W. Schmidt, Religion und Krankheitals dem entscheidenden Merkmal desmenschlichen Daseins, daß <strong>der</strong>Mensch in einer Wechselbeziehunglebt — vor allem mit Gott. Gotteslobist ein unerreichbarer Ausdruckmenschlicher Lebendigkeit. Durch denTod wird <strong>der</strong> Mensch von <strong>der</strong> Erfahrungdes wun<strong>der</strong>baren Handelns Gottesund vom Lob Gottes abgeschnitten.Daher bedeutet Tod <strong>für</strong> ihn Beziehungslosigkeit.Entsprechend verstand<strong>der</strong> Israelit als eine Erscheinung desTodes jede schwere Beeinträchtigungseines Lebens, z. B. durch Krankheito<strong>der</strong> Gefangenschaft. Er wurde vondem Eindringen des Todes in das Lebenstarker angefochten als durch dieTatsache des Sterbenmussens. Der Todkann also als Symbol dienen <strong>für</strong>Krankheit, Bedrängnis, Gottesferne.Leben wird also judisch-alttestamentlichverstanden als standiger Dialogmit Gott, dem <strong>der</strong> Mensch Gluck undLeid, Hoffnung und Angst, Gelingenund Schuld offenlegt und von dem erHeil erbittet. Tod ist Abbruch diesesDialoges, Beziehungslosigkeit, Gestaltlosigkeit.Der Zustand des Tot-Seins wird als Schattendasein verstanden.In diesem Schattenreich gibt eswe<strong>der</strong> Leid noch Klage, aber auch keinGluck und keine Hoffnung — keineZukunft. Eine Vorstellung, die denTod als Strafe <strong>für</strong> Schuld versteht,kennt das Alte Testament nicht.In <strong>der</strong> nachexilischen Zeit sowie in <strong>der</strong>Apokalyptik än<strong>der</strong>t sich das Verständnisdes Todes in judischer Sicht. DerTod gilt als Sundenstrafe. Es gibt einenendzeitlichen Strafort, aber auch eineAuferstehung <strong>der</strong> Toten zum Endgericht.Mit <strong>der</strong> hellenistischen Kulturdrangen dann dualistische Vorstellungenvon einem sterblichen Leib und einerunsterblichen Seele in das Judentumein, desgleichen <strong>der</strong> Gedanke anein ewiges leibloses Leben nach demTod.4. Sterben/Tod — christlichDas christliche Verständnis des Todeshangt unmittelbar zusammen mit demVerständnis von Tod und AuferstehungJesu. Der Tod Jesu ist stellvertreten<strong>der</strong>Suhnetod, Erneuerung desBundes mit Gott, Überwindung des(todlichen) Gesetzes und des menschlichenTodes. Das Neue Testament bezeugt,daß die beson<strong>der</strong>e ZuwendungGottes in <strong>der</strong> Menschwerdung desSohnes ihre letztgultige Erfüllung findet.Christus ist das unüberbietbareund unaufhebbare „Ja" Gottes zumMenschen. Als wirklicher Mensch ister selbst <strong>der</strong> Sterblichkeit unterworfen,die er bis in die Hingabe am Kreuz aufsich nimmt und die in <strong>der</strong> Auferstehungihre Vollendung hat. Im Geschehenvon Karfreitag und Ostern eröffnetChristus dem Menschen die Befreiungaus Sunde und Tod und überwindetendgültig die Gottferne, die erselbst zutiefst in seinem menschlichenLeiden, in seiner Todesangst durchhttenhat. In seiner Deutung des Todesreflektiert das Neue Testament vor allemdie Beziehung zwischen Tod undSühne.Im Neuen Testament gilt <strong>der</strong> Tod alsFolge <strong>der</strong> Sunde. Er ist durch dieSunde des ersten Menschen in die Weltgekommen und trifft alle Menschen.Durch Jesu Tod und Auferstehungsind <strong>der</strong> Sunde und dem Tod dieMacht genommen. An diesem Geschehengibt die Taufe Anteil; wer aufJesu Tod getauft ist, wird leben, im gegenwartigenwie im zukunftigen Leben.In <strong>der</strong> Taufe — so Paulus — werdendie Glaubenden in den Tod Jesuhineingenommen und wachsen mitihm zusammen. Den eigentlichen Todist <strong>der</strong> Christ schon damit gestorben,<strong>der</strong> Sunde, dem Gesetz, dem Fleische,sich selbst, <strong>der</strong> Welt. Der Tod ist damitrelativiert: Ob wir leben o<strong>der</strong> sterben,wir gehören Christus, dem Herrn.Die christliche Antwort auf das Ratseides Todes besteht in <strong>der</strong> Auferstehungshoffnung,die eine Bejahung desLeibes als eines Bestandteils gegenwartigenwie zukunftigen Heils miteinschließt. Kreuz und Tod sind bleibendeSignaturen des Lebens und desTodes. Menschlich gesehen ist <strong>der</strong> Todunbegreiflich auch im Neuen Testament.Doch das Neue des Neuen Testamentsliegt darin, daß <strong>der</strong> Tod m bezugauf Gott (und Christus) gesehenwird. In <strong>der</strong> Auferweckung Jesu erweistsich gerade <strong>der</strong> Tod als Ursprungdes Lebens; denn Gott überlaßt seinenChristus nicht dem Tod.Paulus übernimmt die apokalyptischenVorstellungen von einer endzeitlichenAuferstehung <strong>der</strong> Toten. DerEinfluß des hellenistischen Dualismuswar so stark, daß er in die theologischenAussagen <strong>der</strong> Alten Kirche eindrangund im Auferstehungsglaubenvirulent blieb. Die Theologie <strong>der</strong> Neuzeithat zunehmend eingesehen, daßdas herkömmliche Schema <strong>der</strong> Trennungvon Leib und Seele, das jahrhun<strong>der</strong>telangdie Vorstellung von Tod undUnsterblichkeit geprägt hat, <strong>für</strong> eineDeutung nicht ausreicht. Dar Tod bedeutetdas Ende des ganzen Menschenals Person in ihrem konkreten Leib.Tod muß ganzheitlich verstanden werden,wenn auch Auferstehung alsganzheitliches Geschehen geglaubtwerden soll. Hoffnung auf Ewigkeitkann nicht die naive Erwartung einesImmer-so-weiter-Gehens sein. Das biblischeBild des Samenkorns machtsichtbar, daß Verwandlung einenschmerzhaften Prozeß radikalen Loslassensals Bedingung von Verwandlungvoraussetzt. Das gilt auch <strong>für</strong> denMenschen. Der eine und ganzeMensch ist „verleiblichte Seele" und„durchseelter Leib". Als Ganzer ist erdurch den Tod betroffen. Gott aber,<strong>der</strong> dem sterblichen Menschen als Geschenkseiner Liebe, die er in Tod undAuferstehung Jesu vollendet, die ungeschuldeteGabe Gottes, nämlich dasunvergängliche Geschenk des Lebensunwi<strong>der</strong>ruflich zuspricht, dieser Gottkann den vergänglichen Menschenauch und gerade im Tod zu dem unvergänglichenQuell des Lebens zurückrufen.Die Unwi<strong>der</strong>ruflichkeit <strong>der</strong> Personvor Gott kann selbst <strong>der</strong> Tod nichtzerstören: Der unsterbliche Gottnimmt den sterblichen Menschen mdie unbedingte Zukunft seiner eigenenArztezeitschnft <strong>für</strong> Naturheilverfahren 36 10 (1995) 737
W. Schmidt, Religion und KrankheitUnsterblichkeit hinein. Deshalb — undnur deshalb — hat <strong>der</strong> Tod keine endgültigeMacht mehr über uns.5. Sterben/Tod — islamischDer Glaube an Gott und an den JüngstenTag sind Kernsatze <strong>der</strong> VerkündigungMohammeds. Die islamische Religionregelt beson<strong>der</strong>s die Beziehungendes Menschen zu Gott und zumJenseits. Das Leben ist nach islamischerTradition zur Bewährung gegeben.Paradies als Ort <strong>der</strong> FreundschaftGottes und Hölle als Ort <strong>der</strong> ewigenPein sind die gerechte Vergeltung <strong>für</strong>den Lebenswandel, Aufnahme ins Paradiesfreilich auch Akt absoluter göttlicherGnade. Je<strong>der</strong> Mensch ist sterblich.Auch Mohammed ist gestorben.Vor dem Todesengel, <strong>der</strong> die Seele desToten nach Glaube und Gottergebenheitbefragt, gibt es kein Verstecken.Der Tod ist in dieser Perspektive Anfangeines neuen Lebens, wie auch dasLeben im Körper <strong>für</strong> den Muslim nureine Station auf einer langen Reise <strong>der</strong>Seele darstellt, wie aus dem „Totenbuchdes Islam" hervorgeht. Für denwahren Gläubigen verliert <strong>der</strong> Todseine Schrecken, er sehnt ihn herbei,hat keine Furcht vor ihm. Angesichtsdes Todes hat <strong>der</strong> Mensch die letzteGelegenheit, über Allmacht, Erhabenheitund Gerechtigkeit Gottes nachzudenken.Die Sorge Gottes zeigt sichüber das Leben hinaus. Der Tod ist inislamischer Sicht die Voraussetzung,das letzte Ziel zu erreichen, keineswegsaber etwa Sold einer allgemeinen o<strong>der</strong>persönlichen Sünde.Die Annahme also, daß <strong>der</strong> Tod „<strong>der</strong>Sünde Sold" sei, wird vom Islam nichtgeteilt. In <strong>der</strong> Hingabe an Gott verliert<strong>der</strong> Tod seine Schrecken. Die liebendenMystiker ersehnen ihn sogar, weilsie in ihm das „Entwerden in Gott" erreichen.Freilich verurteilt <strong>der</strong> rechtsgläubigeIslam trotz all dieser Todessehnsuchtjegliche gewaltsame Beendigungdes Lebens, weil sie einen unzulässigenEingriff in die göttliche Kompetenzbildet.In <strong>der</strong> Tradition des Koran sind sowohldie Sterblichkeit als auch die Unsterblichkeit<strong>der</strong> Seele impliziert. Nach demKoran „unsterblich" sind indes die imSinne <strong>der</strong> islamischen Erwartungenguten Menschen und ihre Werke, auchwenn die Skeptiker und Ungläubigendies nicht bemerkten.6. Sterben/Tod — spiritistisch/parapsychologischDer Tod wird von den Spiritisten nichtals Ende o<strong>der</strong> Vernichtung, son<strong>der</strong>nals Übergang von <strong>der</strong> irdischen Bühnezu einem an<strong>der</strong>en Daseinsabschnitt gedacht.Mit seinem Astralleib betritt dasGeistwesen die jenseitige Welt. Umdiesen Übergang zu erleichtern, ist eswichtig, schon vor dem Tod an einFortleben zu glauben, sonst gerät <strong>der</strong>Mensch mit dem Tod in Panik undglaubt gar nicht, daß er schon gestorbenist, weil er ja noch lebt. Die Nöteso umherirren<strong>der</strong> armer Seelen werdenin <strong>der</strong> spiritistischen Literatur eindrucksvollbeschrieben. In an<strong>der</strong>enFällen gelingt es dem Geistwesen, nachseinem Anpassungsschlaf sich in <strong>der</strong>Astralwelt zurechtzufinden. DieAstralwelt wird überwiegend als landschaftlichschön beschrieben. DieHölle, von <strong>der</strong> einige „Spirits" berichtenund von <strong>der</strong> grauenhafte Bil<strong>der</strong>entworfen werden, wird gedacht alseine Art „himmlische Besserungsanstalt", als ein zeitlich begrenztes Kuratorium.Der Spiritismus beansprucht also, dieAntwort schlechthin auf jene Fragendes persönlichen Fortlebens nach demTode, dem Leben nach dem Leben, gebenzu können. Die Totenbefragungwird in den beiden großen Gesetzbücherndes Alten Testaments, dem 3.und 5. Buch Mose, strikt verurteilt.Kultische Rituale und magische Beschwörungenhat Israel als eine grundsätzlicheVersuchung dieses dunklenReiches empfunden, dem <strong>der</strong> Gläubigein keinster Weise entsprechendürfe. Da <strong>der</strong> Geisterwelt eine entsprechendeGötterwelt entsprach, warIsrael von seinem Glauben her gehalten,sein ganzes Vertrauen auf den einenGott zu setzen. Dieser Gott aberwar nach seiner eigenen Verheißungein Gott des Lebens und nicht des Todes.Auch das Neue Testament konzentriertsein Interesse auf das Verhältnisdes Menschen zu Gott und nichtauf das Verhältnis des Menschen zumTod o<strong>der</strong> gar zu einem Reich <strong>der</strong> Toten.Nicht über den Einblick ins Totenreich,son<strong>der</strong>n über den Weg <strong>der</strong> Verkündigungkommt <strong>der</strong> Mensch nachneutestamentlicher Überzeugung zumGlauben.Dieser Glaube macht frei, unvoreingenommenund offen mit den parapsychologischenPhänomenen umzugehen.Fragt man, in welchem Verhältnis<strong>der</strong> Glaube zu dem steht, was die Parapsychologiezum Thema Sterben undTod zu sagen hat, so ist zunächst nachdrücklichzu unterstreichen, daß esdem Glauben um das Vertrauen aufGott geht, seiner Macht und seinenMöglichkeiten traut er mehr zu als <strong>der</strong>Macht des Todes. Von diesem Vertrauenherkommend, sieht und beurteilter auch all das, was auf dem Gebiet<strong>der</strong> Parapsychologie heute zumThema Sterben und Tod gesagt wird.Aber eben weil <strong>der</strong> Glaube es nicht nötighat, dies zum „Beweis" seinerWahrheit heranzuziehen, macht erauch frei dazu, unvoreingenommen,kritisch und zugleich offen damit umzugehen.Wird aber dieser ganze Bereichnicht mehr vom Glauben her gesehenund beurteilt, son<strong>der</strong>n umgekehrt<strong>der</strong> Glaube von irgendwelchenJenseitsvorstellungen her gesehen undbeurteilt, dann tritt eine entscheidendeVerschiebung ein. Dann steht nichtmehr das Vertrauen auf die MachtGottes im Vor<strong>der</strong>grund, son<strong>der</strong>n dasInteresse an einer jenseitigen Welt. Fürden Glauben kann dies zur tödlichenBedrohung werden.Der Umkreis von Sterben und Tod übteine beson<strong>der</strong>e Anziehungskraft aufdie im Menschen tief verwurzelteSehnsucht aus, seine Grenzen zu überschreitenund seiner Zukunft sich zu738 Arztezeitschnft <strong>für</strong> Naturheilverfahren 36, 10 (1995)
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