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Cruiser im März 2016

Break The Chains Kampagne 2016: Alle Infos! Ausserdem: Warum das Nachtleben (noch) nicht tot ist und wie man mit homophober Musik Kasse macht.

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20 SERIE<br />

Homosexualität in Geschichte & Literatur<br />

SERIE<br />

Homosexualität in Geschichte & Literatur<br />

21<br />

Aus Leidenschaft für den Geliebten<br />

<strong>im</strong> Nil ertrunken?<br />

Ein Junge aus Kleinasien schaffte es ganz nach oben. Der Jüngling Antinoos<br />

durfte den römischen Kaiser Hadrian kennenlernen. Er wurde sein ständiger<br />

Begleiter, sie fanden sich seelisch, geistig und körperlich. Eine lange glückliche<br />

Zeit miteinander war ihnen aber nicht vergönnt.<br />

VON Alain Sorel<br />

E<br />

rst noch war er da gewesen, an diesem<br />

Tag Ende Oktober des Jahres 130 n.<br />

Chr., während sein Mentor und Liebhaber,<br />

der römische Kaiser Hadrian, in seiner<br />

fürstlich ausgestatteten Barke auf dem<br />

Nil bei der mittelägyptischen Stadt Besa Regierungsgeschäfte<br />

erledigte. Immer wieder<br />

hatte Hadrian vom Schreiben und Lesen<br />

aufgeschaut und sich nicht satt sehen können<br />

am «jungen Windspiel», wie er den graziösen,<br />

leichtfüssigen Jüngling zärtlich<br />

nannte. Dann war sein Gefährte plötzlich<br />

verschwunden, wurde verzweifelt gesucht –<br />

und tot aus dem Nil gezogen. Der Kaiser war<br />

ein gebrochener Mann und wurde nie wieder<br />

der alte. Nicht einmal zwanzig Jahre lang<br />

hatte Antinoos gelebt, ein flüchtiger Gast auf<br />

Erden. Hadrian aber setzte ihm unzählige<br />

Denkmäler, gründete am Nil zum Gedenken<br />

an den Toten die Stadt Antinoë, liess ihn auf<br />

Bau- und Bildwerken verewigen, auf Münzen<br />

prägen und zum Gott erheben.<br />

Ein Kaiser von Rom durfte so etwas<br />

tun. Aber auch die Herrscher über ein Weltreich<br />

wie Rom waren dem Schicksal unterworfen,<br />

wie Hadrian schmerzlich erfahren<br />

musste. Auch sie konnten letztlich nicht wissen,<br />

wann ihnen die Stunde schlug – oder<br />

eben jenen, die sie liebten.<br />

«Dann wurde sein Gefährte<br />

verzweifelt gesucht und –<br />

tot aus dem Nil gezogen. »<br />

Ein Knabe fällt auf<br />

Zum Zeitpunkt des Unglücks waren Hadrian<br />

und Antinoos weitab von Rom gewesen.<br />

Ganz klar, dass der Kaiser den Geliebten<br />

stets um sich haben wollte, und der begleitete<br />

ihn denn auch tatsächlich <strong>im</strong>mer, wohin<br />

es auch ging. Römische Kaiser durften<br />

keine Reisemuffel sein – sie mussten in den<br />

entlegensten Provinzen ihres Riesenreiches<br />

Präsenz, und zwar persönliche, markieren,<br />

drohten doch stets Aufstände und Abspaltungsgelüste<br />

unterworfener Völker. Eine<br />

Erkundung der Lage durch den Herrscher<br />

hatte einst auch zur Begegnung zwischen<br />

Hadrian und Antinoos geführt. Der Kaiser<br />

hatte in der Stadt Bithynion, heute Bolu <strong>im</strong><br />

Norden der Türkei, Halt gemacht, dem He<strong>im</strong>atort<br />

von Antinoos. Dieser, zwischen 110<br />

und 112 n. Chr. geboren, dürfte etwa zehnbis<br />

zwölfjährig gewesen sein, ein Knabe mit<br />

einem verträumten Blick, als ihn der Kaiser<br />

wohl erstmals zu Gesicht bekommen hatte.<br />

Möglicherweise war er ein Waisenkind, das<br />

dann an den kaiserlichen Hof nach Rom gebracht<br />

wurde und eine Ausbildung in einer<br />

Pagenschule erhielt. Hadrian liess ihn nicht<br />

mehr aus den Augen. Das eigentliche Liebesverhältnis<br />

zwischen den beiden dauerte<br />

etwa fünf Jahre, bis zum tragischen Jahr<br />

130 n. Chr.<br />

Einfluss dank Bettgeflüster<br />

Christliche Moralvorstellungen sind<br />

schlechte Ratgeber, um eine Beziehung wie<br />

jene zwischen Hadrian und Antinoos zu<br />

charakterisieren. Im klassischen Griechenland<br />

war eine solche zwischen zwei<br />

männlichen Personen in der Gesellschaft<br />

institutionalisiert, und in Rom wurde die<br />

Liebe zwischen einem älteren Mann und<br />

einem jüngeren gleichfalls praktiziert.<br />

Nicht nur erotisch funkte es aber zwischen<br />

Hadrian und Antinoos, sondern auch geistig<br />

und seelisch. Das war möglich, weil der<br />

Römer <strong>im</strong> Bithynier einen intellektuell<br />

regen Partner fand. An sich hielt der Kaiser<br />

Regierungsgeschäfte und Privatleben<br />

strikt voneinander getrennt, aber es ist anzunehmen,<br />

dass Antinoos indirekt durchaus<br />

Einfluss auf politische Entscheidungen<br />

nehmen konnte. Bettgeflüster kann weit<br />

reichen und hat es in sich, Welt- oder zumindest<br />

Landesgeschichte zu bewirken …<br />

Natürlich wohnte der gesunde Geist<br />

des Antinoos in einem gesunden, attraktiven<br />

Körper. Die Schriftstellerin Marguerite<br />

Yourcenar legt in ihrem Hadrian-Roman<br />

(«Ich zähmte die Wölfin») dem<br />

Staatslenker folgende Worte über Antinoos<br />

in den Mund: «Da sehe ich unter<br />

nachtschwarzem Gelock ein geneigtes<br />

Haupt, Augen, die hinter den langgeschnittenen<br />

Lidern aussehen, als stünden<br />

sie schräg, und ein junges, volles Gesicht…<br />

«Antinoos könnte es heute<br />

mit jedem männlichen<br />

Model aufnehmen.»<br />

Eine Woche träger Ruhe genügte, um ihn<br />

zu verweichlichen, und ein Nachmittag<br />

auf der Jagd, um seine Kraft und<br />

Geschwindigkeit wiederherzustellen …»<br />

Yourcenar hat in ihrem Werk den Kaiser<br />

porträtiert, der von 117 bis 138 n. Chr. regierte<br />

und Rom eine Periode der Stabilität<br />

bescherte. Rom-Kenner dürften sich an<br />

seine Bauten erinnern: die Hadriansvilla<br />

in Tivoli oder das Pantheon.<br />

Perfekter Body für den Laufsteg<br />

Das genaue Aussehen des Gefährten von Hadrian<br />

ist schwierig zu eruieren, weil die meisten<br />

Bildwerke den vergöttlichten und damit veredelten<br />

Antinoos zeigen. Aber Yourcenar dürfte<br />

den Kopf vortrefflich beschrieben haben,<br />

und nach den sonstigen Bildnissen sind breite<br />

Schultern sowie ein ausladender Brustkasten<br />

als Teil eines gleichzeitig schlanken, athletisch<br />

gebauten Körpers als Grundmuster anzunehmen.<br />

Antinoos könnte es heute mit jedem<br />

männlichen Model aufnehmen.<br />

Kein Wunder, dass der durchtrainierte<br />

Antinoos ein ausdauernder Jäger war – nicht<br />

unwichtig <strong>im</strong> Umgang mit einem Kaiser, für<br />

den die Jagd ein Macht- und Statussymbol<br />

war. War es auch da Schicksal, dass Hadrian<br />

Antinoos auf einer Jagd das Leben rettete?<br />

Sollte er ihm – das Jahr 130 n. Chr. war gekommen<br />

– einen letzten Liebesdienst erweisen<br />

dürfen? In der Ammon-Oase in der Libyschen<br />

Wüste ängstigte ein Löwe die Leute. Die<br />

beiden Jäger stellten das Tier, Antinoos durchbohrte<br />

es mit einem Speer, doch noch einmal<br />

bäumte sich die Raubkatze auf und hätte den<br />

überraschten, wehrlosen Burschen zerfleischt,<br />

wenn nicht der erfahrene Hadrian vorausschauend<br />

sich zwischen den Geliebten und die<br />

Bestie gestellt und ihr den Gnadenstoss gegeben<br />

hätte.<br />

«War Antinoos <strong>im</strong> Suff über<br />

Bord gefallen?»<br />

Und doch war die Uhr von Antinoos<br />

abgelaufen. Hadrians entsetzliche Erkenntnis<br />

be<strong>im</strong> Auffinden der Leiche: «Dieser<br />

sonst so gefügige Leib liess sich nicht wieder<br />

wärmen und wecken.» Was aber war geschehen?<br />

War Antinoos betrunken über Bord<br />

gefallen? Gab es eine höfische Intrige mit<br />

einem Attentat? Beging er Selbstmord, weil<br />

ihm die Nachstellungen des Kaisers zuviel<br />

wurden? Oder wollte Antinoos gar in Antwort<br />

auf seine Errettung vor dem Löwen beweisen,<br />

dass auch er aus Leidenschaft bereit<br />

war, sein Leben für den Freund einzusetzen<br />

und hinzugeben? Als möglich gilt nämlich,<br />

dass Antinoos den Tod in den Fluten bewusst<br />

suchte – <strong>im</strong> festen Glauben, seine Lebensjahre<br />

würden dadurch jenen des Kaisers<br />

zugeschlagen werden.<br />

Zurück blieb Hadrian, dem in den<br />

Nächten danach in seiner tiefen Trauer ein<br />

wie ein Edelstein funkelnder Stern auffiel, den<br />

er zu jenem des Antinoos machte. So fand er<br />

ein wenig Trost in der Hoffnung, vom H<strong>im</strong>mel<br />

her leuchte ihm sein junger Freund.<br />

CRUISER MÄRZ <strong>2016</strong> CRUISER MÄRZ <strong>2016</strong>

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