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Foto: Andreas Mader Die<br />

Kraft der<br />

Solidarität<br />

Monika Hauser Leader 4<br />

Es gibt Menschen, die fürchten sich vor gar nichts. Monika Hauser ist einer von ihnen:<br />

Als junge Assistenzärztin macht sie sich Anfang der 1990er-Jahre auf, mitten in den<br />

tobenden Jugoslawienkrieg, um dort aus Solidarität den Frauen zu helfen, die Opfer von<br />

Massenvergewaltigungen wurden. Für ihren mutigen Einsatz als Gynäkologin und<br />

Anwältin der Frauen erhielt sie 200 den Right Livelihood Award.<br />

Interview: Mandana Razavi<br />

bulletin: Sie gründeten in den 1990er-Jahren die Frauenrechts-<br />

organisation medica mondiale. Wie ist die Idee dazu entstanden?<br />

Monika Hauser: Das war ja keine Idee, die von langer Hand geplant<br />

wurde. Als mein erstes Projekt in Bosnien begann, war ich<br />

33 Jahre alt. Allerdings war das Thema Gewalt gegen Frauen für<br />

mich nicht neu. Bereits als ich ein Teenager war, haben mir meine<br />

Grossmutter und meine Tanten von ihren Gewalterfahrungen berichtet.<br />

Dadurch wurde mir bereits in jungen Jahren bewusst, dass<br />

Gewalt zum Alltag vieler Frauen und Mädchen gehört. Ich lernte<br />

auch, dass man über diese tragische Realität nicht spricht. Ich<br />

wollte dem etwas Konkretes entgegensetzen.<br />

Wieso wird das Thema Ihrer Meinung nach tabuisiert ?<br />

Während meines praktischen Jahres als Assistenzärztin haben<br />

mir viele Frauen im Vertrauen von ihren Gewalterfahrungen berichtet.<br />

Bei älteren Patientinnen fielen oft Sätze wie «Ich möchte nicht,<br />

dass das bekannt wird, bevor ich gestorben bin». Da realisierte<br />

ich, dass diese Erlebnisse die Frauen für den Rest ihres Lebens<br />

prägen. Erschreckend war, wie oft ich hörte, dass viele von ihrem<br />

nächsten Umfeld zum Schweigen gezwungen oder gedrängt<br />

wurden. Es scheint in unserer Gesellschaft diesbezüglich bis heute<br />

einen weitverbreiteten Konsens zum Stillschweigen zu geben.<br />

Sie denken also, dass man auch heutzutage nicht anders<br />

mit dem Thema sexualisierte Gewalt umgeht ?<br />

Leider hat sich wenig verändert. Wo wird der vielen Frauen gedacht,<br />

die während des Zweiten Weltkriegs von Angehörigen der<br />

Wehrmacht vergewaltigt wurden? Ebenso existieren dokumentierte<br />

Fälle aus der Nachkriegszeit, bei denen alliierte Soldaten<br />

involviert waren. Trotz der Kenntnis um diese Verbrechen wurden<br />

die meisten Taten nie geahndet. Und wenn der deutsche Verteidigungsminister<br />

sich weigert, öffentlich zuzugeben, wie sträflich<br />

sich manche Bundeswehrsoldaten im Einsatz von Friedensmissionen<br />

verfehlen, dann wird genau die uralte Praxis der Tabuisierung<br />

aufrechterhalten. Wir brauchen nicht immer mit dem Finger auf<br />

Entwicklungsländer oder Länder anderer Kulturkreise zu zeigen.<br />

Wieso gibt es keine stärkere Solidarität unter den Frauen?<br />

Doch, die gibt es! Und das sogar weltweit. Nach meinem ersten<br />

Einsatz in Bosnien beispielsweise erreichten mich Briefe von<br />

älteren Frauen, in zittriger Schrift verfasst, die in den Zeitungen<br />

etwas über meine Arbeit gelesen hatten. Die Briefe enthielten<br />

oft eine kleine Summe Bargeld und die Bitte, dass man die Frauen<br />

in Bosnien unterstütze – auch dabei, über die Ereignisse sprechen<br />

zu lernen. Damit es den Bosnierinnen anders ergehe als den<br />

Frauen im Zweiten Weltkrieg. Solidarität mit den Überlebenden<br />

war schliesslich auch mein Beweggrund: Ich habe meine Tätigkeit<br />

immer als politischen Auftrag meiner Vorfahrinnen betrachtet.<br />

Die Erlebnisse Ihrer Vorfahrinnen scheinen Sie sehr geprägt<br />

zu haben.<br />

Ja, ich habe mich früh mit dem Schrecken der Kriege auseinandergesetzt.<br />

Das war meine Art, das Gehörte zu verarbeiten. Wenn<br />

wir etwas nicht verarbeiten, geben wir das irgendwann an unsere<br />

Kinder weiter: Das nennt sich transgenerationelles Trauma. Ein<br />

weitverbreitetes Phänomen in den Nachkriegsgebieten. Erste Studien<br />

weisen darauf hin, dass die hohe Scheidungsrate, der hohe<br />

Alkohol- und Medikamentenabusus und die Suizidrate im Zusammenhang<br />

mit diesem transgenerationellen Trauma stehen könnten.<br />

Ihr erstes Projekt war Bosnien 1992. Sie sind gewissermassen<br />

in den Krieg gezogen. Wie kam es dazu?<br />

Ich habe – wie viele andere auch – die Berichterstattung zu Bosnien<br />

genau mitverfolgt. Und als angehende Gynäkologin hatte ich<br />

bereits mit vielen Vergewaltigungsfällen zu tun. Ich habe schon<br />

damals interdisziplinär mit einer Psychologin zusammengearbeitet,<br />

weil mir klar war, dass es wichtig ist, die Opfer als ganzheitliche<br />

Menschen zu sehen. Als ich all diese Kriegsberichte sah, wurde<br />

mir bewusst, dass diese Frauen eine interdisziplinäre Fachbe- ><br />

<strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> bulletin 5/09

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