Politik CRUISER Edition <strong>Winter</strong> 12/13 Obamas «Change» Neue Hoffnung für Amerikas Gay-Community Von Martin Ender Triumph für Barack Obama © pd 12
CRUISER Edition <strong>Winter</strong> 12/13 Politik Barack Obamas «Wende» kam erst nur langsam voran. Es musste Mai <strong>2012</strong> werden, bis der Präsident sich offiziell über die Anerkennung der «Civil Union» hinaus auch für die «Same-Sex Marriage» ausgesprochen hat. Er ist dennoch der erste amerikanische Präsident, der klar Stellung bezog und unter dem sich nun einige Staaten per Volksentscheid für die Homo-Ehe entschieden haben. Lange Zeit war Amerika für Schwule alles andere als das «Land der Freiheit». Die US-amerikanische Schriftstellerin Marion Z<strong>im</strong>mer Bradley, vielen bekannt als Autorin von Fantasy-Romanen wie der Avalon-Saga, malt treffend ein Bild von den Schwierigkeiten und Gefahren, die homosexuelle Jungs und Männer – vor der Zeit eines öffentlich möglichen Comingouts in Amerika – zu bestehen hatten. In ihrem Roman «Trapez» (The Catch Trap), der 1979 erschien, beschreibt sie das kaum auszuhaltende Versteckspiel eines homosexuellen Paares anfangs der 1950-er Jahre. «Trapez» Der Roman – bei dieser Autorin ungewohnt – ist voll in der Realität angesiedelt. In einer bitteren Realität sogar. Die Geschichte spielt <strong>im</strong> Zirkus. Mitte der 1940-er Jahre entdeckt der 14-jährige Tommy, Sohn eines Dompteurs, seine Liebe zum Fliegen, zum Trapez. Die «Flying Santellis», die sein Talent erkennen, nehmen ihn unter ihre Fittiche. Früh verlässt Tommy seine Eltern, um Teil der berühmten Artistenfamilie zu werden. Der sieben Jahre ältere Mario Santelli, der ihn erstmals mit aufs Trapez n<strong>im</strong>mt und mit ihm arbeitet, kann sehr fürsorglich sein, <strong>im</strong> Training aber ist er streng. Es dauert eine Weile, bis Tommy bemerkt, dass sie ausser der Leidenschaft für das Fliegen noch etwas miteinander teilen. Das Schwulsein. Er beobachtet Mario, wie er he<strong>im</strong>lich einen Mann zu sich n<strong>im</strong>mt. Und er merkt, dass er eifersüchtig wird. Beide sind hin und her gerissen. Marios Familie weiss, dass ihr Sohn schwul ist, weil er als Jugendlicher wegen unsittlichen Betragens <strong>im</strong> Gefängnis gelandet ist. Das macht alles noch schwieriger. Thematisiert wird es aber nie. Erst, als seine Beziehung zu Tommy auffliegt, zeigen sich die Reaktionen der Familie – und sie sind bitter mitanzusehen. Marion Z<strong>im</strong>mer Bradley hat die Problematik, vor der homosexuelle Männer in der betreffenden Zeit standen, sehr gut herausgearbeitet. Schwule wurden als abartig, pervers und als Kinderschänder hingestellt und hatten – ausser in ihren eigenen Kreisen – kaum Chance auf gesellschaftliche Akzeptanz. Geldbussen bis Haft Jahrzehnte hat sich in der amerikanischen Gesellschaft in dieser Frage kaum etwas geändert. Homosexuelle Sexualpraktiken wie analer und oraler Sex, die in der englischen Gesetzessprache traditionell als «sodomy» bezeichnet wurden, waren bis 1962 in allen amerikanischen Bundesstaaten strafbar und wurden mit Geldbussen und oftmals mit langen Haftstrafen geahndet. Die Entkr<strong>im</strong>inalisierung homosexueller Handlungen in den USA vollzog sich in Einzelschritten. Illinois war 1962 der erste Bundesstaat, der sein Gesetz gegen sexuelle Perversionen, zu denen auch Homosexualität gezählt wurde, abschaffte. Mitte der 1980-er Jahre waren homosexuelle Handlungen in der Hälfte der Bundesstaaten <strong>im</strong>mer noch strafbar. Die Anpassung der Gesetzeslage war der gesellschaftlichen Entwicklung weit hinterher. Bis 1990 konnte die amerikanische Immigrationsbehörde homosexuellen Ausländern auch die Einreise in die USA verweigern. Noch 1997 gab es einen Riesenskandal, als Entertainerin Ellen DeGeneres sich als Lesbe outete. In einzelnen Bundesstaaten konnten homosexuelle Handlungen bis ins Jahr 2003 – also noch vor neun Jahren – bestraft werden. Die staatliche Anerkennung von homosexuellen Paaren ist heute in den USA ein besonders umstrittenes Thema und «Homo-Ehe» ist ein absolutes Reizwort. Seit 1998 sind Volksabst<strong>im</strong>mungen zu gleichgeschlechtlichen Ehen in 32 US-Staaten gescheitert. Im Mai <strong>2012</strong> haben die Bürger in North Carolina das Verbot gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in der Verfassung verankert. Insgesamt 30 der 50 Bundesstaaten haben in ihren Verfassungen festgeschrieben, dass die Ehe ausschliesslich eine Sache zwischen Mann und Frau sei. Obamas Zögern Bei dieser konservativen Haltung vieler US-Staaten ist Obamas Zurückhaltung verständlich. Doch mitten <strong>im</strong> Wahlkampf nahm er dennoch Stellung. Manch einer glaubte, Barack Obama habe sich nur deshalb zu einem «Ja zur Homo-Ehe» durchgerungen, weil er sich in letzter Minute die St<strong>im</strong>men der LGBT-Community sichern wollte. Inzwischen wissen wir, dass er durch Aussagen des US-Vizepräsidenten Joe Biden unter Druck kam, eine klare Position einzunehmen, und dass ihm u.a. seine Frau und die Töchter in dieser Sache gut zugeredet haben. Ob er damit die Wahl gewinnen würde, war damals alles andere als gewiss. Dennoch wagte er diesen Schritt aus Überzeugung. Die Republikaner rieben sich schon die Hände und witterten eine Steilvorlage zur Mobilisierung der konservativen Basis. Mitt Romney reagierte prompt und sprach sich deutlich gegen die Homo-Ehe aus. Obama selbst begründete seinen Sinneswandel mit den Worten – und in einem für ihn typischen, ellenlangen Satz: «Ich muss Ihnen sagen, dass <strong>im</strong> Laufe von mehreren Jahren, als ich mit FreundInnen, Familie und NachbarInnen gesprochen habe, wenn ich an die Mitglieder meiner MitarbeiterInnen denke, die in unglaublich engagierten, monogamen Beziehungen, gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, die gemeinsam Kinder grossziehen, wenn ich an jene SoldatInnen, Marines oder Seeleute denke, die da draussen in meinem Namen <strong>im</strong> Kampf sind und dennoch, auch nach dem Ende von ‹Don’t Ask Don’t Tell› nicht in der Lage sind, Verantwortung in einer Ehe zu übernehmen, dann habe ich an einem Punkt festgestellt, dass es für mich persönlich wichtig ist, voranzugehen – und zu erklären, dass ich denke, dass gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit haben sollten, zu heiraten.» Obamas Verdienste Obama betonte, dass seine Äusserungen eine persönliche Meinung seien. Aus Kreisen des Weissen Hauses verlautete denn auch, dass die Erklärung des Präsidenten keine unmittelbare Auswirkung auf die aktuelle Politik 13