Fischotter 3 2009
Fischotter 3 2009
Fischotter 3 2009
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Schrift. Niemand deckt ihre Zeichen absichtlich<br />
zu. Sie verschwinden nur unter<br />
Ablagerungen einer jeweils neuesten<br />
Zeit. Erinnerung ist Respekt, der sie auffrischt.<br />
Die frischeste war ganz unverhofft<br />
die Spur meines Vaters. Er muss an<br />
unserem Haus vorbeigegangen sein,<br />
wenn er von Oetwil über den Berg kam,<br />
um die Sekundarschule «Blatten» zu besuchen.<br />
Das war in den Achtzigerjahren<br />
des 19. Jahrhunderts; die Trambahn<br />
Wetzikon–Meilen gab es noch nicht. Als<br />
ich nach Männedorf kam, gab es sie<br />
längst nicht mehr. Aber ihre Spur in der<br />
Landschaft ist immer noch lesbar. Bevor<br />
das Bähnchen verschwand, bin ich mit<br />
meinem Vater einmal damit gefahren:<br />
der Weiler «Langholz» steht mir vor Augen,<br />
wo ich auf einem Bauernhof ein<br />
paar Pfauenfedern geschenkt bekam.<br />
Erst vor kurzem bin ich wieder auf Langholz<br />
gestossen; es ist nicht wiederzuerkennen.<br />
Aber mein Bild des Weilers hebe<br />
ich auf, Stoff für eine dankbare Phantasie.<br />
So ist Männedorf für mich ein Ort der<br />
Spuren geworden, meist nicht gesucht,<br />
aber glücklich gefunden, dann aufgefrischt<br />
und vertieft. Denn es sind Spuren<br />
entdeckter Verwandtschaft. Die Spur<br />
Betsy Meyers, führt, wie später meine eigene,<br />
von Kilchberg nach Männedorf.<br />
Dort hat sie den Dichter-Bruder verlassen<br />
müssen, um hier Leben, Liebe und Geld<br />
der «Zellerschen» Anstalt zu widmen,<br />
dem späteren Bibelheim. Die Adresse auf<br />
ihrem Briefkopf «Im Felsengrund» lese<br />
ich heute an der Stirn des Gemeindehauses.<br />
Freunde tragen Namen wie Trudel<br />
und Zeller, die ihr heilig gewesen sind.<br />
«Jerusalem am Pfannenstiel» hat mein<br />
Vater Männedorf genannt, die stille Ni-<br />
schengemeinde zwischen dem freisinnigen<br />
Stäfa und dem industriellen Uetikon.<br />
Vor der Enge ihres (und später: meines)<br />
Vaterhauses ist die Halbschwester Elsa,<br />
bevor sie als Gouvernante nach Japan<br />
reiste, nach Männedorf geflohen, zu einer<br />
Frau Dr. Schroeder, deren Spur ich<br />
noch aufnehmen muss, Vielleicht bringt<br />
sie der «<strong>Fischotter</strong>» ans Licht? Mein<br />
Halbbruder Walter hat als junger Privatdozent<br />
seinen Abgott Hans Henny Jahnn<br />
in Männedorf einquartiert, als dieser in<br />
Nazi-Deutschland keine Heimat mehr<br />
hatte. Ein Hanhart aus dem «Rothus»,<br />
wo Jahnn wohnte, ist mein Studiumskollege<br />
geworden, dem ich gern in der S 7<br />
begegne.<br />
Ich habe schon in meinem Zolliker Elternhaus<br />
«Mänidorf» sagen gelernt, was<br />
meine Stiefkinder, als sie aus Japan in<br />
«Männedorf» landeten, für unangebrachten<br />
Spott hielten. Seither sagen sie<br />
es selbst; sie möchten auch Bürger der<br />
Gemeinde werden, in der sie aufgewachsen<br />
sind. Ihrer Kindheit verdanken<br />
meine Frau und ich die solidesten Spuren,<br />
in denen wir in Mänidorf gehen<br />
lernten. Sie führten über die Schule, die<br />
Pfadfinder, den Familienklub zu persönlichen<br />
Freundschaften. Für eine Spur, die<br />
mir teuer ist, muss ich nicht einmal unsere<br />
Strasse verlassen. Ein paar Häuser<br />
weiter oben wohnte Max Frisch, im<br />
Zwischenraum zwischen zwei Berufen<br />
und zwei Lebensbindungen. Einige<br />
wichtige Spuren führen ins Kreisspital –<br />
einstweilen auch wieder heraus. Und<br />
wer in Männedorf einmal gebaut hat,<br />
legt selbst eine Spur ins Dorf, die, wenn<br />
es gut geht, keine Einbahnstrasse<br />
bleibt.<br />
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