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MQ Herbst 2016

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Das Artland-Magazin.<br />

Foto:: Detlef Bülow<br />

Schon heißt es wieder einsteigen<br />

und Türen schließen, denn meine<br />

Fahrt mit der Nord-West-Bahn<br />

geht weiter. Der Zug fährt in den<br />

Bahnhof Bersenbrück ein, Fahrgäste<br />

steigen aus, aber ebenso<br />

viele steigen auch ein. Ich gehöre zu<br />

denen, die einsteigen. Mein nächster Halt<br />

ist Quakenbrück, meine Heimatstadt, die<br />

Stadt, in der ich geboren wurde und in der<br />

ich lebe.<br />

Zunächst sitze ich allein auf einem<br />

Fensterplatz, doch das ändert sich schnell.<br />

Eine Mutter mit zwei Kindern setzt sich<br />

zu mir. Ich finde es äußerst amüsant,<br />

den Gesprächen meiner Sitznachbarn<br />

zu lauschen. Doch dieses Mal habe ich<br />

meine Schwierigkeiten. Sie sprechen<br />

ein gebrochenes Deutsch, dem ich nicht<br />

immer folgen kann. Ich habe meinen<br />

Notizblock in der Hand, aber ich bringe<br />

nichts zu Papier. Die Kinder spielten eine<br />

Art „Schnick-Schnack-Schnuck“. Immer<br />

wieder wankend zwischen deutscher<br />

und einer Sprache, die mich zunehmend<br />

verwirrt. Ich versuchte die Kleinen mit<br />

freundlichen Blicken zu taktieren, jedoch<br />

ohne jeden Erfolg.<br />

Hinter mir klingelt ein Handy, schon komme<br />

ich in den Genuss einer jungen Frau,<br />

die lautstark telefoniert und nicht nur<br />

sich, sondern das gesamte Abteil damit<br />

unterhält, zuzuhören. Sie hat den Lautsprecher<br />

an und spricht zunächst noch<br />

in normaler Zimmerlautstärke. Zunehmend<br />

steigert sie sich dermaßen in das<br />

Gespräch hinein, dass sogar schon bald<br />

Passagiere aus dem hinteren Teil unseres<br />

Waggons laut werden und fragen, ob ihr<br />

mal jemand sagen könne, dass sie bereits<br />

schreit. Ich vergnüge mich prächtig und<br />

bemerke, wie sich die Mutter der beiden<br />

spielenden Kinder über mich amüsiert.<br />

Wir lächeln uns an. Währenddessen wird<br />

das Intensivtelefonat, in denen es nicht<br />

um Belangloses, wie durchdiktierte Einkaufszettel,<br />

angekündigte Ankunftszeiten<br />

der Bahn oder Ähnliches geht, hinter mir<br />

fortgesetzt. Wir erfahren Hochkomplexes<br />

und uns wird weitläufig erörtert, worauf<br />

es bei einer Freundschaft unter Frauen<br />

ankommt und was man darf und was auf<br />

gar keinen Fall geht, ja sogar verboten ist.<br />

Dann verstummt die Handyfrau, denn sie<br />

wird von der Zugbegleiterin nach ihrem<br />

Fahrausweis gefragt, die sie aber auch<br />

darum bittet, ihr Gespräch etwas leiser<br />

fortzuführen.<br />

Kopfschüttend kommt sie dann auch zu<br />

uns, fragt freundlich nach den Fahrscheinen,<br />

streicht dabei den Kindern, die<br />

anscheinend nichts mitbekommen haben<br />

und mittlerweile auf dem Fußboden vor<br />

uns sitzend ihr Spiel weiterführen, über<br />

ihr Haar, wünscht uns noch eine schöne<br />

Weiterfahrt und fragt hinter uns, ob noch<br />

jemand zugestiegen sei. Ich versuche mal<br />

mein Glück und frage die mir gegenüber<br />

sitzende Frau:„Woher kommen Sie?“<br />

Sie erzählt mir, dass sie und ihre Kinder<br />

vor einem Jahr aus Syrien gekommen<br />

sind. Sie sei mit ihrer Familie geflohen<br />

und habe in ihrer Heimat alles verloren.<br />

Ich bin erstaunt, wie gut sie der deutschen<br />

Sprache mächtig ist, merke aber<br />

auch, dass es ihr schwer fällt, darüber zu<br />

sprechen. Auf meine Frage, was sie in Syrien<br />

gemacht hat, erfahre ich, dass sie Lehrerin<br />

war, bis die radikalislamistische Miliz<br />

ihr und den anderen Lehrern den Unterricht<br />

verboten haben. Die Taliban hätten<br />

sie und die anderen Lehrer geschlagen<br />

und davon gejagt. Anschließend hätten<br />

sie die Schule gesprengt. Ich merke wie<br />

sich mein Gemütszustand verändert, in<br />

mir entsteht Wut und Entsetzen. Sie ist<br />

froh, dass ihre Familie und sie in Deutschland<br />

aufgenommen wurden und fahre<br />

jetzt mit ihren Kindern nach Ahlhorn, um<br />

Freunde aus dem Asylheim zu besuchen.<br />

Dann muss ich mich auch schon verabschieden,<br />

denn wir haben Quakenbrück<br />

erreicht. Also erhebe ich mich, hänge<br />

mir meine Kameratasche um, die Kinder<br />

stehen auf, reichen mir zum Abschied<br />

die Hand und wünschen mir noch einen<br />

schönen Tag. Sehr gut erzogen, sage ich<br />

mit einem Lächeln und verlasse den Zug.<br />

Schade eigentlich, ich hätte mich noch<br />

sehr gerne weiter unterhalten.<br />

Vor mir steht der restaurierte Bahnhof,<br />

vor ein paar Jahren eher noch ein Schandfleck<br />

Quakenbrücks, aber jetzt zählt er<br />

zu den „Perlen“ der Burgmannsstadt.<br />

Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte,<br />

dass er zu einem der schönsten auf dieser<br />

Strecke gehört.Hier wurde im August<br />

noch das Benefizkonzert „Rock für Tibet“<br />

abgehalten. Eine richtig gute Veranstaltung;<br />

bei guter Livemusik treffen sich hier<br />

Quakenbrücker und Artländer und selbst<br />

ehemalige Quakenbrücker reisen zu<br />

diesem Event extra an, um mit Freunden<br />

und Familie mal wieder zu feiern.<br />

Nun geht es aber los, denn heute liegt<br />

noch ein straffes Programm vor mir.<br />

Die Quakenbrücker nennen ihr Städt-<br />

54 | mq Ausgabe <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>

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