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Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft

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ende, Risiken abwägende Denken gerade erst entwickelte und doch den<br />

meisten für den Alltag noch sehr fremd war. Das zeigt sich schon bald <strong>in</strong><br />

der weiteren Entwicklung des Märchens. Die kluge Else wird für lebensun-<br />

tüchtig gehalten: sie ist so vorausschauend <strong>–</strong> wir würden heute sagen risi-<br />

kobewußt <strong>–</strong> daß sie zu handeln und zu leben vergißt. Unsere Mütter und<br />

Großmütter wußten noch nichts von den Risiken, wie wir sie heute ken-<br />

nen. Dabei waren sie mehr gefährdet, zum Beispiel bei der Geburt selbst<br />

zu sterben oder e<strong>in</strong> totes K<strong>in</strong>d zur Welt zu br<strong>in</strong>gen. Bessere Lebensverhält-<br />

nisse, die Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen, aber auch e<strong>in</strong>e<br />

bessere mediz<strong>in</strong>ische Versorgung im Notfall haben heute die Gefahren für<br />

Mütter und für K<strong>in</strong>der drastisch reduziert. Trotzdem waren unsere Mütter<br />

weniger beunruhigt als Frauen unserer Zeit. Jene Art Risiken war noch<br />

nicht »erfunden«, die heute <strong>in</strong> die Alltagswelt jeder Schwangeren gedrun-<br />

gen ist und der Frauen heute so e<strong>in</strong>fach nicht mehr entfliehen können.<br />

E<strong>in</strong>e 36-jährige schwangere Frau stöhnt dann auch unter <strong>dieser</strong> Last:<br />

»Bei all den Risiken kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, daß ich das<br />

schaffe, e<strong>in</strong> gesundes K<strong>in</strong>d zu gebären.«<br />

Zwar wird heute viel von den mediz<strong>in</strong>ischen Risiken <strong>in</strong> der Schwangerschaft<br />

gesprochen. Doch stellt das K<strong>in</strong>derkriegen für Frauen heute eher <strong>–</strong> um im<br />

Begriff zu bleiben <strong>–</strong> e<strong>in</strong> soziales »Risiko« dar: Abhängig<strong>werden</strong> von e<strong>in</strong>em<br />

Verdiener oder dem Sozialamt, Rückstufungen im Beruf, Isolation usw.<br />

Dies macht schwangeren Frauen Angst, die sich h<strong>in</strong>ter der Angst vor den<br />

mediz<strong>in</strong>ischen Risiken oder der Angst vor e<strong>in</strong>em beh<strong>in</strong>derten K<strong>in</strong>d ver-<br />

birgt.<br />

Was wird den Frauen als Risiko nahegebracht? E<strong>in</strong>e schwangere Frau lernt,<br />

daß sie mit 35 Jahren (so jedenfalls steht es <strong>in</strong> den <strong>Mutter</strong>schaftsrichtl<strong>in</strong>ien)<br />

e<strong>in</strong> hohes Risiko hat, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit e<strong>in</strong>er Chromosomenanomalie, vor allem<br />

e<strong>in</strong>em Down-Syndrom, zu gebären. Weiter hört sie, daß es da noch e<strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>es Risiko gibt <strong>–</strong> so kle<strong>in</strong>, daß man es vernachlässigen könnte <strong>–</strong> das<br />

K<strong>in</strong>d durch die Fruchtwasserpunktion nach der 16. Woche zu verlieren.<br />

Die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit für e<strong>in</strong>e 35-jährige, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit Down-Syndrom zu<br />

gebären, liegt statistisch bei 1 : 385; die Gefahr durch e<strong>in</strong>e Amniocentese<br />

das K<strong>in</strong>d zu verlieren, ist aber statistisch vier mal so hoch. Dieses Beispiel<br />

zeigt, daß sich der Risikobegriff zwar naturwissenschaftlich neutral gebär-<br />

det, daß er aber immer schon mit e<strong>in</strong>er Wertung verbunden ist. Hier die<br />

42 Eva Sch<strong>in</strong>dele

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