Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
FOTO: FRANK NIEDERHOFF<br />
Land“ in einer großen Reportage über die neuen<br />
Auerochsen in der Sude-Niederung. Gemeinsam<br />
mit einigen urwüchsigen Konik-Pferden streift die<br />
Rinderherde auch in strengen Wintern über die<br />
Weide und zieht sich zum Schutz in die Auewälder<br />
zurück. Auch die Kälber kommen ohne Menschen-<br />
hand zur Welt. Ein paar Tage lang hält sich die<br />
Mutterkuh mit dem Neugeborenen abseits, bevor sie<br />
sich der Herde anschließen. Die Aufgabe von Jürgen<br />
Niederhoff ist es, dem Kalb in den ersten Tagen<br />
Ohrmarken zu geben und damit dessen Herkunft<br />
zu dokumentieren – keine einfache Aufgabe, aber<br />
notwendig, um die Inzucht der mehr als 3.000 heute<br />
in Europa lebenden Auerochsen zu vermeiden.<br />
Der Auerochse gilt als der Stammvater aller<br />
Hausrinder. Dieser Wildtyp war über weite Teile<br />
Europas, Asiens und Nordafrikas verbreitet und<br />
kam bis Mittelschweden und England. Es gibt<br />
allerdings keine Funde auf dem nord- und süd-<br />
amerikanischen oder australischen Kontinent. Vor<br />
über 380 Jahren, 1627, starb der letzte Auerochse.<br />
Damit war aber die Zeit der Jagdtrophäen vorbei,<br />
in der Trinkgefäße aus seinen Hörnern die Schützen<br />
schmückten.<br />
STEPPEN- UND KAMPFRINDER<br />
1921 wurde der Auerochse wiederbelebt. Die<br />
Brüder Lutz und Heinz Heck, Zoodirektoren in<br />
Berlin und München, starteten mit der Rückkreuzung.<br />
Dazu dienten ihnen neben dem Podolischen<br />
Steppenrind, dem Schottischen Hochlandrind<br />
und dem Spanischen Kampfrind auch einige<br />
Hausrinderrassen. Es gelang ihnen, das nach<br />
ihnen benannte Heck-Rind zu züchten, das zwar<br />
deutlich kleiner und weniger angriffslustig war als der<br />
legendäre Auerochse, diesem aber stark ähnelte.<br />
„Sie sind etwas kleiner als Elefanten, sehr stark und<br />
behände und schonen weder Menschen noch Tiere,<br />
die ihnen zu Gesicht kommen“, urteilte Julius<br />
Cäsar über die Auerochsen aus den Wäldern nörd-<br />
lich der Alpen. Cäsar ließ die wilden germanischen<br />
Rinder nach Rom bringen und setzte sie im Kolos-<br />
seum zur Ermunterung der Bürger bei Gladiatoren-<br />
kämpfen ein.<br />
Jürgen Niederhoffs Herde ist dagegen lamm-<br />
fromm. Skeptisch beobachten sie Besucher auf<br />
ihrer Weide. Dabei bleiben sie dicht beieinander.<br />
Warmer Atem steigt aus den Nüstern hoch zu den<br />
spitzen Hörnern, das dunkle Fell glänzt feucht,<br />
Schnee tropft ihnen von den hellen Stirnfransen.<br />
Nur eine Kuh wagt sich an Niederhoff heran und<br />
stupst ihn vorsichtig. Von Fremden lässt sich aber<br />
auch sie nicht anfassen. „Heckrinder sind scheu,<br />
schnell und schlau“, sagt er. „Sie wissen genau,<br />
wer ihr Betreuer ist und wer fremd ist. Dann halten<br />
sie Abstand.“<br />
ATTRAKTION FÜR ZOOLOGEN<br />
Das Comeback-Rind ist nicht nur für Touristen und<br />
Züchter eine Attraktion, vor allem Biologen und<br />
Zoologen haben hier richtig Spaß; denn mit den<br />
Auerochsen kommt auch eine enorme Artenvielfalt<br />
in die Feuchtwiesen zurück. „Letztes Jahr wurden<br />
hier am GEO-Tag der Artenvielfalt mehr als tausend<br />
Arten gezählt“, freut sich Niederhoff.<br />
aus aller welt � quadrat 10 / 2012<br />
61<br />
Kein Wunder, dass er gelegentlich über einen dieser<br />
Forscher stolpert. „Es kommt vor, dass jemand in<br />
einem Wassergraben kauert und sich wie ein<br />
Schneekönig freut, weil er einen Fisch wie den<br />
Schlammpeitzger entdeckt hat, der fast ausgestorben<br />
ist“, erzählt er schmunzelnd. Ein kleines<br />
Paradies ist das Gelände auch für seltene Insekten<br />
und gefährdete Vogelarten wie Bekassine (Himmelsziege),<br />
Neuntöter, Kiebitz und Braunkehlchen.<br />
Niederhoff lernt immer wieder neue Arten kennen<br />
und staunt über die Vielfalt um ihn herum. Dass<br />
seine Rinder nicht ganz so angriffslustig sind, wie<br />
Cäsar sie beschrieb, darüber ist er in diesen besinnlichen<br />
Momenten ganz froh.<br />
— Ein Artikel von Claudia Lampert aus<br />
SECURVITAL 01/2011.