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Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft

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<strong>in</strong> Zukunft e<strong>in</strong>em präventiven Todesurteil gleichkommt.« 11<br />

E<strong>in</strong> Befund <strong>in</strong> der Schwangerschaft, sei er durch genetische Tests festgestellt<br />

oder durch Ultraschall erhoben, hat normativen Charakter. Er kann <strong>in</strong><br />

der konkreten Situation nicht überprüft <strong>werden</strong>. Das potentielle K<strong>in</strong>d ist<br />

eben noch ke<strong>in</strong> Gegenüber, sondern es schrumpft zu e<strong>in</strong>em nüchternen<br />

Krankheitsmerkmal, das vernünftigerweise abgetrieben <strong>werden</strong> sollte.<br />

Frauen und ihre Partner stehen dabei vor Entscheidungen von neuer Quali-<br />

tät. Nämlich: Was macht e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d lebens- oder gar liebenswert?<br />

Ich möchte an <strong>dieser</strong> Stelle die Geschichte von Frauke erzählen. Frauke<br />

erfuhr von ihrer Frauenärzt<strong>in</strong>, daß bei ihrem Ungeborenen, e<strong>in</strong>em Sohn,<br />

e<strong>in</strong> ›Kl<strong>in</strong>efelter-Syndrom‹ gefunden worden ist. (Das ist e<strong>in</strong>e sogenann-<br />

te Geschlechtschromosomenanomalie, die Jungen betrifft, die <strong>in</strong> der<br />

Regel nicht zeugungsfähig s<strong>in</strong>d.) »Als die Ärzt<strong>in</strong> mir sagte, irgendetwas<br />

stimmt nicht, ist mir von e<strong>in</strong>er Sekunde zur <strong>anderen</strong> das Strampeln im<br />

Bauch fremd geworden. Der e<strong>in</strong>zige Gedanke war: Weg damit!« Der Be-<br />

fund schob sich zwischen sie und ihr K<strong>in</strong>d im Leib. Ihr Mann überrede-<br />

te sie, vor e<strong>in</strong>em Abbruch mehr Informationen über das Krankheitsbild<br />

e<strong>in</strong>zuholen. Sie sprach mit Humangenetikern und suchte den Kontakt zu<br />

e<strong>in</strong>er Selbsthilfegruppe erwachsener Männer, die selbst diese Besonder-<br />

heit haben (die aber oft erst davon erfuhren, als sie gemustert wurden<br />

oder ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zeugen konnten <strong>–</strong> schließlich verdanken sie ihr Leben, der<br />

Tatsache, daß es damals die Pränatale Diagnostik noch nicht gab). Frauke<br />

faßte allen Mut zusammen und entschloß sich für das K<strong>in</strong>d. Während<br />

der restlichen Schwangerschaft mußte sie wegen vorzeitger Wehen im<br />

Bett liegen. H<strong>in</strong>terher <strong>in</strong>terpretierte sie die vorzeitige Wehentätigkeit<br />

als e<strong>in</strong>en Versuch, wieder e<strong>in</strong>e Beziehung zum Ungeborenen zu f<strong>in</strong>den.<br />

Schließlich war sie dadurch gezwungen, die ganze Aufmerksamkeit auf<br />

die Schwangerschaft zu richten. Frauke war beherrscht von dem Gedan-<br />

ken, was sie diesem K<strong>in</strong>d antun wird, wenn sie es auf die Welt br<strong>in</strong>gt: »Wird<br />

er mit der Andersartigkeit umgehen können oder verurteile ich ihn zum<br />

Unglücklichse<strong>in</strong>?«<br />

Es ist zu befürchten, daß immer mehr Diagnoseverfahren und Tests auch die<br />

Ansprüche an unseren Nachwuchs erhöhen. Was macht e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d liebens-<br />

wert? Die Antwort wird immer mehr von e<strong>in</strong>er genetischen Ausstattung<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des abhängig gemacht und nicht mehr von der Bezie-hungs-<br />

44 Eva Sch<strong>in</strong>dele

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