03.11.2015 Aufrufe

zds#21

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

stephani<br />

11.37 Uhr<br />

Großenstraße<br />

Du hältst dich links und verlässt<br />

unvermittelt die Stadt. Der Verkehrslärm<br />

verpufft hinter perfide gepflegten<br />

Vorgärten. Ein Ensemble aus<br />

Backsteinen, dort, wo einst die Stadtbefestigung<br />

verlief.<br />

11.39 Uhr<br />

Stephanikirchhof<br />

Auf dem Parkplatz vor der „Kulturkirche“<br />

steht ein bordeauxroter<br />

Passat. Auf dem Fahrersitz telefoniert<br />

eine Frau.<br />

×<br />

11.47 Uhr<br />

Vor Stephanitor 10<br />

Eine Frau in blauer Jacke, geschätzt<br />

Mitte 30, steigt aus dem weißen<br />

Lieferwagen, zieht die Seitentür auf<br />

und trägt ein Paket Richtung Haus.<br />

Der Türsummer ist zu hören. Die Frau<br />

verschwindet hinter der in Aluminium<br />

gerahmten Tür und weiß noch nicht,<br />

dass sie gleich der Mittelpunkt einer<br />

Geschichte sein wird.<br />

PROSA<br />

29<br />

wie mit ihm. Er hieß Manuel. Er war älter als ich und hatte zwei Kinder<br />

… Wir lebten in der Nähe von Torremolinos und verdienten das<br />

wenige Geld, das wir benötigten, in einer taberna.“ Mein Vater griff<br />

schwerfällig nach einem Glas Wasser. „Seine Kinder lebten bei seiner<br />

Frau oben in Ronda und alle paar Wochen fuhr er mit dem Motorrad<br />

die serpentina hoch. Ich weiß noch, wie ich an jenem Tag mit Freunden<br />

am Strand war, als plötzlich der Nebel kam. Eben noch hatte man<br />

das Gefühl, bis nach Marruecos schauen zu können, und dann war<br />

alles umhüllt. Noch nie hatte ich einen Nebel wie diesen gesehen und<br />

auch später sah ich so etwas nie wieder. Die Menschen blieben ruhig<br />

und so schnell, wie er gekommen war, löste er sich wieder auf. Ich<br />

glaube, dass ich damals am Strand bereits eine Vorahnung hatte.<br />

Manolo kam am Abend nicht zurück. Ich lag die ganze Nacht<br />

wach und versuchte, ihn zu erreichen, doch sein Telefon war aus. Die<br />

Wände erdrückten mich und ich ging runter zum Strand. Lief bis nach<br />

Benalmádena und versuchte von unterwegs immer wieder bei ihm anzurufen.<br />

Am nächsten Nachmittag rief er mich an. Er sagte, er könne<br />

nicht mehr zurückkommen. Er könne mir nicht mehr in die Augen<br />

schauen. Ich flehte ihn an, zu kommen, aber er sagte nur, das ginge<br />

jetzt nicht mehr. Das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe.<br />

Die nächsten Wochen waren die schlimmsten in meinem Leben. Ich<br />

hielt es nicht mehr aus und fuhr nach Ronda. Im Pueblo blanco fragte<br />

ich die Menschen, ob sie ihn kennen, und schließlich fand ich das Haus<br />

seiner Frau. Sie stand in der Tür und trug ein schwarzes Kleid und ich<br />

brauchte mich nicht vorstellen. Ich sah zum ersten Mal seine Kinder.<br />

Von ihrem Garten aus blickten wir auf die Berge. Es war schon zwei<br />

Wochen her, dass er mit seinem Motorrad die Stadt verließ und der<br />

Schmerz war noch allgegenwärtig.“<br />

Das war das zweite Mal, dass ich meinen Vater weinen sah,<br />

und als die Frau zu Ende gesprochen hatte, saßen wir noch eine ganze<br />

Zeit da, ohne ein Wort zu reden. Ich sagte noch so etwas wie:<br />

„Der Einkauf steht in der Küche“ und verabschiedete mich.<br />

Und dann saß ich in meinem Auto vor der Kirche und wollte<br />

meinen Mann anrufen, doch der ging nicht ran, und dann fiel mir ein,<br />

dass heute Mittwoch war und dass er mittwochs immer mit Jupp zum<br />

Tennis ging, und er war bestimmt auch heute mit Jupp beim Tennis.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!