29.03.2017 Aufrufe

ticket April 2017

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

The Loatherman<br />

Die Retrospektive, die Nick Cave & The Bad Seeds mit „Lovely<br />

Creatures“ halten, gab Anlass, hinter die Maske zu blicken und<br />

zu fragen: Wer ist eigentlich dieser Nick Cave und wie schwer ist<br />

es, er zu sein? TEXT: STEFAN BAUMGARTNER<br />

She had a history, but she had<br />

no past“, heißt es im Songtext<br />

zu „Jubilee Street“ über ein<br />

leichtes Mädchen namens Bee. Nicht<br />

so jedoch Nick Cave, der australische<br />

Poète maudit und geistige Vater dieser<br />

Gunstgewerblerin: Vormals bei The<br />

Boys Next Door, später bei The Birthday<br />

Party tätig und ab 1983 schließlich<br />

im Kollektiv mit den Bad Seeds kann<br />

er dieweil auf ein reiches Œuvre zurückblicken.<br />

Eines, das wir unter dem<br />

Titel „Lovely Creatures“ (erscheint<br />

am 5. Mai) unifiziert nun gemeinsam<br />

rekapitulieren: Bewusst wurden da das<br />

Schwesternprojekt Grinderman und<br />

die Ausflüge in die Welt der Filmmusik<br />

ebenso ausgeklammert, wie auch das<br />

aktuelle Album „Skeleton Tree“. Dafür<br />

wird die De-luxe-Edition von einem<br />

prachtvollen Buch begleitet, das neben<br />

Archivaufnahmen und Replika von<br />

Memorabilia auch eine Vielzahl an<br />

Essays offeriert.<br />

1984, kurz nach deinem Umzug nach<br />

London, bist du dem Elvis-Presley-<br />

Fanclub beigetreten. In „A beautiful,<br />

evil thing“ – einem Kapitel aus<br />

„Lovely Creatures“ – wirst du zitiert,<br />

du hättest deine Unschuld mit Johnny<br />

Cash verloren . Was bräuchte eine<br />

ihrer Retrospektiven, dass du sie dir<br />

zulegen würdest?<br />

Bei Elvis wünschte ich mir, sie würden<br />

Aufnahmen der letzten Shows veröffentlichen<br />

– einiges davon finde ich<br />

außergewöhnlich, seine Rehearsals<br />

überwältigend. Von Johnny hingegen<br />

würde ich viel von seinen frühen Stücken<br />

haben wollen – er hatte eine exzeptionelle<br />

Karriere und natürlich eine<br />

ungemeine Anzahl an Songs.<br />

Ich fand den Titel deiner Restrospektive<br />

interessant, werden mit „Creatures“<br />

immerhin üblicherweise Lebewesen<br />

bezeichnet – und seien sie<br />

noch so imaginär. Was qualifiziert<br />

deine Musik als „lebendig“?<br />

Der Titel suggeriert in allererster Linie,<br />

dass die Stücke eine Einheit bilden –<br />

sie alle sind befremdliche, sonderbare<br />

kleine Wesen, die zusammen existieren.<br />

Ich mag die Vorstellung, dass sich<br />

die Songs untereinander irgendwie<br />

verständigen, was vorwiegend damit<br />

zu tun hat, dass ich seit 30 Jahren den<br />

gleichen Song schreibe: Meine Noemata<br />

sind heute sehr ähnlich zu denen,<br />

die ich bereits in meiner Adoleszenz<br />

hatte. Allein meine Perspektiven haben<br />

sich mit der Zeit gewandelt und meine<br />

Kunstfertigkeit verbessert.<br />

Wachsen deine Stücke mit der Zeit<br />

oder löst sich der initiative enge Konnex<br />

sukzessive?<br />

Manche blühen auf und andere wiederum<br />

verdorren. Einige von ihnen<br />

haben kein Stehvermögen – auch in<br />

der Welt der Musik geht es um das<br />

Überleben der Stärksten. Das macht<br />

sie nicht zwangsweise zu schlechten<br />

Stücken, sondern bedeutet nur, dass<br />

sie nicht die Fähigkeit haben, gewisse<br />

Grenzen zu überschreiten. Andere wiederum<br />

verselbstständigen sich, leben<br />

nicht nur in unterschiedlichen Lebensphasen<br />

von mir und den Bad<br />

Seeds, sondern auch auf sich allein gestellt<br />

weiter.<br />

Welcher Moment des künstlerischen<br />

Schaffensprozesses ist dir eigentlich<br />

der Befriedigendste?<br />

Ich brauche das Schreiben als unabdingbare<br />

Notwendigkeit, um überhaupt<br />

existieren zu können: Wenn ich<br />

nicht arbeite, kommt es mir vor, als<br />

breche die Welt um mich herum zusammen,<br />

da bin ich ein Wrack, ein<br />

Desaster. Stehe ich auf der Bühne, hat<br />

das einen transformativen Effekt auf<br />

mich: Die Musik reflektiert die Phasen<br />

meines Lebens und hält mich dabei<br />

jung und am Leben. Das Aufnehmen<br />

ist nur Mittel zum Zweck, da verliert<br />

man die Eigentümerschaft über seine<br />

Ideen, hier setzt du deine Gedanken<br />

der Welt aus. Dies ist auch der Moment,<br />

wo sich meine intensive Beschäftigung<br />

mit der Musik löst. Naturgemäß<br />

evozierte also die für „Lovely<br />

Creatures“ notwendige Auseinander-<br />

Fotos: Barracuda Music, Mayk Azzato, Hersteller<br />

08|

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!