seitenbühne Nr. 6 - Niedersächsische Staatstheater Hannover
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Seite 14 | <strong>seitenbühne</strong> Konzert<br />
Call and Response<br />
Das <strong>Niedersächsische</strong> Staatsorchester und die Alegre Corrêa Group<br />
unter der Leitung von Christian Muthspiel im 3. Sinfoniekonzert<br />
Ein Sinfonieorchester beginnt zu<br />
swingen, eine Jazzband improvisiert<br />
über Kompositionen der klassischen<br />
Konzertliteratur: Im 3. Sinfoniekonzert<br />
trifft das <strong>Niedersächsische</strong> Staatsorchester<br />
auf die Alegre Corrêa Group, begegnen<br />
sich brasilianische Rhythmen<br />
und klassische Sinfonieorchesterklänge.<br />
Dramaturgin Dorothea Hartmann<br />
sprach mit dem Musikalischen Leiter<br />
dieses außergewöhnlichen Konzerts,<br />
dem österreichischen Dirigenten,<br />
Komponisten, Posaunisten und<br />
Jazzmusiker Christian Muthspiel.<br />
Unter dem Motto Milhaud’s Brazil stehen Sie<br />
im 3. Sinfoniekonzert gemeinsam mit dem brasilianischen<br />
Jazzmusiker Alegre Corrêa auf der<br />
Bühne: er mit seiner Jazzformation, Sie mit<br />
dem <strong>Niedersächsische</strong>n Staatsorchester. Wie kam<br />
es zu dieser Idee, beide Ensembles gemeinsam<br />
auftreten zu lassen?<br />
Muthspiel Ich versuche häufig, in Konzerten<br />
Querverbindungen aufzudecken und<br />
unterschiedliche Stilrichtungen miteinander<br />
zu konfrontieren – ohne ein sogenanntes<br />
„cross-over“. Das heißt, ich belasse die<br />
Werke so, wie sie sind, sie wirken jedoch<br />
anders, indem sie einander gegenüber gestellt<br />
werden. Bei Milhaud’s Brazil möchte<br />
ich zeigen, wie ein Komponist aus einem<br />
anderen Kulturkreis inspiriert wurde:<br />
Darius Milhaud verarbeitet in seinen Saudades<br />
do Brazil und Le Bœuf sur le toît populäre<br />
Volksmelodien Brasiliens, richtige Schlager<br />
der damaligen Zeit. Er zitiert diese Melodien<br />
nicht nur, sondern integriert sie in seine<br />
eigene Tonsprache, in sein eigenes harmonisches<br />
Konzept. Ich fand es interessant, darüber<br />
nachzudenken und zu spekulieren, was<br />
Milhaud, der 1916 gemeinsam mit Paul<br />
Claudel Brasilien bereiste, wirklich gehört<br />
hat und wie ein brasilianischer Jazzmusiker<br />
mit dieser Musik heute umgehen würde. So<br />
entstand die Idee, gemeinsam mit Alegre<br />
Corrêa diese Stücke zu musizieren, indem er<br />
mit seiner Jazzband über Milhauds Kompositionen<br />
improvisiert.<br />
Was heißt das konkret? Eine Art call and<br />
response?<br />
Muthspiel Ja, die Saudades do Brazil sind<br />
sehr kurze Stücke, die ich zuerst mit dem<br />
Sinfonieorchester im Original vorstelle. Die<br />
Band improvisiert über das Gehörte als Antwort<br />
nach jedem Satz.<br />
Es wird sicher spannend zu hören, inwieweit<br />
die Ensembles sich gegenseitig beeinflussen.<br />
Muthspiel Ich habe dieses Programm<br />
einige Male in Konzerten ausprobiert. Und<br />
in der Tat: Es gab immer starke Wechselwirkungen<br />
zwischen beiden Klangkörpern. Da<br />
ich diesen Effekt nicht vorwegnehmen<br />
möchte, kommt die Jazzband während der<br />
Probenphase sehr spät dazu. Ich möchte das<br />
Orchester überraschen, daher darf die Band<br />
erst im Konzert wirklich ausspielen, was<br />
einen starken Einfluss auf die Bühnenenergie<br />
hat. Und umgekehrt: Wenn das Orche-<br />
ster sehr elegant spielt, beeinflusst das natürlich<br />
auch die Band, die plötzlich in einer<br />
ganz anderen Umgebung auf der Bühne<br />
steht als etwa auf einem Jazzfestival.<br />
Haben Sie so ein Projekt auch mit anderen Kompositionen<br />
versucht, die mit dem Jazzbereich<br />
nicht sowieso schon verbunden sind, also beispielsweise<br />
mit einer klassischen Sinfonie?<br />
Muthspiel In der Philharmonie Essen<br />
gab es den Zyklus Mozartloops, bei dem ich<br />
eine ganze Reihe von Klassikern der<br />
Moderne mit Popsongs und Jazzsongs des<br />
20. Jahrhunderts konfrontiert habe. Zum<br />
Beispiel einen Song von Prince als Antwort<br />
auf Karl Amadeus Hartmanns Concerto<br />
funèbre oder einen Song von Billie Holiday<br />
als Antwort auf das Takemitsu-Requiem.<br />
Oder „Ich wollt, ich wär’ ein Huhn“ als Antwort<br />
auf Papageno. Das alles war in Loops<br />
pausenlos aneinander gehängt.<br />
Was ist Ihre Motivation für diese Gegenüberstellungen<br />
und Verknüpfungen? Langeweile<br />
und Überdruss an den gängigen Konzertprogrammen?<br />
Muthspiel Ich vergleiche solche Programmzusammenstellungen<br />
gerne mit<br />
Skulpturen aus der Bildenden Kunst: Eine<br />
Skulptur verändert sich extrem mit dem<br />
Blickwinkel, mit dem Licht und in der Konfrontation<br />
mit anderen Werken. Und sie<br />
bleibt dabei doch immer dieselbe Skulptur.<br />
In diesem Sinne interessiert es mich, wie<br />
Stücke wirken, wenn sie in einem bestimm-