08.12.2012 Aufrufe

Fischotter 3 2009

Fischotter 3 2009

Fischotter 3 2009

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Schrift. Niemand deckt ihre Zeichen absichtlich<br />

zu. Sie verschwinden nur unter<br />

Ablagerungen einer jeweils neuesten<br />

Zeit. Erinnerung ist Respekt, der sie auffrischt.<br />

Die frischeste war ganz unverhofft<br />

die Spur meines Vaters. Er muss an<br />

unserem Haus vorbeigegangen sein,<br />

wenn er von Oetwil über den Berg kam,<br />

um die Sekundarschule «Blatten» zu besuchen.<br />

Das war in den Achtzigerjahren<br />

des 19. Jahrhunderts; die Trambahn<br />

Wetzikon–Meilen gab es noch nicht. Als<br />

ich nach Männedorf kam, gab es sie<br />

längst nicht mehr. Aber ihre Spur in der<br />

Landschaft ist immer noch lesbar. Bevor<br />

das Bähnchen verschwand, bin ich mit<br />

meinem Vater einmal damit gefahren:<br />

der Weiler «Langholz» steht mir vor Augen,<br />

wo ich auf einem Bauernhof ein<br />

paar Pfauenfedern geschenkt bekam.<br />

Erst vor kurzem bin ich wieder auf Langholz<br />

gestossen; es ist nicht wiederzuerkennen.<br />

Aber mein Bild des Weilers hebe<br />

ich auf, Stoff für eine dankbare Phantasie.<br />

So ist Männedorf für mich ein Ort der<br />

Spuren geworden, meist nicht gesucht,<br />

aber glücklich gefunden, dann aufgefrischt<br />

und vertieft. Denn es sind Spuren<br />

entdeckter Verwandtschaft. Die Spur<br />

Betsy Meyers, führt, wie später meine eigene,<br />

von Kilchberg nach Männedorf.<br />

Dort hat sie den Dichter-Bruder verlassen<br />

müssen, um hier Leben, Liebe und Geld<br />

der «Zellerschen» Anstalt zu widmen,<br />

dem späteren Bibelheim. Die Adresse auf<br />

ihrem Briefkopf «Im Felsengrund» lese<br />

ich heute an der Stirn des Gemeindehauses.<br />

Freunde tragen Namen wie Trudel<br />

und Zeller, die ihr heilig gewesen sind.<br />

«Jerusalem am Pfannenstiel» hat mein<br />

Vater Männedorf genannt, die stille Ni-<br />

schengemeinde zwischen dem freisinnigen<br />

Stäfa und dem industriellen Uetikon.<br />

Vor der Enge ihres (und später: meines)<br />

Vaterhauses ist die Halbschwester Elsa,<br />

bevor sie als Gouvernante nach Japan<br />

reiste, nach Männedorf geflohen, zu einer<br />

Frau Dr. Schroeder, deren Spur ich<br />

noch aufnehmen muss, Vielleicht bringt<br />

sie der «<strong>Fischotter</strong>» ans Licht? Mein<br />

Halbbruder Walter hat als junger Privatdozent<br />

seinen Abgott Hans Henny Jahnn<br />

in Männedorf einquartiert, als dieser in<br />

Nazi-Deutschland keine Heimat mehr<br />

hatte. Ein Hanhart aus dem «Rothus»,<br />

wo Jahnn wohnte, ist mein Studiumskollege<br />

geworden, dem ich gern in der S 7<br />

begegne.<br />

Ich habe schon in meinem Zolliker Elternhaus<br />

«Mänidorf» sagen gelernt, was<br />

meine Stiefkinder, als sie aus Japan in<br />

«Männedorf» landeten, für unangebrachten<br />

Spott hielten. Seither sagen sie<br />

es selbst; sie möchten auch Bürger der<br />

Gemeinde werden, in der sie aufgewachsen<br />

sind. Ihrer Kindheit verdanken<br />

meine Frau und ich die solidesten Spuren,<br />

in denen wir in Mänidorf gehen<br />

lernten. Sie führten über die Schule, die<br />

Pfadfinder, den Familienklub zu persönlichen<br />

Freundschaften. Für eine Spur, die<br />

mir teuer ist, muss ich nicht einmal unsere<br />

Strasse verlassen. Ein paar Häuser<br />

weiter oben wohnte Max Frisch, im<br />

Zwischenraum zwischen zwei Berufen<br />

und zwei Lebensbindungen. Einige<br />

wichtige Spuren führen ins Kreisspital –<br />

einstweilen auch wieder heraus. Und<br />

wer in Männedorf einmal gebaut hat,<br />

legt selbst eine Spur ins Dorf, die, wenn<br />

es gut geht, keine Einbahnstrasse<br />

bleibt.<br />

5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!