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Archivnachrichten Nr. 40 , März 2010 - Landesarchiv Baden ...

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„<br />

Eine restlose Ausrottung der Judengemeinschaft<br />

in meiner Wohnung wäre mir wohl das<br />

allerliebste. Heil Hitler!“<br />

Die jüdische Gemeinde Haigerloch in den Jahren 1933–1942<br />

Die sogenannte Arisierung jüdischen Besitzes<br />

war in Haigerloch längst im Gang,<br />

als ein Kaufmann aus dem benachbarten<br />

Gruol seinem Ärger über das aus seiner<br />

Sicht allzu langwierige Verfahren Luft<br />

verschafft. In einem Brief an die zuständige<br />

Behörde fordert er im August 1939<br />

die restlose Ausrottung der Judengemeinschaft<br />

aus seiner Wohnung in Haigerloch.<br />

Ob dem Geschäftsmann wohl bewusst<br />

war, dass er mit seiner Wortwahl das<br />

Schicksal vieler Haigerlocher Juden vorweggenommen<br />

hat?<br />

Was wusste man vor Ort vom tatsächlichen<br />

Ziel der sogenannten Umsiedlungsaktionen,<br />

die in den Jahren 1941 und<br />

1942 auch die Haigerlocher Juden erfassten?<br />

In einer Anweisung der Gestapo<br />

vom 25. <strong>März</strong> 1942 erhielt der damalige<br />

Hechinger Landrat Paul Schraermeyer<br />

Nachricht, wie er die Umsiedlung der<br />

Juden in seinem Zuständigkeitsbereich<br />

vorzubereiten habe. Zwei Jahre nach<br />

Kriegsende stellte man ihn wegen Verbrechens<br />

gegen die Menschlichkeit vor Gericht.<br />

Ich habe damals nicht gewusst, um<br />

was es geht, gibt er zu Protokoll. Nur<br />

wenige Sätze später behauptet Schraermeyer<br />

aber, er hätte sich den Anordnungen<br />

am liebsten widersetzt. War der<br />

damalige Landrat also tatsächlich so ahnungslos,<br />

wie er die Richter glauben<br />

lassen will? Die Anweisung der Gestapo<br />

erscheint aus heutiger Sicht recht eindeutig:<br />

Bei Abmeldung der Juden ist in<br />

den Melderegistern der Meldeämter lediglich<br />

„unbekannt verzogen“ bezw. „ausgewandert“<br />

anzuführen.<br />

Der Fall des Gruoler Kaufmanns und<br />

der des Hechinger Landrats zeigen beispielhaft,<br />

wie sich Personen vor Ort in<br />

die Unrechtspolitik der Nationalsozialisten<br />

verstrickten. Ein Unterrichtsmodul<br />

auf dem Landesbildungsserver –<br />

www.landeskunde-bw.de –> Unterrichtsmodule<br />

–> Geschichte – lässt<br />

Schüler diese Verstrickung anhand der<br />

Geschichte der Jüdischen Gemeinde<br />

Haigerloch nachvollziehen. Erarbeitet<br />

wurden die Materialien durch Markus<br />

Fiederer, Archivpädagoge im Staatsarchiv<br />

Sigmaringen und Mitglied des Arbeitskreises<br />

Landeskunde des Regierungspräsidiums<br />

Tübingen. Bei einer Fortbildung<br />

Koffer des Moritz Fleischer in Auschwitz/Os´wie˛cim, 1872 in Stuttgart geboren, im<br />

<strong>März</strong> ins Altersheim Haigerloch zwangsumgesiedelt, am 19. August 1942 nach Theresienstadt/Terezín<br />

deportiert, ab Mai 1944 in Auschwitz/Os´wie˛cim, dort ermordet.<br />

Vorlage: <strong>Landesarchiv</strong> StAS Dep. 44 T 1 V.29<br />

im Staatsarchiv Sigmaringen wurde nun<br />

das Modul Lehrern unterschiedlicher<br />

Schularten präsentiert.<br />

Die didaktisch aufbereiteten Quellen<br />

veranschaulichen, dass die Unrechtspolitik<br />

des NS-Regimes kein gleichsam „anonymes“<br />

Geschehen, sondern mit ganz<br />

konkreten Namen verbunden war: den<br />

Namen der Opfer, aber auch den Namen<br />

der „Täter“ und den Namen derjenigen,<br />

die in irgendeiner Weise an den Verbrechen<br />

beteiligt waren – zum Beispiel bei<br />

der Leibesvisitation der auf dem örtlichen<br />

Bahnhof zum Abtransport bereitstehenden<br />

Juden.<br />

Und nicht zuletzt: Die Quellen machen<br />

deutlich, dass die „Effektivität“ des Genozids<br />

auch damit zusammenhing, dass<br />

dieser seitens der Parteiorgane und der<br />

staatlichen Behörden zu einem wesentlichen<br />

Teil als „bürokratischer Vorgang“<br />

betrachtet wurde – eine für das Verständnis<br />

des Nationalsozialismus ebenso<br />

wichtige wie bedrückende Erkenntnis.<br />

Markus Fiederer<br />

Der Geschäftsführer der NSDAP-Ortsgruppe Haigerloch Josef Kronenbitter,<br />

gefesselt auf einem vom 1925 in die USA ausgewanderten und als US-Offizier<br />

zurückgekehrten Edward Levy durch Haigerloch gefahrenen Jeep, 1945.<br />

Vorlage: Ann Levy, Denver in Colorado<br />

<strong>Archivnachrichten</strong> <strong>40</strong> / <strong>2010</strong> 41

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