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ung der Oberbegriffe „Gewalttaten und Vergehen“ seien, die<br />
wiederum den Zentralbegriff „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“<br />
erläutern. Gewalttaten und Vergehen seien die Akte gegen<br />
die Frauen gewesen. Der Einwand, dass die Frauen sich nach den<br />
damaligen gesetzlichen Bestimmungen strafbar gemacht hätten, ist<br />
richtig, rechtfertige um so weniger Lynchjustiz. Wozu seien die<br />
Gerichte da?<br />
Wenn es in 2 d heißt „Wird eines Verbrechens für schuldig erachtet,<br />
wer mit einer Ausführung in Zusammenhang gestanden hat“,<br />
dann haben, so das Gericht, die W., D,. Fr. und Z. an der Lynchjustiz,<br />
damit an der Ausführung des Verbrechens teilgenommen, auch F.,<br />
der die SA-Männer, die die Frauen festnahmen, herbeiholen ließ.<br />
Allerdings habe F., der unwiderlegbar behauptet, den Zweck des<br />
Herbeiorderns nicht gekannt zu haben, mangels Beweises freigesprochen<br />
werden müssen. Die vier anderen hätten bei ihrem Tun<br />
um dessen Unmenschlichkeit gewusst. Lapidar stellte daher das<br />
Gericht fest: „Das Vorliegen des zur Bestrafung wegen Verbrechens<br />
gegen die Menschlichkeit erforderlichen Vorsatzes muss bei den<br />
Angeklagten W., D., Fr. und Z. bejaht werden“.<br />
Wenn die Angeklagten immer wieder betonen, sie hätten unter<br />
Zwang gehandelt, dann greife hier 4 b KGR: „Die Tatsache, dass<br />
jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder seines Vorgesetzten<br />
gehandelt hat, befreit ihn nicht von der Verantwortlichkeit<br />
für ein Verbrechen; sie kann aber als strafmildernd berücksichtigt<br />
werden“.<br />
Die anerkannten Gefängnisstrafen schienen daher dem Gericht angemessen,<br />
ebenso bedingter Strafausstand (s.o.), zumal die Angeklagten<br />
lange interniert waren. (76)<br />
Resumee.<br />
Nach diesen langen quälenden Vorladungen vor der Polizei und<br />
Auftritten vor Gericht im Kampf um Rechtfertigung und Ehrenrettung<br />
war für die Täter und die Betroffenen ein Schlussstrich gezogen<br />
– vor Gericht ja, im Leben nein.<br />
Vor Gericht: Halten wir uns das Wesentliche nochmals vor Augen:<br />
Es begann damit, dass junge Frauen in den französischen Kriegsgefangenen<br />
nicht den Feind sahen, sondern Arbeitskollegen, mit<br />
denen sie sich erlaubten, kameradschaftlich, auch freundschaftlich<br />
umzugehen, mit manchen auch intim. Die deutschen Mitarbeiter<br />
nahmen das wahr, einige waren eifersüchtig, manche waren angesichts<br />
der moralischen „Gewissenlosigkeit“ echt empört, alle fühlten<br />
sich in ihrem patriarchalischen Stolz verletzt. Die Gerüchteküche<br />
brodelte, in Bexbach wurde getuschelt, das Gerede schwappte<br />
zu den Offiziellen über: zur Betriebsleitung, zur Polizei einschließlich<br />
ihres vorgesetzten Bürgermeisters, dann auch zur Gestapo in<br />
S<strong>aar</strong>brücken und damit zur Gauleitung in Neustadt. Die Verhöre<br />
brachten „Skandalöses“ zutage: Im Kern war es Menschliches allzu<br />
Menschliches, sie hatten dabei niemanden geschädigt, es war Privatsache;<br />
waren sie verheiratet oder verlobt, war es das Problem<br />
der Zweien. Aber da hatten sie sich getäuscht. Das Recht auf freie<br />
Entfaltung der Persönlichkeit war in einer geschlossenen Gesellschaft<br />
(du bist nichts, dein Volk ist alles) unbekannt, ebenso, dass<br />
jeder Mensch seine Würde hat. Was Würde ist, definierte die Partei.<br />
Grundrechte in einem totalitären System – ein Widerspruch in<br />
sich. Pochen auf eine Privatsphäre machte verdächtig.<br />
Empörung und Verachtung griff um sich: Das macht man nicht, sagten<br />
die einen, das ist verantwortungslos gegenüber den Männern<br />
im Feld, die anderen, die Parteiideologen, die nicht müde wurden,<br />
die Ehre der deutschen Frau (und Mutter) zu preisen, „konnten<br />
nicht anders als solche sittlichen Entgleisungen zu verurteilen“ so<br />
der stellvertretende Gauleiter Leyser im Saal des Gasthauses Bender<br />
vor der Partei (77).<br />
Man war sich einig: Die Frauen mussten für ihr ehrloses Verhalten<br />
büßen; darunter verstand die Gauleitung Volksjustiz in Form der<br />
Lynchjutiz: „Demonstrationen der Bevölkerung, die unter Umständen<br />
bis zum H<strong>aar</strong>abschneiden bei den betreffenden Frauen gehen<br />
sollten“ (78).<br />
„Aber als mir Jürgens hinterher ein Foto von der Demonstration<br />
vorlegte, auf dem die beteiligten Frauen mit kahl geschorenen und<br />
mit Farbe verschmierten Köpfen und mit umgehängten Tafeln zu<br />
sehen waren, fand ich, daß man hier – insbesondere hinsichtlich<br />
der Verwendung der Farbe – doch zu weit gegangen sei.“ (79)<br />
Vor Ort erlaubte man sich also, päpstlicher als der Papst zu sein,<br />
besonders gute Nationalsozialisten wollte man sein, indem man das<br />
„Soll“ übererfüllte, dadurch dass man diese „Franzosenliebchen“<br />
im wahrsten Sinn des Wortes bloßstellte. Dass sie nicht entkleidet<br />
wurden und nackt durchs Dorf getrieben wurden, war ein Wunder.<br />
Hier fragt man sich, was sich die Akteure und die zuschauenden<br />
Gaffer, darunter viele überzeugte Nationalsozialisten, dabei dachten.<br />
Kamen keine Skrupel, kein Mitleid auf, zumal die Frauen aus<br />
dem gleichen Ort kamen, vielleicht sogar mit dem einen oder anderen<br />
Täter verwandt waren. Fragte sich mancher nicht im Geheimen,<br />
wie die oben erwähnte Frau K., ob er das moralische Recht<br />
habe, über andere den Stab zu brechen. Mitbürgerinnen waren sie<br />
allzumal, kannten sich gegenseitig. Wenn man sich alles das im Einzelnen<br />
vor Augen hält, wird man einfach ratlos. Wie kann sich der<br />
Mensch so vergessen, so blindwütig werden?<br />
Dass die Frauen vor ein Gericht, in dem Fall vor ein Sondergericht<br />
sogar kamen, wo sie, wie es das damalige Gesetz – so hinterfragbar<br />
es im Nachhinein auch sein mag – vorsah, wegen Umgangs mit<br />
Kriegsgefangenen drastisch bestraft wurden, genügte der Partei,<br />
ob oben in Berlin und Neustadt oder untern vor Ort, nicht, das war<br />
nicht erzieherisch und exemplarisch genug.<br />
Nach dem Krieg wollten die Frauen Gerechtigkeit: Jetzt waren sie<br />
die Kläger, die Täter die Beklagten. Unter Gerechtigkeit verstanden<br />
sie Ehrenrettung, klagten deshalb wegen Verbrechens gegen die<br />
Menschlichkeit. Die Strafkammer des Landesgerichts sprach die<br />
Täter frei – ein Tiefschlag für die Frauen. Auf die Berufung der<br />
Staatsanwaltschaft änderte der II. Strafsenat des Oberlandesgerichts<br />
das Urteil dahingehend, dass F. mangels Beweises freigesprochen<br />
wurde, die anderen vier zwar zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden,<br />
die Strafe wurde aber unter der Bedingung dreijähriger Bewährung<br />
ausgesetzt. Diese geringe Bestrafung war nur möglich,<br />
weil das Gericht auf Befehlsnotstand erkannte, andere Tatbestände,<br />
insbesondere die übereifrigen Äußerungen der Täter, die hindeuteten,<br />
dass sie hinter der Aktion standen, kaum gewichtete.<br />
Auch der Freispruch des F. mangels Beweises hinterlässt ein schales<br />
Gefühl: Abgesehen davon, dass er sich in seinen Aussagen widersprach,<br />
seine Behauptung, er habe die SA-Männer herbeizitiert,<br />
ohne ihre Aufgabe zu kennen, hat mit der Wirklichkeit nichts zu<br />
tun. Auf Grund der Gerüchte und der Anwesenheit der Polizei und<br />
der Gestapo wusste jeder, insbesondere der SA-Truppführer F., dass<br />
Ungewöhnliches-Besonderes bevorstand, wie es Jürgens gegenüber<br />
F. andeutete. Auch die Anweisung Jürgens‘, die SA habe in<br />
Uniform anzutreten, wies in die gleiche Richtung, nämlich dass sie<br />
als Hoheitsträger in Einsatz käme. Angesichts dieser Indizien kann<br />
man das Urteil „Freisprechung mangels Beweises“ nur mit Kopfschütteln<br />
quittieren. Die Beweise lagen vor, sie wurden ignoriert.<br />
Ein Trost bleibt: In zweiter Instanz bekamen die Frauen im Grundsatz<br />
Recht – eine kleine Genugtuung für sie, eine moralische Niederlage<br />
für die Täter.<br />
Im Leben aber sahen sich beide, Täter und Betroffene stigmatisiert,<br />
beide glaubten, mit einem Makel behaftet zu sein, die einen mit<br />
dem Makel, gegen die Gesittung verstoßen zu haben, die anderen,<br />
„unmenschliche Handlungen“ begangen zu haben. Beide –das ist<br />
die Tragik - haben zeitlebens damit zurechtkommen müssen. Um<br />
sich zu schützen waren sie ängstlich bemüht, das Thema zu tabuisieren,<br />
es zu umgehen, nur nicht daran erinnert zu werden. Wenn im<br />
Rahmen der Recherche der Autor versuchte, mit Zeitzeugen ins Gespräch<br />
zu kommen, winkte man vielfach ab. Als er vor einigen Jahren<br />
gar versuchte, mit einer Betroffenen und einer nahen Verwandten eines<br />
Täters in Kontakt zu kommen, war brüske Verweigerung die Reaktion.<br />
Der Grund: Die Betroffenen sahen keine Chance mehr, dass für<br />
ihr Tun Verständnis aufgebracht werde, die Täter waren nicht bereit<br />
einzusehen und zu bedauern. Beide, Betroffene und Täter, verschanzten<br />
sich hinter einem Wall; sie hatten sich wenig zu sagen,<br />
doch saßen sie – Ironie der Geschichte - im gleichen Boot.<br />
Was lernen zukünftige Generationen aus dem Bexbacher Fall? Bei<br />
den Tätern war angesichts ihres Übereifers und Fanatismus‘, verbunden<br />
mit echter Entrüstung, kein Platz für Verständnis des allzu<br />
Menschlichen, auch nach Überwindung der NS-Zeit schafften sie<br />
die Umkehr nicht, die Frauen um Nachsicht zu bitten. „Die Zeiten<br />
waren damals andere; wer sie nicht erlebt hat, kann und sollte nicht<br />
urteilen“, sagen daher viele. Wenn das so wäre, hätte jegliche Geschichtsbetrachtung,<br />
deren Aufgabe, gegen das Vergessen, auch<br />
der stolz machenden Ereignisse, anzukämpfen ist, ihre Berechtigung<br />
verloren. Es sei wiederholt: Die Vergangenheit wiederholt sich zwar<br />
nicht, aber sie kann Hinweise geben, wie manch drohende Fehlentwicklung<br />
der Gegenwart vermieden werden kann. In unserm Fall<br />
heißt das: Die Frauen haben ihr Herz sprechen lassen. Sie wollten<br />
Mensch sein. Das war ihnen damals verwehrt – von (Mit-)Menschen,<br />
die in ihrem Fanatismus glaubten, die Wahrheit gepachtet zu haben<br />
und so die Würde, auf die jeder Mensch Anspruch hat, missachtet<br />
haben. Die Väter des Grundgesetzes haben daraus und aus<br />
anderen Fehlentwicklungen der NS-Zeit gelernt. Das war die Geburtsstunde<br />
des I. Artikels: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.<br />
Solange uns dieser Artikel eine Herzensangelegenheit ist,<br />
wiederholt sich der Fall Bexbach nicht, braucht uns um unser Gemeinwesen<br />
nicht bange zu sein. Frau K. bräuchte nicht resignierend<br />
festzustellen: „Auch gab er mir mal einen Kuss. Weil ich mich<br />
dabei nicht gewehrt habe, war das das große Verbrechen“<br />
Anmerkungen:<br />
1) Kl Hesse-Ph. Schneider: Vor aller Augen. Fotodokumente des<br />
nationalsozialistischen Terrors in der Provinz. Für die Stiftung<br />
Topografie des Terrors herausgeg. von Reinhard Rürüp. Klartext<br />
Verlag 2002, S. 118<br />
2) Ebda. Bilder 203 und 204<br />
3) Kontext: Wochenzeitung August 2011<br />
4) Vor aller Augen Bild 182 und 214<br />
5) S<strong>aar</strong>brücker Zeitung 25.6.1949<br />
6) S<strong>aar</strong>ländisches Landesarchiv (LA) Bestände StAnw. Nr. 479 und<br />
2677<br />
7) S<strong>aar</strong>l. Landesarchiv Nr. 2677 Bl. 59<br />
8) Bilder: Ziegelhütte vor dem Brand und Werbebroschüre Ziegelhütte<br />
9) Bild: Ziegelofen vor dem Brennen<br />
10) Bild: Ziegelofen nach dem Brennen<br />
11) LA Bestand: StAnw. Nr. 479<br />
12) LA Bestand: LEA Nr. 4255<br />
13) Fundort: Pfälzische Landesbibliothek Speyer<br />
14) LA Nr. 2677 Bl. 60<br />
15) LA StAnw. Nr. 479<br />
16) LA Nr. 2577 Bl. 136-149 und 189-216<br />
17) a.a.O. Bl.50; 18) a.a.O. Bl. 64; 19) a.a.O. Bl. 66; 20) a.a.O. Bl. 60;<br />
21) a.a.O. Bl. 66; 22) a.a. O. Bl. 64; 23) a.a.O. Bl. 92; 24) a.a.o. Bl. 74;<br />
Seite 18 KIRKELER NACHRICHTEN NR. 19/2012