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Lovely Creatures Gemeinsam mit Gründungsmitglied<br />
Mick Harvey (2. v. r.) stellte Nick Cave<br />
„Lovely Creatures“ zusammen. Viele Ehemalige,<br />
darunter Blixa Bargeld (1. v. l.), schwelgen in<br />
Erinnerungen oder lassen tief in den<br />
privaten Foto-Fundus blicken.<br />
Ich glaube, ein überwiegender Großteil<br />
von dem, was Nietzsche jemals von<br />
sich gab, ist ausgemachter Schwachsinn.<br />
In diesem einen Fall kann ich<br />
ihm aber durchaus etwas abgewinnen<br />
– nicht weil die Aussage korrekt ist,<br />
sondern weil das Chaos als Vater einer<br />
Lichtgestalt irgendwie possierlich<br />
klingt. Traumata sind nachteilig für<br />
den Kreativprozess, da befindet sich<br />
die kreative Seele in einer kauernden<br />
Fötusstellung. Zumindest in dem Moment,<br />
in dem die absolute Katastrophe<br />
über dir aufsteigt, bist du hilflos verloren<br />
und alles andere als expressiv.<br />
Nicht das Chaos selbst, sondern allein<br />
die Überwindung dessen kann produktiv<br />
sein.<br />
Ist dein gerühmter – in der Breitenwirkung<br />
jedoch stark unterschätzter<br />
– Humor da auch ein gewisser Eskapismus?<br />
Die Charaktere, die in meinen Texten<br />
vorkommen, sind alle Verfremdungen<br />
meiner selbst, sind maskierte Triebtäter<br />
– und ja, manche davon auch<br />
mit einem schelmischen Grinsen in<br />
der Fratze, hinter denen sich dann<br />
meine Intimzone versteckt.<br />
10|<br />
In „20.000 Days On Earth“ sieht man<br />
dich bei einem inszenierten Psychiaterbesuch<br />
– ist dieses Überziehen von<br />
Masken für dich die wahre Form einer<br />
Katharsis?<br />
Der Arbeitsprozess definitiv, weniger<br />
die textliche Aufarbeitung von Lebensmomenten.<br />
Die Produktivität<br />
zeigt mir, dass das Leben so oder so<br />
weitergeht. Stillstand und das Verharren<br />
in Momenten ist nicht dienlich<br />
für mich und den Umgang mit der<br />
Außenwelt.<br />
Bekanntlich bist du auch ein renommierter<br />
Romancier und in diesem<br />
Metier heißt es, ein Roman brauche<br />
einen starken Eröffnungssatz, um<br />
den Leser zu fesseln. Wie weit trifft<br />
das auch auf die Musik zu?<br />
Nicht notwendigerweise, aber starke<br />
Eröffnungen machen mir selbst unglaublichen<br />
Spaß. Da hat der Volksmund<br />
schon recht: Durch sie ziehst<br />
du dein Publikum rasch und mit Vehemenz<br />
in deine ureigene Weltordnung.<br />
Was unterscheidet die Musik von<br />
anderen Künsten?<br />
Sie ist die beste aller Ausdrucksformen<br />
(lacht).<br />
Welche Rolle nimmt die kunstfertige<br />
Verfremdung der Realität heute, im<br />
postfaktischen Zeitalter, ein?<br />
Für mich ist die Fantasie naturgemäß<br />
schon postfaktisch. Der Wahrheitsgehalt<br />
ist bei jeglichem Kunstausdruck<br />
aber ohnehin peripher. Mir geht es in<br />
meinen Texten mehr um den Effekt,<br />
den sie haben können. Ich würde sagen,<br />
mein Fokus liegt auf der Authentizität<br />
und nicht auf der Wahrheit.<br />
Wie wichtig ist dir dein Vermächtnis?<br />
Dass ich als Person in Erinnerung behalten<br />
werde, ist für mich bedeutungslos.<br />
Ich mag jedoch die Vorstellung,<br />
dass meine Songs weiterleben und<br />
auch losgelöst von mir durch die<br />
Menschheitsgeschichte flirren und<br />
auch über meinen Tod hinaus für<br />
Menschen eine Bedeutung haben werden.<br />
Das volle Gespräch findet man ab 24.<br />
<strong>April</strong> auf <strong>ticket</strong>magazin.com.