Besser verkehren
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D. Schifffahrt<br />
Große Koalition beschenkt Reeder<br />
im Stil der griechischen Altparteien<br />
von Freek Blauwhof<br />
Am 28. Januar haben CDU/CSU und SPD im Bundestag<br />
mit der Anhebung des sogenannten Lohnsteuereinbehalts<br />
für die deutsche Seeschifffahrt den Reedern<br />
ein Geschenk in Höhe von 50 Millionen Euro pro Jahr<br />
gemacht. Damit befreit die Bundesregierung die Reeder<br />
künftig vollständig von der Lohnsteuerpflicht. Die<br />
einbehaltenen Lohnsteuerbeiträge dürfen die Reeder<br />
sich selbst in die Tasche stecken. Im Gegenzug verlangen<br />
die Koalitionsparteien keine einzige Gegenleistung.<br />
Dieses Ausmaß legalisierter Steuerhinterziehung für die<br />
Reeder haben sich sogar die griechischen Altparteien<br />
nicht getraut.<br />
Steuerbegünstigungen und Subventionen vom Bund für<br />
die deutsche Seeschifffahrt sind nichts Neues. Denn<br />
der Staat zahlt jährlich Subventionen in Höhe von 60<br />
Millionen, die den Reedern die Lohnkosten um fünfstellige<br />
Beträge pro Besatzungsmitglied erleichtern. Nach<br />
Angaben der Gewerkschaft Ver.di müssen deutsche<br />
Reeder für nur einen Bruchteil der eigenen Lohnkosten<br />
aufkommen. Rechnet man die Förderung des Bundes,<br />
die Zuschüsse der Stiftung Schifffahrtsstandort<br />
Deutschland und den Lohnsteuereinbehalt zusammen,<br />
bleibt von einem Bruttogehalt von über 74.000 Euro pro<br />
Jahr für einen Technischen Offizier nur noch knapp über<br />
12.000 Euro oder weniger als ein Sechstel der Gesamtlohnkosten<br />
für den Reeder übrig.<br />
Insgesamt belaufen sich die Subventionen und Steuervergünstigungen<br />
für die Seeschifffahrt künftig auf 133<br />
Millionen pro Jahr. Darüber hinaus haben die Reedereien<br />
mit der Tonnagesteuer seit 2004 mehr als 4,7<br />
Milliarden an Steuererleichterungen erhalten. Zudem<br />
sind Schifferlöspools – ein betriebswirtschaftliches<br />
Instrument der Reedereien, um Einnahmenschwankungen<br />
abzufedern – dauerhaft von der Versicherungssteuer<br />
befreit. Das ist ein Skandal und ein gefährlicher<br />
Präzedenzfall für andere Branchen, die sich ebenfalls<br />
im internationalen Wettbewerb behaupten müssen.<br />
Denn wer einzelne Branchen aus der Steuerpflicht<br />
rausnimmt, untergräbt die Finanzierung der öffentlichen<br />
Daseinsvorsorge.<br />
Die Koalitionsfraktionen und die Reeder begründen die<br />
öffentliche Förderung für die Reeder damit, dass die<br />
deutsche Seeschifffahrt in einer tiefen Krise stecke.<br />
Tatsächlich sind die Frachtpreise derzeit deutlich<br />
gesunken. Die deutschen Reeder zählen aber schon<br />
Jahrzehnte, Krisen hin oder her, zu den mächtigsten<br />
Flotteneignern der Welt. Die deutsche Handelsflotte<br />
ist die viertgrößte der Welt, in der Containerschifffahrt<br />
sind die deutschen Reeder sogar Weltmeister. Die<br />
oft bemängelten Überkapazitäten haben sie teilweise<br />
selbst herbeigeführt. Das drückt die Frachtraten, also<br />
die Preise für den Transport von Waren, und erhöht<br />
die Risiken. Während die Zahl ihrer Schiffe ständig<br />
anstieg – bis zum Höchststand von 3.784 Einheiten<br />
2012 – schrumpfte die der deutschen Seeleute in den<br />
letzten Jahren drastisch bis auf 2.826 Ende Februar 2016.<br />
Momentan werden immer wieder Schiffsverkäufe gemeldet.<br />
Kritiker schließen aber nicht aus, dies könnten<br />
vorgetäuschte Transaktionen über Briefkastenfirmen<br />
sein, um innenpolitisch Druck zu erzeugen.<br />
Insgesamt geht es den deutschen Reedern nicht so<br />
schlecht, wie sie bei Lobbyauftritten behaupten. Die<br />
Einnahmen der deutschen Seeschifffahrt haben sich<br />
nach Angaben des VDR in den letzten 20 Jahren mehr<br />
als vervierfacht (von etwa 5 Milliarden 1994, etwa 10<br />
Milliarden 2004 auf mehr als 21 Milliarden Euro 2014).<br />
Die größte deutsche Reederei Hapag-Lloyd konnte die<br />
Nettogewinne 2015 auf 366,4 Millionen Euro steigern; im<br />
Vorjahr erlitt der Konzern noch einen Verlust von 382,8<br />
Millionen.<br />
Die beispielslose öffentliche Förderung ist für die deutschen<br />
Reedereien kein Grund, ihre Zusagen im Rahmen<br />
des sozialpartnerschaftlichen Dialogs, des sogenannten<br />
Maritimen Bündnisses, einzuhalten. Weder ist die<br />
Ausflaggung gestoppt, noch bilden die Reedereien<br />
mehr Seeleute aus. Stattdessen setzten die deutschen<br />
Reeder den Stellenabbau und die Ausflaggung munter<br />
fort. Seit 1992 sind schon etwa zwei Drittel der Stellen<br />
der damals noch 18.000 deutschen Seeleute abgebaut<br />
worden. Im Jahr 2000 waren auf Schiffen unter deutscher<br />
Flagge immer noch über 12.000 Seeleute beschäftigt.<br />
Anfang 2016 waren es nur noch knapp über 8.000<br />
deutsche und ausländische Seeleute. Die Zahl der<br />
Schiffe unter deutscher Flagge ist in gleichem Zeitraum<br />
von 722 auf heute 341 gesunken – von insgesamt 2.826<br />
Seeschiffen in deutschem Eigentum. 1.025 deutsche<br />
Schiffe fahren dagegen inzwischen unter der Billigflagge<br />
Liberias, 950 unter der Flagge Antiguas und Barbudas.<br />
Auf diesen Schiffen herrschen deutlich schlechtere Löhne<br />
und Arbeitsbedingungen.<br />
Von den 341 Schiffen unter deutscher Flagge sind<br />
zudem auch noch 187 im sogenannten Internationalen<br />
Schiffregister (ISR), auch Zweitregister genannt,<br />
registriert. Durch einem Eintrag im Zweitregister kann<br />
der Arbeitgeber ausländische Seeleute an Bord von<br />
Schiffen unter deutscher Flagge nach den Tarifen der<br />
Herkunftsländer bezahlen. So konnte es passieren,<br />
dass auf den 2.826 Schiffen in deutschem Eigentum nur<br />
deutsche Seeleute auf 12% der Schiffe sowie ausländische<br />
Seeleute auf knapp über 5% der Schiffe überhaupt<br />
unter deutsche Tarifverträge und deutsches Arbeitsrecht<br />
fallen.<br />
Kaum ist die gesamte Wunschliste der Reeder in Erfüllung<br />
gegangen, wollen die Reeder schon mehr. Mit dem<br />
Argument, die Reedereien stünden immer noch kurz<br />
vor der Pleite, fordert der Reederverband VDR nun eine<br />
Senkung der EEG-Umlage für die Seeschifffahrt und<br />
eine Lockerung der sogenannten Schiffbesetzungsver-<br />
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