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Anstifter 3, 2015 der Stiftung Liebenau

Der Anstifter ist die Hauszeitschrift der Stiftung Liebenau mit Themen aus den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Gesundheit, Familie und Dienstleistungen.

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Foto: fotolia<br />

Auf <strong>der</strong> Flucht<br />

von Prälat Michael H. F. Brock<br />

Das Matthäusevangelium beschreibt gleich zu Beginn,<br />

dass Maria, Josef und das Kind Jesus sich auf <strong>der</strong><br />

Flucht befanden. Sie waren auf <strong>der</strong> Flucht aus Angst<br />

vor Terror und Willkür eines Herrschers, <strong>der</strong> seine<br />

Macht bedroht sah durch die Verheißung des Friedens.<br />

Kein Mensch verlässt gerne seine Heimat. Es<br />

muss schon existenzielle Not, Angst und Verzweiflung<br />

vorliegen, Bedrohung und Sorge um Leib und<br />

Seele. Dann aber brauchen wir Menschen, Län<strong>der</strong> und<br />

Kulturen, die die Flüchtenden aufnehmen, Schutz<br />

gewähren, Sicherheit, Obhut. Ich schreibe als Theologe,<br />

nicht als Politiker, wenn ich sage: Ich lasse mich<br />

auf die Diskussion um die einzelnen Beweggründe<br />

von Menschen auf <strong>der</strong> Flucht gar nicht erst ein.<br />

Wenn Angst und Verzweiflung Menschen dazu treibt,<br />

ihre Heimat zu verlassen, dann darf es keine Diskussion<br />

mehr geben. Über alle Grenzen und Län<strong>der</strong> und<br />

Kulturen, auch Religionen hinweg gilt: Menschen<br />

haben ein Recht auf ein angstfreies Leben, weil sie<br />

Menschen sind. Und diese Erde hat keine Besitzer.<br />

Wir haben ein Recht, diese Erde zu verwalten im<br />

Namen dessen, <strong>der</strong> sie uns geschenkt hat. Aber –<br />

unserem Glauben folgend gibt es keinen Gott <strong>der</strong><br />

Deutschen, <strong>der</strong> Europäer, <strong>der</strong> Amerikaner, <strong>der</strong> Chinesen,<br />

<strong>der</strong> Syrer, <strong>der</strong> Afghanen… Es gibt nur einen<br />

Gott in unserem Glauben und er ist Gott <strong>der</strong> ganzen<br />

Erde. Es ist Menschenwerk, eine Götterwelt zu formen,<br />

die Menschen eingrenzt o<strong>der</strong> ausgrenzt. Es ist<br />

Fanatismus zu glauben, Gott erlaube es, dass Menschen<br />

gegen Menschen vorgehen. Es ist Terrorismus,<br />

wenn Menschen in Angst, Schrecken und Verzweiflung<br />

getrieben werden. Es ist eine Wahnvorstellung,<br />

wir Menschen müssten uns gegeneinan<strong>der</strong> kriegerisch<br />

verhalten, weil ein Glaube es uns so vorgeben<br />

mag. Wir haben jedenfalls als Christen eine eindeutige<br />

Haltung (Gott sei Dank nach genügend Irrläufen<br />

auch in unserer eigenen Geschichte). Es gibt keinen<br />

Gott, <strong>der</strong> den Krieg erlaubt, Menschen gegen Menschen,<br />

Kultur gegen Kultur, Land gegen Land. Es<br />

gibt nur EINE Menschheitsgeschichte GOTT –<br />

MENSCH. Und also nur eine MENSCHHEIT mit viel<br />

Verwandtschaft und kultureller und religiöser Vielfalt.<br />

Maßstab ist für mich unser Verhalten in Religion,<br />

in Kultur und Gesellschaft. Auf Gott berufen<br />

mag sich ein je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> im Namen des Friedens<br />

unterwegs ist, Menschen entgegenzugehen, ihre<br />

Ängste zu umarmen. Weil Menschen frei sind, wird<br />

es immer Menschen geben, die an<strong>der</strong>e Menschen<br />

unterdrücken wollen um ihres eigenen Vorteils willen.<br />

Weil wir Menschen frei sind, werden wir uns<br />

immer wehren (müssen) gegen jede Form <strong>der</strong> Ungerechtigkeit<br />

und des Missbrauchs von Macht. Und wir<br />

können biblisch lesen, dass Menschen auf <strong>der</strong> Flucht<br />

immer schon darauf angewiesen waren, dass Menschen<br />

Menschen beschützen. Stellen wir uns vor,<br />

Josef, Maria und Jesus hätten in Ägypten keine<br />

Zuflucht gefunden. Gottes Sohn wäre umgekommen<br />

auf <strong>der</strong> Flucht wie heute Tausende auf ihrem Weg<br />

aus Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Unterdrückung und des Krieges<br />

nach Europa. Wir hätten von Gottes Botschaft in<br />

menschlichen Verhältnissen nie erfahren.<br />

Ich sage willkommen den Menschen, die auf <strong>der</strong><br />

Flucht sind. Biblisch haben sie einen Anspruch auf<br />

Sicherheit und Auskommen, bis sich die Verhältnisse<br />

geän<strong>der</strong>t haben und sie in Frieden heimkommen<br />

können. Wer heute Jesus folgen möchte, fragt nicht<br />

nach Herkunft, Kultur und Religion. Wer ihm folgen<br />

möchte, fragt nach Not und Lin<strong>der</strong>ung. Was brauchen<br />

Menschen, die sich in Angst und Verzweiflung<br />

an uns wenden? Sie brauchen Menschen, die sie als<br />

Menschen an- und aufnehmen.<br />

Hören Sie den Text an.<br />

www.stiftung-liebenau.de/impulse<br />

Sprecher: Prälat Michael H. F. Brock<br />

<strong>Stiftung</strong> <strong>Liebenau</strong><br />

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