohmann kann auf eine<br />
erfolgreiche, über 20-jährige Tätigkeit<br />
als Hochschullehrer und Wissenschaftler<br />
zurückblicken: zunächst<br />
für 4 Jahre an der Universität Gesamthochschule<br />
Essen, danach seit<br />
1987 als Inhaber des Lehrstuhls für<br />
Siedlungswasserwirtschaft und Direktor<br />
des gleichnamigen Instituts<br />
der RWTH Aachen. Neben seinen<br />
Aufgaben als Universitätsprofessor<br />
war Prof. Dohmann in zahlreichen<br />
Gremien als viel gefragter Fachmann<br />
tätig. Und es bleibt zu hoffen,<br />
dass er vielen noch als Experte<br />
der Wasserwirtschaft zur Verfügung<br />
stehen wird.<br />
Zu Ehren von Prof. Dohmann haben<br />
sich zahlreiche ehemalige Doktoranden<br />
zusammengetan und<br />
ihm aus ihren Arbeitsgebieten eine<br />
Festschrift erstellt, die das gesamte<br />
Spektrum und den Erfolg seiner<br />
Forschungen widerspiegelt. Mit<br />
sichtlichem Stolz nahm er sie als<br />
Geschenk entgegen.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Bereits am 8. April <strong>2004</strong> trat sein Nachfolger, Prof. Pinnekamp, sein Amt an<br />
der RWTH Aachen an. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens und<br />
der anschließenden Promotion an der RWTH Aachen wechselte er in die<br />
Freie Wirtschaft zur AEW Plan GmbH, wo er als Fachbereichs- und Geschäftsbereichsleiter<br />
sowie als Technischer Geschäftsführer tätig war. Von<br />
2000 bis <strong>2004</strong> leitete er als Universitätsprofessor die Abteilung „Abwassertechnik“<br />
des Instituts für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft<br />
der Universität Stuttgart.<br />
Mit seinem fachlichen Background, seinem Mitwirken in den verschiedensten<br />
Gremien und mit seinem stilvollen Lebensmotto: „Man sollte die Dinge so<br />
nehmen, wie sie kommen – aber man sollte vorher dafür sorgen, dass sie<br />
so kommen, wie man sie gerne nehmen möchte“, wird er mit Sicherheit<br />
als Hochschullehrer und Forscher ebenso erfolgreich werden wie sein Vorgänger.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr.-Ing. Johanes Pinnekamp<br />
Inst. für Siedlungswasserwirtschaft<br />
der RWTH Aachen<br />
Mies-van-der-Rohe-Straße 1<br />
52056 Aachen<br />
Tel.: 0241/8025214<br />
Fax: 0241/8022285<br />
E-Mail: et@isa.rwth-aachen.de<br />
Internet: www.rwth-aachen.de
Die Bedeutung des öffentlichen Auftragswesens für die private Wirtschaft<br />
wächst ständig. Aufgrund der am 1. Mai diesen Jahres vollzogenen<br />
EU-Osterweiterung müssen nunmehr auch die neuen Mitgliedstaaten<br />
europäische Vergaberechtsstandards anwenden. Die Beitrittsländer<br />
sind: Polen, Litauen, Lettland, Estland, Tschechien, Slowakei,<br />
Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern. Damit sind diese Staaten jetzt auch<br />
dazu verpflichtet, Beschaffungen im Wege transparenter und diskriminierungsfreier<br />
EU-konformer Vergabeverfahren zu vergeben. Die nachfolgenden<br />
Ausführungen geben Aufschluss über die derzeitige Situation des<br />
öffentlichen Auftragswesens in Deutschland und Europa und stellen die<br />
aktuelle vergaberechtliche Situation in den neuen Mitgliedstaaten dar.<br />
Ausgangssituation Deutschlands in der EU<br />
Die Beitrittsakte [1] für die Erweiterung der Europäischen Union sah für die<br />
alten sowie die neuen Mitgliedstaaten Ermächtigungen vor, die europarechtlichen<br />
Grundfreiheiten (insbesondere die Dienstleistungsfreiheit und<br />
die Arbeitnehmerfreizügigkeit) in Übergangsfristen zu beschränken, um<br />
die heimischen Märkte vor der Konkurrenz aus den anderen Mitgliedstaaten<br />
zu schützen. Deutschland hat von dieser Möglichkeit der Beschränkung<br />
des Zugangs zu seinen öffentlichen Märkten am weitesten Gebrauch<br />
gemacht. Während einer Übergangsfrist von zwei Jahren sind damit in<br />
Deutschland Bewerber aus den Beitrittsländern von Ausschreibungen im<br />
Baugewerbe [2], Gebäudereinigung und Dienstleistungen [3] ausgeschlossen<br />
[4]. Diese Maßnahme zum Schutze des heimischen Arbeitsmarktes<br />
kann nach Ablauf der Zweijahresfrist erforderlichenfalls verlängert werden.<br />
Unbeschränkter Wettbewerb besteht nur bei öffentlichen Lieferaufträgen.<br />
Deutsche Unternehmen haben im Gegenzug keine Beschränkungen hinsichtlich<br />
der Beteiligungen an Ausschreibungen in den neuen Mitgliedstaaten<br />
hinzunehmen. Die Beitrittsakte räumte den neuen Mitgliedstaaten<br />
zwar ebenfalls diese Option ein, doch wurde von einer Einschränkung<br />
insbesondere wegen dringend benötigter Investitionen abgesehen. Von<br />
allen Wirtschaftszweigen wird die deutsche Bauwirtschaft damit durch die<br />
Ausnahmeregelung am umfangreichsten vor Konkurrenz aus den neuen<br />
EU-Mitgliedstaaten geschützt.<br />
Wirtschaft + Recht<br />
Chancen wahrnehmen<br />
Öffentliche Auftragsvergabe in den neuen<br />
EU-Mitgliedstaaten<br />
Rechtssituation in den<br />
neuen EU-Mitgliedstaaten<br />
Die neuen Mitgliedstaaten müssen<br />
seit dem 1. Mai <strong>2004</strong> ohne Übergangsfrist<br />
die EU-rechtlichen<br />
Regelungen bezüglich der öffentlichen<br />
Auftragsvergabe anwenden.<br />
Die Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie<br />
[5], die Lieferkoordinierungsrichtlinie<br />
[6], die Baukoordinierungsrichtlinie<br />
[7] sowie die Sektorenrichtlinie<br />
[8] und die beiden<br />
Rechtsmittelrichtlinien [9] wurden<br />
deshalb zum Zwecke der Harmonisierung<br />
der bisherigen nationalen<br />
Vergaberegelungen mit den Vergaberichtlinien<br />
im Vorfeld des 1. Mai<br />
<strong>2004</strong> oder zu diesem Datum in<br />
nationales Recht umgesetzt, indem<br />
europarechtskonforme Vergabegesetze<br />
geschaffen wurden.<br />
Konkret bedeutet der nunmehr<br />
europaweit geltende Grundsatz<br />
der diskriminierungsfreien Vergabe<br />
für Unternehmen, dass insbesondere<br />
aufgrund der Nationalität kein<br />
Unterschied mehr zwischen den<br />
Bieterunternehmen gemacht werden<br />
darf. Dieser Umstand ist für<br />
Bieterunternehmen aus den bisherigen<br />
EU-Mitgliedstaaten wichtig,<br />
denn eine Bevorzugung nationaler<br />
Unternehmen war vor Inkrafttreten<br />
der EU-konformen Vergabesysteme<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
55
56<br />
Wirtschaft + Recht<br />
in einigen der neuen Mitgliedstaaten<br />
an der Tagesordnung.<br />
Die Erfahrung zeigt, dass deutsche<br />
Unternehmen ein großes Interesse<br />
an der Teilnahme an ausländischen<br />
öffentlichen Ausschreibungen haben,<br />
jedoch allzu oft vor dem<br />
scheinbar fremden und undurchdringlichen<br />
Rechtsraum zurückschrecken.<br />
Beinah unüberwindbare<br />
Grenzen werden vermutet, wenn<br />
es um die Beteiligung an ausländischen<br />
Vergabeverfahren geht.<br />
Durch diese Einstellung verspielen<br />
Unternehmen enorme Chancen,<br />
sich außerhalb der deutschen<br />
Grenzen neue Märkte zu sichern.<br />
Steigerung des grenzüberschreitenden<br />
Wettbewerbs<br />
Durch die vollzogene EU-Mitgliedschaft<br />
wird sich die Anzahl der öffentlich<br />
ausgeschriebenen Projekte,<br />
bedingt durch eine erweiterte Kofinanzierung<br />
durch Brüssel, erweitern.<br />
In vielen Bereichen besteht<br />
ein gesteigerter Nachholbedarf, da<br />
nunmehr europäische Standards<br />
eingehalten werden müssen. Aus<br />
den Strukturfonds werden vorrangig<br />
Projekte in den Bereichen Umwelt<br />
und Infrastruktur gefördert.<br />
Von den EU-Strukturfonds in Höhe<br />
von 24 Mrd. Euro wird zwischen<br />
■ Tabelle 1: Wirtschaftsdaten in den neuen Mitgliedstaaten<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
<strong>2004</strong> und 2006 ein Löwenanteil nach Polen fließen. Die Wirtschaftsdynamik<br />
in den neuen Mitgliedstaaten ist sehr unterschiedlich: Die<br />
litauische Wirtschaft weist das größte Wachstum auf, wohingegen Malta<br />
als einziges Beitrittsland einen BIP-Rückgang zu verzeichnen hat (Tabelle 1).<br />
Der Markt für öffentliche Aufträge in den bisherigen EU-Mitgliedstaaten<br />
hat ein jährliches Volumen von 1,42 Billionen Euro erreicht und entspricht<br />
damit 16 % des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union. Der Umfang<br />
wird sich durch die EU-Osterweiterung noch erhöhen. Die EU-Kommission<br />
schätzt, dass von den Ausschreibungen bisher nur ca. 15 % grenzüberschreitend<br />
an Bieter aus anderen Mitgliedstaaten vergeben werden.<br />
Studien der Europäischen Kommission belegen, dass die Umsetzung der<br />
Vergaberichtlinien zu mehr grenzüberschreitendem Wettbewerb führen<br />
[11]. Untersuchungen ergaben, dass öffentliche Auftraggeber durch einen<br />
effektiven europaweiten Wettbewerb ihre Beschaffungsausgaben um 30 %<br />
senken können. In Zeiten knapper Haushaltskassen besteht insofern seitens<br />
der öffentlichen Auftraggeber eine immer größere Bereitschaft, öffentliche<br />
Aufträge tatsächlich an ausländische Bieterunternehmen zu vergeben.<br />
Denn Dank der Anwendung von Gemeinschaftsvorschriften kommen<br />
öffentliche Auftraggeber in den Genuss eines optimalen Preis-Leistungsverhältnisses.<br />
Durch die Neuregelungen wird eine effiziente Beschaffungspraxis<br />
vorgeschrieben, welche den europaweiten Wettbewerb intensiviert.<br />
Nationale Spezifikationen<br />
Zwar basieren die nationalen Vergabegesetze jeweils auf den gleichen europarechtlichen<br />
Richtlinien, so dass insofern nunmehr in allen EU-Mitgliedstaaten<br />
ein gemeinsames und gleiches Grundgerüst für die Vergabe öffentlicher<br />
Aufträge besteht. Hinsichtlich der zwingenden EU-weiten Vergabe<br />
gelten damit die gleichen Schwellenwerte: Für Liefer- und Dienstleistungen<br />
gilt für oberste Behörden ein Schwellenwert von 130.000 Euro, für alle<br />
anderen Beschaffungsstellen 200.000 Euro. Für Bauaufträge gilt einheitlich<br />
der Schwellenwert von 5 Mio. Euro, oberhalb dessen europaweit ausgeschrieben<br />
werden muss. In den neuen Mitgliedstaaten wurden Gesetzestexte<br />
geschaffen, die jeweils sämtliche Vergabegrundregeln umfassen; eine<br />
Aufsplitterung in gesonderte Regelungen für Bau-, Dienst- und Lieferleis-<br />
Land BIP Wachstum zum Vorjahr [10] Strukturförderung in Mio. €<br />
2003 <strong>2004</strong> zwischen <strong>2004</strong> und 2006<br />
Estland 4,8 % 5,4 % 695,06<br />
Lettland 7,5 % 6,2 % 1.164,29<br />
Litauen 8,9 % 6,9 % 1.537,70<br />
Malta -1,7 % 1,4 % 88,74<br />
Polen 3,7 % 4,6 % 12.808,70<br />
Slowakei 4,2 % 4,0 % 1.757,39<br />
Slowenien 2,3 % 3,2 % 456,31<br />
Tschechien 2,9 % 2,9 % 2.621,19<br />
Ungarn 2,9 % 3,2 % 3.207,26<br />
Zypern 2,0 % 3,4 % 2.621,19
tungen, wie dies in der deutschen Vergaberechtsgesetzgebung geschehen<br />
ist, hat keiner der neuen Mitgliedstaaten vorgenommen. Für Unternehmen<br />
aus den bisherigen EU-Mitgliedstaaten ist wichtig, dass sich öffentliche Auftraggeber<br />
aus den neuen EU-Mitgliedstaaten bei der Vorgabe technischer<br />
Spezifikationen primär auf innerstaatliche Normen beziehen müssen, die<br />
europäische Standards umsetzen, auf europäische technische Zulassungen<br />
oder auf gemeinsame technische Spezifikationen. Lediglich für den Fall,<br />
dass diese nicht existieren, kann von diesem Grundsatz abgewichen werden<br />
[12].<br />
Was jedoch in der Praxis für potenzielle Bieterunternehmen weitaus wichtiger<br />
ist, ist die Tatsache, dass die einzelnen Mitgliedstaaten in Bereichen,<br />
in denen die Richtlinien keine speziellen Vorgaben machen, zum Teil extrem<br />
unterschiedliche Regelungen getroffen haben. Dies führt dazu,<br />
dass für eine erfolgreiche Teilnahme an einem Vergabeverfahren Spezialkenntnisse<br />
des jeweiligen Vergabesystems unabdingbar sind. So ist<br />
insbesondere im Hinblick auf die Angebotserstellung die Kenntnis der<br />
nationalen Vorgaben sehr wichtig, da hier teilweise besondere Bestimmungen<br />
eingehalten werden müssen, deren Missachtung zwingend<br />
zu einem Ausschluss führen. So haben Unternehmen beispielsweise beil<br />
itauischen Vergabeverfahren streng formalistische Vorgaben hinsichtlich<br />
der Form und Ausfertigung des Angebots einzuhalten. Auch hinsichtlich<br />
der Sprache, in der das Angebot eingereicht werden kann, sehen die verschiedenen<br />
Vergaberechtssysteme unterschiedliche Vorgaben vor.<br />
Wichtig ist im Hinblick auf eine Beteiligung an Ausschreibungen in den<br />
neuen Mitgliedstaaten, dass Probleme erkannt werden, bevor sie auftreten<br />
und insbesondere gelöst werden, bevor sie sich für den Unternehmer<br />
nachteilig auswirken. Die genaue Kenntnis der jeweiligen landesspezifischen<br />
Besonderheiten ist deshalb für eine erfolgreiche Teilnahme an Vergabeverfahren<br />
unbedingt erforderlich.<br />
Fazit<br />
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die EU-Osterweiterung für Unternehmen<br />
eine enorme Marktchance bietet, die nicht verpasst werden sollte.<br />
Damit die Beteiligung an einem Vergabeverfahren jedoch mit der Bezuschlagung<br />
des eigenen Unternehmens endet, ist die Beachtung der jeweiligen<br />
nationalen Vorschriften unbedingt notwendig. Denn nur die genaue<br />
Einhaltung der jeweiligen Vorgaben gewährleistet, dass ein Angebot nicht<br />
schon vor der eigentlichen Wertung ausgeschlossen wird.<br />
Wirtschaft + Recht<br />
Texterläuterungen und<br />
-hinweise<br />
[1] Vertrag über den Beitritt:<br />
AA203/ACT.<br />
[2] Einschließlich verwandte Wirtschaftszweige:<br />
Im Anhang zur<br />
Richtlinie 96/71/EG aufgeführte<br />
Tätigkeiten.<br />
[3] Nur Tätigkeit von Innendekorateuren.<br />
[4] Vertrag über den Beitritt:<br />
AA203/ACT/Anhang VIII/ de 2746.<br />
[5] Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie<br />
(92/50/EWG) des Rates<br />
über die Koordinierung des Verfahrens<br />
zur Vergabe öffentlicher<br />
Dienstleistungsaufträge vom 18.<br />
Juni 1992 geändert durch die RL<br />
92/52/EG vom 13. Oktober 1997.<br />
[6] Lieferkoordinierungsrichtlinie<br />
(93/36/EWG) des Rates über die<br />
Koordinierung öffentlicher Lieferaufträge<br />
vom 14. Juni 1993 geändert<br />
durch die RL 97/52/EG vom<br />
13. Oktober 1997.<br />
[7] Baukoordinierungsrichtlinie<br />
(93/37/EWG) des Rates zur Koordinierung<br />
der Vergabe öffentlicher<br />
Bauaufträge vom 14. Juni 1993<br />
geändert durch die RL 97/53/EG<br />
vom 13. Oktober 1997.<br />
[8] Sektorenrichtlinie (93/38/EWG)<br />
des Rates zur Koordinierung der<br />
Rechts- und Verwaltungsvorschriften<br />
für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren<br />
im Rahmen der<br />
Vergabe öffentlicher Liefer- und<br />
Bauaufträge vom 21. Dezember<br />
1989 geändert durch die RL<br />
92/50/EWG vom 18. Juni 1992.<br />
[9] Rechtsmittelrichtlinie (89/665/<br />
EWG) zur Koordinierung der Auftragsvergabe<br />
im Bereich der Wasser-,<br />
Energie- und Verkehrsversorgung<br />
sowie im Telekommunikationssektor<br />
vom 14. Juni 1993<br />
geändert durch die RL 98/4/EG<br />
vom 16. Februar 1998 und Sekto-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
57
58<br />
Wirtschaft + Recht<br />
renrechtsmittel-Richtlinie (92/13/<br />
EWG) zur Koordinierung der<br />
Rechts- und Verwaltungsvorschriften<br />
für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften<br />
für die Auftragsvergabe<br />
im Bereich der Wasser-,<br />
Energie- und Verkehrsversorgung<br />
sowie im Telekommunikationssektor<br />
vom 25. Februar 1992.<br />
Kontakt<br />
Anlagevermögen im Kanal<br />
Abgrenzung von Herstellungs- und<br />
Unterhaltungskosten<br />
Die öffentliche Diskussion<br />
um die Höhe der Abwassergebühren<br />
ist zumindest<br />
regional von Preissteigerungsraten<br />
geprägt, die oberhalb der Steigerungsraten<br />
der allgemeinen Lebenshaltungskosten<br />
liegen. Da die Abgrenzung<br />
zwischen aktivierungsfähigen<br />
bzw. -pflichtigen Herstellungskosten<br />
und laufendem Erhaltungsaufwand<br />
direkten und wesentlichen<br />
Einfluss auf die Höhe der<br />
Entsorgungsgebühren hat, gewinnt<br />
die Fragestellung daher zunehmend<br />
an Relevanz. Dies auch vor<br />
dem Hintergrund, dass die erstmalige<br />
Herstellung der baulichen<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
[10] Quelle: EU-Frühjahrsprognose vom 7. April <strong>2004</strong>.<br />
[11] Der Binnenmarkt – zehn Jahre ohne Grenzen; abrufbar unter:<br />
http://europa.eu.int/comm/internal_market/10years/docs/workingdoc/<br />
workingdoc_de.pdf.[12] Artikel 5 Lieferkoordinierungsrichtlinie; Artikel 10<br />
Baukoordinierungsrichtlinie; Artikel 14 Dienstleistungkoordinierungsrichtlinie.<br />
Dr. jur. Thomas Ax, Maitre en Droit (Paris X-Nanterre)<br />
im Vergaberecht spezialisierter Rechtsanwalt und Mitbegründer der im Vergaberecht spezialisierten<br />
Rechtsanwaltskanzlei Ax Schneider & Kollegen, Neckargemünd sowie Frau Julica Ortlinghaus, LL.M.,<br />
Rechtsanwältin bei der Kanzlei Ax Schneider & Kollegen, Leiterin des Büros in Paris.<br />
Die Kanzlei bietet fachmännische Beratung in allen Bereichen des Vergaberechts.<br />
Nähere <strong>Information</strong>en unter: www.ax-schneider-kollegen.de<br />
Anlagen weitgehend abgeschlossen ist. Die ATV-DVWK hat mit dem Merkblatt<br />
M 807 spezifische Fragestellungen des Themenkomplexes aufgenommen<br />
und erläutert.<br />
Allgemeine Abgrenzungskriterien<br />
Neben der erstmaligen Herstellung knüpft das Merkblatt die Aktivierung<br />
von Herstellungskosten daran, ob ein Vermögensgegenstand<br />
a) in seiner Substanz wesentlich vermehrt<br />
b) in seinem Wesen erheblich verändert<br />
c) über seinen bisherigen Zustand hinaus erheblich verbessert oder<br />
d) seine Nutzungsdauer wesentlich verlängert wird.<br />
Substanzmehrung<br />
Substanzmehrung liegt dann vor, wenn bezogen auf das Ganze etwas<br />
Neues oder Zusätzliches geschaffen wird. Die Wesentlichkeit ist gegeben,<br />
falls im Verhältnis zu dem Wiederbeschaffungswert des Gesamtvermögens-
gegenstandes die Substanzmehrung von nicht untergeordneter Bedeutung<br />
ist. Beispiele für die Substanzmehrung sind der Bau eines zusätzlichen<br />
Beckens auf einer Kläranlage bzw. die Erweiterung einer Kläranlage um die<br />
dritte Reinigungsstufe.<br />
Wesensänderung<br />
Erfolgen Maßnahmen im Hinblick auf eine Änderung der betrieblichen<br />
Funktion, liegt eine Wesensänderung vor, und die entsprechenden Kosten<br />
können als Herstellungskosten qualifiziert werden. Hierzu wären zum Beispiel<br />
die Entkernung eines Gebäudes zur Nutzung als Hotel oder die Stilllegung<br />
einer Kläranlage und der Umbau der Klärbecken zu Regenüberlaufbecken<br />
zu zählen. Die Erheblichkeit der Veränderung richtet sich dabei<br />
nach der Haupteigenschaft des betreffenden Vermögensgegenstandes.<br />
Zustandsbesserung<br />
Keine Aktivierungsfähigkeit liegt vor, wenn lediglich eine übliche Modernisierung<br />
des betreffenden Vermögensgegenstandes vorgenommen wird. So<br />
wäre zum Beispiel der Einbau eines neuen Fahrstuhls als Ersatz für einen bestehenden<br />
keine Zustandsbesserung in diesem Sinne. Die Verbesserung<br />
muss deutlich über das bestehende Maß hinausgehen. Fraglich und letztlich<br />
nur im Einzelfall entscheidbar ist in diesem Zusammenhang die Frage,<br />
ob die Einführung eines digitalen Kanalkatasters eine solche Zustandsbesserung<br />
mit sich bringt und eine deutliche Verbesserung gegenüber dem in<br />
der Regel bestehenden nicht digitalen Kanalkataster darstellt.<br />
Verlängerung der Nutzungsdauer<br />
Maßnahmen, die innerhalb der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer<br />
durchgeführt werden und diese nicht verlängern, sind laufender Aufwand.<br />
Wird dagegen die Nutzungsdauer des Vermögensgegenstandes wesentlich<br />
erhöht und quasi eine Neuanschaffung umgangen, kann von einer<br />
so genannten Zweitherstellung gesprochen werden, die als Herstellungskosten<br />
qualifiziert werden kann. Im Steuerrecht wird hier auch der Begriff<br />
der „Generalsanierung“ verwendet. Im Grunde ist davon auszugehen, dass<br />
bei der Erstherstellung ein noch nicht existenter und bei der so genannten<br />
Zweitherstellung ein nicht mehr existenter Vermögensgegenstand<br />
geschaffen wird und somit beide Tatbestände wirtschaftlich gleichzusetzen<br />
sind.<br />
Instandhaltungsaufwand<br />
In Abgrenzung zu den oben dargestellten Kriterien definiert sich Unterhaltungsaufwand<br />
als Aufwendungen, die<br />
a) die Wesensart bzw. die Nutzungsmöglichkeit des Vermögensgegenstandes<br />
nicht verändern<br />
b) den Vermögensgegenstand lediglich in ordnungsgemäßem Zustand<br />
erhalten<br />
c) die Nutzungsdauer des Vermögensgegenstandes nicht wesentlich erhöhen.<br />
Diese sind durch die gewöhnliche Nutzung des Vermögensgegenstandes<br />
verursacht und zeichnen sich dadurch aus, dass sie regelmäßig in gleicher<br />
Wirtschaft + Recht<br />
Höhe auftreten. Unter Umständen<br />
ist es möglich bzw. notwendig,<br />
Kosten, die für bestimmte Maßnahmen<br />
getätigt werden, in Herstellungskosten<br />
und Erhaltungskosten<br />
aufzuteilen. Dies gilt zum Beispiel<br />
für Kosten einer Kamerabefahrung<br />
im Kanal, die sowohl für Investitionszwecke<br />
als auch für Instandhaltungszwecke<br />
durchgeführt<br />
werden kann.<br />
Besonderheiten im Bereich<br />
der Entsorgungsunternehmen<br />
Neben diesen allgemeinen Abgrenzungen<br />
werden im Merkblatt der<br />
ATV-DVWK spezielle Aussagen zur<br />
Abgrenzung von Herstellungs- und<br />
Erhaltungskosten im Bereich von<br />
Entsorgungsunternehmen getroffen.<br />
Abgrenzung des Vermögensgegenstandes<br />
im Leitungsnetz<br />
Zunächst ist festzuhalten, dass das<br />
Leitungsnetz ein selbstständiges<br />
Wirtschaftsgut innerhalb eines Entsorgungsunternehmens<br />
darstellt.<br />
Diese Sichtweise, die auch so von<br />
der Finanzverwaltung für den Bereich<br />
der Versorgungsunternehmen<br />
akzeptiert wird, widerspricht<br />
zunächst den allgemein gültigen<br />
Kriterien, die hier insbesondere auf<br />
die Einzelbeschaffbarkeit und die<br />
Einzelveräußerbarkeit als Abgrenzungskriterium<br />
für einen Vermögensgegenstand<br />
abzielen. Insoweit<br />
wird den be-sonderen Bedürfnissen<br />
der Entsorgungswirtschaft Rechnung<br />
getragen.<br />
Darüber hinaus ist es möglich und<br />
auch notwendig, das Leitungsnetz<br />
entsprechend seiner Teilfunktionen<br />
aufzuteilen. So gliedert sich das Leitungsnetz<br />
eines Abwasserentsor-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
59
60<br />
Wirtschaft + Recht<br />
gungsunternehmens beispielsweise<br />
in die Teilfunktionen Verbindungssammler,<br />
Ortssammler und Hausanschlüsse.<br />
Die enge oder weitere Auslegung<br />
des Begriffs Vermögensgegenstand<br />
innerhalb des Leitungsnetzes hat<br />
dabei erhebliche Auswirkungen auf<br />
die Anwendbarkeit der oben definierten<br />
Abgrenzungskriterien zwischen<br />
Herstellungs- und Unterhaltungskosten.<br />
Definiert man im Extremfall<br />
das gesamte Leitungsnetz<br />
als einen einzigen Vermögensgegenstand,<br />
kann man in der Regel<br />
nur sehr eingeschränkt von einer<br />
Substanzmehrung, Wesensänderung,<br />
Zustandsbesserung oder<br />
Verlängerung der Nutzungsdauer<br />
ausgehen, und somit wären die<br />
entsprechenden Kosten als Unterhaltungsaufwand<br />
zu qualifizieren.<br />
Um entsprechende Ergebnissprünge<br />
und damit letztendlich auch<br />
Schwankungen in den Entsorgungsgebühren<br />
zu vermeiden, hat<br />
es sich bewährt, zur Abgrenzung<br />
zwischen Herstellungs- und Unterhaltungskosten<br />
Größenkriterien<br />
heranzuziehen, die sich an der Länge<br />
und Dimension des erneuerten<br />
Anlagenteils orientieren. Im Ergebnis<br />
werden Erneuerungen, die zum<br />
Beispiel eine gesamte Kanalhaltung<br />
betreffen oder eine gewisse Meterlänge<br />
überschreiten, als Herstellung<br />
definiert.<br />
Diese Größenkriterien können von<br />
jedem Entsorgungsunternehmen<br />
grundsätzlich individuell festgeschrieben<br />
werden. Dies sollte jedoch<br />
in der betrieblichen Aktivierungsrichtlinie<br />
dokumentiert und<br />
vereinheitlicht werden, so dass<br />
innerhalb des Unternehmens eine<br />
einheitliche Vorgehensweise gewährleistet<br />
ist, die auch einer zeitlichen<br />
Verstetigung unterliegt.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Bei dieser Vorgehensweise ist auch zu beachten, dass neben der Aktivierung<br />
der Maßnahmen ein eventuell vorhandener Restbuchwert des ersetzten<br />
bzw. erneuerten Anlagenteils ausgebucht werden muss.<br />
Inliner- und Berstlining-Verfahren<br />
Grundsätzlich gelten auch beim so genannten Inliner-Verfahren die oben<br />
dargestellten Abgrenzungskriterien, so dass ab einer gewissen Größenordnung<br />
auch Inliner-Erneuerungen aktiviert werden können. Dabei sollte<br />
besonderer Wert auf das Kriterium der Verlängerung der Nutzungsdauer<br />
gelegt werden, da von einer Substanzmehrung, Wesensänderung oder<br />
Zustandsbesserung im oben beschriebenen Sinne in der Regel nicht ausgegangen<br />
werden kann.<br />
Im Bereich von Short- und Partliner-Verfahren ist in aller Regel das Kriterium<br />
der wesentlichen Verlängerung der Nutzungsdauer nicht gegeben, so<br />
dass hier Unterhaltungsaufwand vorliegt.<br />
Im Bereich der Berstlining-Verfahren ist davon auszugehen, dass bei Überschreiten<br />
einer gewissen Größenordnung ein neuer Vermögensgegenstand<br />
hergestellt wird, da der vorhandene Kanal zerstört wird und entsprechend<br />
ausgebucht werden muss.<br />
Kontakt<br />
Dipl. math. oec. Harald Breitenbach<br />
Mittelrheinische Treuhand GmbH,<br />
Koblenz
Ende März diesen Jahres hatte die Europäische Vereinigung der Steinzeugröhrenindustrie<br />
FEUGRES zu ihrer 15. Internationalen Tagung der<br />
Fachleute für Abwassertechnik ins italienische Sorrent eingeladen<br />
(ausführlicher Bericht auf Seite 7).<br />
Rund 330 Teilnehmer aus Europa, dem Nahen Osten und Übersee nahmen<br />
die Gelegenheit wahr, sich über das Thema „Nachhaltigkeit – Verantwortung<br />
übernehmen“ zu informieren. Dazu brachten 12 Experten aus Technik,<br />
Wirtschaft und Politik in ihren Referaten ihre eigenen Erfahrungen, Vorstellungen<br />
und Visionen ein, die zu lebhaften Diskussionen, neuen Denkanstößen<br />
und zahlreichen Gesprächen führten.<br />
Mit 9.500 Fachbesuchern aus allen Kontinenten legte die IFAT China<br />
<strong>2004</strong> vom 29.6. bis 2.7.<strong>2004</strong> in Shanghai eine erfolgreiche<br />
Premiere hin. 252 Unternehmen aus 17 Ländern präsentierten<br />
innovative Produkte und Dienstleistungen aus allen Bereichen des Umweltschutzes<br />
und boten ebenso neue Lösungen für die Versorgung mit traditionellen<br />
als auch mit alternativen Energien an.<br />
Die Teilnehmer der IFAT China gaben bei Befragungen durchweg an, gute<br />
Kontakte geknüpft und viel versprechende neue Geschäftsmöglichkeiten<br />
angebahnt zu haben. 95 % der Besucher und 90 % der Aussteller beabsichtigen,<br />
an der nächsten IFAT China im Jahr 2006 wieder teilzunehmen.<br />
Die Internationale Messe München – als Organisator – und die chinesische<br />
Gesellschaft für die allgemeine Verwendung von Rohstoffen (CARCU) – als<br />
Co-Organisator – ermöglichten es von Anfang an, das erfolgreiche Konzept<br />
der etablierten deutschen Messe IFAT in München an den chinesi-<br />
Messen + Kongresse<br />
FEUGRES-Kongress<br />
Nachhaltig erfolgreich<br />
Die vielfältigen Aspekte – technischer,<br />
wirtschaftlicher, ökonomischer<br />
und juristischer Art –, die in<br />
den Vorträgen thematisiert wurden,<br />
machten erneut deutlich, wie<br />
komplex ein nachhaltig konzipierter<br />
Einbau und Betrieb von Abwasseranlagen<br />
betrachtet werden<br />
muss, um nachfolgende Generationen<br />
vor ruinösen Zuständen ihrer<br />
Abwasserentsorgung zu bewahren.<br />
IFAT China <strong>2004</strong><br />
High-Tech im Land des Drachens<br />
schen Markt anzupassen. Die Messe<br />
wurde mit einer sehr großzügigen,<br />
attraktiven Ausstellungsfläche<br />
ausgestattet und durch ein informatives<br />
Begleitprogramm, das Vorträge<br />
und Workshops zu den ThemenschwerpunktenWasserversorgung,<br />
Abwasserbeseitigung, Abwasserbehandlung,<br />
Prävention zur<br />
Luftverschmutzung, alternative<br />
Energien, Abfallbeseitigung, Erziehung<br />
und Training enthielt, ergänzt.<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
61
62<br />
Messen + Kongresse<br />
■ Rund 9.500 Fachbesucher zählte die Premiere der IFAT China <strong>2004</strong>.<br />
(Foto: Messe München)<br />
Die Chancen stehen gut<br />
Der Bayerische Minister für Umwelt,<br />
Gesundheit und Verbraucherschutz,<br />
Dr. Werner Schnappauf,<br />
eröffnete die IFAT China mit den<br />
Worten: „China hat gute Chancen<br />
einer nachhaltigen Entwicklung,<br />
wenn ökonomische und ökologische<br />
Entwicklung und Verantwortung<br />
parallel berücksichtigt werden.<br />
Die Volksrepublik China hat<br />
die Chance, Umweltschutz jetzt<br />
zu praktizieren. Die IFAT China<br />
bietet die <strong>Information</strong>splattform<br />
für neue Konzepte, nach denen mit<br />
westlichem Know-how vorhandene<br />
Schäden repariert und neue vermieden<br />
werden können. Aus unseren<br />
Erfahrungen können wir sagen,<br />
dass Vorbeugung besser und billiger<br />
als Nachsorge ist.“<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Investitionen in den ökologischen Markt Chinas (gemäß dem 5-Jahresplan)<br />
von insgesamt 85 Mio. US-Dollar bis 2005 werden angenommen. Experten<br />
erwarten, dass die Volksrepublik China neue Standards auf hohem<br />
Niveau für die ökologische Vorbeugung im neuen 5-Jahresplan (von 2006<br />
bis 2011) etablieren wird. Qualifizierte Standards in der Gesetzgebung und<br />
kontinuierliche Investitionen in den Umweltschutz erwartet man bis 2010.<br />
„Internationale Unternehmen mit ihrem reichen Erfahrungsschatz und<br />
ihrem umfangreichen Know-how in der Implementierung von neuen Technologien<br />
können China im Bereich des Umweltschutzes unterstützen; neue<br />
Geschäftsfelder werden entstehen“, so Eugen Egetenmeir, Stellvertretender<br />
Direktor der Messe München International.<br />
Nachholbedarf<br />
Die Stadt Shanghai ist mit 16,7 Mio. Einwohnern eine der größten Städte<br />
der Welt, die größte Stadt Chinas und das bedeutendste Handels- und<br />
Finanzzentrum des Landes. Ihre erste moderne Abwasserkanalisation wurde<br />
als Mischwasserkanalisation konzipiert und ab 1862 mit gemauerten<br />
Ei-Profilen eingerichtet, Beton wurde ab 1892 verwendet. Die englische<br />
Besatzung veranlasste in den Jahren 1900 bis 1940 für den Bereich ≤ DN<br />
375 den Einsatz von lokal produzierten Steinzeugrohren. Die Fertigungs-
technik dieser Rohre hat sich seit dieser Zeit nicht weiterentwickelt, so dass<br />
den Steinzeugrohren der Ruf eines für den Einsatz in der Abwasserkanalisation<br />
nicht geeigneten Materials vorausgeht.<br />
Im derzeitigen Kanalnetz ist Beton, ohne Beschichtung, der hauptsächlich<br />
verwendete Rohrwerkstoff; zunehmend Anwendung finden Kunststoffmaterialien.<br />
Erweiterung des Abwassernetzes<br />
1921 wurde die erste Anlage zur biologischen Klärung der Abwässer errichtet.<br />
Derzeit hat Shanghai 30 bestehende Kläranlagen, zusätzlich sind 25<br />
Kläranlagen im Bau oder in der Planung. Die Erweiterung der bestehenden<br />
Abwasserkanalisation sieht ein Trennsystem vor.<br />
Die Erweiterung der Kanalisation von Shanghai geht jetzt in die 3. Phase.<br />
Die Detailplanung beinhaltet die Erstellung der Kanalisation, einschließlich<br />
Kläranlagen und Pumpstationen mit einem Auftragsvolumen von ca. 600<br />
Mio. US-Dollar. Die Phase 3 gliedert sich in 6 Projekte, die folgende Kanalbaumaßnahmen<br />
beinhalten:<br />
● ca. 13.000 m DN 3500 Betonrohre, mit Epoxy-Anstrich, im Vortrieb<br />
● ca. 5.000 m DN 2400 vorgespannte Betonrohre, mit Epoxy-Anstrich,<br />
im Vortrieb<br />
● ca. 300.000 m ≤ DN 2000<br />
Auf Anordnung des „Shanghai City Government“ sind die mit der Planung<br />
beauftragten „Design Institutes“ gehalten, folgende Materialien für den<br />
Bau einzusetzen:<br />
● Guss - DN 150, für Hausanschlüsse<br />
● uPVC - ≤ DN 400<br />
■ Ausschnitt des modernen Shanghai, Chinas größter Stadt und eine der größten<br />
Boomtowns Asiens.<br />
Messen + Kongresse<br />
● GFK - DN 225 bis DN 800<br />
Steifigkeit: 5.000 N für normale<br />
Überdeckungen<br />
8.000 N unter Straßen<br />
10.000 N für spezielle Anwendungen<br />
● Beton - DN 400 bis DN 1200,<br />
Glockenmuffenrohr, unbewehrt<br />
● Beton - DN 1300 bis DN 3300,<br />
Falzrohre, bewehrt<br />
● Beton - Tübbings zur Auskleidung<br />
von Tunneln<br />
● Beton-Rechteckprofile im offenen<br />
Graben<br />
DN 300 ist die kleinste für die<br />
öffentliche Kanalisation zulässige<br />
Nennweite.<br />
Politik und Technik...<br />
Für die bestehende Abwasserkanalisation<br />
gibt es keine Zustandsberichte.<br />
Es laufen derzeit Überlegungen,<br />
das gesamte Netz mittels CCTV zu<br />
untersuchen. Kanalreinigung und<br />
-unterhaltung wird mit „vorsintflutlichen“<br />
Geräten nur in Kanälen bis<br />
max. DN 1200 durchgeführt. Ein<br />
modernes Spül-/Saugfahrzeug ist<br />
von SMDA (Shanghai Municipal<br />
Drainage Administration) bestellt<br />
worden.<br />
Das Hydraulic Control Department<br />
der Regierung erstellt Generalentwässerungspläne.<br />
Diese „Preliminary<br />
Design“ werden von den<br />
Design Institutes in Bauentwürfe<br />
(Detailed Design) weiterentwickelt,<br />
die auch die recht global gehaltenen<br />
Ausschreibungen verfassen. Für<br />
Ausschreibungen der öffentlichen<br />
Kanalisation werden mehrere staatliche<br />
Bauunternehmer eingeladen.<br />
Teilweise werden Arbeiten auch<br />
ohne Wettbewerb an staatliche Unternehmer<br />
vergeben. Die bei der<br />
Vergabe von Großprojekten erfolgreichen<br />
Hauptunternehmer vergeben<br />
Teilaufträge an eine Viel-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
63
64<br />
Messen + Kongresse<br />
zahl privater und staatlicher,<br />
auf bestimmte Arbeiten<br />
spezialisierte Subunternehmer,<br />
die im Allgemeinen<br />
auch die Baumaterialien<br />
einkaufen.<br />
Bei privaten Erschließungsmaßnahmenstehen<br />
private und staatliche<br />
Unternehmen im<br />
Wettbewerb.<br />
Rohr- oder Verlegenormen<br />
gibt es nicht. Herstellerangaben<br />
werden<br />
als richtig angenommen<br />
und nicht überprüft. Rohre<br />
werden, wenn überhaupt,<br />
vor der Verlegung<br />
einer optischen Kontrolle<br />
unterzogen. Dichtheitsprüfungen<br />
und/oder Deformationsmessungewerden<br />
nicht durchgeführt.<br />
Bei der Rohrverlegung wird auf eine<br />
Anwendungstabelle zur Ermittlung<br />
der Rohrbettung zurückgegriffen.<br />
Eine statische Berechnungfür<br />
individuelle Anwendungen erfolgt<br />
nicht.<br />
Die derzeit in Shanghai zum Einsatz<br />
kommenden Rohrmaterialien<br />
werden von der Führung der<br />
SMDA als zu minderwertig und für<br />
langfristige Investitionsmaßnahmen<br />
als ungeeignet angesehen.<br />
Aus der Erfahrung von<br />
Besuchen in Deutschland und dem<br />
Wissen, dass Steinzeugrohre in<br />
Deutschland ein hohes Ansehen<br />
genießen, möchte die Führung dieses<br />
Rohrmaterial bei der zukünftigen<br />
Realisierung von Projekten der<br />
Abwasserkanalisation öfter eingesetzt<br />
sehen.<br />
Interesse für Steinzeugmaterialien<br />
Die Teilnahme von Keramo Steinzeug<br />
als 100 %-ige Tochter der<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
■ Mit Keramo Steinzeug, 100 %-ige Tochter der <strong>STEINZEUG</strong>-Abwassersysteme GmbH, Köln,<br />
wurde der Auslandsmarkt für Steinzeug-Rohrmaterialien operativ sondiert.<br />
<strong>STEINZEUG</strong> Abwassersysteme GmbH, Köln, an der IFAT China <strong>2004</strong> hatte<br />
als Ziel, die bewährten Steinzeugrohre als Alternative zu den derzeitig verwendeten<br />
Rohrmaterialien dort vorzustellen.<br />
Die meisten Besucher mit langjähriger Berufserfahrung waren von der<br />
augenscheinlichen Qualität der Exponate überrascht. Das Negativimage<br />
der lokalen Steinzeugrohrproduktion ließ die Erwartung einer solchen<br />
technischen Weiterentwicklung eines „alten“ Produktes in einer anderen<br />
Umgebung nicht zu. Der jüngeren Generation konnte man die Skepsis zu<br />
den Erklärungen der technischen Vorzüge eines modernen Steinzeugrohres<br />
über Wettbewerbsmaterialien ansehen.<br />
Insbesondere die Exponate<br />
● Muffenrohr DN 200, 2,50 m lang<br />
● Muffenrohr DN 600, 2,50 m lang<br />
● Vortriebsrohr DN 600, 2,00 m lang<br />
waren zentrale Orte der Begegnung. Die Rohrverbindungen, die großen<br />
Nennweiten und Baulängen, sowie die Gradheit der vorgestellten Exponate<br />
gaben Anlass zu einem intensiven Austausch von Fragen und Antworten<br />
und ließ auf den hohen <strong>Information</strong>sbedarf der Fachbesucher schließen.<br />
Das große Interesse der Fachbesucher an Steinzeug als Rohrmaterial und<br />
die ausführlichen Gespräche lassen – trotz alteingesessener Skepsis – auf<br />
künftige Akzeptanz im chinesischen Markt hoffen.<br />
Die nächste IFAT China wird vom 27. bis 30. Juni 2006 im Shanghai New<br />
International Expo Centre stattfinden.
■ Aufbau der Steinzeug-Exponate.<br />
Messen + Kongresse<br />
<strong>2004</strong>/2005<br />
Branchentermine im Überblick<br />
NODIG <strong>2004</strong> 15.11.–17.11.<strong>2004</strong> Hamburg<br />
ROHRBAU Weimar 02.12.–03.12.<strong>2004</strong> Weimar<br />
Environment 2005 30.01.–02.02.2005 Abu Dhabi<br />
19. Oldenburger Rohrleitungsforum 10.02.–11.02.2005 FH-Oldenburg<br />
TerraTex und enertec 08.03.–11.03.2005 Leipzig<br />
IFAT 2005 25.04.–29.04.2005 München<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
65
66<br />
Messen + Kongresse<br />
Messe der Superlative . . .<br />
. . . mit erweitertem Konzept<br />
Die IFAT 2005, 14. Internationale<br />
Fachmesse für Wasser,<br />
Abwasser, Abfall und<br />
Recycling, präsentiert sich vom 25.<br />
bis 29. April in München mit einem<br />
erweiterten Konzept. Spezifische<br />
Branchenlösungen und der neueste<br />
Stand der Technik zur Umsetzung<br />
praxisorientierter, wirtschaftlicher<br />
Lösungen sowie ein breites Angebot<br />
an qualifizierten Dienstleistungen<br />
im Bereich der Wasser-, Abwasser-<br />
und Abfallwirtschaft bestimmen<br />
die Inhalte dieser weltweit<br />
etablierten Veranstaltung.<br />
Die IFAT hat die Weichen für die<br />
Zukunft gestellt. Am Standort<br />
München hat sie sich seit ihrer Entstehung<br />
im Jahr 1966 zur führenden<br />
Messeveranstaltung der Branche<br />
entwickelt. Und das dokumentieren<br />
eindrucksvoll die Rekordzahlen<br />
von 2002:<br />
● 165.000 m 2 Ausstellungsfläche<br />
● 2.042 Aussteller aus 39 Ländern<br />
● 97.245 Besucher aus 121 Ländern<br />
Für das Jahr 2005 strebt der Veranstalter,<br />
die Messe München GmbH,<br />
eine weitere Steigerung der internationalen<br />
Beteiligung sowie eine<br />
thematische Erweiterung des Messeprogramms<br />
und der begleitenden<br />
Veranstaltungen des Rahmenprogramms<br />
an. Für die kommende<br />
Messeveranstaltung wurde das attraktive<br />
Ausstellungsangebot um<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
die Segmente Lärmminderung und Schallschutz sowie Luftreinhaltung erweitert.<br />
Die Bereiche Wasserversorgung und Abfallentsorgung werden im<br />
Hinblick auf die weitere Internationalisierung aber auch der aktuellen<br />
Trends zu privaten Dienstleistern und der Nutzung innovativer Hardware<br />
weiter ausgebaut.<br />
Im Fokus der Besucherkommunikation für die IFAT 2005 stehen neben dem<br />
deutschen Fachpublikum die internationalen Besucher aus Europa, insbesondere<br />
aus den EU-Beitrittsländern und den MOE-Staaten, dem arabischen<br />
Raum, Asien, Afrika und aus den Ländern Nord- und Südamerikas.<br />
Unter http://www.ifat.de/ gibt es weitere <strong>Information</strong>en für Aussteller und<br />
Besucher.
Mehr Investitionen zum Erhalt der Abwasserkanalisation fordert die<br />
Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall<br />
e. V. (ATV-DVWK). 17 % der deutschen Kanalisationen sind sanierungsbedürftig.<br />
Wohin es führen kann, wenn die Infrastruktur vernachlässigt<br />
wird, zeigt sich bislang noch hauptsächlich im Ausland, etwa die<br />
Stromausfälle in den USA des letzten Jahres.<br />
Infrastruktur stärkt die Wirtschaft<br />
Die Infrastruktur in Deutschland gilt weltweit als hervorragend, sie ist ein<br />
wichtiges Argument für Deutschland als Wirtschaftsstandort. Wie die Substanz<br />
der Abwasserkanalisation erhalten werden kann, ist daher Thema einer<br />
Resolution, die die Mitglieder der ATV-DVWK auf ihrer diesjährigen<br />
Bundestagung am 15. September in Würzburg verabschiedet haben. Die<br />
Fachleute für Wasserwirtschaft sprechen sich darin für verstärkte Investitionen<br />
zum Erhalt der Kanalisation aus. Sie fordern die weitere, kontinuierliche<br />
Sanierung der Kanalnetze und die Bereitstellung der dazu erforderlichen<br />
Finanzmittel. Prof. Hermann H. Hahn, Präsident der Vereinigung:<br />
„Obwohl der Abwasserbeseitigung in den letzten Jahrzehnten die ihr zustehende<br />
Priorität eingeräumt wurde, stehen den Trägern der Abwasserbeseitigung<br />
in den nächsten Jahren noch erhebliche Investitionen für die Sanierung<br />
der Kanalnetze bevor.“<br />
Sanierung ist kein grundsätzliches Finanzierungsproblem<br />
Für die Sanierung der kurz und mittelfristig zu behebenden Schäden in der<br />
öffentlichen Kanalisation müssen rund 45 Mrd. Euro veranschlagt werden.<br />
Die Erfahrung der letzten Jahre hat jedoch gezeigt, dass es bei einer Vielzahl<br />
von Einrichtungsträgern keine grundsätzlichen Finanzierungsprobleme<br />
bei der Sanierung der Kanalisation gibt. Eine praxisgerechte Entgelterhebung<br />
soll nach Ansicht der ATV-DVWK auch die Deckung des Sanierungsaufwandes<br />
ermöglichen.<br />
Was wird aus der Abwasserabgabe?<br />
Die Frage „Abschaffung der Abwasserabgabe – ja oder nein?“ wird schon<br />
seit längerem in der Fachwelt heftig diskutiert. Hier stehen nach Ansicht<br />
Last Minute<br />
ATV-DVWK-Resolution<br />
Wichtige Zukunftsaufgabe:<br />
Substanzerhalt der Kanalisation<br />
der in der ATV-DVWK organisierten<br />
Experten zwei Möglichkeiten zur<br />
Verfügung, die eine Nutzung der<br />
Mittel für den Substanzerhalt der<br />
Kanalisation ermöglichen würden:<br />
Bei einer Abschaffung der Abwasserabgabe<br />
könnten die sich daraus<br />
ergebenden finanziellen Spielräume<br />
für die notwendigen Sanierungsmaßnahmen<br />
genutzt werden.<br />
Sollte sich eine Abschaffung<br />
der Abgabe politisch nicht durchsetzen<br />
lassen, so sollte zumindest<br />
die gesetzliche Möglichkeit geschaffen<br />
werden, Investitionen aus<br />
der Kanalsanierung auch aus der<br />
Abwasserabgabe finanzieren zu<br />
können.<br />
Weitere Notwendigkeiten<br />
aus Sicht der ATV-DVWK<br />
Um die in den kommenden Jahren<br />
erforderlichen Maßnahmen zur Kanalsanierung<br />
durchführen zu können,<br />
ist es unerlässlich, auf ausreichend<br />
qualifiziertes Personal zurückgreifen<br />
zu können. Hier sind<br />
die notwendigen Weichenstellungen<br />
für die Zukunft zu tätigen. Zudem<br />
ist es erforderlich, den Ausbaustand<br />
der Anlagen zur Ableitung<br />
von Niederschlagswasser<br />
dem der Schmutzwasserableitung<br />
anzupassen. In diesem Bereich be-<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
67
68<br />
Last Minute<br />
steht noch ein erhöhter Bedarf an<br />
Erstinvestitionen.<br />
Die Mitgliederversammlung der<br />
Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft,<br />
Abwasser und Abfall<br />
(ATV-DVWK) hat daher in Würzburg<br />
folgende Resolution beschlossen:<br />
ATV-DVWK-Resolution<br />
„Substanzerhalt der<br />
Kanalisation“<br />
Die Abwasserbeseitigung in<br />
Deutschland hat einen hohen, international<br />
anerkannten Stand erreicht.<br />
Die Träger der Abwasserbeseitigung<br />
in Deutschland haben in<br />
den letzten Jahrzehnten dieser Aufgabe<br />
den ihr gebührenden Vorrang<br />
eingeräumt. Belastungen der Gewässer<br />
und des Untergrundes wurden<br />
erheblich reduziert, die Umwelt<br />
nachhaltig verbessert.<br />
Bürger, Gewerbe, Industrie sowie<br />
alle sonstigen Gebühren- und Beitragszahler<br />
haben die daraus entstehenden<br />
Lasten überwiegend akzeptiert.<br />
Durch die Fördertätigkeit<br />
des Bundes und der Länder wurde<br />
ein hohes Investitionsniveau ermöglicht.<br />
Ungeachtet dessen sind<br />
bei einer Reihe von Trägern der Abwasserbeseitigung<br />
gerade zur Sanierung<br />
der Kanalnetze umfangreiche<br />
Re-Investitionen notwendig,<br />
die erhebliche Finanzmittel erforderlich<br />
machen.<br />
Die letzte Umfrage der ATV-DVWK<br />
zum Zustand der Kanalisation in<br />
Deutschland ergab einen kurz- und<br />
mittelfristig sanierungsbedürftigen<br />
Anteil der Kanalisation von 17%.<br />
Die Mitgliederversammlung der<br />
ATV-DVWK spricht sich daher für<br />
einen verstärkten Einsatz zum Substanzerhalt<br />
der Kanalisation in<br />
Deutschland aus und sieht hierfür<br />
folgende Notwendigkeiten:<br />
<strong>STEINZEUG</strong>-<strong>Information</strong> <strong>2004</strong><br />
Bei Anerkennung der kommunalen Finanznot und der für die öffentlichen<br />
Haushalte aktuell bestehenden Finanzierungsschwierigkeiten sollten die<br />
Re-Investitionen in die Kanalnetze nicht vernachlässigt werden. Einrichtungen<br />
zur Abwasserbeseitigung sind kostendeckend zu führen und werden<br />
aus den zweckentsprechend zu verwendenden Entgelten der Gebührenund<br />
Beitragszahler finanziert. Bei einer Vielzahl von Einrichtungsträgern,<br />
die beispielsweise als Eigenbetrieb oder Anstalt des öffentlichen Rechts organisiert<br />
sind, zeigt es sich, dass es für die Sanierung von Kanalnetzen keine<br />
grundsätzlichen Finanzierungsprobleme gibt. So können auch langfristige<br />
Investitionsprogramme in kontinuierlichen Schritten umgesetzt werden.<br />
Hierdurch wird es möglich, den Ansprüchen an eine ausreichende<br />
Substanzerhaltung und an eine betriebswirtschaftlich optimierte Nutzungsdauer<br />
gerecht zu werden.<br />
Während zur Ableitung von Schmutzwasser die Kanalisation in Deutschland<br />
weitestgehend vorhanden ist, besteht im Bereich der Niederschlagswasserableitung<br />
noch ein deutlich höherer Bedarf an Erstinvestitionen. Zur<br />
Finanzierung dieser Maßnahmen gibt es eigene Finanzierungssysteme und<br />
-möglichkeiten, die sinnvoll genutzt werden können (z.B. separate Beitragserhebung,<br />
gesplittete Gebühren). Bei der Fortschreibung der kommunalen<br />
Abgabengesetze sollte in allen Bundesländern darauf geachtet<br />
werden, dass eine praxisgerechte Entgelterhebung auch zur Deckung des<br />
Sanierungsaufwandes möglich ist bzw. möglich wird.<br />
Nachdem auch im ländlichen Raum die Abwasseranlagen weitgehend erstellt<br />
sind, gehen die Länder vielfach dazu über, die Fördermittel für die Abwasserbeseitigung<br />
zurückzufahren und Mittel der Abwasserabgabe in den<br />
Gewässerausbau oder in Renaturierungsmaßnahmen umzuleiten. Vielen<br />
Trägern der Abwasserbeseitigung könnten durch die Abschaffung der Abwasserabgabe<br />
zusätzliche Finanzierungsspielräume eröffnet werden. Sofern<br />
dies politisch nicht gewollt ist, sollte zumindest gesetzlich die Möglichkeit<br />
geschaffen werden, Investitionen zur Kanalsanierung auch aus der<br />
Abwasserabgabe finanzieren zu können.<br />
Zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen zur Substanzerhaltung ist<br />
eine ausreichende Ausstattung mit qualifiziertem Personal unabdingbar.<br />
Nur hierdurch kann sichergestellt werden, dass bei Planung und Bauausführung<br />
eine Qualität erreicht wird, die den langfristigen Nutzungsansprüchen<br />
genügt.<br />
Kontakt<br />
Auf ihrer Bundestagung in Würzburg beschloss die Mitgliederversammlung<br />
die Einführung eines neuen Kurznamens. Aus dem Kürzel<br />
ATV-DVWK wird nun DWA; der Langname der Vereinigung bleibt<br />
unverändert.<br />
DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und<br />
Abfall e.V.<br />
Theodor-Heuss-Allee 17, 53773 Hennef<br />
Tel.: 02242/872-135, Fax: 02242/872-151<br />
E-Mail: info@atv.de, Internet: www.atv-dvwk.de