MOTORRAD Classic 05/2016
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SZENE I<br />
Helmut Faths Solomotorräder<br />
DOPPEL-BOXER-MOTOR<br />
Der 1989 eigens für Martin Wimmer entwickelte Zweizylinder-Zweitakt-Boxer<br />
steckt anfangs im angepassten Aprilia-Deltabox-Rahmen<br />
oberen Totpunkt zulaufen, während die<br />
hinteren sich auf ihren unteren Totpunkt<br />
zubewegen. Um die Temperatur des Gehäuses<br />
des flachen Vierers auf gesundem<br />
Niveau zu halten, verwendet Fath das sogenannte<br />
Thermosiphon-System, wobei<br />
das Kühlwasser in natürlicher Weise (ohne<br />
Wasserpumpe) zirkuliert. In die Zylinderblöcke<br />
sind mit einer Nikasilschicht<br />
versehene Leichtmetallbüchsen gepresst<br />
worden, mit einer Bohrung von 56 mm.<br />
Obwohl der Motor einen relativ kurzen<br />
Hub von 50 mm aufweist, womit Fath die<br />
Kolbengeschwindigkeiten begrenzen will,<br />
beträgt das Verdichtungsverhältnis 14:1.<br />
Um das Kraftstoff-Luft-Gemisch durch<br />
die Drehschiebersteuerung ins Gehäuse<br />
zu bekommen, muss Fath nach einer Stelle<br />
suchen, an der das Gemisch mit möglichst<br />
geringem Widerstand ins Motorgehäuse<br />
strömen kann und dabei nicht vom<br />
Wirbeln einer sich drehenden Kurbelwelle<br />
behindert wird. Fath platziert die Zugänge<br />
für das Gemisch auf dem Motorgehäuse<br />
so, dass dieses genau an der gewünschten<br />
Stelle ankommt, tief zwischen<br />
den Kurbelwangen und unter den Kolben.<br />
Fath verwendet beim Prototyp des Motors<br />
zwei Drehschieber. Die gegenseitige Reibung<br />
der rotierenden Einlassscheiben reduziert<br />
er, indem er sie mit einer glatten,<br />
hitzebeständigen Teflonschicht versieht.<br />
Fath erscheinen senkrechte Einlasstrichter,<br />
kombiniert mit einem Einspritzsystem<br />
für die Kraftstoffzufuhr am besten geeignet.<br />
Er entscheidet sich jedoch vorläufig<br />
für Vergaser, wegen der Probleme im<br />
Zusammenhang mit einer zweimal so<br />
hohen, drehzahlabhängigen Einspritzfrequenz<br />
im Vergleich mit einem System für<br />
einen Viertaktmotor. Fath verwendet spezielle<br />
Kolben, und zwar von ihm selbst gefertigte<br />
Exemplare, die mit nur einem Kolbenring<br />
ausgestattet sind. Er will das Spiel<br />
zwischen Wand und Kolben auf ein absolutes<br />
Minimum beschränken, das Kolbenspiel<br />
beträgt denn auch nur 0,04 mm. Fath<br />
hat den Vierzylinder mit einer Tellerfederkupplung<br />
versehen, welche die Leistung<br />
über ein eingebautes Sechsganggetriebe<br />
zum Hinterrad leitet.<br />
Der Prototyp des Flat Four, der Ende<br />
1972 fertig ist, wiegt letztendlich 44 Kilogramm.<br />
Fath: „Die Nenndrehzahl liegt bei<br />
12 800/min, die Leistung bei 80 PS.“ Im<br />
Laufe des Jahres 1973 verbessert Fath diesen<br />
Motor ständig. Um Erfahrung zu sammeln,<br />
will er den neuen Rennmotorblock<br />
zuerst in der Soloklasse zum Einsatz bringen.<br />
Sein Freund Nelson stimmt ein, als<br />
Testfahrer für die spektakuläre Maschine<br />
zu fungieren, und gibt sein Debüt auf dem<br />
Hockenheimring am 12. Mai 1974. Weil<br />
zehn Tage vor dem geplanten Einsatz der<br />
bestellte Rahmen noch immer nicht geliefert<br />
worden ist, pflanzt Fath den Motorblock<br />
in einen hastig von ihm selber gebauten<br />
Rahmen ein. Der erste Einsatz<br />
verläuft nicht ganz ohne Probleme, denn<br />
im Training bekommt der Motor einen<br />
Kolbenklemmer und während des Rennens,<br />
als Nelson sich an zehnter Stelle befindet,<br />
reißt die Kette des Endantriebs.<br />
Aber trotz des Pechs sind Fath und Nelson<br />
mit dem ersten Einsatz der Maschine zufrieden,<br />
weil das Motorrad aufgrund des<br />
günstigen Leistungsgewichts richtig<br />
schnell ist und durch den niedrigen<br />
Schwerpunkt eine gute Straßenlage bietet.<br />
Da die Schräglagenfreiheit bei diesem<br />
Monoshock-Rahmen zu gering ist, will<br />
Fath für den nächsten Einsatz auf dem<br />
Luttenbergring in Raalte/Niederlande das<br />
Fahrgestell ändern, indem er die Girlings<br />
verlängert. Obwohl der Motor mit etwas<br />
über 80 PS bei 12 000/min noch keine allzu<br />
hohe Spitzenleistung liefert, erweist<br />
sich das Bike im Training in Raalte schneller<br />
als das Bike von Jack Findlay – durch<br />
das breite Leistungsband kann Nelson<br />
schnellere Rundenzeiten realisieren.<br />
Am 8. September nimmt Nelson an<br />
einem Rennen auf der jugoslawischen<br />
102 <strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC 5/<strong>2016</strong><br />
www.motorrad-classic.de