62 quadrat 10 / 2012 � kultur 2 Eugen Onegin Die neue Spielzeit des Lüneburger Theaters wurde mit Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“, inszeniert von Hajo Fouquet, eröffnet. Ein Gespräch mit dem Intendanten über die Welt des St. Petersburgers Lebemannes Sonja Gornik in der Rolle der Tatjana
FOTO: ANDREAS TAMME Die russischen Literaten verstanden es schon immer vortreffl ich, große Emotionen in große Lektüre zu verpacken; so auch Alexander Puschkin, nach dessen Vorlage die Oper „Eugen Onegin“ entstand, mit der das Theater Lüneburg seine neue Spielzeit im Großen Haus eröffnete. Völlig zeitgemäß ist dieses Stück, dessen Umsetzung und Inszenierung Intendant Hajo Fouquet schon seit geraumer Zeit in den Fingern juckte; zeitlos deshalb, weil Gefühle schließlich immer Hochkonjunktur haben, und um diese geht es in dem Stück, das seine Musik von Peter Tschaikowsky auf den Leib komponiert bekam. DIE WELT DES „JEWGENI ONEGIN“ Um Gefühle geht es also bei „Eugen Onegin“ – und zwar um die ganz großen. Es wird aus tiefstem Herzen geliebt – leider unerwidert − und gehasst – mit einem verheerenden Ende. Es geht um den Überdruss an einem „Zuviel“ an Leben und um Entscheidungen, die aus reiner Vernunft getroffen werden. Es geht um Wünsche, um Träume und letztendlich auch darum, dass das Glück mitunter längst unseren Weg gekreuzt hat, bevor wir es erkennen. Aber konkret: Der junge Eugen Onegin hat sämtliche Vorzüge des Großstadtlebens genossen, gebracht hat es ihm lediglich ein Gefühl innerer Leere. Eine Erbschaft macht ihn unvermittelt zum Gutsbesitzer, woraufhin er die Stadt verlässt, um sich künftig dem Landleben hinzugeben. Sein junger dichtender Nachbar Lenskij führt ihn im Haus der Larins ein, mit deren Tochter Olga er verlobt ist. Die ältere, Tatjana, verliebt sich Hals über Kopf in Eugen. Onegin erklärt ihr daraufhin, dass er für die Ehe nicht geeignet sei. An Tatjanas Namenstag fl irtet er sogar heftig mit deren Schwester Olga. Lenskij empört dies über alle Maßen und er fordert Onegin in rasender Eifersucht zum Duell. Onegins Kugel tötet ihn. Erst Jahre später kehrt er dann nach St. Petersburg zurück, wo er auf Tatjana trifft, die inzwischen verheiratet ist. Eugen verliebt sich heftigst und gesteht ihr nun seinerseits seine Liebe; doch Tatjana weist ihn ab, obwohl auch sie noch starke Gefühle für ihn hegt. Warum musste es gerade „Eugen Onegin“ sein, was fasziniert an dieser Oper? „Puschkin war ein Genie auf dem Gebiet der Beobachtung von Menschen, alle Figuren besitzen eine ungeheure Tiefe“, erklärt Hajo Fouquet“ – erstaunlich, soll Puschkin dieses Stück doch mit gerade einmal 18 Jahren geschrieben haben. „In der Umsetzung hat mich vor allem der Hintergrund einer jeden Figur interessiert. Menschen tragen immer einen Rucksack voller Vergangenheit mit sich. Und so haben auch alle Figuren in „Eugen Onegin“ eine Geschichte, aus der heraus sie agieren. Vielleicht ist es dies, was die Story so real, so dreidimensional werden lässt, denn schließlich kennt jeder von uns ähnliche Gefühle, jeder wird sie ein Stück weit erinnern und nachempfi nden können.“ DARSTELLER GROSSER GEFÜHLE Dies mag auch die Erklärung dafür sein, weswegen „Jewgeni Onegin“ – so der Originaltitel, 1879 in Moskau uraufgeführt – bis heute seine Aktualität nicht eingebüßt hat. „Gewisse Formulierungen haben wir moderner gestaltet, um dem Text Glaubwürdigkeit zu verleihen, erläutert Fouquet seine Herangehensweise. „Die Musik bildet da übrigens einen wunderbaren, emotionalen Teppich.“ Sie beschreibt zusätzlich die Psyche der Figuren und der Situationen, ist äußerst einfühlsam und ruft eindrucksvolle Bilder vor’s innere Auge. Hier erahnt man die „große russische Seele“. Gelebt und interpretiert wird diese auf der Lüneburger Bühne übrigens von Sonja Gornik in der Rolle der Tatjana, die zuletzt als Donna Elvira (Don Giovanni), Rosalinde (Die Fledermaus) und als Tosca gefeiert wurde. Ihre Schwester Olga wird von der neuseeländischen Mezzosopranistin Kristin Darragh dargestellt, die ab dieser Spielzeit neues Mitglied des Lüneburger Ensembles ist. Ulrich Kratz als Onegin und Karl Schneider als Lenskij vervollständigen das Quartett der Liebenden. Die Partie des Fürst Gremin interpretiert Hans Georg Ahrens, Kammersänger am Theater Kiel. Kein Geringerer als Gernot Sahler, frisch gekürter musikalischer Leiter der Opernschule des Salzburger Mozarteums, übernahm als Gast die musikalische Leitung. kultur 63 2 � quadrat 10 / 2012 Mit Stefan Rieckhoff hat Hajo Fouquet sich erneut einen Bühnenbildner an seine Seite geholt, der den Lüneburgern bereits aus den Produktionen „Hoffmanns Erzählungen“, „Tosca“ und „Don Giovanni“ durch seine ausdrucksstarken Bühnenbilder bekannt ist. Man spricht eine Sprache – nicht die gleiche, vielmehr eine, die sich auf das Schönste ergänzt. „Mich interessieren nicht verspielte Details an einem Bühnenbild sondern die großen emotional erfassbaren Zeichen. Wie kann ich etwas darstellen, damit es eine Atmosphäre, ein Gefühl auslöst?“, so der Intendant. „Raum muss lebendig sein und im besten Sinne „mitspielen“. MITREISSENDES ENTERTAINMENT „Mitspielen“ müssen dann auch die Besucher – nicht als Akteure, sondern indem auch „Neulinge“ ihre Schwellenangst überwinden und eine Karte für einen Opernbesuch erstehen. „Oper oder Musiktheater, wie ich es lieber nennen möchte, ist wirklich für jedermann verständlich. Mitunter reicht es der Musik zu lauschen – und im Handumdrehen bin ich entführt in eine andere Welt. Musiktheater will nicht intellektuell sein. Wie wir an die Umsetzung herangehen, das mag viel mit Entwickeln und Wissen zu tun haben, doch das Ergebnis soll einfach zu verstehen sein und das Gefühlskarussell der Zuschauer in Gang setzen.“ Wobei wir wieder beim Credo sind, unter dem diese Spielzeit des Lüneburger Theaterhauses steht: „Empfi ndsam bleiben“. Nichts anderes bedeutet dies als die Aufforderung, sich zu öffnen, Schwellenängste zu vergessen und auch bei einer Oper einfach die empfi ndsame, gefühlvolle Seite in sich sprechen zu lassen. „Dazu bedarf es keines beson- deren Know-hows, ja man braucht noch nicht einmal zu wissen, wer der Komponist ist. Hier darf man einfach genießen, darf mitleiden, mitlachen und mitlieben“, lädt der Theatermann in sein Haus ein. Auch Oper vermag mitunter einfach nur zu „entertainen“ – das aber mit Niveau! (nm) Eugen Onegin · Theater Lüneburg, Großes Haus 02., 21. Oktober 02., 16., 18., 28. November 05., 09., 15., 20., 25. Dezember www.theater-lueneburg.de