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Das Artland-Magazin.<br />
Foto:: Detlef Bülow<br />
Schon heißt es wieder einsteigen<br />
und Türen schließen, denn meine<br />
Fahrt mit der Nord-West-Bahn<br />
geht weiter. Der Zug fährt in den<br />
Bahnhof Bersenbrück ein, Fahrgäste<br />
steigen aus, aber ebenso<br />
viele steigen auch ein. Ich gehöre zu<br />
denen, die einsteigen. Mein nächster Halt<br />
ist Quakenbrück, meine Heimatstadt, die<br />
Stadt, in der ich geboren wurde und in der<br />
ich lebe.<br />
Zunächst sitze ich allein auf einem<br />
Fensterplatz, doch das ändert sich schnell.<br />
Eine Mutter mit zwei Kindern setzt sich<br />
zu mir. Ich finde es äußerst amüsant,<br />
den Gesprächen meiner Sitznachbarn<br />
zu lauschen. Doch dieses Mal habe ich<br />
meine Schwierigkeiten. Sie sprechen<br />
ein gebrochenes Deutsch, dem ich nicht<br />
immer folgen kann. Ich habe meinen<br />
Notizblock in der Hand, aber ich bringe<br />
nichts zu Papier. Die Kinder spielten eine<br />
Art „Schnick-Schnack-Schnuck“. Immer<br />
wieder wankend zwischen deutscher<br />
und einer Sprache, die mich zunehmend<br />
verwirrt. Ich versuchte die Kleinen mit<br />
freundlichen Blicken zu taktieren, jedoch<br />
ohne jeden Erfolg.<br />
Hinter mir klingelt ein Handy, schon komme<br />
ich in den Genuss einer jungen Frau,<br />
die lautstark telefoniert und nicht nur<br />
sich, sondern das gesamte Abteil damit<br />
unterhält, zuzuhören. Sie hat den Lautsprecher<br />
an und spricht zunächst noch<br />
in normaler Zimmerlautstärke. Zunehmend<br />
steigert sie sich dermaßen in das<br />
Gespräch hinein, dass sogar schon bald<br />
Passagiere aus dem hinteren Teil unseres<br />
Waggons laut werden und fragen, ob ihr<br />
mal jemand sagen könne, dass sie bereits<br />
schreit. Ich vergnüge mich prächtig und<br />
bemerke, wie sich die Mutter der beiden<br />
spielenden Kinder über mich amüsiert.<br />
Wir lächeln uns an. Währenddessen wird<br />
das Intensivtelefonat, in denen es nicht<br />
um Belangloses, wie durchdiktierte Einkaufszettel,<br />
angekündigte Ankunftszeiten<br />
der Bahn oder Ähnliches geht, hinter mir<br />
fortgesetzt. Wir erfahren Hochkomplexes<br />
und uns wird weitläufig erörtert, worauf<br />
es bei einer Freundschaft unter Frauen<br />
ankommt und was man darf und was auf<br />
gar keinen Fall geht, ja sogar verboten ist.<br />
Dann verstummt die Handyfrau, denn sie<br />
wird von der Zugbegleiterin nach ihrem<br />
Fahrausweis gefragt, die sie aber auch<br />
darum bittet, ihr Gespräch etwas leiser<br />
fortzuführen.<br />
Kopfschüttend kommt sie dann auch zu<br />
uns, fragt freundlich nach den Fahrscheinen,<br />
streicht dabei den Kindern, die<br />
anscheinend nichts mitbekommen haben<br />
und mittlerweile auf dem Fußboden vor<br />
uns sitzend ihr Spiel weiterführen, über<br />
ihr Haar, wünscht uns noch eine schöne<br />
Weiterfahrt und fragt hinter uns, ob noch<br />
jemand zugestiegen sei. Ich versuche mal<br />
mein Glück und frage die mir gegenüber<br />
sitzende Frau:„Woher kommen Sie?“<br />
Sie erzählt mir, dass sie und ihre Kinder<br />
vor einem Jahr aus Syrien gekommen<br />
sind. Sie sei mit ihrer Familie geflohen<br />
und habe in ihrer Heimat alles verloren.<br />
Ich bin erstaunt, wie gut sie der deutschen<br />
Sprache mächtig ist, merke aber<br />
auch, dass es ihr schwer fällt, darüber zu<br />
sprechen. Auf meine Frage, was sie in Syrien<br />
gemacht hat, erfahre ich, dass sie Lehrerin<br />
war, bis die radikalislamistische Miliz<br />
ihr und den anderen Lehrern den Unterricht<br />
verboten haben. Die Taliban hätten<br />
sie und die anderen Lehrer geschlagen<br />
und davon gejagt. Anschließend hätten<br />
sie die Schule gesprengt. Ich merke wie<br />
sich mein Gemütszustand verändert, in<br />
mir entsteht Wut und Entsetzen. Sie ist<br />
froh, dass ihre Familie und sie in Deutschland<br />
aufgenommen wurden und fahre<br />
jetzt mit ihren Kindern nach Ahlhorn, um<br />
Freunde aus dem Asylheim zu besuchen.<br />
Dann muss ich mich auch schon verabschieden,<br />
denn wir haben Quakenbrück<br />
erreicht. Also erhebe ich mich, hänge<br />
mir meine Kameratasche um, die Kinder<br />
stehen auf, reichen mir zum Abschied<br />
die Hand und wünschen mir noch einen<br />
schönen Tag. Sehr gut erzogen, sage ich<br />
mit einem Lächeln und verlasse den Zug.<br />
Schade eigentlich, ich hätte mich noch<br />
sehr gerne weiter unterhalten.<br />
Vor mir steht der restaurierte Bahnhof,<br />
vor ein paar Jahren eher noch ein Schandfleck<br />
Quakenbrücks, aber jetzt zählt er<br />
zu den „Perlen“ der Burgmannsstadt.<br />
Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte,<br />
dass er zu einem der schönsten auf dieser<br />
Strecke gehört.Hier wurde im August<br />
noch das Benefizkonzert „Rock für Tibet“<br />
abgehalten. Eine richtig gute Veranstaltung;<br />
bei guter Livemusik treffen sich hier<br />
Quakenbrücker und Artländer und selbst<br />
ehemalige Quakenbrücker reisen zu<br />
diesem Event extra an, um mit Freunden<br />
und Familie mal wieder zu feiern.<br />
Nun geht es aber los, denn heute liegt<br />
noch ein straffes Programm vor mir.<br />
Die Quakenbrücker nennen ihr Städt-<br />
54 | mq Ausgabe <strong>Herbst</strong> <strong>2016</strong>