02 Partnerschaft Global denken, um lokal zu handeln Die Klimadebatte darf nicht nur ein Thema am runden Tisch der Regierungschefinnen und -chefs sein. Mit dem Projekt «Hot Stuff – Chill Out» der Stiftung myclimate vernetzen sich Schulklassen rund um den Globus. Auch eine Thuner Gymiklasse steigt in die Debatte ein. «Klimawandel? Ich mag es heiss! Denn dann zeigen die Frauen mehr Haut und die Politiker kommen in kurzen Hosen ins Bundeshaus», antwortet ein junger Arbeiter in Thun den Gymnasiastinnen. In Tansania befragen Schüler ihren Biologie- und Chemielehrer Mr. Tesha zum Klimawandel. Seine Antwort: «Ich weiss nichts über Dinge, die das Fach Geografie betreffen.» Der Schuhmacher im indischen Dharamsala weiss Bescheid. Er wischt sich den Schweiss von der Stirn und sagt: «Wir haben zu viele Wälder abgebrannt. Nun gibt es zwar mehr Land für unsere Bauern und Siedlungen, dafür herrscht nun diese verfluchte Hitze!» Zum Start in das Schulprojekt «Hot Stuff – Chill Out» macht jede teilnehmende Klasse eine Serie von Interviews. Damit soll der Puls der Klimadebatte ihrer Umgebung gefühlt werden. Basketball spielen und Bäume pflanzen «Hot Stuff – Chill Out» wurde im April 2009 lanciert und mittlerweile machen zwischen Lima, New York, Thun und Dharamsala bereits mehr als 40 Schulen mit. «Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass wir zusammen vor einer globalen ökologischen Bedrohung stehen. Regierungen und Vertreter der Wirtschaft setzen sich immer wieder an einen Tisch und diskutieren über Lösungen. Der Jugend hingegen fehlten bisher Möglichkeiten zum internationalen Austausch und Handeln», sagt Julia Hofstetter, Initiantin des Projektes bei myclimate, einer Klimaschutzorganisation, die unter anderem vom Jubiläumsfonds der <strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> Foundation unterstützt wird. Die Idee: Von den 40 Klassen schliessen sich jeweils drei auf verschiedenen Kontinenten zu einer Partnerschaft zusammen. Verbindendes Glied ist eine Online-Plattform, auf der sich die Schüler austauschen, beraten und bei konkreten Projekten zur Bekämpfung des Klimawandels motivieren. Innerhalb eines Semesters wird jede Klasse ein konkretes Projekt realisieren. Julia Hofstetter: «‹Hot Stuff – Chill Out› fördert auch das Verständnis und die Solidarität. Was geht zum Beispiel in einer jungen Schweizer Frau vor, die entdeckt, dass sie mit einer Schülerin in K enia dieselbe Leidenschaft für Basketball teilt, deren Land nun aber gerade in einer furchtbaren Hungersnot steckt ? Was denkt sie, wenn sie von ihrer Kollegin liest: ‹Zum Glück bin ich so stark wie ein Mann, denn ich will viele, grosse Bäume pflanzen!›?» Die Interviews, die die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Seefeld in Thun führten, rütteln auf. «Es ist schockierend, wie wenig ausgeprägt das Bewusstsein und wie stark verbreitet die Resignation ist», sagt die 17 Jahre alte Evelyne. Auch wenn die «Hot Stuff – Chill Out»-Schulstunde keine Zeugnisnote gibt, wird in den zwei Stunden pro Woche sehr motiviert und selbständig an diversen Projekten gearbeitet. Evelyne möchte zusammen mit ihren Kolleginnen an einem Verkaufs- und Infostand Geld sammeln. Der Erlös wird ein Projekt ihrer Partnerklasse in Dharamsala finanzieren. Ihre Kolleginnen und Kollegen im indischen Internat der Exiltibeter wollen alle Glühbirnen durch Energiesparlampen ersetzen. Bis jetzt fehlen aber die Finanzen. Verkaufsschlager sind vielleicht die von myclimate geschenkten Wassersparsets. Evelyne zeigt ihren Mitverkäuferinnen, wie man die Spardüsen in einen Wasserhahn schraubt. Schon ganz Verkäuferin, erklärt sie: «Dieses Düsenset verkaufen wir für sechs Franken. Der Käufer reduziert damit den Verbrauch von zwei Wasserhähnen und einer Dusche um die Hälfte. Ein Haushalt spart so Energie im Wert von mehr als 400 Franken pro Jahr!» Eine zweite Gruppe der Klasse möchte als Strassenkünstler Geld für ein Klimaprojekt sammeln. Sie fixieren die Termine für die Proben und diskutieren das Repertoire: «Wie wäre es mit dem ‹Earth Song› von Michael Jackson? Der passt doch spitze zum Thema», schlägt Manuel vor und spielt einige Takte am Klavier im Musikzimmer des Schulhauses: «… Did you ever stop to notice, This crying Earth, This wheeping shore? …» «Es ist ein genialer Song», stimmt Mitschüler Damian zu, «aber so perfekt wie Jackson können wir das nie – da blamieren wir uns doch!» Handfeste Forderungen Julia Hofstetter hat den Schülern zwei Umschläge voll internationaler Post mitgebracht. Trotz Online-Plattform sind es gerade diese handschriftlichen Briefe und Fotos ihrer Partnerklassen aus Afrika und Indien, die sie besonders berühren. Hier werden nicht nur Klimatipps ausgetauscht, sondern auch vom neusten iPod-Modell geträumt oder vom zu teuren, aber umso begehrenswerteren Besuch bei Starbucks geschwärmt. Vielleicht sind es gerade diese Gemeinsamkeiten, die diese Distanzbeziehung kitten und die Schüler schon fast euphorisch an den Klimaprojekten arbeiten lassen. Beim zweiten Umschlag geht es zur Sache. Die Schülerinnen und Schüler aller «Hot Stuff – Chill Out»-Klassen haben ihre Hände abgezeichnet und diese Handzeichnungen mit ihren klimapolitischen Forderungen versehen. Während auf internationalen Konferenzen um Prozente an CO2-Einsparungen gefeilscht wird, ist für die Gymischüler genug Zeit verstrichen. Eine Hand stoppt uns mahnend: «Genug der Worte! Macht etwas!» Aus anderen Händen liest sich Verzweiflung: «If no Action now, no Future, no Life …» Der internationale Aufschrei, die vielen bunten Zeichnungen, dieses Manifest von überbordender Protestenergie ist ihre Sprache. Eine Sprache, die vielleicht auch den Thuner Arbeiter aus seiner Gleichgültigkeit wecken wird. Politiker in kurzen Hosen darf keine Perspektive sein. Bernard van Dierendonck Foto: Bernard van Dierendonck
Getragen von den Händen der internationalen Zusammenarbeit möchten Simea (links) und Désirée an einem Verkaufs- und Informationsstand Geld für ein Projekt ihrer Partnerklasse in Dharamsala sammeln. 2