30.03.2017 Aufrufe

COMPACT-Spezial "Asyl unsere Toten"

Asyl, Unsere Toten Unsere Toten, Unsere Trauer

Asyl, Unsere Toten
Unsere Toten, Unsere Trauer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>COMPACT</strong> <strong>Spezial</strong><br />

_ Was tun?<br />

Hier ist eine Präferenz im Spiel, die ideologischer<br />

Natur ist: Eher wird eine erhöhte Wahrscheinlichkeit<br />

von Terroranschlägen hingenommen, als die<br />

Vision eines «offenen Deutschlands» aufzugeben.<br />

Sind wir beim Thema Innere Sicherheit also weiter?<br />

Würden die Regierenden in einem ähnlichen<br />

Fall jetzt anders handeln? Keineswegs, wir sind hier<br />

mit den gleichen Entscheidungsproblemen konfrontiert<br />

und strukturell unfähig, sie zu lösen.<br />

Ein zweiter Problemkomplex ist die sich ausbreitende<br />

Alltagsgewalt: die Hauseinbrüche und<br />

Taschendiebstähle, die Überfälle in U-Bahn-Stationen<br />

und Stadtparks, die Gewalt gegen Polizeibeamte,<br />

Feuerwehrleute, Busfahrer und Lehrer. Sehen wir<br />

für einen Moment von der Herkunft der Täter ab<br />

und schauen nur auf die Art der Taten: Es handelt<br />

sich nicht um monströse Einzelfälle, sondern um<br />

ein breites Vordringen in der Fläche, dem man viel<br />

weniger entkommen kann als dem Einzelattentat.<br />

Wie viele Menschen in Deutschland haben inzwischen<br />

ihre täglichen Heimwege von der Arbeit geändert,<br />

wie viele Frauen gehen nach Sonnenuntergang<br />

nicht mehr in ihren Park, wie viele Schüler<br />

meiden bestimmte Ecken im Umfeld ihrer Schule?<br />

Diese Verschlechterung der Sicherheitslage ist<br />

schwer in den Griff zu bekommen. Die Dunkelziffern<br />

sind hoch, und die Polizei sagt zu Recht, sie könne<br />

nicht überall sein. Ein zuverlässiger Schutz ist hier<br />

ohne Zumutungen nicht möglich. Dazu gehört zum<br />

Beispiel die systematische Anwendung von Videoüberwachung<br />

oder auch die organisierte Wachsamkeit<br />

der Bürger, als Neighbourhood Watch in den<br />

USA seit langem wohlbekannt. Erheblich verringert<br />

werden müsste auch die leichtsinnige Gewohnheit,<br />

mit der Strafen immer wieder auf Bewährung verhängt<br />

werden – was dazu führt, dass Straftäter in<br />

den Alltag entlassen werden, ohne dass die Justiz<br />

die Mittel hätte, ihr Verhalten dann zu kontrollieren.<br />

Der Preis der Freiheit<br />

Diese Beispiele zeigen, dass eine erhöhte<br />

Wehrhaftigkeit keine Innovationen erfordert, sondern<br />

eine Änderung in der Rechtsgüterabwägung<br />

von öffentlicher Sicherheit und individueller Freiheit.<br />

Davon aber sind wir gegenwärtig weit entfernt,<br />

wie die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes<br />

zur Videoüberwachung vom 27. Dezember 2016<br />

verdeutlichte. Deren Ausdehnung stünde in Konflikt<br />

mit dem Gebot der «Verhältnismäßigkeit» staatlicher<br />

Eingriffe, erklärte der Vorsitzende Jens Gnisa,<br />

weil sie «die Freiheit einer Vielzahl von unbescholtenen<br />

Bürgern, die selbst keinen Anlass für Überwachung<br />

schaffen», einschränke. Dabei stellt jeder<br />

nicht gefasste Täter ebenfalls eine Einschränkung<br />

der Freiheit von Zigtausenden Bürgern dar! Doch<br />

das kommt in solchen Verhältnisrechnungen, die<br />

gerne als absolutes Gebot «des» Rechts ausgegeben<br />

werden, nicht vor. Die Fakten einer veränderten<br />

Sicherheitslage können diese Einstellung paradoxerweise<br />

nicht erschüttern. Das Prinzip, das so<br />

sehr auf die Freiheit des Einzelnen schaut und dabei<br />

die Freiheit der Vielen übersieht, herrscht unangetastet<br />

weiter.<br />

Daraus muss man lernen. Die Wiederherstellung<br />

der inneren Wehrhaftigkeit der Bundesrepublik<br />

wird sich nicht einfach spontan als Reaktion<br />

auf Ereignisse – und seien sie noch so monströs –<br />

ergeben. Die Wehrhaftigkeit kann nur wiedergefunden<br />

werden, wenn bestimmte Maßnahmen, die mit<br />

ihr verbunden sind, akzeptiert werden – etwa die<br />

Konfrontation, die mit Maßnahmen gegen Täter und<br />

deren konsequenter Bestrafung verbunden ist. Hiergegen<br />

wird in Deutschland oft eingewendet: Die<br />

Härte der Sicherheitskräfte und der Justiz würde<br />

die Täter nur verhärten, Mut sei deshalb «kontraproduktiv».<br />

Bisweilen wird sogar behauptet, Strafen<br />

seien nur eine Rache des Staates und deshalb mit<br />

dem Verbrechen auf eine Stufe zu stellen. Doch der<br />

Rechtsstaat steht nicht in einer Privatfehde mit dem<br />

Täter, er handelt im Auftrag der Gesetze und schützt<br />

damit die Allgemeinheit der Bürger. Bei der Wehrhaftigkeit<br />

ist Konfrontation also kein Selbstzweck.<br />

Vorwurf Generalverdacht<br />

Wenn Identitätskontrollen vorgenommen werden<br />

oder wenn Videoüberwachung installiert wird,<br />

treffen die Maßnahmen einen Kreis von Menschen,<br />

der viel größer ist als der der gesuchten Täter.<br />

Es ist üblich geworden, solches Vorgehen für<br />

illegitim zu erklären, weil es angeblich einen Generalverdacht<br />

erhebe. Aber jedes allgemeingültige<br />

Gesetz verlangt allgemeine Kontrollen zu seiner<br />

Ein Räumpanzer der Polizei sichert<br />

am 1.1.2017 die Silvesterfeier auf<br />

der Alten Brücke in Frankfurt am<br />

Main (Hessen). Zudem wurde ein<br />

abgetrennter Sicherheitsbereich<br />

eingerichtet, in dem 30.000<br />

Menschen nach entsprechenden<br />

Einlasskontrollen Platz fanden. Foto:<br />

picture alliance / Boris Roessler/<br />

dpa<br />

Die Konjunktur<br />

des Wortes Generalverdacht<br />

zeigt<br />

die grassierende<br />

Staatsfremdheit.<br />

_ Gerd Held (*1951) schreibt<br />

gegenwärtig als Publizist für<br />

verschiedene Online-Plattformen,<br />

zuvor unter anderem auch für<br />

die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung<br />

und Die Welt. Bis zu<br />

seiner Pensionierung war er als<br />

Hochschuldozent für Stadt- und<br />

Raumplanung tätig.<br />

77

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!