seitenbühne Nr. 6 - Niedersächsische Staatstheater Hannover
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auch den spanischen Großinquisitor, also<br />
den in Spanien ranghöchsten Inquisitor,<br />
ernannten. War das Inquisitionsverfahren<br />
der Geheimhaltung unterworfen, so wurde<br />
die Urteilsvollstreckung gerade in Spanien<br />
in spektakulären öffentlichen Hinrichtungs-<br />
„Der Escorial ist streng, schrecklich,<br />
wie der grausame Herrscher, der ihn erbaut hat.“<br />
Giuseppe Verdi 1863 nach einem Besuch der Schlossanlage Philipps II.<br />
zeremonien, so genannten Autodafés (von<br />
lat. actus fidei = Glaubensakt), zelebriert.<br />
Dass zahlreiche Verurteilte nur „in effigie“<br />
verbrannt wurden, also in Form eines Bildes,<br />
da sie sich der Hinrichtung durch Flucht<br />
entziehen konnten, mag den Eindruck, dass<br />
es kein Entkommen vor der ewigen Verdammnis<br />
gibt, bei den Schaulustigen eines<br />
Autodafés nur noch erhöht haben.<br />
Wollte Friedrich Schiller es sich in seinem<br />
Dom Karlos, Infant von Spanien nach eigenem<br />
Bekunden „zur Pflicht machen, in der Darstellung<br />
der Inquisition die prostituierte<br />
Menschheit zu rächen, und ihre Schandflekken<br />
fürchterlich an den Pranger zu stellen“,<br />
so interessiert sich Giuseppe Verdi in seinem<br />
nach Schiller entstandenen Don Carlo vor<br />
allem für die Menschen, die in einem derartigen<br />
System des fortwährenden Terrors<br />
leben müssen. Seine Musik kennt dabei kein<br />
Gut und Böse, sie urteilt nicht, sondern<br />
nimmt vielmehr Anteil an den von der ständigen<br />
Bedrohung deformierten Seelen seiner<br />
Protagonisten.<br />
Oper <strong>seitenbühne</strong> | Seite 11<br />
Dieser Spur folgt auch der namhafte deutsche<br />
Regisseur Christof Nel in seiner Inszenierung<br />
für die Staatsoper <strong>Hannover</strong>: Ein<br />
System der Spitzel. Ein System der Angst.<br />
Niemand ist unbeobachtet. Intimität gibt es<br />
nicht. Wer auffällt, macht sich verdächtig.<br />
Wer nicht konform<br />
ist, verschwindet im<br />
Dunkel der Gefängnisse.<br />
Christof Nel<br />
geht der Frage nach,<br />
wie ein derartiges System die in ihm lebenden<br />
Menschen verändert. Wie verändert es<br />
ihr Denken, ihr Sprechen, ihr Handeln –<br />
und ihr Fühlen? Zu welchen seelischen<br />
Deformationen führt das Leben in der ständigen<br />
Angst, abgeholt, aussortiert zu werden?<br />
Was bedeuten Begrifflichkeiten wie<br />
„Wahrheit“ und „Lüge“, wenn „Wahrheit“<br />
den sicheren Tod und „Lüge“ Schutz bedeuten<br />
kann? Wahr aber ist Verdis Musik, die<br />
auch den Repräsentanten dieses Terrorregimes<br />
Momente der Sehnsucht und der<br />
Trauer zugesteht.<br />
Verdis Don Carlo ist alles andere als eine<br />
monumentale Historienoper – er ist vor<br />
allem ein Stück über die Zerrissenheit<br />
und Entfremdung von Menschen in einem<br />
menschenverachtenden System.<br />
Jeder verborgene Feind, jeder Neider<br />
hatte jetzt die gefährliche Lockung einer<br />
unsichtbaren und unfehlbaren Rache.<br />
Die Sicherheit des Eigentums, die Wahrheit<br />
des Umgangs war dahin. Ein ansteckendes<br />
Misstrauen vergiftete das<br />
gesellige Leben; die gefürchtete Gegenwart<br />
eines Lauschers erschreckte den<br />
Blick im Auge und den Klang in der<br />
Kehle. Man glaubte an keinen redlichen<br />
Mann mehr und galt auch für keinen.<br />
Guter Name, Landsmannschaften, Verbrüderungen,<br />
Eide selbst und alles, was<br />
Menschen für heilig achten, war in seinem<br />
Werte gefallen.<br />
Friedrich Schiller,<br />
Die spanische Inquisition<br />
Giuseppe Verdi<br />
Don Carlo<br />
Opera in quattro atti (1867/1884)<br />
In italienischer Sprache<br />
mit deutschen Übertiteln<br />
Musikalische Leitung Wolfgang Bozic<br />
Inszenierung Christof Nel<br />
Szenische Analyse Martina Jochem<br />
Bühne Roland Aeschlimann<br />
Kostüme Ilse Welter<br />
Chor Dan Ratiu<br />
Dramaturgie Ulrich Lenz<br />
Don Carlo Robert Chafin / David Yim<br />
Filippo Albert Pesendorfer / Tobias Schabel<br />
Elisabetta Brigitte Hahn<br />
Eboli Khatuna Mikaberidze<br />
Marquis Posa Brian Davis / Nikola Mijailović<br />
Il Grande Inquisitore Shavleg Armasi /<br />
Stefan Kocán / Young Myoung Kwon<br />
Tebaldo Ania Wegrzyn<br />
Premiere am 15. Dezember, 19.30 Uhr<br />
Einführungsmatinee<br />
Sonntag, 9. Dezember, 11 Uhr, Laves-Foyer<br />
Öffentliche Generalprobe<br />
Donnerstag, 13. Dezember, 18.30 Uhr<br />
Die nächsten Vorstellungen<br />
20., 22. und 28. Dezember 2007<br />
11., 13. und 18. Januar 2008