12.12.2012 Aufrufe

Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft

Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft

Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Gesundheit und Krankheit <strong>werden</strong> objektiv und statisch def<strong>in</strong>iert. Sie ent-<br />

halten immer die Bewertungen von »Gut« und »Böse«. Das Gesunde wird<br />

mit dem »Leben« schlechth<strong>in</strong> und Krankheit, Beh<strong>in</strong>derung mit Lebens-<br />

bedrohung/als Bedrohung von S<strong>in</strong>nhaftigkeit und Glück identifiziert.<br />

Diese Normsetzungen s<strong>in</strong>d Grundlage vorgeburtlicher Diagnostik und<br />

<strong>werden</strong> <strong>in</strong> deren alltäglicher Anwendung selten h<strong>in</strong>terfragt.<br />

»Gesundheitsdiskurse s<strong>in</strong>d immer auch Normalitätsdiskurse. Gesundheit ist<br />

e<strong>in</strong> Feld der Herstellung von gesellschaftlich gewünschtem und geforder-<br />

tem Verhalten und Habitusformen. Gesundheit ist <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> Ort<br />

sozialer Kontrolle«, (Keupp, S. 57).<br />

Gesunde und kranke Gene <strong>werden</strong> zum zentralen Bestimmungsmerkmal,<br />

das Menschse<strong>in</strong> ausmacht. Dabei wird das, was wir mit »beh<strong>in</strong>dert« be-<br />

zeichnen, gemessen an Leistungsfähigkeit und Funktionsbereitschaft <strong>in</strong>-<br />

nerhalb dessen, was diese <strong>Gesellschaft</strong> braucht. Die Würde des Menschen<br />

wird immer mehr von se<strong>in</strong>em Wert überlagert und teilweise ersetzt. Der<br />

gesunde, schöne Mensch ist unabhängig, kontrolliert, körperbeherrscht<br />

und vernünftig. Diese Normsetzung be<strong>in</strong>haltet die Ausgrenzung und<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung von Abhängigkeit, Angewiesense<strong>in</strong> auf Beziehungen,<br />

Schicksalhaftem, Störungen.<br />

Letztendlich gibt es die Tendenz, die totale Ausgrenzung zu vollziehen, <strong>in</strong>-<br />

dem das »Menschse<strong>in</strong>« den Ausgegrenzten gänzlich aberkannt wird. Un-<br />

sere Solidarität gilt dann konsequenterweise denen, die dazugehören. In<br />

der Diskussion um Fetozid und Früheuthanasie wird <strong>dieser</strong> Mechanismus<br />

klar. Peter S<strong>in</strong>ger führt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er praktischen Ethik, <strong>in</strong> der er Krite- rien<br />

dafür sucht, wann e<strong>in</strong> Mensch e<strong>in</strong> Mensch ist und damit e<strong>in</strong> unantast-<br />

bares Lebensrecht hat, das weiter, was Eugenik und selektive Diagnostik<br />

auch be<strong>in</strong>halten. Wie das auch im <strong>in</strong>dividuellen Innern funktioniert, wird<br />

<strong>in</strong> vielen Beratungen aber auch <strong>in</strong> Fortbildungen deutlich. In Beratungen<br />

benennen viele Frauen e<strong>in</strong>en Konflikt dar<strong>in</strong>, daß sie durch e<strong>in</strong>e Fruchtwas-<br />

seruntersuchung e<strong>in</strong> »gesundes K<strong>in</strong>d!« gefährden oder töten könnten und<br />

demzufolge Schuldgefühle diesem gegenüber hätten. In dem Mißtrauen,<br />

die Diagnosen könnten falsch se<strong>in</strong> und dann werde e<strong>in</strong> »gesundes K<strong>in</strong>d«<br />

abgetrieben, f<strong>in</strong>det sich e<strong>in</strong>e andere Form <strong>dieser</strong> Ausgrenzung.<br />

Dieser Begriff von Leben und Krankheit hat sich verselbständigt vom kon-<br />

kreten Menschen und somit von der konkreten Lebenswirklichkeit von<br />

80 Margaretha Kurmann

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!