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einigkeit 06/15

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GESCHICHTE<br />

25 Jahre hartes Ringen um die Existenz: der Tabakarbeiter-Verband<br />

1865 bis 1890<br />

Die Bedingungen für die Gewerkschaftsarbeit<br />

waren vor <strong>15</strong>0 Jahren noch anders. Das<br />

heute im Grundgesetz verankerte Grundrecht<br />

auf „Koalitionsfreiheit“, also das Recht, sich<br />

zur Wahrung gemeinsamer Interessen zu<br />

Verbänden zusammenzuschließen, galt damals<br />

noch nicht, und alle Aktivitäten standen<br />

unter polizeilicher Beobachtung und bestenfalls<br />

staatlicher Duldung. Die Versammlungen<br />

mussten oft getarnt werden als gesellige<br />

Unterhaltungsveranstaltungen, und auch<br />

als Vereinszweck musste offiziell die gegenseitige<br />

Unterstützung bei Arbeitslosigkeit<br />

und nicht die Abwehr von Angriffen der Fabrikherrn<br />

oder die Wahrung der politischen<br />

Interessen der Arbeiter herhalten.<br />

Foto: DGB / Simone M. Neumann<br />

<strong>15</strong>0 Jahre Gewerkschaftsgeschichte bieten<br />

bewegende Einblicke in große Herausforderungen<br />

des steten gesellschaftlichen,<br />

politischen und wirtschaftlichen Wandels<br />

der Vergangenheit, die die Gewerkschaften<br />

zu bewältigen hatten und eindrucksvoll<br />

bewältigt haben. Die Geschichte lehrt uns:<br />

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der<br />

Menschen können wir nur dann gemeinsam<br />

nachhaltig verbessern und gestalten,<br />

wenn wir Einigkeit, Solidarität und Demokratie<br />

leben. Gemeinsam mit der NGG<br />

stehen wir für diese Werte und gestalten<br />

engagiert die Arbeit der Zukunft für die<br />

Menschen in Deutschland, Europa und der Welt. Zum <strong>15</strong>0-jährigen Jubiläum gratulieren<br />

wir allen haupt- und ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen der NGG und danken<br />

euch für euer unermüdliches Engagement.<br />

Reiner Hoffmann,<br />

Vositzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />

Foto: Heinrich-Kaufmann-Stiftung<br />

Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder war<br />

zunächst recht klein. Waren in der Association,<br />

dem Vorläuferverband von 1848-1850<br />

nur 1.000 Mitglieder eingeschrieben, schaffte<br />

der Allgemeine Deutsche Cigarrenarbeiter-<br />

Verein (ADCAV) es innerhalb von zwei Jahren,<br />

7.600 Mitglieder in 170 Orten zu organisieren.<br />

Das war aber immer noch nur eine kleine<br />

Basis, und die Mitglieder waren arm, sodass<br />

der Verein ihnen nur wenig Unterstützung<br />

zahlen konnte – so musste bei jedem lokalen<br />

Streik die gesamte Mitgliedschaft in den<br />

anderen Städten Geld für die Streikenden<br />

sammeln, um sie zu unterstützen.<br />

Anders als heute war Streik damals gleichbedeutend<br />

mit Arbeitsplatzverlust – die<br />

Entrippen von Tabakblättern in Heimarbeit<br />

Arbeiter stellten ihre Arbeit ein und wurden<br />

von den Unternehmern sofort entlassen. Der<br />

Verein musste sofort mehrere Dinge sicherstellen:<br />

Zum einen durfte auch niemand<br />

anderes anstelle der Streikenden die Arbeit<br />

aufnehmen: Das war nicht immer einfach.<br />

Zum anderen mussten die Streikenden<br />

materiell versorgt werden – sei es mit dem<br />

Solidaritätsbeitrag der anderen Mitglieder,<br />

sei es durch Gründung von genossenschaftlichen<br />

Cigarrenfabriken durch den ADCAV. Oft<br />

mussten die Streikenden aber auch mit ihren<br />

Familien ihre Stadt verlassen und in einer<br />

anderen neue Arbeit suchen – auch dabei<br />

half der Verein.<br />

Unter diesen Bedingungen war die Gewerkschaftsarbeit<br />

alles andere als einfach – und<br />

es herrschte auch Streit über die grundlegende<br />

politische Ausrichtung des Vereins.<br />

Während die einen mit den Fabrikherrn über<br />

die Lohnverhältnisse verhandeln wollten (so<br />

wie es heute alle Gewerkschaften tun), war<br />

Fritzsche (s. S. 3) vom unüberbrückbaren<br />

Gegensatz zwischen Arbeitern und Unternehmern<br />

überzeugt. Dieser Streit eskalierte<br />

schon vier Jahre nach der Gründung und<br />

führte zur Spaltung des ADCAV und zur<br />

Schwächung beider Teilverbände, in denen<br />

jeweils nur noch 900 Mitglieder blieben. Erst<br />

nach fünf Jahren konnte 1874 die Spaltung<br />

überwunden werden – sofort gewann der<br />

Deutsche Tabakarbeiter-Verband, wie die<br />

Organisation nun bis 1947 heißen sollte,<br />

wieder neue Mitglieder und war vier Jahre<br />

später mit 10.000 Mitgliedern die größte<br />

deutsche Gewerkschaft.<br />

Genau diese wiedergewonnene Stärke war<br />

dem seit 1871 vereinten deutschen Staat ein<br />

Dorn im Auge, und 1878 erließ der Reichskanzler<br />

Otto von Bismarck das berüchtigte<br />

„Gesetz gegen die gemeingefährlichen<br />

Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (auch<br />

„Sozialistengesetz“), das politische Versammlungen<br />

und Druckschriften sowohl der<br />

SAP (ab 1890 hieß sie erst SPD) wie auch<br />

aller Gewerkschaften verbot, Betätigungen<br />

unter Gefängnisstrafe stellte und die Möglichkeit<br />

bot, Funktionäre aus bestimmten<br />

Städten auszuweisen.<br />

Sofort nach Erlass des Gesetzes wurden<br />

etwa 900 Funktionäre aus Berlin, Hamburg,<br />

Leipzig, Frankfurt am Main, Stettin und<br />

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