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Gesamte Ausgabe runterladen - Zentralverband der Ärzte für ...

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W. Schmidt, Glaube und Gesundheit Arztezeitschnft f Naturheilverf 4/92, 33 Jahrgbezahlen, besteht vor allem dann, daß wir immer wenigerVerantwortung für die eigene Gesundheit übernehmenNun hat es vielfaltige Versuche gegeben, zu einem umfassen<strong>der</strong>enGesundheitsbegriff zu kommen Beson<strong>der</strong>sbekanntgeworden ist die Definition <strong>der</strong> WHO, die 1946feststellte „Gesundheit ist ein Zustand vollständigen physischen,psychischen und sozialen Wohlbefindens undnicht einfach die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen"(zitiert nach L Juchli, Heilen durch Wie<strong>der</strong>entdecken<strong>der</strong> Ganzheit, Stuttgart 1985, S 152)Hier betont eine internationale Organisation kurz nachdem Zweiten Weltkrieg, wie wichtig die Verknüpfung physischer,psychischer und sozialer Faktoren im Blick aufdas Phänomen „Gesundheit" ist Sie tragt damit — ruckblickend— <strong>der</strong> Erfahrung Rechnung, daß viele <strong>der</strong> großenSeuchen <strong>der</strong> Menschheit, wie die Pest o<strong>der</strong> auch dieTuberkulose, nicht so sehr durch direkte medizinische Intervention,son<strong>der</strong>n durch eine Verbesserung <strong>der</strong> allgemeinenLebensqualität, speziell <strong>der</strong> Ernährung und <strong>der</strong>hygienischen Bedingungen, zum Verschwinden gebrachtwerden konnten Und sie hat damit — vorausschauend —schon 1946 deutlich gemacht, daß eine Gesundheitshilfefür die Lan<strong>der</strong> <strong>der</strong> damals noch nicht so genannten DrittenWelt nicht pnmar in direkter medizinischer Hilfe bestehenmußte, son<strong>der</strong>n in einer breit angelegten Hilfe zurEntwicklung, zu einem menschenwürdigen Leben unterden jeweilig gegebenen kulturellen und sozialen BedingungenGesundheit ist damit nicht langer eine privateAngelegenheit, sie wird vielmehr zu einer eminent sozialenund politischen Sache und entspricht damit einer For<strong>der</strong>ung,die Rudolf Virchow schon vor etwa 100 Jahren soformuliert hat „Soll die Medizin ihre große Aufgabe erfüllen,so muß sie in das politische und soziale Leben eingreifen,welche <strong>der</strong> normalen Erfüllung <strong>der</strong> Lebensvorgangeim Wege stehen und ihre Beseitigung erwirken"Der politische und soziale Anspruch dieses Gesundheitsverstandnissesscheint mir unaufgebbar Angesichts <strong>der</strong>ökologischen Bedrohung des Lebens auf unserem Planetenmußte gerade die Medizin von diesem Hintergrundher zu den Vorreitern eines ökologisch verantwortbarenGesundheitsbewußtseins und -Verhaltens gehörenDie Definition <strong>der</strong> WHO stammt aus dem Jahr 1946, 44Jahre spater erscheint sie uns statisch und einseitig optimistischEin „Zustand vollständigen Wohlbefindens"wird da reklamiert, so, als ob man das irgendwann erreichenund dann besitzen konnte Und es klingt so, als oban<strong>der</strong>e dafür zustandig seien, daß jemand diesen Zustan<strong>der</strong>reicht Die Aufbruchstimmung <strong>der</strong> ersten Jahrenach dem Krieg in den USA und die optimistische Annahmevon <strong>der</strong> Veran<strong>der</strong>barkeit <strong>der</strong> Verhaltnisse stehenhier wohl im Hintergrund Erst nachdem wir in den siebzigerJahren die „Grenzen des Wachstums" auf vielenEbenen gespurt haben, haben sich auch die Vorstellungenvon Gesundheit und Krankheit entsprechend gewandeltAls Beispiele dafür will ich kurz die Ansätze von IvanWich und Fritjof Capra vorstellenIllichs Entwurf hat sich aus <strong>der</strong> Kritik am Medizinbetrieb<strong>der</strong> hochindustrialisierten Gesellschaften entwickelt Erwirft diesem Medizinbetrieb vor, daß er erstens klinischeSchaden produziert, die seine potentiellen Wohltatenübersteigen, daß zweitens die krankmachenden sozialenund politischen Verhaltnisse durch dieses Gesundheitswesenstabilisiert statt verän<strong>der</strong>t werden, und drittensund beson<strong>der</strong>s wichtig, daß die Kraft des einzelnen, Verantwortungfür seine Gesundheit zu übernehmen, selbstzu gesunden und seine Umwelt entsprechend zu gestalten,durch dieses System entfremdet und verstummeltwird (/ Wich, Nemesis <strong>der</strong> Medizin, Hamburg 1977, S 15)Vor diesem Hintergrund versteht Wich Gesundheit als„die Fähigkeit, sich auf ein wechselndes Milieu einzustellen,heranzuwachsen und zu altern, im Falle einer Verletzungzu gesunden, zu leiden und in Frieden den Tod zuerwarten Die bewußt gelebte Gebrechlichkeit, Individualitätund soziale Offenheit des Menschen machen dieErfahrung von Schmerz, Krankheit und Tod zu einem integralenBestandteil seines Lebens Die Fähigkeit, diesedrei Dinge autonom zu bewältigen, ist die Grundlage seinerGesundheit" (ebda, S 309 und 311)Bei dieser Definition ist entscheidend, daß <strong>der</strong> Begriffbzw <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> Gesundheit selbst relativiert wird Gesundheithat mit <strong>der</strong> Fähigkeit zur Lebensbewaltigung zutun — und Lebensbewaltigung ist immer auch Bewältigungvon Schmerz, Leid, Begrenzung und Abschied DerAkzent hegt auf dem „Wahrnehmen und Annehmen" <strong>der</strong>Begrenzung Den individuellen und sozialen Allmachtswahn,alles machen, alles heilen, alle Grenzen überwindenzu können, gilt es zu entlarven und aus einer neuenEthik <strong>der</strong> Begrenzung heraus zu lebenVon einem ganz an<strong>der</strong>en Ausgangspunkt her kommt Caprazu einem ähnlichen Ergebnis Die systemische Sicht<strong>der</strong> Welt und des Lebens geht davon aus, „daß alle Phänomene— physikalische, biologische, psychische undkulturelle — grundsätzlich miteinan<strong>der</strong> verbunden undvoneinan<strong>der</strong> abhangig sind" (F Capra, Wendezeit, Bern/München, 3 Aufl 1986, S 293) So gesehen ist ein Organismusein offenes System, das auf standigen Austauschvon Energie und Materie mit <strong>der</strong> Umwelt angewiesen ist,um am Leben zu bleiben Die Stabilität eines solchen Organismusist dynamisch, fließend, flexibel, gesteuertdurch standige Ruckkoppelung in <strong>der</strong> sich verän<strong>der</strong>ndenUmweltVor diesem Hintergrund gesehen, ist Gesundheit „einmultidimensionales Phänomen mit voneinan<strong>der</strong> abhangigenphysischen, psychischen und sozialen Aspekten Dieübliche Darstellung von Gesundheit und Erkrankung alsentgegengesetzte Punkte eines eindimensionalen Kontinuumsist ziemlich irreführend Körperliche Krankheitkann durch eine positive psychische Haltung und Einstellungzur Gesellschaft ausgeglichen werden, so daß <strong>der</strong>Gesamtzustand als Wohlbefinden gelten muß An<strong>der</strong>erseitskönnen emotionale Probleme o<strong>der</strong> gesellschaftlicheIsolierung eine Person trotz körperlicher Fitneß sich krankfühlen lassen" (ebda, S 360)302

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