Oktober 2010 - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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T ITELTHEMA<br />
SCIENTIA HALENSIS 4/10<br />
Ganz normal und doch ganz anders<br />
Zwei Exoten im Kurzportrait<br />
J ANINE PAZDYKA UND MELANIE ZIMMERMANN<br />
Angehende Deutsch-Lehrer gibt es viele. Aber Lehrer für katholische Religion wollen an der<br />
MLU gerade mal 70 Studierende werden. Das Lehramt für Förderschulen streben rund 200<br />
junge Menschen an. Doch wer arbeitet deshalb gleich in einer Autismusambulanz? Zwei ungewöhnliche<br />
Studierende im Kurzportrait.<br />
Jobbte in der Autismusambulanz: Steffen Tietzmann.<br />
Foto: Maike Glöckner<br />
Autismus ist eine Störung, die Betroffenen die<br />
soziale Interaktion erschwert. Häufig können<br />
sie sich nicht in andere Menschen hineinversetzen<br />
und haben Schwierigkeiten, sich in<br />
Gruppen ein- oder unterzuordnen. Deshalb<br />
müssen Autisten speziell gefördert werden und<br />
benötigen Unterstützung in der Schule. Diese<br />
bot Steffen Tietzmann bereits während seines<br />
Studiums des Lehramts an Förderschulen für<br />
geistig und körperlich Behinderte an der MLU.<br />
Mehr als ein Jahr arbeitete der 25-Jährige für<br />
die Autismusambulanz in <strong>Halle</strong> und betreute<br />
währenddessen einen Jungen in der Schule.<br />
„Ich diente als eine Art Übersetzer. Menschen<br />
mit Autismus haben häufig Probleme, auf<br />
allgemeine Anweisungen der Lehrer zu hören.<br />
Deshalb muss man dem Einzelnen ganz<br />
konkrete Aufträge geben und gezielt auf ihn<br />
eingehen.“ Seine dadurch gewonnenen Erfahrungen<br />
konnte er für seine Examensarbeit<br />
nutzen. „Dabei war mein Job ein klarer Vorteil,<br />
weil ich die Theorie beurteilen und das Praxiswissen<br />
einfließen lassen konnte.“ Zwar sind<br />
Praktika in den Studienablaufplan integriert,<br />
dabei setze man sich aber nie so lange und intensiv<br />
mit einem bestimmten Thema auseinander.<br />
Sinnvoll seien insbesondere die schulpraktischen<br />
Übungen, bei denen die Lehramtsstudenten<br />
während eines Semesters einen Tag pro<br />
Woche in einer Schule verbringen.<br />
Mit Autismus hatte sich Tietzmann während<br />
seines Studiums nur beiläufig beschäftigt.<br />
Richtig darauf aufmerksam wurde er erst<br />
durch einen Aushang in der Uni. „Gesucht<br />
wurde ein Ferienbetreuer für die Autismusambulanz<br />
Leipzig. Ich hatte zwar keine Erfah-<br />
rung, konnte mich aber schnell einarbeiten.“<br />
Anschließend sei er der Autismusambulanz in<br />
<strong>Halle</strong> empfohlen worden, für die er dann von<br />
März 2009 bis Mai dieses Jahres arbeitete.<br />
Zwei Tage pro Woche, jeweils fünf Stunden.<br />
Das sei gar nicht so einfach, berichtet der<br />
Förderschulpädagoge: „Es gibt keine Möglichkeit,<br />
zwischendurch mal abzuschalten. Man<br />
muss immer voll da sein.“ Die Fortschritte,<br />
die der gebürtige Wippraer bei seinem Schüler<br />
bemerkte, seien alle Mühe wert. So habe<br />
ihn der Junge angeschaut, wenn er mit ihm<br />
sprach, und den Wunsch nach Spielen geäußert,<br />
die Tietzmann dann als Belohnung für<br />
Erfolge einsetzte. Die erworbene pädagogische<br />
Kompetenz kann der 25-Jährige auch für seine<br />
derzeitige Arbeit nutzen. Nach Abschluss<br />
seines Studiums im Juni mit Erwerb des ersten<br />
Staatsexamens begann er Mitte August sein<br />
Referendariat an einer Förderschule für geistig<br />
Behinderte in Landsberg.<br />
Bibel und Bio<br />
Exkursionen nach Griechenland, Rom, Istanbul<br />
und Jerusalem, Kickern mit Dozenten und<br />
Seminare mit zehn bis zwölf Teilnehmern.<br />
Utopisch? Für Marie-Therese Werner sieht so<br />
seit vier Semestern der ganz normale Studienalltag<br />
aus. Am kleinsten Institut der MLU<br />
studiert sie in „familiärer Atmosphäre“ ein<br />
eher ungewöhnliches Fach.<br />
Aufgrund ihrer Studienwahl mag Marie-Therese<br />
Werner für viele als „Exotin“ gelten,<br />
denn die 20-Jährige lässt sich am Institut für<br />
Katholische Theologie und ihre Didaktik im<br />
weitgehend konfessionslosen <strong>Halle</strong> (16 Prozent<br />
der Bürger sind evangelisch, vier Prozent<br />
katholisch) zur Lehrerin für katholische Religion<br />
ausbilden. Genau deshalb sind allerdings<br />
vielmehr ihre Studienbedingungen das Ungewöhnliche:<br />
Bei rund 70 Studierenden auf sechs<br />
Dozenten hat beinahe jede Vorlesung Potential,<br />
zur vertrauten Gesprächsrunde zu werden.<br />
Pflichtveranstaltungen gibt es für die angehenden<br />
Religionslehrer zwar auch, aber die<br />
Wahlmöglichkeiten innerhalb der Module<br />
sind immens. Für die junge Sächsin macht das<br />
den besonderen Reiz aus: „Die Diversität der<br />
Themen ist sehr groß, und ich kann genau das<br />
lernen, was mich wirklich interessiert.“ Das<br />
Ausrichten von Gottesdiensten oder der Be-<br />
Traumberuf: Lehrer<br />
Manchmal führen erst Umwege zum Glück – so wie<br />
bei Franziska Kral. Zwei Fachwechsel waren nötig,<br />
bis sie ihre Berufung gefunden hatte. „Lehrerin<br />
wollte ich schon immer werden. Schon als Kind habe<br />
ich diesen Berufswunsch in Poesiealben eingetragen“,<br />
erzählt die aufgeschlossene Studentin. Die<br />
Fächerkombination ergab sich allerdings erst nach<br />
zwei Jahren an der Uni, denn ursprünglich begann<br />
sie mit Mathematik und Ethik. Jetzt steht die<br />
angehende Lehrerin kurz vor ihrem Abschluss und<br />
konnte das Unterrichten am Geschwister-Scholl-<br />
Gymnasium in Sangerhausen erproben: Fünf Wochen<br />
lang stand sie vor Schülern und brachte ihnen<br />
Englisch und Spanisch bei. In der Online-Ausgabe<br />
wird die engagierte 25-Jährige vorgestellt und<br />
berichtet über ihre Erfahrungen. In einem zweiten<br />
Beitrag verrät der Lehramtsstudent Robert Lehmann<br />
(Hauptfach Gesang), warum er Lehrer werden will,<br />
obwohl er auch gern auf Konzertbühnen steht.<br />
www.uni-halle.de/webcode<br />
Die Porträts: SH-938<br />
such derselben sind – anders als der eine oder<br />
die andere irrtümlicherweise annehmen mag<br />
– kein Pflichtprogramm, und auch die Taufe<br />
wird erst zum Muss, wenn man als Lehrer für<br />
katholische Religion tätig wird. „Ich führe<br />
das Leben einer ganz normalen Studentin, mit<br />
einem Freund und Partybesuchen.“<br />
Und doch unterscheidet sich ihr Studienalltag<br />
von dem der Studenten anderer Fachrichtungen.<br />
Werner und ihre Kommilitonen finden<br />
Angehende Lehrerin für katholische Religion: Marie-<br />
Therese Werner. Foto: Melanie Zimmermann<br />
bei Problemen nicht nur jederzeit Gehör bei<br />
ihren Lehrern, sie feiern auch mit ihnen. So<br />
gibt es jedes Jahr eine Advents- und eine Sommerfeier,<br />
bei der sich Student und Dozent auch<br />
mal am Kickertisch gegenüberstehen. Darüber<br />
hinaus begegnet man sich auf Exkursionen.<br />
„Das Studium bereitet mir sehr viel Freude,<br />
besonders aufgrund des guten Kontaktes zu<br />
Dozenten und Kommilitonen“, so Marie-Therese<br />
Werner. Und auch ihre Fächerkombination<br />
– Biologie und Katholische Theologie – erwies<br />
sich nicht, wie sie anfangs befürchtete,<br />
als problematisch. „Alle sind sehr offen und<br />
vorwärtsgerichtet.“<br />
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