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zds#21

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ERST FRAGEN,<br />

DANN<br />

KAUFEN<br />

14<br />

kaufen, neue Verträge abzuschließen oder<br />

im Internet einzukaufen.<br />

10.40 Uhr: Zwei Frauen betreten den<br />

Raum, nur eine spricht Deutsch. Sie geht<br />

schnellen Schrittes auf den Tisch von<br />

Brigitte Klinkerfuß zu. „Ich brauche eine<br />

Broschüre zur Beseitigung von Schimmel<br />

in der Wohnung.“ Klinkerfuß muss<br />

passen: „Die ist leider aus.“ Sagt’s und<br />

bittet: „Kommen Sie ab dem 17. Februar<br />

wieder, dann ist sie wieder da.“<br />

Vom Produkttest zum<br />

Urheberrecht<br />

Klinkerfuß hat schon bei einem<br />

Rechtsanwalt und in einer Personalabteilung<br />

gearbeitet. Vor 28 Jahren wechselte<br />

sie zur Verbraucherzentrale. „Es ist schön,<br />

Menschen helfen zu können.“ Besonders<br />

zu den Stoßzeiten, am Montag- und Donnerstagmorgen,<br />

sei eine Menge zu tun.<br />

Und spannend bliebe es immer: „Wir können<br />

uns auf nichts einstellen, jeder Tag<br />

hält Überraschungen bereit“, schwärmt<br />

sie. Was ihren Beruf noch schöner machen<br />

würde? „Wenn die Verständigungsprobleme<br />

nicht wären.“ Die sind, glaubt man den<br />

beiden Beraterinnen, ein riesiges Problem.<br />

In sieben von zehn Fällen, schätzt<br />

Klinkerfuß, klappe die Verständigung so<br />

schlecht, dass die Beratung keinen Sinn<br />

mache. „Wenn wir nicht dieselbe Sprache<br />

sprechen, ist das wie ‚stille Post‘ spielen“,<br />

sagt die Beraterin. „So können wir nicht<br />

helfen.“ Irmgard Czarnecki, seit 1994 Geschäftsführerin<br />

der Verbraucherzentrale,<br />

weiß um das Problem. Sie baut auf zwei<br />

türkischstämmige Berater. Im Februar<br />

startet zudem ein vom Bund gefördertes<br />

Projekt: Die Bremer, Hamburger und<br />

Berliner Verbraucherzentrale bekommen<br />

aufgrund der hohen Zahl an Migranten in<br />

diesen Ländern einen mehrsprachigen<br />

Mitarbeiter an die Seite, der schwerpunktmäßig<br />

zu Themen aus der digitalen Welt<br />

beraten können soll.<br />

Früher waren die Verbraucherzentralen<br />

für exzellente Produktberatung bekannt.<br />

Ob Waschmaschine, Toaster oder Kleinwagen<br />

– an einer ordentlich sortierten<br />

Infothek fanden sich die Testartikel dazu.<br />

Mittlerweile gibt es vor allem im Internet<br />

zuhauf Produkttests, weswegen die Verbraucherzentralen<br />

diese Art der „Beratung“<br />

aus ihrem Angebot gestrichen haben.<br />

Stattdessen warten heute Experten<br />

für neue digitale Produkte und deren Fallstricke<br />

auf Ratsuchende, Stichworte: Tele-<br />

kommunikation und Urheberrecht. Wenn<br />

es erst mal Abmahnungen von ominösen<br />

App-Betreibern oder Pornoseiten regne,<br />

führe die Selbsthilfe im Internet auch nicht<br />

mehr weiter, sagt Czarnecki: „Die ist selten<br />

fallbezogen und somit nichts wert.“ Es<br />

ärgert sie, „dass die Leute denken, wir<br />

würden immer noch Waschmaschinenberatung<br />

machen.“ Dass die Verbraucherzentralen<br />

irgendwann einmal überflüssig<br />

würden, glaubt sie hingegen nicht. Die<br />

Unternehmen, da ist sie sicher, würden<br />

nie aufhören zu tricksen. Und die Verbraucher<br />

würden nie anfangen, vor Vertragsabschluss<br />

noch 500 Seiten Kleingedrucktes<br />

zu lesen.<br />

11.00 Uhr: Ein Mann, Mitte 40, meldet<br />

sich bei Brigitte Klinkerfuß: „Ich habe<br />

einen Termin in der Energieberatung.“<br />

Sie begleitet ihn durch eine Nebentür<br />

und führt ihn in die erste Etage, wo der<br />

Experte bereits auf ihn wartet.<br />

Oft ist es<br />

schon zu spät,<br />

um noch<br />

was zu retten<br />

„Die Energieberatung ist eines unserer<br />

größten Themen“, sind sich Zeugner und<br />

Klinkerfuß einig. Das beginne bei der<br />

Suche nach dem richtigen Anbieter und<br />

ende bei Problemen mit überraschenden<br />

Nachzahlungen. Anders als bei vielen anderen<br />

Themen ist beim Thema Energieund<br />

Heizkosten offenbar vielen Menschen<br />

bewusst, dass eine unabhängige Beratung<br />

viel Geld sparen kann. Das mag auch mit<br />

dem großen und vor allem auch öffentlichkeitswirksamen<br />

Erfolg zusammenhängen,<br />

den die Verbraucherzentrale im Streit mit<br />

dem Bremer Energieversorger swb erzielt<br />

hat. 2003, als die Anbieter von Strom und<br />

Gas bundesweit die Preise angehoben hatten,<br />

nahm sie unter anderem dessen Verträge<br />

genau unter die Lupe – und kam zu<br />

dem Schluss, dass diese gar nicht rechtens<br />

seien. Gemeinsam mit der Hamburger<br />

Verbraucherzentrale zog sie deshalb vor<br />

Gericht. „Wir standen mit einem Bremer<br />

Anwalt einem riesigen Unternehmen mit<br />

Anwälten aus London und Mailand gegenüber“,<br />

erinnert sich Czarnecki an den aufsehenerregenden<br />

Prozess. Die Verbraucherzentralen<br />

gewannen trotzdem, 90.000<br />

Menschen konnten Widerspruch einlegen<br />

und sparten im Schnitt jeweils um die<br />

1.000 Euro. Die Folge war eine Welle von<br />

Beratungsgesprächen. „Die Menschen<br />

kannten uns und unsere guten Absichten“,<br />

sagt Czarnecki.<br />

Und immer wieder:<br />

Rundfunkgebühren<br />

11.05 Uhr: Ein Mann, Ende 50, betritt<br />

wutentbrannt den Raum: „Ich suche<br />

eine Kontaktperson bezüglich der GEZ-<br />

Rechnungen.“ Er lässt Dampf im Büro von<br />

Gabriele Zeugner ab. „‚Radio Bremen‘ hat<br />

mich abgewimmelt und an Sie verwiesen“,<br />

schnaubt er und verlangt: „Dann erzählen<br />

Sie doch mal, was diese angeblichen Säumniszuschläge<br />

sollen!“ Zeugner muss ihn<br />

beruhigen und macht dann deutlich, dass<br />

sie keine Zweigstelle von „Radio Bremen“<br />

seien hier. Ganz verstehen mag der Mann<br />

dies nicht. Und eine Lösung für sein Problem<br />

gibt es auch nicht: Er muss zahlen,<br />

da ist sich Zeugner sicher. Erschrocken<br />

verlässt der Mann ohne weitere Worte<br />

den Raum.<br />

„Genau das sind die Menschen, die einem<br />

den Tag vermiesen können“, sagt Zeugner.<br />

Gar nicht so selten komme es zu Streitigkeiten<br />

hier. Die Verbraucherinnen und<br />

Verbraucher seien wütend über hohe<br />

Rechnungen und Mahnungen, ihren Frust<br />

ließen sie dann bei den Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern der Verbraucherzentrale<br />

ab. Zeugner fühlt sich und ihre Arbeitgeberin<br />

da gewaltig missverstanden. „Wir<br />

wollen doch nur helfen“, sagt sie. Und<br />

dass sie hier „unabhängig von allen Insti-

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