Sozialverhalten im NetzFast allen Menschen fällt eine Kontaktaufnahme via Onlinekommunikation leichter –dies gilt aber insbesondere für Menschen, denen dies im realen Leben manchmalSchwierigkeiten bereitet. 73 Die Umfrage auf Buffed.de verdeutlicht diesen Zusammenhang:Von den 111 teilnehmenden Personen gaben 38 % an, dass es ihnen imInternet nicht leichter fallen würde, Kontakte zu knüpfen. 62 % hingegen bestätigten,dass ihnen die Kontaktaufnahme innerhalb des Netzes einfacher gelängeals außerhalb. Da rund 58 % der Befragten zwischen 10 und 20 Jahren alt sind,lässt sich schließen, dass insbesondere jungen Menschen der Aufbau virtuellerBekanntschaften und Freundschaften im Internet leichter fällt als im realen Leben.Dies lässt sich auch darauf zurückführen, dass erfahrungsgemäß gerade in derPubertät Schüchternheit und Unsicherheiten stärker ausgeprägt sind. 74Ausschlaggebend für die erfolgreiche Nutzung der Kontaktmöglichkeiten imInternet ist eine netzspezifische soziale Kompetenz, z.B. die Wahl eines aussagekräftigenNicknames, sowie die Beachtung und Einhaltung netzspezifischer Regelnim sozialen Umgang. Um mit unbekannten Personen einen privaten E-Mail- oderChatverkehr aufzubauen, wird meist ein konkreter Anlass und/oder entsprechendeVorarbeit benötigt. Die technisch ermöglichte Erreichbarkeit anderer InternetnutzerInnenist somit nicht gleichbedeutend mit deren sozialer Erreichbarkeit, dieInternetnutzung an sich keineswegs gleichzusetzen mit einem quasi automatischenBeziehungsaufbau. Mangelnde soziale Kompetenz kann auch im Netz zu Konflikten,Enttäuschungen, Feinden und sozialer Isolation führen, während eine hilfsbereiteund offene Art oft Voraussetzung dafür ist, dass andere ein Interesse ander eigenen Person entwickeln.Da die Kontaktaufnahme im Netz durch Blickkontakt nicht möglich ist, muss dasInteresse am Gegenüber aus dem textbasierten Kommunikationsverhaltenersichtlich werden, z.B. durch eine persönliche Begrüßung. Das Gegenüber kanndann auf diese Beziehungsbotschaft reagieren. Bei gegenseitigem Interesse ander Vertiefung des Kontakts erfolgt der Wechsel zum privaten Chatten oder Mailen.Ein direktes Ansprechen, ohne zuvor an den Forenaktivitäten teilgenommen zuhaben, gilt generell als Zeichen sozialer Inkompetenz, die Kontaktaufnahme wirdvermutlich wenig erfolgreich verlaufen. Genau wie bei der Kontaktaufnahme imrealen Leben ist der dringende Wunsch, sofort und auf der Stelle jemandenkennen zu lernen, also eher kontraproduktiv. 75Die Entwicklung sozialer Beziehungen im NetzAus der unverbindlichen Kommunikation zwischen zwei Personen im Netz kannsich durch wiederholte Kontakte eine zunächst schwache Beziehung entwickeln,welche oft hauptsächlich geselligen Motiven dient. (Eine genauere Erläuterungder schwachen Beziehungen und ihrer Bedeutung für die InternetnutzerInnenfinden Sie im Abschnitt über die Bildung neuer Gruppen im Internet.)Betrachtet man die Gesamtheit aller Netzbeziehungen, handelt es sich auf denersten Blick zumeist um diese oberflächlichen, schwachen Bindungen. Engesoziale Beziehungen scheinen hingegen weniger häufig zu existieren. 76 In derÖffentlichkeit finden schwache Netzbeziehungen aber oft wenig Akzeptanz, daallgemein die Ansicht überwiegt, dass sich Unterstützung und Geselligkeit imsozialen Umfeld und nicht im Netz finden lassen. Das Eingehen solcher Bekanntschaftenim Internet wird deshalb oft als Flucht vor realen zwischenmenschlichenKontakten und als Zeichen von Vereinsamung und sozialer Isolation gesehen.Räumen jedoch Inter-netnutzerInnen ihren Onlinebekanntschaften ab und zu Prioritätein, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Flucht vor „realen Kontakten“.Schließlich handelt es sich auch bei Onlinekontakten um „reale“ Menschen, denensich die InternetnutzerInnen verbunden und verpflichtet fühlen. Entgegen der weitverbreiteten öffentlichen Meinung bewerten Netzaktive ihre Onlinebeziehungenkeineswegs pauschal als zweitrangig oder austauschbar.Abb. 17: © Rainer Sturm / Pixelio.de32
Sozialverhalten im NetzWie intensiv Onlinebekanntschaften sind, hängt letztlich aber immer auch von derindividuellen Gestaltung der Netzkontakte ab. Personen mit Kontaktschwierigkeitenkönnen das Internet z.B. „missbrauchen“, indem sie ihre emotionalen und sozialenBedürfnisse nur noch in Form reiner Netzbeziehungen zu befriedigen versuchen.Diese sind zwar besser zu kontrollieren, können die genannten Bedürfnisse abernur teilweise befriedigen, so dass auf Dauer eine Defizitsituation entsteht. WerdenNetzbeziehungen primär eingegangen, um dem Alltagsgeschehen zu entfliehen,kann es sogar zu einer Problemverstärkung kommen. Andererseits können schwacheNetzbeziehungen helfen, im realen Leben nicht behebbare Kontaktdefizite(z.B. räumliche Distanz, Behinderung) zumindest teilweise zu kompensieren. 77Beziehungsvertiefung und Real Life-TreffenWenn die Beziehungspartner sich gut verstehen und ihre gemeinsame Beziehungals wichtig empfinden, wollen sie diese auch vertiefen und sich i.d.R. nicht nurauf virtuelle Kontakte beschränken. Neben dem Wechsel von Small Talk zu persönlicherenThemen, Anonymitätsabbau, häufigerem Kontakt und besseremKennenlernen kommt es bei der Beziehungsvertiefung im Netz also auch zuMedienwechseln. Diese stellen typische Wendepunkte in Onlinebeziehungen dar.Aus der reinen Onlinebeziehung entwickelt sich so eine von Vertrauen undIntimität geprägte Hybrid-Beziehung. Je länger diese besteht, desto stärker wirdder Wunsch, den anderen auch im Real Life zu treffen. Ob ein persönliches Treffenzustande kommt, hängt dann nicht nur von der geografischen Distanz und deremotionalen Bedeutung der Netzbeziehung ab, sondern insbesondere auch vonder Frage, ob und in welcher Weise die eigene und die Selbstdarstellung desPartners von der Realität abweichen. Obwohl manche InternetnutzerInnen daraufvertrauen, dass die im Netz generierte Zuneigung dabei hilft, das körperlicheErscheinungsbild des Gegenüber positiver wahrzunehmen, bzw. mögliche Unterschiedezwischen Wunsch und Wirklichkeit zu ertragen, lösen Medienwechsel beiden Beteiligten oft große Unsicherheiten aus. Sie sind sich i.d.R. darüber bewusst,dass es auch zu Enttäuschungen kommen kann. Findet ein persönliches Treffentrotz dieser Unsicherheiten statt, kann spätestens in diesem Moment nicht mehrvon einer flüchtigen und oberflächlichen Scheinbeziehung geredet werden. Dieonline begonnene Beziehung ist anderen Offline-beziehungen gleichzusetzen. 78„Von Offline-Beziehungen […] unterscheiden sich die im Netz angeknüpftenBeziehungen vornehmlich hinsichtlich der ausgewählten Beziehungspartner(bei denen oft etwas andere Attraktivitätskriterien herangezogen werden), dergemeinsamen Aktivitäten (die maßgeblich durch textbasierten Austausch geprägtsind) und der Kommunikationsinhalte (die oft besonders intim sind).“ 79Sehr enge Netzbeziehungen werden allerdings nur von einigen wenigen, besondersengagierten NetznutzerInnen gepflegt, während die anderen UserInnenhauptsächlich bereits bekannte Personen kontaktieren und primär schwacheNetzbeziehungen eingehen. 80Hier wiederum der Verweis auf die Umfrage bei Buffed.de: Auf die Frage, ob sichim Spiel feste Freundschaften entwickelt hätten, gaben 60 % der Befragten „Ja“an, 40 % „Nein“. Dies lässt zunächst Zweifel an der obigen Aussage aufkommen,scheinen doch mehr als die Hälfte der Befragten enge, für sie wichtige Netzfreundschaftenzu pflegen. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass es sich beiBuffed.de um ein Portal für Onlinespiele handelt, auf dem sich aktive SpielerInnenüber das Spielgeschehen austauschen können. Dementsprechend kann unterstelltwerden, dass es sich bei den Teilnehmenden um Personen handelt, die eherin die Kategorie „netzaktiv“ fallen. Obiges Ergebnis relativiert sich weiter durchdie Antworten auf die Frage, inwieweit man sich auch mit diesen Spielerinnen imrealen Leben trifft. Hier antworteten lediglich 38 % der Befragten mit „Ja“, 62 %hingegen mit „Nein“. Berücksichtigt man nun noch die Aussagen bezüglich derhäufigsten Themen, über die sich mit anderen SpielerInnen ausgetauscht wird,ergibt sich ein ganz anderes Bild: Bei 34 % der Befragten dreht sich die Kommunikationmit anderen Spielenden primär um die Spielinhalte. 16 % gaben an, sichbevorzugt über andere SpielerInnen zu unterhalten, 15 % sprechen über Privates(Familie, Job, etc.), 29 % über Alltägliches (Hobbys, Wetter, Politik, etc.) und nur6 % unterhalten sich mit anderen über persönliche Probleme. Zusammengefasstergibt sich hieraus, dass von den 60 % subjektiv als enge Freundschaften bezeichnetenNetzbeziehungen nur 38 % anhand persönlicher Treffen vertieft wurden.Die Kommunikation mit anderen SpielerInnen dreht sich bei 79 % der Befragtenum Small Talk und um die Spielinhalte, lediglich bei 21 % beinhaltet die Kommunikationhäufiger auch persönlich wichtige und private Angelegenheiten.Dies spricht den Netzbeziehungen der Befragten keinesfalls ihre Wichtigkeit ab,33