Das Artland-Magazin. Gretel Dreyer fotografiert und handkoloriert von Walter Scheier „Das war auch die Zeit, als ich anfing, mich für die Fotografie zu interessieren.“ Ein altes Foto zeigt ihn mit Fellmütze an Weihnachten 1941 in der Ukraine. „Die alte Mütze habe ich immer noch. Sie hat mir im russischen Winter gute Dienste geleistet.“ Nach einer Verletzung wurde er in ein Lazarett in Salzwedel verlegt und machte da dann noch eine weitere Ausbildung zum Bordfunker. Er hatte die schweren Kriegstage überlebt und fand nach Kriegsende seine Heimatstadt Gelsenkirchen zerstört vor. Es gab nicht mehr viel und Deutschlands Städte waren zum großen Teil nur noch Ruinen, die Druckereien ausgebrannt. Die Menschen suchten nach Arbeit und versuchten irgendwie über die Runden zu kommen. Ausgestattet mit Schreibfeder, Federhalter und einem Talent für Schönschrift, konnte der ehemalige Soldat sich ein Zubrot verdienen. „Kranzschleifen für Beerdigungen habe ich beschriftet“, sagte er. Und weiter erinnerte er sich an eine Ausstellung seiner Zeichnungen und Sprüche in einer nicht zerstörten Reinigung. „Die Leute waren froh, wenn sie Weihnachtskarten oder Sprüche kaufen konnten.“ Dann lernte er durch einen Freund seine spätere Ehefrau Gretel Dreyer kennen, die sich zufällig auch in Gelsenkirchen aufhielt. Ihre Eltern hatten in Norddeutschland ein Wirtshaus. Zusammen mit ihr ging Walter Scheier nach Borg ins Artland und beide übernahmen die Gaststätte nach ihrer Hochzeit, Walter wurde Gastwirt und Gretel Inhaberin des Hauses. Der wirtschaftliche Aufschwung war zu spüren, es gab viel zu feiern, die Menschen hatten etwas nachzuholen. Walter war ein guter Wirt, er hatte das Vereinsleben in der Gemeinde gefördert. Er war Seelsorger und Ersatzvater für die Gäste. Die Kegelbahn, die es schon seit 1890, dem Erbauungsjahr des Hauses, gab, ließ er umbauen. Wenn man vorher die Kegel noch mit der Hand aufbauen musste, so ging es ab 1967 automatisch, und der örtliche Kegelverein freute sich. Auch für den persönlichen Nachwuchs hatte er gesorgt. „Ich habe sechs Kinder und drei leben immer noch in Menslage.“ Mittlerweile hatte sich Walter eine eigene Kamera zugelegt. Er fotografierte Vereine, Schulklassen, die schöne Landschaft des Artlandes, ab und zu auch die vorbeifahrende Kleinbahn, die von Quakenbrück über Berge nach Lingen fuhr. Aber auch sehr gerne seine Frau Gretel. Die Fotos entwickelte er nachts im ersten Stock des Gasthauses, da hatte er eine Dunkelkammer eingerichtet. Das eine oder andere Foto wurde auch von Hand nachkoloriert. Die Kamera und das Equipment zum Entwickeln kaufte Walter auf Ratenzahlung von Franz Eick, der selbst auch fotografierte und an der Langen Straße 29 in Quakenbrück eine Drogerie betrieb, die er gerade aufgab. Heute befindet sich an dieser Stelle die Rats-Apotheke. Walter führte die Gaststätte, und wenn die Zeit es erlaubte, fotografierte er Auftragsarbeiten für Vereine, Freunde, Bekannte und die Lokalzeitung. Er entwickelte die Bilder in der Nacht und schrieb nebenbei auch noch die dazugehörigen Artikel. Als die ersten Einkaufsmärkte ins Artland kamen, entwarf und zeichnete er auch noch die Plakate für COOP und Comet. Diese wurden, wegen der Größe, im Saal hergestellt und mit Wasserfarben und Pinseln auf Pappe gemalt. Auch das Gestalten von Giebelbalken und Torbögen durch Sprüche und Verzierungen sowie die farbliche Hervorhebung stand auf seinem Plan. Mit 75 Jahren stand Walter das letzte Mal auf einem Gerüst und hat seinen Entwurf, nachdem ein Zimmernann ihn in den Eichenbalken geschnitzt hatte, farblich hervorgehoben. Aber einen großen Teil seiner eigentlich freien Zeit widmete der Gastwirt bis heute der Kalligrafie. Obwohl Walter Scheier sich schon vor langer Zeit als Gastwirt zurückgezogen hatte, stand die Gastwirtschaft Scheier, die heute von seinem Sohn betrieben wird, noch lange mit ihm in Verbindung. Walter Scheier verstarb am 5. August <strong>2016</strong> und ich bin froh, dass ich mit ihm noch dieses Interview führen durfte. Er zeigte mir mit Stolz seine alten Fotos und stolz durfte er auch sein. Ich hätte mich vor ihm jederzeit verneigt und meinen nicht vorhandenen Hut gezogen. Walter Scheier lebte bis zu seinem Tod mit seiner Tochter ganz in der Nähe der Gaststätte, in einem netten Fachwerkhaus. Als ich ihn am 2. Mai in seinem Garten fotografierte, standen in einem separaten Raum des Hauses noch immer die Federkiele, die Tinte und Blätter bereit. Auf dem Tisch lag ein umgekipptes Tintenglas und davor eine Lache rote Tinte. Nach näherem Hinsehen, entdeckte ich, dass der Tintenfleck aus Wachs war. Walter war auch ein Schelm. 12 | mq Ausgabe <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>
ARTLÄNDER Originale Heimatfotografie von Walter Scheier: Schützenfest in Borg Jugendsportspiele Ausgabe <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong> mq | 13