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VOGLBEER-<br />
ZEIT<br />
von Frank Tichy<br />
Ja, der Vogelbeerbaum, vulgo Vuglbärbaam, wie er im Erzgebirge<br />
heißt und in einem der populärsten deutschen Volkslieder<br />
besungen wird: Kaan schinn-rn Baam gippt´s, wie dann<br />
Vuglbärbaam, Vuglbärbaam, ann Vuglbärbaam.<br />
As wärd a su lächt nett ann schinn´rn Baam gahm …<br />
Frank Tichy<br />
ist Journalist, Autor und Fotograf<br />
Biografische Bücher über Friedrich<br />
Torberg und Franz Innerhofer<br />
Reisebücher über Guatemala<br />
und China<br />
Der Text stammt von einem Max Schreyer, die Melodie geht<br />
kurioserweise auf die in in Nieder- und Oberösterreich und der<br />
Steiermark seit dem frühen 19. Jahrhundert verbreiteten Volkslieder<br />
im Walzertakt Mir sein ja die lustign Hammerschmiedgsölln<br />
und Der Weg zu mein Dirndl is staoni zurück.<br />
Der Vogelbeerbaum trägt tatsächlich eine der schönsten Fruchtdolden<br />
alpiner Baumarten. Seine knallig roten, von harter Haut<br />
umgebenen Beeren bergen ein Fruchtfleisch von bitter-harziger<br />
Süße, das in manchen Gegenden zu Marmelade von Preiselbeer-<br />
Qualität verarbeitet wird, anderswo werden wieder Liköre<br />
erzeugt, doch nur in den alpinen Gegenden von Salzburg, Tirol<br />
und der Steiermark wird ein einzigartiger Voglbeerschnaps<br />
destilliert. Kein Wunder, dass diese Baumart – auch Eberesche,<br />
Drosselbeere, Quitsche, Krametsbeere genannt – schon zu frühesten<br />
Zeiten mythische Verehrung aufzuweisen hatte.<br />
Der Vogelbeerbaum kann bei uns bis in eine Höhe von 2000<br />
Metern ü. M. angetroffen werden, ist äußerst frost- und windresistent,<br />
ja für den Edelbrand wäre ein erster Frostbefall sehr<br />
wünschenswert, wenn da nicht der alljährliche Wettlauf mit<br />
den Vögeln wäre. Der hohe Parasorbin- und Vitamin-C-Gehalt<br />
hilft den Tieren, den Winter zu überleben, und die Spatzen,<br />
Drosseln, Rotkehlchen und Gimpel wissen und schätzen das.<br />
Nebst der traurig machenden Tatsache, dass sie uns die Grundlage<br />
für einen herrlichen Schnapsgenuss wegfressen, ist dabei<br />
ein Naturschauspiel zu beobachten, so man die Geduld dazu<br />
hat. Erst kommt ein Kundschafter, der den Baum begutachtet,<br />
von den Beeren kostet und wieder wegfliegt. Stunden später,<br />
meist nachts, kommt der ganze Schwarm und frisst in kurzer<br />
Zeit einen Baum ratzeputz leer.<br />
Der Mensch, in früheren Zeiten noch nicht von einem heute<br />
üblichen Heizkomfort verwöhnt, schätzte den Voglbeerschnaps<br />
als innere Hitzequelle. Überdies hatte er im Damals Zeit<br />
genug, sich im Herbst der aufwendigen Gewinnung solcher<br />
Heizmethoden zu widmen. Das Sammeln der Beeren ist nicht<br />
so einfach, wie man meinen möchte, Stamm und Äste des<br />
Baumes sind sehr brüchig, also nicht erkletterbar wie etwa ein<br />
Apfelbaum. Da die Äste stark nach außen ausladen,<br />
müssen sie entweder per A-Leiter oder mit<br />
Zwickstangen gepflückt werden. Im Lungau, wo<br />
der Voglbeerschnaps kultartige Verehrung genießt,<br />
so meine Erfahrung, ist man besonders penibel, ja<br />
auch erfinderisch. Man darf die Dolden ja nicht vom<br />
Ast schneiden, sondern muss pflücken, möglichst<br />
händisch und knapp am Ast. Die Profis verwenden<br />
sogar Pick-ups mit Hebebühne, wie man sie etwa bei<br />
Malern antrifft, um von außen an die begehrten Beeren<br />
zu gelangen. Nach diesem Stadium eins kommt<br />
der nächste Arbeitsgang. Das Abrebeln von den<br />
Dolden. Das kann in stunden-, ja abendlanger Heimarbeit<br />
geschehen, oder man bedient sich einer Maschine,<br />
etwa vom Maschinenring ausgeliehen (fast<br />
immer schon verliehen, wenn man sie braucht) oder<br />
lässt sie von Hans Maurer in St. Johann durch die<br />
von ihm konstruierte Maschine jagen. Als nächstes<br />
braucht man einen guten Destillierbetrieb wie wir in<br />
Abtenau einen haben, den Matthias „Hias“ Buchegger<br />
vom „Haslerhof“. Dort wird das Beerengut durch<br />
eine Art Beerenwolf (Retzmühle) mit etwas Wasser<br />
versetzt zermanscht. Wasser ist wichtig, damit die<br />
Maische keimfähig wird, da die Parasorbinsäure der<br />
Hefe zuwider ist. Erstere wird dann beim Brennen<br />
abgebaut. Da aus 100 Litern Maische nur etwa zwei<br />
Liter Brand gewonnen werden, erklärt sich ein Preis<br />
von 100 bis 120 Euro pro Liter. Wer also auf der Alm<br />
ein Stamperl Voglbeerschnaps angepriesen sieht,<br />
möge sich fragen, was für ein Gesöff er da vorgesetzt<br />
bekommt. Der echte Voglbeerene muss deutlich<br />
nach Marzipan riechen und auch leicht danach<br />
schmecken. Schmeckt er zu intensiv danach, ist<br />
möglicherweise mit einem Geschmacksverstärker<br />
nachgeholfen worden. Prost!<br />
gangart 35