05.10.2016 Aufrufe

SPORTaktiv Oktober 2016

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Kletterprofi<br />

HERBERT RANGGETINER, 47,<br />

aus Mühlbach im Pinzgau (S),<br />

ist Profikletterer und einer der<br />

besten Extremkletterer Europas.<br />

Mehr als 600 Lines europaweit<br />

wurden von ihm als Erstem<br />

durchstiegen.<br />

In <strong>SPORTaktiv</strong> gibt Herbert regelmäßig<br />

einen Einblick in die faszinierende,<br />

für viele aber auch<br />

unbegreifliche Welt des Freikletterns.<br />

Dabei nimmt er sich in<br />

jeder Ausgabe eines bestimmten<br />

Themas an, erklärt Techniken<br />

und Abläufe – und lässt den<br />

Leser dabei auch an seiner ganz<br />

speziellen Lebensphilosophie<br />

teilhaben.<br />

FOTOS: Herbert Ranggetiner<br />

KRAFT, TECHNIK UND MENTALE STÄRKE.<br />

Das sind die grundlegenden Eigenschaften,<br />

die einen guten Kletterer ausmachen.<br />

Wenn nur einer dieser drei Eckpfeiler<br />

schwächelt, gerät die Operation ,,Da<br />

will ich jetzt rauf‘‘ schnell ins Wanken.<br />

Kümmern wir uns also diesmal um das<br />

Thema Kraft und Krafttraining. Schließlich<br />

habt ihr in den nächsten kalten Monaten<br />

genug Zeit zum Trainieren ...<br />

KRAFT SPAREN. Es ist schon so, dass Männer,<br />

die mit zu viel Kraft mit dem Klettern<br />

beginnen, meist eine schlechtere Technik<br />

haben als eine eher zierliche Frau, die<br />

ihre fehlende Kraft mit sauberer Technik<br />

kompensiert. Männer neigen auch zum<br />

Tricksen und Blenden: Die Füße hängen<br />

irgendwo in der Gegend rum – cool sein<br />

und posen ist für manche oft wichtiger<br />

als bloß das rationell Notwendige zu geben.<br />

Ich aber sage: Man muss lernen,<br />

kraftsparend zu klettern, sonst verschießt<br />

man sein Pulver in den schweren<br />

Routen viel zu schnell.<br />

KRAFT IST NICHT GLEICH KRAFT! Klettern<br />

ist ein ständiger Kampf gegen die Erdanziehung,<br />

und das Verhältnis Kraft zu Körpergewicht<br />

rückt dadurch natürlich in<br />

den Blickpunkt. Ich wettete einmal mit<br />

einem Kraftsportler, dass er es nicht<br />

schaffen würde, in einer Felsroute mit 7<br />

Grad auch nur einen Meter hochzuklettern.<br />

Tatsächlich hob er mit seinen 120<br />

Kilo, aber total fehlender Fingerkraft<br />

nicht einmal vom Boden ab ...<br />

Beim Klettern muss man den Parameter<br />

Kraft eben nochmals in Maximalkraft,<br />

Blockierkraft und Fingerkraft aufteilen.<br />

Über die Fingerkraft habe ich ja im 1. Teil<br />

dieser Serie geschrieben. Blockierkraft<br />

wiederum heißt: Bei dynamischen Zügen<br />

kommt es zwangsläufig auch zu einer<br />

Gegendynamik – und diese abzufangen<br />

kostet eben auch viel Kraft.<br />

RICHTIG TRAINIEREN. Wer Qualität am<br />

Fels zeigen will, muss auf Qualität im<br />

Training achten. Nicht die Zahl der Wiederholungen<br />

ist das Ziel, sondern die<br />

exakte Ausführung einer Übung. Genug<br />

Kraft gibt Selbstvertrauen – und in der<br />

Wand ist es nun einmal essenziell, sich<br />

selbst zu vertrauen. Körperliche Stärke<br />

ist nicht gleich geistige Stärke – aber sie<br />

ist nun mal eine Grundvoraussetzung, um<br />

von A nach B zu kommen.<br />

KRAFTTRAINING TUT RICHTIG WEH. Das<br />

muss euch klar sein. Denn ohne echten<br />

Reiz im Training wird der Muskel nicht<br />

stärker und die Kraft nicht mehr. Beim<br />

reinen Krafttraining mache ich nicht<br />

mehr als 10 Wiederholungen. Schaffe ich<br />

bei einer Übung (z. B. bei Klimmzügen)<br />

deutlich mehr, dann arbeite ich mit Zusatzgewichten.<br />

Mehr als 10 Wiederholungen<br />

fallen schnell in den Bereich<br />

Kraftausdauer oder überhaupt ins Ausdauerdauertraining.<br />

Und das ist dann<br />

eine ganz andere Geschichte.<br />

Aber aufpassen: Solch brachiales Krafttraining<br />

mach ich aber nur maximal zwei<br />

Mal die Woche, denn bei zu vielen Einheiten<br />

steigt das Verletzungsrisiko, die<br />

Regenerationszeiten müssten viel länger<br />

werden.<br />

MOTIVATION STATT NORMPROGRAMM.<br />

Nicht jedes Training ist für jeden gleich<br />

gut und bringt die erhofften Fortschritte.<br />

Der Klettersport ist so komplex und der<br />

menschliche Körper so individuell, dass<br />

es keine ultimative Trainingsformel gibt.<br />

Für jeden aber gilt: Die Motivation beim<br />

Kraftraining muss passen!<br />

Ich selbst beginne mit dem Training nur,<br />

wenn meine positive Einstellung dazu<br />

passt. Ich muss geladen, also richtig heiß<br />

sein. Auch im Training gilt für mich der<br />

Spruch: „Nur wer Unmögliches probiert,<br />

kann das Mögliche erreichen.“<br />

„ICH MUSS TRAINIEREN“. Diese Aussage<br />

gibt es in meinem Wortschatz nicht, sondern<br />

nur: „ich darf“ oder „ich will“. Das<br />

ist ein wesentlicher Unterschied, wenn es<br />

darum geht, sich beim Krafttraining wirklich<br />

bis an die (letztlich immer schmerzhafte)<br />

Grenze zu schinden. Vielleicht bin<br />

ich da das beste Vorbild: Ich selbst sehe<br />

mich als durchschnittlich begabten,<br />

koffeinsüchtigen Kletterer – der sich<br />

aber in gewissen Situationen überdurchschnittlich<br />

motivieren kann. Und darum<br />

hab ich wohl mehr „Unmögliches“ erreicht<br />

als viele andere gute Kletterer.<br />

Nr. 5; <strong>Oktober</strong> / November <strong>2016</strong><br />

97

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!