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INTERNET<br />
FOTO: MARIANA BELLOT-FLORES<br />
INTERVIEW<br />
IAN JACOB<br />
„... diese Stärke, einfach weiterzumachen ...“<br />
Beim Surfen im Internet entdeckten<br />
wir diesen Künstler, der<br />
nicht nur mit seiner Kunst gute Laune<br />
macht. Seine Geschichte ist aber<br />
durchaus ernst.<br />
Du machst echt gerne Selfies, oder?<br />
Ich stehe auf Selfies. Als ich aufgewachsen<br />
bin, wollte ich unbedingt Model werden und<br />
mein einziger Einblick in die Modewelt war<br />
die Sendung „America’s Next Top Model“.<br />
Tyra Banks betonte immer, wie wichtig<br />
Übung ist, also habe ich geübt. Vorm<br />
Spiegel, mit einer Kamera und der Timerfunktion.<br />
Und ich habe viel geübt! Jetzt, wo<br />
ich älter bin, empfinde ich Selfies als einen<br />
großen Teil der Jugendkultur und eine Methode,<br />
bei Menschen auf der ganzen Welt<br />
riesiges Interesse zu erzeugen, das sich<br />
dann hoffentlich zu tieferen Verbindungen<br />
oder gar Freundschaften entwickelt.<br />
Den ersten Eindruck hat man von unseren<br />
Gesichtern. Das ist zwar einfach und oberflächlich,<br />
aber eine Tatsache. Wir erzeugen<br />
den ersten Eindruck mit unserer Energie<br />
und unserem Aussehen.<br />
Was ist deine liebste Kunstform?<br />
Als Jugendlicher mochte ich am liebsten<br />
alles, was Dreck macht. Vornehmlich Bildhauerei.<br />
Ich belegte ein Jahr lang bildende<br />
Kunst auf der Universität und war dafür<br />
bekannt, eine riesige Sauerei zu veranstalten<br />
und zu tun, was ich wollte. Zum<br />
Glück haben meine Profs das respektiert.<br />
Inzwischen arbeite ich eher digital. Das ist<br />
einfacher, wenn man keinen Platz hat, mit<br />
Gips um sich zu werfen!<br />
Was inspiriert dich am meisten?<br />
In den vergangenen paar Jahren war Sex<br />
meine größte Inspiration, ganz besonders<br />
schwuler Sex. Ich finde es faszinierend, dass<br />
schwuler Sex automatisch fetischisiert wird,<br />
und zwar nicht nur vom heterosexuellen<br />
Mainstream, sondern sogar innerhalb unserer<br />
eigenen Community. All diese Konzepte<br />
– Daddys, Size Queens, die Verwischung von<br />
Geschlechtergrenzen und -standards – faszinieren<br />
mich. Da gibt es auch diese dunklere<br />
Seite, die ich gerne weiter erforschen<br />
möchte, was ich aber noch nicht so wirklich<br />
geschafft habe. Ich bin recht klein, was die<br />
Körperlänge angeht, und einige Erfahrungen,<br />
die ich in Klubs und Bars gemacht<br />
habe, waren schon beängstigend. Einvernehmlicher<br />
Sex scheint heutzutage für<br />
viele Männer optional zu sein, und ich bin<br />
froh sagen zu können, dass ich hier bisher<br />
nicht zum Opfer geworden bin. Es fasziniert<br />
mich, dass viele Männer so drauf sind, aber<br />
es macht mir auch Sorgen. Ich arbeite an<br />
einigen Werken, die das widerspiegeln. Das<br />
ist allerdings ziemlich kompliziert.<br />
Vor ein paar Jahren ging es dir einmal<br />
nicht so gut und du hast deine Gedanken<br />
auf Facebook geteilt. Erzähl<br />
doch mal davon.<br />
Seit meinem 12. Lebensjahr kämpfe ich mit<br />
Depressionen und Selbstmordgedanken. Ich<br />
erinnere mich daran, dass ich in diesem Alter<br />
zum ersten Mal darüber nachgedacht habe,<br />
wie es wohl wäre zu sterben – und mich tatsächlich<br />
danach zu sehnen. Ich entwickelte<br />
eine Essstörung und kämpfte mit diesen<br />
beiden Problemen mehr oder weniger durchgehend<br />
bis ich ungefähr 19 war. Ich hätte<br />
mich fast umgebracht. Ich habe versucht,<br />
eine Überdosis Tabletten zu nehmen und<br />
mich zu ertränken. Ich wachte am nächsten<br />
Morgen auf und entschied, dass ich mich nie<br />
wieder so fühlen wollte. Dass ich überhaupt<br />
am nächsten Morgen aufgewacht bin und<br />
am Leben war, ist das Wichtigste daran. Deswegen<br />
habe ich das Datum dieses Tages auf<br />
meinen Schenkel tätowiert. Das war einer<br />
meiner stärksten Tage und ich versuche,<br />
mir diese Urkraft zu bewahren, diese Stärke,<br />
einfach weiterzumachen. Das letzte Jahr hat<br />
mich sehr auf die Probe gestellt: Ich hatte<br />
mich verliebt und schon geplant, ihn zu<br />
heiraten – und dann brach er mir das Herz.<br />
Ich bin abgestürzt und fühlte mich ziemlich<br />
dreckig. Aber jetzt habe ich das hinter mir<br />
gelassen und ich fühle mich wieder stark. Ich<br />
bin nun überzeugt davon, dass ich mich aus<br />
jedem Tief wieder befreien kann.<br />
*Interview: Michael Rädel & Andreas Müller<br />
www.ianjacobportfolio.com<br />
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