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Das Stadtgespräch Juli 2016

Magazin für Rheda-Wiedenbrück

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32 TIPPS<br />

<strong>Das</strong> <strong>Stadtgespräch</strong><br />

Homo Faber.<br />

Die Figuren Susanne Neuffers sind<br />

etwas ratlose, aber untragische<br />

Existenzen, die zu Täuschungen<br />

und Selbsttäuschungen neigen,<br />

sie rennen ihren Sehnsüchten<br />

hinterher und suchen sich Plätze<br />

im Ungefähren, so beschreibt es<br />

die Homepage der Autorin sehr<br />

treffend. Schon in ihrem Roman<br />

»Schnee von Teheran« sinniert<br />

die Heldin, eine frustrierte Lehrerin<br />

»Was ist es, das in solchen<br />

Situationen das Ruhigbleiben verhindert,<br />

die Souveränität wie eine<br />

ferne Göttin erscheinen lässt, die<br />

nur immer den anderen lächelt?«.<br />

Den Satz habe ich mir gemerkt.<br />

Doch auch die gerade bei MARO<br />

erschienenen Kurzgeschichten<br />

enthalten eine Menge fein formulierte<br />

Sätze und bei aller Alltäglichkeit<br />

der Themen ungewöhnliche<br />

Blickwinkel. Beinahe praktisch<br />

wird es in »Sie hören im Anschluss<br />

die Nationalhymne«, die beginnt<br />

mit: Zu den Dingen, die man Frauen<br />

nicht erzählen sollte, gehört,<br />

dass man die Nationalhymne<br />

zum Einschlafen braucht. Auch<br />

überzeugend fand ich die Mordgedanken<br />

eines Verlassenen, der<br />

sich haarklein überlegt, wie sich<br />

an der Ehemaligen mordend rächen<br />

kann. Wer schon mal selbst<br />

verlassen wurde, der kennt diese<br />

Gedanken, könnte es aber so fein<br />

nicht formulieren, da bin ich mir<br />

sicher. Die 22 Geschichten kosten<br />

in der witzig von Yvonne Kuschel<br />

illustrierten Ausgabe 18 Euro. Und<br />

mehr als einen Euro ist jede einzelne<br />

Geschichte alle Male wert!<br />

ROBERT KISCH<br />

»Möbelhaus«<br />

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich<br />

finde investigativen Journalismus<br />

wirklich wichtig. Vor allem in der<br />

heutigen Zeit. Doch es gibt da<br />

schon graduelle Unterschiede,<br />

ob ein mutiger Mensch Zustände<br />

in Russland, in der Türkei oder im<br />

Iran untersucht und dann darüber<br />

schreibt, oder ob jemand dann<br />

etwas »Schockierendes« über<br />

unsere Kanzlerin herausfindet<br />

und das dann veröffentlicht. <strong>Das</strong><br />

Leben der Schreiber über Diktaturen<br />

ist gefährdet und letzterer<br />

wird vermutlich einen Posten in<br />

der bayerischen CSU angeboten<br />

bekommen. Und natürlich war<br />

Günter Wallraffs Buch von 1985<br />

»Ganz unten« ein Meilenstein<br />

des Enthüllungsjournalismus und<br />

Pflichtlektüre. Doch mittlerweile<br />

hat der investigative Journalismus<br />

in Deutschland auch seltsame<br />

Züge angenommen. Gelegentlich<br />

drängt sich der Eindruck auf, als<br />

gäbe es mehr Journalisten als Enthüllungen,<br />

die dann verzweifelt<br />

gesucht und aufgeblasen werden.<br />

Diesen Vorwurf braucht sich allerdings<br />

Robert Kisch mit seinem<br />

Tatsachenroman »Möbelhaus«<br />

(Droemer, 315 Seiten, 12,99 Euro)<br />

nicht gefallen zu lassen. Dieser<br />

Journalist arbeitet zwar als Verkäufer<br />

in einer Möbelhauskette,<br />

doch von undercover kann keine<br />

Rede sein. Die traurige Realität<br />

ist, dass der Mann dort arbeitet,<br />

weil sich die schreibende Branche<br />

gesund schrumpft. Da hilft es<br />

ihm nichts, dass er als Edelfeder<br />

galt, renommierte Journalismus-<br />

Preise gesammelt hat und bis vor<br />

kurzem mit Hollywood-Stars und<br />

deutschen Promis vor der Fernsehkamera<br />

stand. <strong>Das</strong> alles nützt<br />

ihm nichts, denn er muss schlicht<br />

und einfach Geld für sich und vor<br />

allem für seine Familie verdienen.<br />

Und das ist als Möbelverkäufer im<br />

Mega Store weitaus schwieriger,<br />

als man sich das als Kunde vorstellt.<br />

Anhand von typischen Situationen<br />

mit Kunden, aber auch<br />

mit Kollegen, die ebenfalls aus<br />

den unwahrscheinlichsten beruflichen<br />

Ecken kommen (Hoteldirektor,<br />

Maurer, Architekturstudent),<br />

und mit der Geschäftsleitung,<br />

die auf verschiedenen Ebenen<br />

die Realität ignorieren, stellt der<br />

scharfsinnige Journalist seinen<br />

neuen beruflichen Wahnsinn dar.<br />

Es ist schon beeindruckend, wie<br />

perfide verkleidet Ausbeutung im<br />

Jahr <strong>2016</strong> daherkommt. Und das in<br />

einem Bereich, in dem zumindest<br />

ich das so nicht erwartet hätte.<br />

Was mich nur wieder bestätigt,<br />

dass ich lieber im heimischen<br />

Möbelhaus kaufe, aber das nur<br />

nebenbei erwähnt. So ganz richtig<br />

mutig ist Robert Kisch dabei<br />

allerdings nicht, denn seinen tatsächlichen<br />

Namen verrät er uns<br />

nicht. Die Wahl des Pseudonyms<br />

ist natürlich nicht ganz frei von<br />

Eitelkeit, denn der Name Kisch<br />

klingt wohl nicht zufällig nach<br />

Egon Erwin Kisch, einem der<br />

ganz Großen des frühen Enthüllungsjournalismus‘.<br />

Doch diese<br />

kleine Eitelkeit sei ihm gegönnt,<br />

musste er sich die Erkenntnisse,<br />

die er ohne es zu wollen für »Möbelhaus«<br />

gesammelt hat, hart erkämpfen.<br />

Bleibt zu hoffen, dass<br />

er mittlerweile seine Brötchen<br />

wieder mit dem verdient, das er<br />

definitiv besser kann als Möbel<br />

verkaufen, dem Schreiben.<br />

GRADY HENDRIX<br />

»Horrorstör«<br />

Wo wir schon einmal bei großen<br />

Möbelhäusern sind. Der Thriller<br />

»Horrorstör« von Grady Hendrix<br />

(Knaur, 275 Seiten, 16,99 Euro)<br />

könnte leicht mit dem Katalog<br />

eines nicht näher genannten<br />

schwedischen Möbelhausgiganten<br />

mit vier Buchstaben verwechselt<br />

werden. <strong>Das</strong> ist nicht zufällig<br />

so, sondern Absicht, fürchte ich.<br />

Der Laden in Hendrixs Thriller<br />

heißt jedoch ORSK. Und in der Filiale<br />

von ORSK in Cleveland, Ohio<br />

geht Seltsames vor sich. Wenn die<br />

Angestellten morgens eintreffen,<br />

finden sie zerstörte Kjerring-<br />

Bücherregale, zerschmetterte<br />

Glans-Trinkgläser und zertrümmerte<br />

Liripip-Schränke. Die Verkaufszahlen<br />

sind im freien Fall,<br />

auf den Überwachungskameras<br />

ist nichts zu sehen, und die Filialleitung<br />

ist ratlos. Schließlich erklären<br />

sich drei Mitarbeiter bereit,<br />

eine Schicht nach Einbruch der<br />

Dunkelheit bis zum Morgengrauen<br />

einzulegen, um die geheimnisvollen<br />

Vorfälle aufzuklären.<br />

In finsterer Nacht patrouillieren<br />

sie durch die Möbelausstellung,<br />

gehen unheimlichen Sichtungen<br />

und Geräuschen nach und treffen<br />

dabei auf Schrecken, die jenseits<br />

aller Vorstellungskraft liegen. Autor<br />

Grady Hendrix ist Journalist,<br />

der für Variety, The New York Post<br />

und den Playboy geschrieben hat.<br />

Außerdem hat er einige Jahre an<br />

der Telefonhotline einer parapsychologischen<br />

Forschungsorganisation<br />

gearbeitet. Möglicherweise<br />

hat das Folgen hinterlassen – zur<br />

Freude der Leser. »Horrorstör« ist<br />

sein erster Roman, bereitet viel<br />

Lesevergnügen und bleibt hoffentlich<br />

nicht sein letztes Buch.

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