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FOTO: ANDREAS TAMME<br />
Die russischen Literaten verstanden es schon<br />
immer vortreffl ich, große Emotionen in große<br />
Lektüre zu verpacken; so auch Alexander<br />
Puschkin, nach dessen Vorlage die Oper „Eugen<br />
Onegin“ entstand, mit der das Theater Lüneburg<br />
seine neue Spielzeit im Großen Haus eröffnete.<br />
Völlig zeitgemäß ist dieses Stück, dessen Umsetzung<br />
und Inszenierung Intendant Hajo Fouquet<br />
schon seit geraumer Zeit in den Fingern juckte;<br />
zeitlos deshalb, weil Gefühle schließlich immer<br />
Hochkonjunktur haben, und um diese geht es in<br />
dem Stück, das seine Musik von Peter Tschaikowsky<br />
auf den Leib komponiert bekam.<br />
DIE WELT DES „JEWGENI ONEGIN“<br />
Um Gefühle geht es also bei „Eugen Onegin“ – und<br />
zwar um die ganz großen. Es wird aus tiefstem<br />
Herzen geliebt – leider unerwidert − und gehasst<br />
– mit einem verheerenden Ende. Es geht um den<br />
Überdruss an einem „Zuviel“ an Leben und um<br />
Entscheidungen, die aus reiner Vernunft getroffen<br />
werden. Es geht um Wünsche, um Träume und<br />
letztendlich auch darum, dass das Glück mitunter<br />
längst unseren Weg gekreuzt hat, bevor wir es erkennen.<br />
Aber konkret: Der junge Eugen Onegin hat<br />
sämtliche Vorzüge des Großstadtlebens genossen,<br />
gebracht hat es ihm lediglich ein Gefühl innerer<br />
Leere. Eine Erbschaft macht ihn unvermittelt zum<br />
Gutsbesitzer, woraufhin er die Stadt verlässt, um<br />
sich künftig dem Landleben hinzugeben. Sein junger<br />
dichtender Nachbar Lenskij führt ihn im Haus der<br />
Larins ein, mit deren Tochter Olga er verlobt ist.<br />
Die ältere, Tatjana, verliebt sich Hals über Kopf in<br />
Eugen. Onegin erklärt ihr daraufhin, dass er für die<br />
Ehe nicht geeignet sei. An Tatjanas Namenstag<br />
fl irtet er sogar heftig mit deren Schwester Olga.<br />
Lenskij empört dies über alle Maßen und er fordert<br />
Onegin in rasender Eifersucht zum Duell. Onegins<br />
Kugel tötet ihn. Erst Jahre später kehrt er dann<br />
nach St. Petersburg zurück, wo er auf Tatjana<br />
trifft, die inzwischen verheiratet ist. Eugen verliebt<br />
sich heftigst und gesteht ihr nun seinerseits seine<br />
Liebe; doch Tatjana weist ihn ab, obwohl auch sie<br />
noch starke Gefühle für ihn hegt.<br />
Warum musste es gerade „Eugen Onegin“ sein,<br />
was fasziniert an dieser Oper? „Puschkin war ein<br />
Genie auf dem Gebiet der Beobachtung von Menschen,<br />
alle Figuren besitzen eine ungeheure Tiefe“,<br />
erklärt Hajo Fouquet“ – erstaunlich, soll Puschkin<br />
dieses Stück doch mit gerade einmal 18 Jahren<br />
geschrieben haben. „In der Umsetzung hat mich<br />
vor allem der Hintergrund einer jeden Figur interessiert.<br />
Menschen tragen immer einen Rucksack<br />
voller Vergangenheit mit sich. Und so haben auch<br />
alle Figuren in „Eugen Onegin“ eine Geschichte,<br />
aus der heraus sie agieren. Vielleicht ist es dies,<br />
was die Story so real, so dreidimensional werden<br />
lässt, denn schließlich kennt jeder von uns ähnliche<br />
Gefühle, jeder wird sie ein Stück weit erinnern<br />
und nachempfi nden können.“<br />
DARSTELLER GROSSER GEFÜHLE<br />
Dies mag auch die Erklärung dafür sein, weswegen<br />
„Jewgeni Onegin“ – so der Originaltitel, 1879 in<br />
Moskau uraufgeführt – bis heute seine Aktualität<br />
nicht eingebüßt hat. „Gewisse Formulierungen haben<br />
wir moderner gestaltet, um dem Text Glaubwürdigkeit<br />
zu verleihen, erläutert Fouquet seine<br />
Herangehensweise. „Die Musik bildet da übrigens<br />
einen wunderbaren, emotionalen Teppich.“ Sie<br />
beschreibt zusätzlich die Psyche der Figuren und<br />
der Situationen, ist äußerst einfühlsam und ruft eindrucksvolle<br />
Bilder vor’s innere Auge. Hier erahnt<br />
man die „große russische Seele“. Gelebt und interpretiert<br />
wird diese auf der Lüneburger Bühne übrigens<br />
von Sonja Gornik in der Rolle der Tatjana,<br />
die zuletzt als Donna Elvira (Don Giovanni), Rosalinde<br />
(Die Fledermaus) und als Tosca gefeiert<br />
wurde. Ihre Schwester Olga wird von der neuseeländischen<br />
Mezzosopranistin Kristin Darragh dargestellt,<br />
die ab dieser Spielzeit neues Mitglied des<br />
Lüneburger Ensembles ist. Ulrich Kratz als Onegin<br />
und Karl Schneider als Lenskij vervollständigen<br />
das Quartett der Liebenden. Die Partie des Fürst<br />
Gremin interpretiert Hans Georg Ahrens, Kammersänger<br />
am Theater Kiel. Kein Geringerer als Gernot<br />
Sahler, frisch gekürter musikalischer Leiter der<br />
Opernschule des Salzburger Mozarteums, übernahm<br />
als Gast die musikalische Leitung.<br />
kultur 63<br />
2 � quadrat 10 / 2012<br />
Mit Stefan Rieckhoff hat Hajo Fouquet sich erneut<br />
einen Bühnenbildner an seine Seite geholt, der<br />
den Lüneburgern bereits aus den Produktionen<br />
„Hoffmanns Erzählungen“, „Tosca“ und „Don Giovanni“<br />
durch seine ausdrucksstarken Bühnenbilder<br />
bekannt ist. Man spricht eine Sprache –<br />
nicht die gleiche, vielmehr eine, die sich auf das<br />
Schönste ergänzt. „Mich interessieren nicht verspielte<br />
Details an einem Bühnenbild sondern die<br />
großen emotional erfassbaren Zeichen. Wie kann<br />
ich etwas darstellen, damit es eine Atmosphäre,<br />
ein Gefühl auslöst?“, so der Intendant. „Raum muss<br />
lebendig sein und im besten Sinne „mitspielen“.<br />
MITREISSENDES ENTERTAINMENT<br />
„Mitspielen“ müssen dann auch die Besucher –<br />
nicht als Akteure, sondern indem auch „Neulinge“<br />
ihre Schwellenangst überwinden und eine Karte<br />
für einen Opernbesuch erstehen. „Oper oder Musiktheater,<br />
wie ich es lieber nennen möchte, ist<br />
wirklich für jedermann verständlich. Mitunter reicht<br />
es der Musik zu lauschen – und im Handumdrehen<br />
bin ich entführt in eine andere Welt. Musiktheater<br />
will nicht intellektuell sein. Wie wir an die Umsetzung<br />
herangehen, das mag viel mit Entwickeln und<br />
Wissen zu tun haben, doch das Ergebnis soll einfach<br />
zu verstehen sein und das Gefühlskarussell<br />
der Zuschauer in Gang setzen.“<br />
Wobei wir wieder beim Credo sind, unter dem diese<br />
Spielzeit des Lüneburger Theaterhauses steht:<br />
„Empfi ndsam bleiben“. Nichts anderes bedeutet<br />
dies als die Aufforderung, sich zu öffnen, Schwellenängste<br />
zu vergessen und auch bei einer Oper<br />
einfach die empfi ndsame, gefühlvolle Seite in sich<br />
sprechen zu lassen. „Dazu bedarf es keines beson-<br />
deren Know-hows, ja man braucht noch nicht einmal<br />
zu wissen, wer der Komponist ist. Hier darf man<br />
einfach genießen, darf mitleiden, mitlachen und<br />
mitlieben“, lädt der Theatermann in sein Haus<br />
ein. Auch Oper vermag mitunter einfach nur zu<br />
„entertainen“ – das aber mit Niveau! (nm)<br />
Eugen Onegin · Theater Lüneburg, Großes Haus<br />
02., 21. Oktober<br />
02., 16., 18., 28. November<br />
05., 09., 15., 20., 25. Dezember<br />
www.theater-lueneburg.de