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COMPACT-Magazin 05-2017

Der Osten leuchtet. Was der Westen lernen kann

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Die Prawda aus Hamburg<br />

_ von Viktor Timtschenko<br />

Die Zeit gilt als Sturmgeschütz des Liberalismus. Ich machte die Probe aufs Exempel<br />

und reichte einen Artikel ein, der auch bei der bearbeitenden Redakteurin Gefallen<br />

fand. Doch dann kam alles anders.<br />

Der Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit<br />

Josef Joffe schrieb Ende November 2016 in einer<br />

Glosse unter dem Titel «Mauern hoch!» – über Nationalismus,<br />

Rassismus, Extremismus, Liberalismus,<br />

Faschismus und einige andere Ismen – insgesamt<br />

sage und schreibe 76 Zeilen. Manches schien mir<br />

in der Kürze des Textes untergegangen, und ich unterbreitete<br />

Herrn Joffe persönlich einen Ergänzungsvorschlag<br />

– Herausgeber haben erfahrungsgemäß<br />

einen guten Draht zur Redaktion. Er antwortete mir<br />

schnell und vermittelte eine Redakteurin, die sich<br />

um den Beitrag kümmern sollte.<br />

Die Hoffnung stirbt zuletzt<br />

Ich schrieb den Text (Titel: «Moderner Nationalismus<br />

und unmoderner Liberalismus»), sie fand<br />

ihn «interessant» und redigierte ihn. Die bearbeitete<br />

Fassung habe ich ohne eine einzige Bemerkung<br />

autorisiert, da es mir um grundsätzliche Dinge ging<br />

und nicht um jedes Wort – und alles Grundsätzliche<br />

hatte die Redakteurin hochsensibel und professionell<br />

belassen. Dennoch musste ich warten – monatelang.<br />

Die Veröffentlichung wurde von Woche zu<br />

Woche verschoben. 17. Januar: «Leider müssen wir<br />

Ihren Beitrag noch mal schieben.» 25. Januar: «Es<br />

ist ein aktuelles Stück dazwischengeschoben worden.<br />

Nächste Woche habe ich für Ihr Stück nun angepeilt.»<br />

1. Februar: «Es ist zu viel los, und dann möchten<br />

wir hinten auf dem Op-Ed-Platz gern ein paar<br />

leichtere Themen bearbeiten, deshalb schieben wir<br />

immer wieder, obwohl wir Ihren Text sehr gut finden.»<br />

Ich hatte dafür auch Verständnis: Eine liberale<br />

Zeitung will einen liberal-kritischen Text veröffentlichen,<br />

das braucht Absprachen und Analyse und<br />

eventuell ein passendes Seitenumfeld. Das kennen<br />

wir aus den Talk-Shows: am liebsten vier gegen einen.<br />

Aber meine Einstellung war und ist: In der freiheitlichen<br />

Demokratie und bei der freien Presse ist<br />

die Meinung der Anderen ein genau so hohes Gut<br />

wie meine eigene.<br />

Pustekuchen! Im letzten Brief schrieb mir die Redakteurin:<br />

«Lieber Herr Timtschenko, es tut mir leid,<br />

dass ich Sie habe warten lassen. Ich muss Ihnen<br />

leider absagen, und zwar liegt es daran, das sage<br />

ich offen, dass ich meine Kollegen nicht von Ihrem<br />

Text überzeugen konnte. Ich bedaure das sehr, weil<br />

ich Ihren Text gut finde und weil ich natürlich weiß,<br />

dass Sie Arbeit hineingesteckt haben. Ich hoffe auf<br />

Ihr Verständnis!»<br />

Im Gegensatz zu den meisten deutschen<br />

Zeitungen konnte Die Zeit in<br />

den letzten Jahren ihre Auflage stabil<br />

halten. Derzeit setzt sie etwa<br />

500.000 Exemplare ab. Foto: picture<br />

alliance / Daniel Kalker // www.<br />

zeit.de<br />

Einer der Gründe<br />

für das Erstarken<br />

des Nationalismus<br />

ist der bornierte Liberalismus.<br />

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