Unter anderen Umständen – Mutter werden in dieser Gesellschaft
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gesellschaftlichen Gruppen. Oder wenn die <strong>Mutter</strong>schaft e<strong>in</strong>er Frau als<br />
dysfunktional im Rahmen anderer Interessen und Ansprüche an sie ange-<br />
sehen wird. In diesen Fällen kann dann e<strong>in</strong> Schwangerschaftsabbruch zu<br />
etwas ganz Ehrenwertem oder gar Selbstverständlichem oder Geforder-<br />
ten <strong>werden</strong>.<br />
K<strong>in</strong>derwunsch kl<strong>in</strong>gt erstmal grundsätzlich positiv. Kl<strong>in</strong>gt Abtreibungs-<br />
wunsch dagegen nicht sonderbar <strong>–</strong> und erregt leicht Befremdung bis<br />
Ablehnung. Abtreibung ist <strong>in</strong> der herrschenden Me<strong>in</strong>ung oft nur mit Leid<br />
verknüpft vorstellbar. Das Denken an etwas Positives im Kontext von Ab-<br />
treibung kann dann manchmal <strong>in</strong> der absonderlichen Vorstellung und<br />
Denkverwirrung kulm<strong>in</strong>ieren, daß Abtreibung für die betroffenen Frauen,<br />
die sie wünschen, etwas angestrebtes Positives sei.<br />
Es gibt strukturell zwei Arten von Wünschen: etwas Erwünschtes haben zu<br />
wollen und andererseits Trennungs- oder Beseitigungswünsche aller Art,<br />
das heißt etwas Ungewolltes los<strong>werden</strong> zu wollen, was immer mit Ag-<br />
gressionen e<strong>in</strong>hergeht.<br />
Es ist wichtig, <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung zu behalten, daß die meisten Frauen, die abtrei-<br />
ben, schon <strong>Mutter</strong> s<strong>in</strong>d oder es später <strong>werden</strong>. Die Aufteilung: hier <strong>Mutter</strong><br />
<strong>–</strong> dort Abtreiber<strong>in</strong> ist empirisch falsch und konstruiert Spaltungen.<br />
Abtreibung ist e<strong>in</strong>e reale Erfahrung im Leben e<strong>in</strong>iger Millionen Frauen <strong>in</strong><br />
Deutschland, sie besitzt damit schon statistisch gesehen Normalität.<br />
Fast jede Frau, die heterosexuell aktiv ist oder war, hat schon e<strong>in</strong>- oder<br />
mehrmals <strong>in</strong> ihrem Leben gedacht oder befürchtet, ungewollt schwan-<br />
ger zu se<strong>in</strong> <strong>–</strong> was bei mehr als 400 Menstruationszyklen im Leben e<strong>in</strong>er<br />
Frau wenig erstaunt; von daher ist Abtreibung e<strong>in</strong>e Möglichkeit, die he-<br />
terosexuellem Liebesleben <strong>in</strong>härent ist. Abtreibung ist e<strong>in</strong>e im Lauf von<br />
Tausenden von Jahren von Menschen entwickelte Kulturtechnik, um mit<br />
dem normalerweise vorhandenen Fruchtbarkeitsüberschuß von Frauen<br />
umgehen zu können. Als wichtige Kulturtechniken ermöglichen Verhü-<br />
tungsmittel, Methoden der E<strong>in</strong>nistungsverh<strong>in</strong>derung und Abtreibungs-<br />
methoden das sexuelle und generative Begehren von Menschen, die <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em komplizierten Spannungsverhältnis zue<strong>in</strong>ander stehen, mehr oder<br />
weniger zu <strong>in</strong>tegrieren und handhabbar zu machen. Frauen können sich<br />
für das Austragen, das Schwangerschaften-<strong>in</strong>-sich-wachsen-lassen und<br />
K<strong>in</strong>dern-das-Leben-schenken entscheiden <strong>–</strong> und sie können ihre Schwan-<br />
62 Cornelia Hühn